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»24 PROZENT ZINSEN SIND KEIN WUCHER«

aus DER SPIEGEL 48/1963

In der Bundesrepublik werden mehr Ratenkäufe getätigt als je zuvor in Deutschland. Im Durchschnitt steht jeder Haushalt mit 750 Mark bei Kreditinstituten oder Händlern in der Kreide. Er muß dafür jährlich etwa 100 Mark Zinsen und Unkosten aufbringen. Trotz dieser erheblichen Schuldenlast, die pro Jahr um Milliarden steigt, heizen Banken, Makler und Kaufhäuser durch intensive Werbung den Pumpkauf weiter an. Außer Möbeln, Elektrogeräten, Automobilen können neuerdings auch Ferienreisen abgestottert werden. Rund 20 000 Filialen und Büros locken mit Kreditangeboten. Und weitere 20 000 Mitarbeiter der Kreditmakler schwärmen durch die Bundesrepublik, um neue Stotterkunden aufzuspüren. Die Angebote vieler Geldgeber, unter die sich einige Tausend Kriminelle gemischt haben, sind häufig irreführend. 60 Untersuchungen in fünf westdeutschen Großstädten beweisen, daß in Kreditvertrogen privater Geldmakler geschickt verschleierte Zinsen und Gebühren bis zu einer Höhe von 85 Prozent der Kreditsumme verlangt wurden. Als der Baggerführer Adolf Berg* aus Beckum/Westfalen Vater wurde, pumpte er sich Geld. Zeitungsinserate hatten ihn, der Windeln, Kinderwagen und Wiege beschaffen mußte, nach Hamm gelockt, in die Zweigstelle der Kreditdienst GmbH. In ihren Anzeigen war ihm versprochen worden:

»Barkredite, in jeder Höhe, für jeden Zweck... schnelle ... diskrete Bearbeitung.«

Adolf Berg brauchte 2000 Mark, mußte auf Anweisung des Kreditdienstes 2500 Mark beantragen und bekam

1975 Mark ausbezahlt. Das Vermittlungsbüro stellte ihm 525 Mark an Provisionen, 2,50 Mark an sonstigen Gebühren und 360 Mark an Zinsen in Rechnung.

Das Geschäft auf 18 Raten zwischen dem Baggerführer und dem Kreditdienst wurde vier Tage vor Weihnachten 1962 perfekt. Und wenn alle vereinbarten Zahlungen von monatlich 159 Mark im Sommer 1964 abgewickelt sind, hat Berg an den Kreditdienst 2862,50 Mark überwiesen, davon 887,50 Mark für Unkosten. Das entspricht einer Zinsbelastung von rund 30 Prozent jährlich.

Die Stadtsparkasse Beckum, auf Bergs Wunsch mit der nachträglichen Überprüfung des Kreditgeschäftes befaßt, kalkulierte: An einem Bankschalter wären dem Baggerführer für 2000 Mark Kredit nur 184 Mark an Gebühren und Zinsen abgenommen worden. Die Fahrt von Beckum ins Hammer Kreditbüro hatte ihn rund 700 Mark mehr gekostet. Berg: »Für jeden Kilometer 30 Mark.«

Beckums Sparkasse meldete des Baggerführers Reinfall als Beispiel für überhöhte Provisions- und Zinsforderungen an den Giroverband in Münster, der ihn eilig an die Verbandszentrale in Bonn weiterreichte. Die westfälischen Kassenbündler waren der Hoffnung, die Bonner Führer würden den Staatsanwalt oder mindestens die

Öffentlichkeit gegen solche wucherischen Maklerforderungen mobilisieren.

Am Rhein indes stufte man Bergs Fiasko als relativ harmlos ein. Denn der Verbandsspitze sind inzwischen krassere Fälle von Zinsforderungen bekanntgeworden:

Josef Bergmann, Marburg, hatte beispielsweise von dem Finanzierungsbüro »Procredit« 500 Mark Darlehen erbeten, 455 Mark bar in die Hand bekommen und 658,70 Mark zurückbezahlen müssen. Ein Sprecher des Hessischen Giroverbandes: »Das entspricht einem effektiven Zins von rund 80 Prozent.«

Gerda Hebermann, Mönchengladbach, beantragte bei der Kreditfirma Rudolf Wasner ein Darlehen von 500 Mark und mußte für Provisionen und Zinsen 85,5 Prozent der Kreditsumme aufbringen.

