»Ab morgen reich und ehrlich«
Einstimmig klingt das Klagelied der deutschen Filmproduzenten: »Wir haben im Augenblick einen Zustand erreicht, den man den absoluten Nullpunkt nennen könnte.« So Luggi Waldleitner, der in den letzten beiden Jahren fünf Filme für insgesamt neun Millionen Mark produziert hat.
Noch dramatischer formuliert es Wolf C. Hartwig: »Wenn wir nicht eine revolutionäre Veränderung der Filmverhältnisse in Deutschland herbeiführen, fürchte ich, sind wir im nächsten Jahr ganz weg vom Fenster. Das wäre ein einmaliger Fall in der Welt, daß der nationale Film weggeputzt wird.« Hartwig wird im Januar sein 16 Millionen Mark teures Projekt »Steiner« in die Kinos bringen.
Für den einstigen Großproduzenten Horst Wendlandt gibt es nur noch eines: »Es ist leider nichts mehr zu tun. Wir müssen den hundertprozentig finanzierten Staatsfilm kriegen, wie wir"s ja vor 20 Jahren schon hatten.« Dabei arbeitet Wendlandt erstmals seit fünf Jahren wieder als Filmhersteller: Mit 55 Prozent ist er dabei, wenn Bergman sein »Schlangenei« ausbrütet. Reden die Herren mit gespaltener Zunge?
Man möchte es nicht glauben, denn alle drei verfügen, in des Wortes doppelter Bedeutung, über reiche Erfahrungen in der Filmbranche. Wendlandt prägte mit seinen Karl-May- und Edgar-Wallace-Serien das Image des deutschen Films in den siechen sechziger Jahren. Wolf C. Hartwig profitierte mit seinen bislang zehn Schulmädchen-Reports (Kosten pro Film: etwa 350 000 Mark, Gewinn: über eine Million) von den katastrophalen siebziger Jahren, und Luggi Waldleitner kann auf 85 Filme quer durch den Genregarten verweisen.
Daß sie nun das filmische Harmagedon herbeischwören, ist kein spekulativer Zweckpessimismus mehr. Die Statistik weist aus:
* Von den 818 Millionen Kinobesuchern im Spitzenjahr 1956 ist heute nur noch eine Rumpf kundschaft von 14 Prozent verblieben. Die -- geschätzte -- Zahl von 117 Millionen Kinobesuchen für 1976 bedeutet im Vergleich zum Vorjahr einen Rückgang von neun Prozent.
* Vor zwei Jahrzehnten machten 120 deutsche Filme fast die Hälfte des
* Mit Angela Winkler.
gesamten Verleihumsatzes aus, während im letzten Jahr 58 Filme nur noch 12,9 Prozent einspielten. Deprimierendes Fazit; Immer weniger deutsche Filme spielen vor einem immer geringer werdenden Publikum immer weniger Geld ein.
Die Schuld an der Misere gibt jeder zunächst dem anderen und dann alle unisono dem föderativen Staatssystem. Die Kinobesitzer und Produzenten beklagen die »herrschende Gleichgültigkeit und Geringschätzung« der Massenmedien gegenüber dem Film und fordern mehr und bessere deutsche Ware, die Verleiher murren über die Theaterbesitzer, die Jungproduzenten machen Altproduzenten verantwortlich, und die Altproduzenten beschimpfen die Jungfilmer und die dazugehörige Kritikermafia. Waldleitner, Produzent der Jungfilme »Einer von uns beiden« von Wolfgang Petersen und »Sternsteinhof« von Hans W. Geissendörfer, reimt in schönstem FJS-Stil: »Nimm als Regisseur einen Roten, dann bist du bei der Presse ganz oben. Hast du einen Schwarzen, mußt du schwer dran kratzen. Und zeigst du dich nicht rot, dann macht man dich tot.«
* Mit Helen Vita (o.), Produzent Hartwig in einer Statistenrolle (l. u.). Hanna Schygulla (r.).
Doch vom Tode bedroht sind Schwarz wie Rot. Der deutsche Film leidet an dem Widerspruch zwischen kultureller Wertschätzung und wirtschaftlicher Gebrechlichkeit. Die alte Hollywoodweisheit, wonach man eine Kritik nicht zur Bank tragen kann, bewahrheitet sich einmal mehr.
