Zur Ausgabe
Artikel 17 / 77

PARTEIEN 45 Imitschle

Bonns ehemaliger Entwicklungsminister Erhard Eppler soll die badenwürttembergische SPD in den nächsten Wahlkampf fuhren -- aber die Aussichten der Sozialdemokraten werden dadurch kaum besser.
aus DER SPIEGEL 23/1975

Als Erhard Eppler Anfang 1973 zum Vorsitzenden der baden-württembergischen SPD bestellt wurde, verzeichnete der sozialdemokratische »Vorwärts« »Windstille im Südwesten«, und die Frage war, »ob sich eine frische Brise ankündigt«.

Viel mehr als »ein Hauch Hoffnung«, den das Blatt mittlerweile registriert, geht freilich noch nicht durchs Ländle, wo im April nächsten Jahres Landtagswahlen anstehen. Eher scheint vermessen, den Sozialdemokraten in Baden-Württemberg politischen Aufwind vorherzusagen. Es sieht nach Flaute aus.

Denn obwohl die SPD im Südwesten der Republik Wahl für Wahl von der CDU klar geschlagen wird, nun seit mehr als 20 Jahren, verharrt sie in auffälliger Selbstzufriedenheit und »wurstelt so vor sich hin« ("Vorwärts"). Die Parteibasis ist verlottert; mit 70 000 Beitragszahlern weist die Südwest-SPD die geringste Mitgliederdichte aller Landesverbände auf; und der Landesvorsitzende Eppler. den der 23köpfige Landesvorstand am Montag letzter Woche als Spitzenkandidaten für die Landtagswahl nominiert hat, findet im Führungszirkel der Landespartei ebensowenig Ruckendeckung wie Anklang draußen im Lande.

Es scheint, als verschlügen die intellektuellen Fähigkeiten des ehemaligen Bonner Entwicklungsministers und frisch renommierten Parteikritikers ("Ende oder Wende") bei den, biederen schwäbischen Genossen nicht so recht. Andererseits -- und paradoxerweise -- ist, wie ein Vorstandsmitglied sagt, »der Erwartungshorizont der Partei so hochgeschraubt, daß Eppler Mühe hat, mit hängender Zunge hinterherzukommen.

Der ehemalige Studienrat vermag offenbar selbst in engster Genossenrunde nicht seine Kontaktscheu abzulegen. »Der, an der Spitze«. kolportiert ein Anhänger des ehemaligen SPD-Innenministers Walter Krause, »guckt bei Vorstandssitzungen sauertöpfisch vor sich hin, sagt nichts und tut so, als ginge ihn alles gar nichts an. Aber da ist ja auch kein direkter Bezug zu Tansania.«

Eppler wiederum findet, die Genossen deckten nicht hinreichend seine eingestandenen »Schwächen« ab, hingen ihm statt dessen die alten Klischees wieder an, das des Entwicklungsideologen etwa. Da hilft es wenig, daß der Sozialdemokrat »ein verlockendes Angebot, Unicef-Chef zu werden«, ausgeschlagen hat und nun beteuert, mittlerweile sei die baden-württembergische Landespolitik für ihn ein »faszinierendes Geschäft«,

Auch das Faszinierende an Eppler hat bisher freilich nicht hingereicht, sich und seine Partei gegenüber Ministerpräsident Filbinger und dessen CDU zu profilieren. Bei den Kommunalwahlen im April holte sich die SPD eine glatte Abfuhr (CDU 38,6 Prozent. SPD 29 Prozent), und es blieb fürs erste bei den guten Vorsätzen, wie sie die »Stuttgarter Zeitung« für den Parteivorsitzenden Eppler einmal formulierte: die baden-württembergische SPD »von einer kleinbürgerlich verkrusteten Truppe zu einer offenen gesellschaftspolitisch verpflichteten Partei« fortzuentwickeln.

Warum ausgerechnet dieser Landesverband, der doch »in letzter Zeit unter weniger Spannungen gelitten« habe als andere, »so schwach auf der Brust« · sei, dafür weiß der Chef der Provinz-Partei »zwei exzeptionelle Gründe": die einst relativ starke FDP des Landes, die den Sozialdemokraten nach dem Krieg den Zugang zu bürgerlichen Schichten verwehrt habe und inzwischen »fast durchweg zur CDU abgeschmolzen« sei; zum anderen der Drang schwäbischer und alemannischer SPD-Talente nach politisch Höherem -- Eppler: »Wir waren drei Jahrzehnte lang Blutspender für Bonn, das hat unsere Landtagsfraktion ausgedünnt.«