Der Giroverband schätzt, daß einige Hunderttausend Bundesbürger jährlich

ähnliches Pumppech erleben wie Adolf Berg, Josef Bergmann und Gerda Hebermann. Das Schema, nach dem diese privaten Kreditgeschäfte eingefädelt werden, ist immer gleich: Verlockend und taktvoll formulierte Anzeigen verheißen etwa

- »Barkredite... besonders diskrete Bearbeitung« (Rudolf Wasner -Finanzierungen, München).

Verfasser solcher Sprüche sind rund 3500 Geldmakler, die sich auf die Beschaffung von Kleinkrediten spezialisiert haben. Ihre Büros firmieren imponierend, etwa: »Maklerinstitut Finanzring«, »Rhein - Neckar - Finanz«, »Büro für offene Fragen«.

Die Arbeit der Vermittler ist absolut risikolos. Nach ihren Geschäftsbedingungen verpflichten sie sich nämlich nur, für ihre Provision alles zu versuchen, um für die Kunden Geld aufzutreiben. Gelingt das nicht, ist ihr Honorar trotzdem fällig. 15 000 bis 20 000 Schlepper -Rentner, Gelegenheitsarbeiter und Hausfrauen - locken immer neue Kreditsuchende in die Maklerstuben und bekommen für jeden Kunden eine Prämie von 25 Mark, außerdem eine Beteiligung an den Provisionen.

So dunkel wie die Geschäftsmethoden der meisten Kleinkreditvermittler sind, ist auch ihre Vergangenheit. Jeder zweite ist mindestens einmal schon bei Gericht wegen unsauberer Machenschaften aufgefallen. Bei der Überprüfung von 20 Hamburger Geldmaklern stellte sich heraus:

- Fünf hatten den Offenbarungseid geleistet,

- sechs besaßen die Vorladung zur Leistung des Offenbarungseides,

- fünf waren vorbestraft wegen Scheckmißbrauchs, Konkursbetruges oder Wechselreiterei.

Eine Kreditvermittlerin, deren Mann mehrfach wegen Betruges vorbestraft ist, verspricht im »Hamburger Abendblatt« in schlichten Inseraten Hilfe.

Der Chef eines Hamburger Maklerbüros erhielt wegen 13 Betrugsfällen Gefängnis und Berufsverbot und wurde Mitarbeiter im Pumpgeschäft seiner Frau:

Obwohl täglich bei Gerichten Vorwürfe gegen private Geldvermittler wegen Prämien- und Zinswuchers eingehen, gelingt es nur selten, diese »Kredithaie« ("Deutsche Sparkassen-Zeitung") solcher Vergehen zu überführen. .Denn ihre Kundenverträge sind so geschickt formuliert, daß Kreditnehmer ausdrücklich beteuern müssen, ihr Darlehen sei nicht infolge einer Notlage aufgenommen worden.

Angesichts solcher Formulierungen stellte ein Oberstaatsanwalt beim Landgericht I in München ein Ermittlungsverfahren gegen den Finanzmakler Rudolf Wasner ein, den ein Kunde wegen Wuchers angezeigt hatte. Begründung:

»Kreditwucher ist nur strafbar, wenn die Notlage, Unerfahrenheit oder der Leichtsinn der Bewucherten ausgenützt wurde.«

Dieser Rudolf Wasner gilt in der Bundesrepublik von Kollegen um Cadillac und Einfälle beneidet - als Idol der Kreditvermittler. Wasner gründete in dichtbesiedelten Arbeitergebieten richtige Filialnetze, darauf spezialisiert, das Pumpgeschäft anzukurbeln. Sein »Kreditdienst« unterhält im Ruhrgebiet und in Niedersachsen 20 Niederlassungen, seine »Südkredit« schafft am Main, seine Firma »Wasner-Finanzierungen« in Bayern. Branchenkundige trauen ihm noch ein halbes Dutzend stille Beteiligungen an anderen Maklerunternehmen zu.

Wasners Betriebe arbeiteten anfangs nach dem bewährten Einheitsschema:

Durch biedere Zeitungsannoncen wurden Kreditkunden angelockt, für Vermittlung Prämien und Gebühren kassiert.

