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TERRORISTEN Ab Im Zug

Der Palmers-Prozeß in Wien erhellt die Rolle westdeutscher Terroristen bei der Entführung des österreichischen Millionärs: dreiste Vorbereitung, perfekter Tatplan.
aus DER SPIEGEL 8/1979

Der unerwünschte Besuch aus dem Norden blieb unerkannt. »Im Sommer und im Herbst 1977«, so klagte letzte Woche ein Wiener Staatsanwalt, »hatten wir fast die gesamte »Bewegung 2. Juni« im Lande.«

Und statt nach deutscher Art Devisen übers Land zu bringen, hatten diese Gäste kräftig zugegriffen: Bei der Entführung des Textilmillionärs Walter Michael Palmers erpreßte ein Terroristenkommando unter deutscher Regie ein Losegeld von 31 Millionen Schilling, von denen 28, rund vier Millionen Mark, ins Ausland geschleust wurden und dort verschwanden.

Österreichische Mitakteure, drei Studenten im Alter zwischen 21 und 24, wurden zwar gefaßt und letzte Woche in Wien zu Haftstrafen zwischen fünf und fünfzehn Jahren verurteilt. Doch die Hauptpersonen, so wurde im Prozeß deutlich, waren nicht im Saal -- die »abgesondert Verfolgten Inge Viett, Gabriele Rollnik, Juliane Plambeck und andere noch auszuforschende Mittäter« (Staatsanwalt).

Nach Aussagen der österreichischen Komplizen waren weitere namhafte Glieder der westdeutschen Stadtgueril-

* Am Dienstag letzter woche als Zeuge vor dem Landesgericht in Wien.

la am Palmers-Coup beteiligt: Ingrid Siepmann, Klaus Viehmann, Christian Möller und Angelika Goder. Sie sind, bis auf Ingrid Siepmann, inzwischen verhaftet. Bei Möller und Viehmann fand sich Palmers-Geld, Angelika Goder wollte gerade welches übernehmen, als die Polizei sie in Bulgarien faßte, mit ihr zusammen wurde seinerzeit auch Gabriele Rollnik sistiert.

Vielfältige Verwicklung der »Bewegung 2. Juni« förderten schon die kriminaltechnischen Untersuchungen zutage. Zwar hatten die Wiener Mittäter noch im Prozeß hartnäckig versucht, die westdeutschen Genossen zu decken. Dennoch: Was ihnen monatelang in Polizeiverhören und richterlichen Ermittlungen entlockt wurde, zeigt minuziös den Part der Deutschen im Palmers-Drehbuch -- lauter Hauptrollen.

Danach haben die Deutschen die Idee zur Palmers-Entführung und den Tatplan eingebracht, sie sorgten für Bewaffnung wie auch für den Entwurf der Logistik. Sie bewerkstelligten am Ende auch die wesentlichen Aktionen sowie den Export des Geldes.

Schlüsselstellung besaß das Trio Viett/Rollnik/Plambeck, Veteraninnen des »2. Juni«, die sich auch schon bei der Lorenz-Entführung hervorgetan haben sollen. Wie sie ihr Gaststück in Wien begannen, widerlegt aufs neue die auch unter Fahndern verbreitete Mustervorstellung vom lückenlos konspirativen Tarnverhalten der computergejagten Intelligenztäter.

Während nämlich 1977, zu Zeiten der Morde an Buback und Ponto, europaweit die Staatsschützer alarmbereit waren, gingen die Deutschen mit den Steckbriefgesichtern in Wien auf Helfersuche. Im Universitätsviertel sprachen Inge Viett und Gabriele Rollnik einfach einen Flugblätter verteilenden Typ an, Reinhard Pitsch, damals 23.

Sie diskutierten mit ihm, testeten ihn insgeheim und wurden über Erwarten fündig. Denn Pitsch galt in der Protestszene der Wiener Uni als besonders farbiger Unmutsträger, der sich als »Trotzkist« und gelegentlich auch RAFfael« benannte. Nachdem die beiden Deutschen sich vor diesem Bilderbuchsympathisanten legitimiert hatten -- sie hielten ihm ein SPIEGEL-Exemplar mit ihren Konterfeis hin -, kamen die weiteren Kontakte zustande; nacheinander wurden die Wiener Kommilitonen Thomas Gratt und Othmar Keplinger gewonnen.