Altproduzent Franz Seitz ("Lausbubengeschichten") zieht die traurige Bilanz: »Bei durchschnittlichen Produktionskosten von einer Million Mark pro Film kann der Hersteller mit einer Einnahme von 200 000 Mark rechnen.«
Ohne die Finanzierungshilfen der Filmförderungsanstalt (siehe Kasten Seite 110) gäbe es also keine deutsche Filmproduktion mehr. Doch die seit 1968 ausgeschütteten Gelder wirkten offensichtlich nur als Schmiermittel für die wirtschaftliche Talfahrt der Filmindustrie.
In einer internen »Studie über den deutschen Filmmarkt« gesteht die Filmförderungsanstalt (FFA) nun erstmals ihre eigene Hilflosigkeit ein. Ihr Präsidiumsvorsitzender Dr. Rolf Meinecke, SPD. stellt lapidar fest: »Das Filmförderungsgesetz ist im Augenblick kein ausreichendes Instrument mehr, um die Strukturkrise des deutschen Films in den Griff zu bekommen, soweit dieses Gesetz überhaupt dazu imstande ist.«
Eines verschweigt die FFA in ihrer Studie allerdings: Durch die automatische Förderung der Pauker- und Pornowelle finanzierte sie das Image des deutschen Films auf den Nullpunkt herunter. Erst als 1972 gegen heftigen Widerstand dem Filmförderungsgesetz eine »Minderqualitätsklausel« beigezwungen wurde, verschwanden die Lümmel von der ersten Bank und die Pimmel aus dem Kleiderschrank.
Aus diesem Morast eine ernst zu nehmende Filmkultur zu stampfen, ist dein jungen deutschen Film zwar inzwischen weitgehend gelungen. Auf die Filme von Fassbinder, Herzog, Wenders hageln die Preise der Filmfestivals« nur der große Regen in die heimischen Kinokassen bleibt aus.
Einzig Schlöndorffs »Die verlorene Ehre der Katharina Blum« weist bisher ein Einspielergebnis von mehr als 2,5 Millionen Mark aus. Nahezu alle anderen »Jungfilme« haben die Produktionskosten nicht eingespielt.
Selbst die Versuche, in vermuteten Populärgenres zu dilettieren, schlugen fehl: Hans W. Geissendörfers Heimatfilm »Sternsteinhof« ließ das Publikum ebenso zu Hause wie Roland Klicks Simmel-Verschnitt »Lieb Vaterland, magst ruhig sein«.
Aber auch die ehrgeizigen Produkte der Altbranche wie die Hans-Habe-Verfilmung »Das Netz« rangieren am unteren Ende der Erfolgsskala. Daß trotzdem weitergekurbelt wird, lastet die FFA-Studie indirekt dem risikolosen System der Filmförderung an: »Subventionen wirken bei der Produktion nicht kostendeckend, sondern gewinnerhöhend bzw. verlustmindernd.«
Aus der FFA-Studie geht hervor, daß im Jahre 1975 allein 50 Prozent der deutschen Filme Förderungsgelder in Anspruch genommen haben. In Einzelfällen wurden aus ihnen nahezu die gesamten Herstellungskosten bestritten. Die Studie folgert daraus: »Es liegt auf der Hand, daß bei derart finanzierten Vorhaben der Hersteller sein Augenmerk nicht in erster Linie auf zu erwartende Markterlöse richtet.«
Der Vorwurf im Klartext: Ein Teil der deutschen Filmproduzenten lebt wie die Made im Subventionsspeck. Dagegen verwahrt sich Peter Genée, dessen »Solaris«-Produktion Filme wie »Falsche Bewegung« und »Umarmungen« hergestellt hat: »Ein derartiges Verhalten wäre Selbstmord. Wir müssen uns den Markt, den nicht wir zerstört haben, mit Qualitätsfilmen zurückerobern. Dazu braucht es Geduld.«
Doch Geduld und Mut sind Mangelware gerade in jenen Kommissionen, die über die Vergabe der Förderungsmittel zu entscheiden haben. Hier gelten Literaturverfilmungen immer noch als die sicherste Spekulation auf Prämienzuerkennung. Gezwungen, zwischen Wirtschaftlichkeit und kulturellem Anspruch zu entscheiden, verfällt man gerne in Bestsellermentalität.
