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VERKEHR 300 ist Taxe

Deutsche Auto-Touristen, die im Ausland bei Verstößen gegen die Verkehrsregeln erwischt werden, zahlen Höchstpreise.
aus DER SPIEGEL 30/1976

Sein Deutsch war schlecht, seine Sturheit war ungeheuer«, erinnert sich ein Münchner Kaufmann an den bulgarischen Polizisten, der ihn und andere deutsche Autofahrer zielsicher aus dem Verkehr auf der Europastraße 5 kurz vor Sofia herausgepickt hatte: »Zu schnell.«

Radar oder andere technische Hilfsmittel waren nicht auszumachen, auch hatte die Polizeistreife am Straßenrand keine erkennbaren Anstrengungen gemacht, die Geschwindigkeit der Delinquenten festzustellen; sie »bestimmten einfach »zu schnell«, und wer seinen Paß wiederhaben wollte, mußte eben zahlen« -- 30 Lewa (79 Mark).

Es ist wieder Ferienzeit, und überall in Europa lauern uniformierte Beutelschneider auf unsichere Wagenlenker, die mit Verkehrsregeln und Sprache in Kollision kommen. Deutsche Auto-Touristen, so scheint es, sind oft dabei, wenn die Polizei zur Kasse bittet.

Die Kraftfahrer-Organisationen argwöhnen gar, daß deutsche Autoreisende besonders häufig und mit hohen Bußgeldern angezapft werden »die denken wohl«, so ein Sprecher des Deutschen Touring Automobil Clubs (DTC), »das D-Schild bedeutet D-Mark«.

»Die Tendenz ist tatsächlich so«, bestätigt ein ADAC-Jurist: In den meisten europäischen Ländern »bis auf England und die Bundesrepublik« werden ausländische Kraftfahrer von Verkehrspolizisten »unbarmherzig« abkassiert, und wenn die Sommerferien ausbrechen, steigen die Bußgelder in die Höhe wie die Preise im Fremdenverkehrsgewerbe.

So mußte unlängst ein Pastor aus Köln 400 norwegische Kronen (184 Mark) berappen, weil er, statt Tempo 50, 61 Stundenkilometer schnell gefahren war. Einen Amtmann aus Bonn schwärzte ein französischer Lkw-Fahrer bei der Polizei an, er habe auf der Landstraße Metz-Paris einmal die weiße Mittellinie überfahren: Strafe: 200 Franc (108 Mark) oder fünf Tage Arrest.

Und aus Dänemark kommt die Kunde von einem deutschen Automobilisten, dem für das Überfahren der Mittellinie 400 Mark abgeknöpft worden waren.

Vor allem Tempo-Limits scheinen willkommenen Anlaß zu bieten, eilige Touristen zu schröpfen. Ein Hamburger Kraftfahrer fand heraus, daß die »Taxe« für schnelles Fahren auf französischen Autobahnen 300 Franc (162 Mark) beträgt, »egal, wie schnell man fährt«. Luxemburg kassiert, so machte der ADAC bekannt, bis zu 10 000, Belgien bis zu 30 000 Franc (650 beziehungsweise 1950 Mark) bei Temposündern, und in der Schweiz kann eine Vollgasfahrt unter Umständen mehr als 500 Mark kosten.

In Österreich sind Kraftfahrer gar den Eingebungen jedes Dorfgendarmen ausgeliefert: Der uniformierte Aufpasser darf, mit allerhöchster Genehmigung, die Geschwindigkeit »erschätzen«, und dann muß auf der Stelle gezahlt werden -- zwischen 300 und 30 000 Schilling (42 bis 4200 Mark). »je nach Lage«, so der Pressechef des österreichischen Automobil-, Motorrad- und Touring Clubs, »das ist üblich bei uns«.

Die landesüblichen Bräuche treffen freilich auch die einheimischen Motorisierten. So halten dänische Fahrer sich durchweg ängstlich an die vorgeschriebenen Geschwindigkeiten (90 km/h auf Landstraßen, 110 km/h auf Autobahnen), denn schon geringfügige Überschreitungen werden mit 250 Kronen Buße geahndet.

In Norwegen etwa riskieren es nur wenige Landesbürger, mir mehr als 0,5 Promille Alkohol im Blut ans Steuer zu klettern. denn darauf stehen mindestens 21 Tage Haft -- wer"s weiß.

nimmt sich in acht. Ausländer aber, das stellen ADAC-Juristen immer wieder fest, »haben meistens überhaupt keine Ahnung, was ihnen für Strafen drohen«.

Daß es die Deutschen besonders arg trifft -- der Verdacht ist dem DTC von Mitgliedern »in letzter Zeit wiederholt geäußert« worden, doch »beweisbar«, so ein Club-Sprecher. »ist es natürlich nicht«.

Weit strenger als je in der Bundesrepublik, das monieren auch ADAC-Mitglieder immer wieder, geht es auf fremden Straßen allemal zu: In Belgien, wurde dem ADAC gemeldet. werden Falschparkern »je nach den Umständen« bis zu 2000 Mark Strafe aufgebrummt.

Ausflüchte wie Hinweise auf leere Urlaubskassen helfen den Gebeutelten in Ostblockländern so wenig wie im Westen: Wer nicht zahlen will oder kann, dem drohen Arrest oder Beschlagnahme des Fahrzeugs. Holländische Polizisten zeigen sich im Beitreiben des Staats-Obolus besonders hartnäckig und verfolgen die Delinquenten selbst bei Minibeträgen gelegentlich noch über die Grenzen.

Die Polizei der niederländischen Stadt Venlo etwa, wohin Rheinländer gern zum Einkaufen fahren, läuft selbst Zehn-Gulden-Strafmandaten nach, bemüht deutsche Kollegen um Amtshilfe, führt zweisprachigen Schriftverkehr mit deutschen Behörden, schaltet schließlich die eigene Staatsanwaltschaft ein und läßt am Ende. wenn alles nichts gefruchtet hat, ein Gericht den Übeltäter verurteilen.

Zahlt der deutsche Sünder. der nur mal falsch geparkt hat, die mittlerweile auf rund 50 Gulden angewachsene Strafe noch immer nicht, muß er beim nächsten Grenzübertritt auf der Hut sein: »Allein was Einkaufsfahrten nach Venlo betrifft«, so der Düsseldorfer Polizeisprecher Ferdinand Horter, »stehen Tausende von Deutschen im holländischen Fahndungsbuch.«

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