Zunächst war nur unbestimmt von einer Geldbeschaffungsaktion die Rede, die es vorzubereiten gelte. Der »2. Juni« hatte das Werk »Die Reichen und die Superreichen in Österreich« erworben und einige potentielle Entführungsopfer ausersehen. Auf Palmers, den das Buch als Beweger großer Summen, vorzugsweise in bar, darstellt, fiel am Ende die Wahl.

Während den Genossen Pitsch und Keplinger Gehilfendienste zugedacht waren, wurde Thomas Gratt in die engere Planung einbezogen. Nur er erhielt standesgemäß Schießzeug, eine russische »Makarow«-Pistole. Gratt wohnte mit dem Damentrio von Mitte Juli bis Anfang September zusammen in der Wiener Burggasse, bis Juliane Plambeck mehr Raum beschaffte. Als »Ingrid Moser« mietete sie eine Wohnung am Max-Winter-Platz.

Nun liefen auch Recherchen über die Lebensumstände des betagten Kommerzialrats Palmers an. Vor allem die Deutschen observierten das Opfer. Währenddessen bereiteten Pitsch und Keplinger das Bürokratische vor: Gabriele Rollnik orderte bei Keplinger Personalpapiere zur Flucht und Meldedaten für Fluchtautos; mit den Personalien zur Anmeldung der Wagen vom Typ Alfa Romeo Giulia Super und Fiat 125 mußten nichtsahnende Universitätsangehörige herhalten; Pässe und Führerscheine zur Flucht wurden von Pitsch bei kooperationswilligen Wiener Studenten eingesammelt und später bei der Polizei als verloren gemeldet.

Bei der Entführung am 9. November 1977 schließlich durfte nur Gratt mit Hand anlegen. Zusammen mit drei Komplizen lauerte er dem Millionär vor dessen Grundstückseinfahrt im Dunkeln auf. Bei dessen Heimkehr zerrten sie den Kommerzialrat in einen Peugeot 504, luden ihn später in einen präparierten VW-Transporter und fuhren zum »Volksgefängnis«. Nach RAF-Manier waren die Wagen mit gestohlenen Papieren angemietet und mit gestohlenen Nummernschildern versehen worden.

Unverwechselbare RAF-Handschrift trägt auch das Szenario der Lösegeldübergabe. Polizei und Reporter umlagerten das Palmers-Anwesen, und trotzdem gelang unbemerkt der Abtransport des Geldkoffers -- hinter dem Rücken der Polizei war mit der Palmers-Familie ein Ablenkungsmanöver vereinbart worden: In ihren weißen Porsches flitzten ein Palmers-Schwiegersohn und ein Palmers-Direktor kurz hintereinander vom Grundstück und zogen amtliche und journalistische Belagerer mit sich. So blieb die Abfahrt des Palmers-Sohnes Christian, der sich Minuten später mit 34 Kilo Lösegeld im Samsonite-Koffer auf den Weg machte, unentdeckt.

Nach einer Art Schnitzel-Jagd quer durch Wien, wo Christian Palmers mal in einem Kaugummi-Automaten, mal am Telephon eines Cafés immer neue Routenbefehle erhielt, kam das Geld vor dem Hilton-Hotel schließlich an den Mann. Die letzten Kilometer dorthin ließ Palmers junior sich befehlsgemäß in einem bestimmten Taxi kutschieren, dem mittlerweile umdrapierten Entführungspeugeot. Beim Fahrer vertauschte er den Geldkoffer mit einem leeren gleicher Bauart. Dann nahm er ein Hilton-Zimmer und wurde dort Stunden später von der Freilassung seines Vaters informiert.

Zehn Tage später, am 23. November, endete die deutsch-österreichische Kooperation fürs erste. Zusammen mit Inge Viett, dem falschen Taxifahrer (nach Fahnderüberzeugung Christian Möller) und einer zweiten Frau wollten Keplinger und Gratt sich nach Italien absetzen, die Österreicher im Alfa, die Deutschen im Fiat vorneweg. In Lugano trennte man sich und verabredete ein Treffen in Como.

Auf sich allein gestellt, versagten die Wiener Genossen. Sie fielen mit ihrem Wagen an der Grenze nach Italien auf, verloren die Nerven und wurden gefaßt. Die Deutschen kamen durch, sie hatten ab Lugano den Zug genommen.

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