So saßen im Bonner Parteipräsidium einmal gleichzeitig Carlo Schmid, Alex Möller, Erwin Schoettle, Martha Schanzenbach und Fritz Erler -- alle aus Baden-Württemberg. Und was die Sozialdemokraten im Südwesten derzeit an politischen Hoffnungen aufzubieten haben, ist wieder in der Bundespolitik engagiert, der Abgeordnete Peter Conradi etwa oder die Staatssekretäre Volker Hauff und Rainer Offergeld -- allesamt Mitglieder des »Tübinger Kreises«, eines ehemals über Baden-Württemberg hinaus renommierten Denkzirkels der Partei. der freilich seinen Geist aufgab, als er als Karriere-Rampe ausgedient hatte.

Unter den Tübingern, schrieb die »Frankfurter Allgemeine Zeitung«, als der SPD-Mann Rudolf Schieler zum Fraktionschef in Stuttgart gewählt wurde, »hätte man aus dem Stand zwei, drei Namen aufzählen können, die, wenn sie Landtagsmitglieder wären. gut an die Spitze der Fraktion hätten treten können«. So aber blieb für das Landesparlament überwiegend zweite Garnitur übrig.

Die 45 sozialdemokratischen Abgeordneten, nicht nur im Urteil der dortzulande parteifrommen Jungsozialisten »ziel- und konzeptlos«, wissen vor lauter leerer Aktivität offenbar nicht, was sinnvoll zu tun wäre, und kümmern sich, so gut es geht, ums eigene Ansehen. Einer von ihnen selbstkritisch: »45 Imitschle geben noch kein Image.«

Auch wenn die Filbinger-Regierung Schwächen zeigt, etwa in der Diskussion um das Kernkraftwerk Wyhl« weiß die SPD die Situation kaum zu nutzen -- mit stärkerer Opposition muß die CDU-Regierung im Zweifelsfalle bei der CDU-Fraktion rechnen. »Im Landtag«, glossierte denn auch jüngst die »Stuttgarter Zeitung«, »da könnte der Fraktionsvorsitzende Späth von der CDU seinen sozialdemokratischen Widersacher Schieler noch in den Schatten stellen, wenn er schliefe.«

Dafür herrscht im SPD-Landesvorstand, wie es ein Bundestagsabgeordneter ausdrückt, »Aufsichtsratsmentalität": Nicht jeder redet mit jedem, aber jeder über jeden, und das meist unfreundlich. So ist über einen der beiden Eppler-Stellvertreter, eben den streitbaren Fraktionsvorsitzenden Schieler, in der Partei zu hören. sein »Donner der Polemik« werde »nur selten vom Blitz des Arguments gestreift«. So sagen die Genossen dem anderen Eppler-Vize, Horst Krautter, nach, er sei ein »nicht reflektierender Macher«, der zudem die Fraktion ständig falsch beurteile.

Was Wunder, daß sich der ohnehin wenig umgängliche Eppler ("Der Klatsch in der SPD ist eine schreckliche Geschichte") von seinen Mitarbeitern abkapselt. Sein ungeteiltes Vertrauen genießt offenbar allein der leitende Landesgeschäftsführer Robert Antretter, ein gelernter Schriftsetzer, der sich in einem Handwerksverlag zum Manager hochgearbeitet hat, sich hin und wieder ("wenn ich Ruhe brauche") ins Benediktiner-Kloster Neresheim zurückzieht und sich seit zwei Jahren müht, die Stuttgarter SPD-Zentrale, die wie ein altväterlicher schwäbischer Familienbetrieb geführt wurde, zu modernisieren.

Seine Wahlplattform hat sich Eppler in seinem jüngsten Buch »Ende oder Wende« denn auch im Alleingang zurechtgelegt: Sich selber will er als Vertreter eines« Wertkonservativismus« verstanden wissen und seinen Kontrahenten Filbinger als Typus des »Strukturkonservativen« beuteln. dem nur an der Bewahrung von Machtstrukturen gelegen sei. Dieser Unterschied, meint Eppler, sei »auch in der Landespolitik an fünf, sechs Beispielen deutlich zu machen« und nicht bloßes Theoretisieren.

Ob das langt, sich neben dem Ministerpräsidenten Filbinger zu profilieren, der das »klassische Land der CDU« (Altkanzler Kurt-Georg Kiesinger) oft genug über die Köpfe seiner Parteifreunde im Parlament hinweg wie ein Landesfürst regiert, ist mehr als fraglich. Eppler weiß selber: »Landesvater kann man nur sein. nicht werden.«

Zur Ausgabe
Artikel 17 / 77
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren