50 Jahre später
(Nr. 29/1996, Bosnien: Renate Flottau über die Massengräber von Srebrenica)
1945 waren die Alliierten bei der Befreiung der deutschen Konzentrationslager noch entsetzt über das Massaker, das an Menschen verübt wurde. Dem deutschen Volke selbst wurde das Ausmaß des Völkermordes wohl erst nach dem Kriege klar. Alle waren und sind sich einig, daß derartiges nie wieder geschehen darf. 50 Jahre später, früh genug, um nicht vom Vergessen eingeholt zu werden, und immerhin schon so spät, daß die Technik ungeahnte Überwachungsmöglichkeiten bietet, will man uns klarmachen, daß es notwendig ist, die Gräber von Srebrenica zu öffnen, um »Untersuchungen« anzustellen. Dabei konnte der zivile Beobachter am Fernsehschirm sich schon sehr gut ausmalen, was mit den Männern passierte, die nach dem Fall der Stadt von ihren Frauen getrennt wurden. Und die hochgerüsteten Militärs benötigen heute noch Untersuchungen?
Düsseldorf THOMAS LUKNER