Ab ins Abteil
Nichts haben deutsche Fernsehzuschauer, zumal die politisch interessierten, in den vergangenen Wochen häufiger bewundern dürfen als die Werke deutscher Schneider und Friseure. Wann immer vorlaute Korrespondenten von ARD und ZDF wagten, nach mehr zu fragen als Belanglosem, da erblickte die Nation nur Sakkos von hinten und die Nacken der Großen, wie ihre Barbiere sie gestutzt und geföhnt. Es entzückten die Rücken von Kurt Biedenkopf und Helmut Kohl, von Franz Josef Strauß und Willy Brandt.
In den ZDF-»Bonner Perspektiven« vom 27. Mai zum Beispiel. Die Gemeinde Schliersee feierte ihr 1200jähriges Jubiläum und Bayerns Ministerpräsidenten. Glockengeläut und Blasmusik, es treten auf ein geistlicher Würdenträger in Rot und hinterdrein Franz Josef Strauß. Europa, verkündet sodann der Kandidat, müsse von der Mehrheit der Bürger getragen werden, donnernder Applaus.
»Würden Sie mir eine Frage beantworten?« ging am Ufer des Sees schüchtern ZDF-Reporter Peter Ellgaard den Staatsmann an. Huldvolles Nicken. »Wie hoch schätzen Sie die Chancen ein, daß die CDU sich für Sie als Kandidaten entscheiden wird?«
Eine gute Frage und der Nation nicht ganz egal. Strauß aber wußte zur Lage der Nation nur dies: »Wir haben heute die 1200-Jahr-Feier von Schliersee.« Sprach"s, stieg aufs Schiff, von ferne grüßt die Alm.
Die Verweigerung offenbarte Symptomatisches nicht nur für diese Wochen. Deutsche Politiker, sonst eifrige Sekundenzähler beim Verteilen von Sendezeiten -- nur wenn sie stark scheinen, darf man sie befragen. Das gilt auch für Brandt, der sonst so schön zerquält dreinschauen kann.
Er eröffnete den Reigen der Rücken, am vorletzten Freitag, 14.18 Uhr, Hauptbahnhof Bonn. »Gehen Sie davon aus, daß Carl Friedrich von Weizsäcker die Kandidatur annehmen wird?« fragte ARD-Reporter Cornelius Bormann. Brandt eilte weiter, der Bundesbahner an seiner Seite lächelte immer dünner.
Abrupter Stopp, der Journalist Brandt wird hoheitlich: »Die beiden Vorsitzenden haben hierzu eine Erklärung abgegeben, und wir haben auch vereinbart, hierzu keinen Kommentar zu geben, das bitte ich zu respektieren.«
Frage aus dem Presse-Pulk: »Können Sie sagen ...« »Nein« -- »... warum die Sozialdemokraten ...« -- Brandt winkt ab -- »keinen eigenen Kandidaten aufgestellt haben?«
Brandt mit erhobenem Zeigefinger: »Wenn Sie das schon vor Ihren Hörern -- aber ich bin gegen Überfälle, nicht -- auch auf den Vorsitzenden der SPD, das ist ungehörig, mir hier ohne jede Abrede mir hier die Beantwortung von Fragen abverlangen zu wollen« (des Bundesbahners Lächeln ist verschwunden. Schüchtern aus der Runde: »Wir hätten gerne ...« Brandt: »Und ich hätte dies gerne gesendet, danke schön.« Abgang ins Abteil.
Kontrahent Strauß muß sich die Taktik gemerkt haben. Als ihm -- ohne jede Abrede -- vergangenen Montag wiederum die »jubelnd-jaulenden Hofhunde« (der Vorsitzende 1972 über Journalisten) in München auflauerten, da gab er sich ahnungsloser noch als je zuvor.
Eine Stunde nachdem die CDU die einstimmige Nominierung von Ernst Albrecht zur Kanzlerkandidatur bekanntgegeben hatte, wühlte der Vorsitzende sich durch die Meute:
»Ich habe keine Nachrichten gehört«; »Ich kenne den Beschluß nicht«; »Einstimmig? Das weiß ich nicht«. -- »Haben Sie keine Freunde in der CDU?« fragte ARD-Reporter Klaus Wiendl, doch der Staatsmann entlief auch ihm.
Pech für Wiendl, denn donnerstags zuvor, auf dem Nürnberger Marktplatz, hatte er von Strauß schon nicht viel mehr gesehen als das breite Kreuz des Südlers. Die Frage, ob er die Kanzlerkandidatur annehmen wolle, so belehrte Strauß dort die Reporter, erübrige sich ebenso wie eine Antwort.
Die Frage nach den Freunden in der CDU immerhin beantwortete letzten Dienstag auf bewährte Weise dann einer, der es wissen muß: Kurt Biedenkopf. Wieso das Präsidium so einstimmig für Albrecht gewesen sei, wollten Reporter von dem verhinderten Strauß-Kanzlermacher wissen. Biedenkopf wandte sich stotternd ab.