Ein Wasner-Kunde, Betriebsaufseher Erwin Kellermann, Kaiserslautern, rechnet vor, daß er für die Beschaffung von 2800 Mark an Zinsen und Gebühren 1431,10 Mark aufbringen mußte.

Rudolf Wasner erkannte bald, daß seine Maklereien erst richtig florieren konnten, wenn Geldgeber direkt mit ihnen verbunden würden. Er beteiligte sich darum am »Refina-Kreditinstitut«. München, das an Maklerkunden Bargeld auszahlte. Durch diese Kombination konnte Wasner nun die benötigten Kredite gleich im eigenen Unternehmen auftreiben, er verdiente also an der Suche nach einem Geldgeber und an den Zinsen.

Obwohl diese Verquickung von Maklertätigkeit und Kreditgewährung zu Wasner-Konditionen vom Aufsichtsamt beanstandet wurde, blieb sie ein beliebtes Muster für viele Makler. Der Frankfurter Vermittler Schmitt häkelte danach ein einträgliches Familienunternehmen: Er vermittelte den Kredit, seine Ehefrau zahlte ihn aus.

Finanzmakler Dr. Josef Tischbierek, Frankfurt, empfahl sich den Kunden gleich selbst und trat einmal als Makler und einmal als Geldgeber auf. Immer, wenn in (solchen Fällen beide Tätigkeiten auch honorarpflichtig sind, liegt ein Verstoß gegen die Anordnung des Aufsichtsamtes vor. Dem Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen gelang es aber nur selten, die Ehen zwischen Vermittlern und Geldgebern zu scheiden. Durch Umgründungen oder Scheinverkäufe und durch Verlagerungen der geldgebenden Firmen ins Ausland konnten Makler ihre Verflechtungen verschleiern oder der Kontrolle ganz entziehen. Rudolf Wasner verkaufte die Anteile, die er an Geldspendern besaß, in die Schweiz.

Der Grund dafür, daß Pumpgeschäfte in Deutschland nach so umstrittenen Methoden abgewickelt werden können und daß auch verkrachte Existenzen Geld makeln dürfen, liegt an der absoluten Gewerbefreiheit in dieser Branche. Während Metzger und Milchmänner den Aufsichtsämtern noch Sachkunde demonstrieren müssen, ist Geldvermitteln jedem gegen Entrichtung einer Anmeldegebühr von fünf Mark gestattet.

Die Interessengemeinschaften seriöser Makler haben - wie sie klagen - keine Handhabe, ihren Berufsstand sauberzuhalten.

Großbanken und Sparkassen lehnen es immer häufiger ab, für Maklerkunden Kredite zu gewähren. Die Vermittler sind darum gezwungen, neue Kapitalquellen anzuzapfen. In Rundschreiben und Zeitungsinseraten suchen sie Kapitalgeber, denen Zinsgewinne bis 24 Prozent versprochen werden.

Kredit-Jongleur Karl Mannzmann, Stuttgart, zerstreut in seinen Werbebriefen vorsorglich alle möglichen Bedenken potentieller Geldgeber. Er beteuert, daß seine Kredite nur an Kunden gegeben werden, die bei sicheren Firmen beschäftigt sind (Bosch, Daimler-Benz, IBM), und daß hohe Zinsforderungen nicht gegen das Gesetz verstoßen. Mannzmann: »Durch vorhandene Gerichtsbeschlusse sind zwei Prozent Monatszins (24 Prozent im Jahr) ... kein Wucher.«

Jo Seiler, Wiesbaden, ködert private Geldgeber gar mit »jährlichen Renditen von 40 Prozent und mehr«.

Daß solche verlockenden Appelle erfolgreich sind, geht aus Abrechnungen hervor, die in Bischofsheim bekannt-wurden. Dort hatte die vermögende Edith Römer Finanzmaklern für die Weitergabe an Kreditsuchende über ihr Konto bei der Raiffeisenbank Beträge bis zu mehreren Hunderttausend Mark zur Verfügung gestellt.