Der deutsche Film bewegt sich vornehmlich zwischen Simmel und Fontane. Von den 28 Filmen, die die Projektkommission der FFA bislang gefördert hat, sind 15 Literaturverfilmungen. Dabei verfährt gerade diese Kommission, die sich aus allen Sparten der Filmindustrie von den Kinobesitzern bis zu den Journalisten zusammensetzt, oft nach dem Grundsatz der konfliktlosen Parität: Stimmst du für »Das Netz«, stimm« ich für »Die Marquise von O.«.
Da feiert dann der alte deutsche Heimatfilm fröhliche Urständ. Für Ganghofers »Schweigen im Walde« (offizielle Inhaltsangabe: »Liebesenttäuschter reicher junger Mann findet in Bergeinsamkeit durch die andere Umgebung und ein junges Mädchen neuen Sinn des Lebens") gibt es 300 000 Mark, und gegen Thomas Schamonis Projekt »Wölfe« wird von den Theaterbesitzern eingewendet, daß »Filme im Schnee nicht gehen«.
Kein Wunder also, daß gerade die Projektkommission in ihrem Bestreben, aller Herren Diener zu sein, auch als deren Prügelknabe herhalten muß.
Da sich die marode Filmwirtschaft also offensichtlich nicht mehr an ihren eigenen, schütter gewordenen Haaren aus dem Desaster ziehen kann, wird der Ruf nach größerem staatlichen Engagement immer lauter. Doch gerade daran mangelt es bis jetzt, auch wenn sich Bundeskanzler Schmidt in seiner Regierungserklärung ausdrücklich zur Filmförderung bekannt hat.
Das von den Ländern finanzierte »Kuratorium junger deutscher Film« verteilt pro Jahr ganze 750 000 Mark als Darlehen zur Förderung von Nachwuchsprojekten. Das Bundesinnenministerium schießt 5,9 Millionen Mark zu, von denen seit dem 1. Januar dieses Jahres ein großer Teil allerdings nicht mehr der Produktion, sondern den Kinos zukommen wird. Durch die Kulturhoheit der Länder eingeschränkt, die dem Film eher skeptisch gegenüberstehen, macht die staatliche Filmförderung ganze 0,6 Prozent der Subventionen für die Sprechtheater aus.
Alles in allem genommen wurde der deutsche Film im vergangenen Jahr mit gut 26 Millionen Mark gestützt. Das ist jämmerlich im Vergleich zu anderen EG-Ländern: Der italienische Film erhielt im selben Jahr knapp 93 Millionen Mark, der französische über 122 Millionen Mark.
Noch widerwilliger allerdings betätigt sich der Staat als Filmförderer auf einem anderen Sektor: Laut einem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 20. November 1970 (AZ VI R 44/69) gilt ein Spielfilm im Zeitraum seiner Herstellung als »immaterielles Wirtschaftsgut«. Die gesamten Herstellungskosten können somit im Produktionsjahr voll abgeschrieben werden.
Dies ist die rechtliche Voraussetzung der in den letzten beiden Jahren im Filmgeschäft aktiv gewordenen Absehreibungsfirmen. Ein Anleger, der sich an einer Filmproduktion beteiligt, kann diese Investition als Verlust von seinem steuerpflichtigen Einkommen abschreiben.
Und nicht nur das: Da die Verlustzuweisungsquoten, die sich aus dem Verhältnis von Eigenkapital zu Fremdkapital ergeben, weit über 100 Prozent liegen, kann einem Investor mit hoher Steuerprogression in günstigen Fällen sogar noch ein steuerlicher Liquiditätsgewinn zufallen.
Daß sich in diesen hochspekulativen Gewässern Finanzhaie tummeln, denen es nach dem Zusammenbruch anderer Abschreibungsmöglichkeiten weniger um kulturelle Anliegen als um kapitalträchtige Anlagen geht, liegt auf der Hand. Den Profit macht nicht der deutsche Film, sondern, wenn überhaupt, die Zunft der deutschen Zahnärzte und Rechtsanwälte, Hauptkundschaft der Abschreibungsfirmen.