Eine Möglichkeit, sogar ohne Bargeld im Kreditgeschäft mitzumischen, fand die Frankfurter Firma Hess, Würtele & Co. Sie schickte an westdeutsche Haushaltungen per Postwurfsendung Kreditangebote zu »banküblichen Bearbeitungsgebühren« und »niedrigstem Zinssatz«. Als jedoch der Elektroingenieur Jacob Schwarz, München, die Offerte annahm und 2000 Mark Darlehen beantragte, händigten ihm Hess, Würtele & Co Gutscheine und eine Liste von zehn Firmen aus, die diese Bons einlösen wollten.

Seine Erfahrungen im bargeldlosen Geschäftsverkehr faßt Jacob Schwarz so zusammen:

- Für seinen Kreditantrag hatten Hess, Würtele & Co von der Bayerischen Hypotheken- und Wechsel-Bank Bargeld bezogen.

- Einige der zehn Lieferfirmen verlangten von ihm als Gutscheinkunden höhere Preise als von Barkäufern. Zehn Jahre lang war es allein privaten Maklern und Warenkreditbanken überlassen, den neuen Besitz der Westdeutschen zu finanzieren. Möbel, Küchengeräte, Fernseher, Automobile und Wohnungen wurden immer selbstverständlicher abgestottert. Im Jahre 1951 setzte die gesamte Branche etwa für drei Milliarden Mark Kredite um. 19 Prozent des Geldes wurden für Bekleidung, 16 Prozent für Fahrzeuge und sieben Prozent für Möbel ausgegeben. 1958 verpumpte die Branche - nach Schätzungen - sieben Milliarden Mark, und Ratenkunden gaben 21 Prozent für Kleidung aus, 14 Prozent für Möbel und 23 Prozent für Fahrzeuge.

Ein Kreditinstitut mit 120 Zweigbüros florierte so gut, daß in dieser Zeit die Dividende von sechs auf 16 Prozent kletterte. Die goldenen Pumpjahre

allein für Makler und Kreditfirmen liefen am 2. Mai 1959 ab. An diesem Tag stiegen auch die Banken und Sparkassen in das Geschäft ein und offerierten zwei eigene neue Darlehensformen:

- den einfachen Barkredit ohne besondere Zweckbindung bis zur Höhe von 2000 Mark und

- den Anschaffungskredit für Waren bis zu einer Höhe von 6000 Mark. Banken und Sparkassen, die flüssig waren, stachen alle Konkurrenten, die schließlich das Geld für ihre Kunden erst zusammenpumpen mußten, mit publikumswirksamen Bedingungen aus. Ein Bank- oder Sparkassenkredit kostet 0,4 Prozent Zinsen im Monat und eine einmalige Bearbeitungsgebühr von zwei Prozent der Kreditsumme.

Auch seriöse Geldinstitute, wie die Waren - Kredit - Gesellschaft, scheuten nicht davor zurück, durch Schlagzeilenwerbung den Einkauf auf Pump zu fördern. Die Deutsche Bank ködert Kreditkunden durchaus zeitgemäß: »Ein Segel- oder Motorboot? Einen Wohnanhänger vielleicht? Eine Camping-Ausrüstung?« Sie ließ für das Weihnachtsgeschäft 1963 mehrere Millionen Werbeprospekte drucken, um Verbraucher zu Kreditkäufen zu bewegen. Branchenkundige veranschlagen die Kosten für Druck und Verteilung der Schriften auf fast eine halbe Million Mark.

Die Initiative der Banken und Sparkassen schmälerte den Gewinn der Makler und Teilzahlungsbanken empfindlich, deren Überschüsse von 22 Prozent (1960) auf vier Prozent (1962) abrutschten. Klagt Direktor Klaus Wauschkuhn von der Kundenkreditbank in Düsseldorf, die sich für ihre Ratenkäufer bei 500 Kapitalgebern Geld borgen muß, über die günstigen Bedingungen der Großbanken im Kleinkreditgeschäft: »Dieser Wettbewerb führt zu einer Aufweichung der Konditionen.«

Nur agile Makler verstanden es, auch noch im Windschatten der Banken und Sparkassen trübe Geschäfte zu machen. Auf die Scheu vieler Kreditsucher vor Marmorfassaden und Schalterhallen spekulierend, betätigten sie sich als heimliche Bankschlepper und gingen so vor: Potentielle Pumpkunden, die keine Erfahrung im Umgang mit Bankbeamten hatten, wurden von ihnen bis an die Eingangstür einer Bank oder Sparkasse begleitet. Dort bekamen die Kreditnehmer schon ausgefüllte Kreditanträge in die Hände, mußten nach genauen Anweisungen der Schlepper an den Schaltern Personalausweise und Verdienstbescheinigungen vorweisen. Neben den Kassen verlangte der Betreuer schon seine Anteile bis zu 30 Prozent.

Nur selten gelingt es Banken, diese Schmarotzer zu entlarven. Die »Hamburger Sparcasse von 1827« kam kürzlich dem Schlepper Karl-Heinz Bracker auf die Spur, weil immer die gleiche Schrift auf verschiedenen Darlehensanträgen auffiel. Bracker war mit den ahnungslosen Kunden bis vor die Türen der Sparkassenfilialen gegangen, hatte sie mit den ausgefüllten Kreditanträgen an die Schalter geschickt und für diese Begleitung 150 Mark genommen.

Im Raum Hannover hatte sich Kurt Wallner von seinen Klienten Vollmachten erteilen lassen und in ihrem Namen die Kreditverhandlungen abgewickelt. Provision: bis 1000 Mark. Der Witwe Erika Vogel, Soltau, gab Wallner von

ihrem Darlehen in Höhe von 1315 Mark nur 300 Mark.

Da der Pumpstrom ständig weiter anschwillt, wird es für Banken und Sparkassen immer schwieriger, lediglich anhand von Verdienstbescheinigungen und Personalausweisen die Korrektheit der Darlehensabwicklung zu kontrollieren und die Zuverlässigkeit der Kunden zu beurteilen.

In Hamburg gelang es darum einem 27jährigen Dreher, mit selbstverfaßten Bescheinigungen- und einem gefundenen Personalausweis neun Barkredite über insgesamt 7000 Mark zu kassieren, auf die Namen Stuffe, Staffe und Staffei.

Um sich faule Kunden und Makler vom Halse halten zu können, fördern Banken und kreditgebende Institute die Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung, kurz Schufa genannt. Diese Organisation, vor 37 Jahren gegründet, nach dem Krieg in Zusammenarbeit mit allen Maklern wiederaufgebaut, unterhält heute 34 Geschäftsstellen, in denen 20 Millionen Karteikarten über Westdeutschlands Pumpkunden lagern. Inzwischen ist die Schufa ein Exklusivklub für seriöse Institute geworden, zu dem die umstrittenen, Makler keinen Zutritt mehr haben. Sie erteilte im vergangenen Jahr acht Millionen Auskünfte, in jedem siebten Falle warnte sie vor Kreditbewilligungen. Im Ruhrgebiet und im Raum Mannheim meldete die Schufa bei jedem vierten Kreditgesuch Bedenken an, weil die Antragsteller schon Schwierigkeiten bei der Rückzahlung gemacht hatten.

Der Ausschluß zahlreicher Makler aus der Schufa hat allerdings auch für Banken und Sparkassen peinliche Nachteile. Nun werden in den Karteikarten nicht mehr wie früher alle Kredite vermerkt. Und Ratenkäufer, die für die Schufa noch unbeschriebene Blätter sind, können von privaten Maklern längst mit hohen Verpflichtungen vollgepumpt worden sein.

Ist es für, Geldgeber schon schwierig, die Moral ihrer Kunden zu durchleuchten, bleibt es für die Kunden fast unmöglich, die Wettbewerbsbedingungen von Maklern, Kreditbanken und Sparkassen bei der hochgespielten Werbung noch nüchtern zu beurteilen. Wie unterschiedlich Kreditbedingungen heute sind, ohne daß es den meisten Pumpkunden auffällt, belegen Untersuchungen in verschiedenen westdeutschen Großstädten. Für eine Kreditsumme von 1800 Mark, rückzahlbar in zwei Jahren, verlangten an Zinsen und Bearbeitungsgebühren beispielsweise

- die Bank für Gemeinwirtschaft 176,65

Mark,

- die Deutsche Bank 201,60 Mark,

- die Creditfinanz 350,60 Mark (siehe Graphik Seite 58).