Beispiel Hans Pflüger: Vor einem Jahr versprach der einstige Hausfrauen-Report-Produzent, sich mit seiner Abschreibungsfirma Cinema 77 vornehmlich auf den deutschen Film zu konzentrieren.
Ex-Lach-und-Schieß-Gesellschafter Jürgen Scheller, PR-Mann für Pflügers Produkte, durfte noch im vergangenen Sommer im »manager magazin« für seinen Chef werben: Als »volkswirtschaftlich wünschenswert« pries er die Anlage-Offerten des angesehenen Kölner »Instituts für Vermögensplanung« (IfV), da dieses in den deutschen Film investiere. Das IfV vertreibt exklusiv Produktionen der Cinema 77.
Leider erkannte das Publikum die volkswirtschaftliche Bedeutung von Pflügers erstem Produkt, der Millowitsch-Posse »Der Geheimnisträger«, nicht an. Es mied den Film. Nun schleppt sich »Der Geheimnisträger« mit einer Million Miesen herum. Pflüger mußte daraufhin sein Programm radikal umstellen.
Als einzigen deutschen Film produziert er zur Zeit »Gruppenbild mit Dame«, Hauptrolle: Romy Schneider. Der Rest wurde »den Erfordernissen des Weltmarktes« -- und wohl auch den Vorstellungen der Bank of America, bei der sich Pflüger das nötige Fremdkapital besorgt -- angepaßt.
* Mit Horst Buchholz.
Die Alte-Leute-Komödie »Auch Mimosen wollen blühen« mit Curd Jürgens ließ er komplett neu drehen. Der Film heißt nun »Schizo« und ist, so Pflüger, »die Geschichte eines jungen schizophrenen Mädchens«.
Weitere deutsche Projekte wie das Remake »Der Arzt von Stalingrad«, die Simmel-Verfilmung »Liebe, die den Kopf verliert« und das Fliegerdrama »Oberst Mölders« mußten den »Weltfilmen« wie »Die Insel des Dr. Moreau« oder dem Krokodil-Schocker »Croc« weichen. Auch der beziehungsreiche Titel »Ab morgen sind wir reich und ehrlich« taucht nach Pflügers Radikalkur nicht mehr auf.
Von vornherein weltweit orientiert hat sich Pflügers größter Marktkonkurrent, die Münchner Geria, eine der Germania-Finanzgruppe nahestehende Abschreibungsproduktion. Da sie in enger Kooperation mit den Bavaria-Studios arbeitet, genießt sie den seriösesten Ruf innerhalb der Branche.
»Der deutsche Markt«, so kalkuliert Geria-Geschäftsführer Dr. Günter Lauerbach, »macht global gesehen nur drei Prozent aus, USA und Kanada zusammen immerhin 50 Prozent.«
Dementsprechend sieht die Produktpalette der Geria aus: Bisher entstanden der Thriller »Twilights's Last Gleaming« unter der Regie des Hollywood-Veteranen Robert Aldrich sowie die Verfilmung des Morris-L.-West-Bestsellers »Des Teufels Advokat«. Geplant sind die Buchheim-Adaption »Das Boot« und -- möglicherweise unter Fassbinders Regie -- »Despair«. nach einem Roman von Nabokov.
Auf 35,5 Millionen Mark beziffert Lauerbach die Kommanditisteneinlagen seiner Firma. Mit dem Geld für Hollywood-Stars und der technischen Perfektion der Bavaria-Studios im Rücken wäre er einer der wenigen« die eine mögliche drastische Änderung der Abschreibungsgesetze überleben könnten. »Dann«, so Lauerbach, »wurde der Aspekt der Rentabilität mehr ins Zentrum rücken.«
Der deutschen Produktion würde die Abschreibung allerdings nur dann zugute kommen, wenn es gelänge, sie mit den verschiedenen Förderungsmaßnahmen der FFA und des Bundes zu koordinieren. In diese Richtung gezielte Versuche sind allerdings bisher an gesetzlichen Schranken gescheitert.
Ob das Finanzamt nun mithilft oder nicht, eine deutsche Produktion. die sich vom Markt holt, was sie zum Leben braucht, wird es nicht mehr geben. Fast ist der Tag abzusehen, an dem sie von King Kong verschlungen, vom Weißen Hai zerrissen oder vom Exorzisten zur Hölle geschickt sein wird.
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