Ein Kredit von 1800 Mark auf 24 Monatsraten in Warengutscheinen verursachte Gesamtkosten von

- 194,40 Mark beim Defaka,

- 216 Mark bei Karstadt,

- 348,10 Mark bei einer Waren-Kredit-Gesellschaft.

Niemand kann heute alle Konditionen für Kleinkredite miteinander vergleichen. Denn die elf Millionen Ratenkäufer der Bundesrepublik können sich,

außer bei zweifelhaften Maklern, auch Geld leihen bei

- 865 Sparkassen mit 11 659 Zweigstellen,

- drei Großbanken mit 1380 Zweigstellen,

- 343 privaten Kreditinstituten mit rund 3000 Zweigstellen,

- 257 Teilzahlungsbanken mit 395

Zweigstellen,

- 1250 im »Ring Deutscher Makler« organisierten Finanzmaklern und

- 225 Leih- und Pfandhäusern.

Vereint gelang es dieser Branche, die Ratenschulden und Kleinkredite der westdeutschen Verbraucher 1962 auf die Summe von zehn Milliarden Mark hochzudrücken. Diese Kollektivlast ist schon doppelt so hoch wie der Jahresumsatz von Siemens. Für weitere vier bis fünf

Milliarden Mark ließen Hausfrauen bei Einzelhändlern anschreiben.

Alle Posten zusammen ergeben nach Schätzungen eine Gesamtverschuldung westdeutscher Konsumenten von etwa 14 bis 15 Milliarden Mark. Werden diese Schulden zu gleichen Teilen auf die 19 Millionen Haushaltungen umgelegt, macht der durchschnittliche Kredit 750 Mark aus. Experten glauben, daß die Unkosten dafür durchschnittlich pro Haushalt und Jahr 100 Mark ausmachen.

Durch die zunehmende Verschuldung, die durch unbekümmerte Käufer und aufdringliche Kreditvermittler steigt, geraten täglich neue Kreditkäufer in Bedrängnis. Und seit Gerichtsvollzieher immer mehr Zahlungs- und Pfändungsbeschlüsse in Lohnbüros westdeutscher Firmen ablegen, versuchen die Werkleitungen ihre Belegschaften durch Warnrundschreiben von weiteren Pumpkäufen auszuschließen. Hamburger Geldinstitute wurden beispielsweise gebeten, Kreditbegehren von Beschäftigten der Phoenix Gummiwerke, der Margarine-Union, der Deutschen Philips, des Kaufhauses Karstadt und,des Versandhauses Otto abzulehnen. Die Firmen Blohm & Voß, Siemens und Esso wollen vor Genehmigung jedes Antrags konsultiert werden.

Daß solche Einzelaktionen die Gesamtentwicklung nicht stoppen, rechnen Gerichtsvollzieher vor. Zum Beispiel:

- Im Amtsgerichtsbezirk Hamburg erhöhte sich die von ihnen einzutreibende Summe von 5,6 Millionen Mark im Jahre 1958 auf neun Millionen Mark im Jahre 1962.

- Im Amtsgerichtsbezirk Gelsenkirchen-Buer schwollen die Pfändungsakten auf 12 000 an. Jede fünfte Gelsenkirchener Familie wird von einem Vollstreckungsbeamten beschattet.

Aber selbst aus diesen Zahlungsschwierigkeiten verstanden ausgekochte Makler noch neue Pfründen zu erschließen: das Umschuldungsgewerbe. Die Tätigkeit dieser Spezies besteht darin, für Schuldner, die in Zahlungsnot gekommen sind, Tilgungspläne auszuarbeiten. Inserate solcher Gruppen klingen gelegentlich wie Werbesprüche für Bibelkränzchen: »Haben Sie Sorgen?' »Bestehen Schwierigkeiten?«

Die Pumphelfer setzen sich mit den Gläubigern in Verbindung, im Bemühen, geringere Raten auszuhandeln. Dafür verlangen sie Honorare bis zwölf Prozent der Gesamtschuld. Obwohl Bankhäuser die Tätigkeit der Umschulder als unzulässig ablehnen und darum deren Tilgungspläne selten realisiert werden können, florieren die Geschäfte der Umschulder gut. Die Beratungshonorare werden nämlich auch dann fällig, wenn ihr Sanierungsplan mißlingt.

Der Sparkassenverband in Bonn sammelte für diese neue Maklertätigkeit,

durch die Kreditkunden weiter geschwächt werden, Beispiele:

Arthur Sommerlatte, Dortmund, hatte die Umschulder der »K. u. G. Vereinigung« in Hoerstgen um Hilfe gebeten. Er, der für sich und seine Familie mit zwei Kindern 600 Mark verdient, ängstigte sich wegen Ratenrückständen bei fünf Gläubigern, denen er 2827,61 Mark schuldete. Die »K.u.G.«-Helfer nahmen für ihre allgemeine Beratung 25 Mark, für ihr Umschuldungskonzept 169,63 Mark, durch Wechsel abgesichert. Damit ließen sie sich die Idee honorieren, daß man die Gesamtraten monatlich um 49 Mark reduzieren müsse.

Diese einträgliche Umschuldungsberatung erledigt die »Mandatare Treuhandgesellschaft Trust Reg.«; Sitz Vaduz, Liechtenstein, bereits mit einer richtigen Organisation. Die Generalbevollmächtigte der Firma, Karin Reiss, baut immer noch weitere Bezirksgruppen auf. Mit Inseraten werden »seriöse Ortsansässige (auch Pensionäre und Rentner), die einen guten Nebenerwerb bei leichter Kontrolltätigkeit« suchen, geködert. Und ihr erstes Geschäft macht die Generalbevollmächtigte Karin Reiss schon mit diesen künftigen Unteragenten. Sie verlangt von ihnen- 600 Mark Kaution, angeblich für erforderliche Schufa-Auskunftszettel, die tatsächlich nur Pfennige kosten.

Wie die so angeheuerten Agenten arbeiten, erfuhr Thea Nagel, Köln, der ein Mandatare-Vertreter versprach, die Ratenverpflichtungen mit drei Gläubigern neu auszuhandeln. Bevor der Agent tätig wurde, hatte er von Thea Nagel 25 Mark in bar kassiert und zwei Wechsel in Höhe von 120 Mark unterschreiben lassen; Die-Vaduzer Vertrags-Bastler hatten ihr den Rückzug verbaut.

Inzwischen hat ein Nagel-Gläubiger das Mandatare-Treuhand-Konzept abgelehnt, und Thea Nagel ist ihr Geld los »für entgangenen Gewinn« (Mandatare-Vertrag).

Die »Deutsche Sparkassen-Zeitung« bezeichnet die Abzahlungshelfer als »Umschuldungshyänen« und beklagt ebenso wie die »Deutsche Zentralstelle zur Bekämpfung der Schwindelfirmen«, Hamburg, diesen neuen Aderlaß für Ratenkunden. Die Zentrale warnte auch vor Horst Reiss, gegen den Haftbefehl erlassen und der zum Offenbarungseid vorgeladen sei. Horst Reiss ist Ehemann der Mandatare-Generalbevollmächtigten.

In Frankfurt richtete eine Gruppe von Finanzierungs- und Kreditvermittlern, die ja nicht mehr von der Schufa betreut werden, noch eine neue Verbandszentrale ein, die auch für Sauberkeit in ihrem Gewerbe sorgen will. Präsident ist der 33jährige Dieter Rasch, bereits als 22jähriger beim Landgericht in Kassel wegen Betrugs und Unterschlagung vorbestraft, als 28jähriger zu neun Monaten Gefängnis wegen Betrugs verurteilt, außerdem später wegen Meineids und Diebstahls.

Behörden kümmern sich bisher wenig um die zweifelhaften Männer, Methoden und Karrieren in der Geldmaklerbranche. Die Verbandszentrale der Sparkassen in Bonn bescheinigt: »Die Gewerbeaufsicht aller Bundesländer hat bei der Kontrolle der Kreditbüros restlos versagt.«

Indes, der leitende Mitarbeiter des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen, Berlin, Dr. Erich Schorck, hat auch eine Erklärung für die Zurückhaltung der Ämter: »Es kann nicht Aufgabe des Staates sein, die Staatsbürger vor jeder Dummheit zu bewahren.«

* Die Namen aller in diesem Bericht erwähnten Kreditnehmer sind von der Redaktion geändert worden.

Waren-Kredit-Gesellschaft Hamburg: Wohlstand auf Stottern

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