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Automobile Abschied von gestern

Nach Opel präsentieren nun auch die Kölner Ford-Werke neue Mittelklasse-Modelle -- erstmals mit einem aufwendig gebauten Fahrwerk.
aus DER SPIEGEL 11/1972

Temperamentvoll verteidigte Henry Ford II. ein Rudiment aus der Frühzeit des Automobils: »Unsere Hinterachsen sind ohne Einschränkung gut, sicher, zuverlässig und wirtschaftlich.« Der Ford-Chef kehrte die Vorzüge einer Kombination schwerer Langeisen hervor, die nach Meinung vieler Kritiker zu einem modernen Automobil längst nicht mehr passen: die einfache Starrachse, geführt an Blattfedern -- wie bei einer Pferdekutsche.

Henry Ford bestritt -- während eines im März 1969 geführten SPIEGEL-Gesprächs -, daß die simple, billig herstellbare und bei fast allen in- und ausländischen Ford-Modellen übliche Blattfeder-Hinterachse unter bestimmten Bedingungen das Fahrverhalten ungünstig beeinflussen könne: »Stellen Sie sich vor, Sie hätten Jahre und Jahre hindurch die unabhängige Hinterradfederung, und plötzlich hätte jemand das Blattfedersystem erfunden -- Sie wurden es für einen großen Fortschritt halten.«

Ähnliches muß inzwischen den Fahrwerkingenieuren der europäischen Ford-Töchter widerfahren sein, nur umgekehrt: Ford nimmt Abschied von gestern, die Blattfeder-Starrachse ist plötzlich perdu.

Zum erstenmal in ihrer Firmengeschichte bringen die Kölner Ford-Werke neue Mittelklassewagen mit einer aufwendig gebauten unabhängigen Hinterrad-Aufhängung auf den Markt.

Die neuen Wagen haben moderne Schräglenker-Hinterachsen mit Doppelgelenken und Schraubenfedern, wie sie etwa von BMW oder Daimler-Benz schon seit langem gebaut werden. Diese Achse gewährt nach Angabe der Ford-Techniker, was die bisherigen Ford-Konstruktionen nicht zu bieten hatten: »eine exakte Führung der Hinterräder unter allen Fahrbedingungen«.

»Wir haben auf dem Markt genau hingehört, und wir haben uns bekehren lassen«, begründete Ford-Vizepräsident Ted Mecke aus Detroit den Schwenk zu den Schräglenkern.

Blattfeder-Verteidiger Henry Ford zeigte sich »entzückt«, als ihm die gemeinsam mit den britischen Ford-Werken entwickelten neuen Kölner Autos vorgeführt wurden. Sie haben auch gemeinsame Namen: Consul und Granada, Nachfolger der Baureihe 17M/20M/26M in Köln und der Modellreihe Zephyr/Zodiac in England.

Rund eine halbe Milliarde Mark hat Ford für die neuen Modelle aufgewendet. In vierjähriger Arbeit haben 4500 Ingenieure und Techniker Fahrzeuge auf die Räder gehoben, die äußerlich mehr als alle bisherigen Kölner Fords an Amerikas Straßenkreuzer erinnern.

Consul und Granada zeigen mehr her als die betont schlicht gezeichneten neuen Rekord-Modelle des Konkurrenten Opel. Sie wirken wuchtiger und größer als ihre Vorgänger-Typen der M-Serien. Gleichwohl ist den Ford-Technikern bei ihnen, wie schon beim Taunus-Modell, eine Art Raumwunder gelungen: Die Einheitskarosse des neuen Zwillingstyps ist 15 Zentimeter kürzer und 6,5 Zentimeter niedriger als die alten M-Autos, bietet jedoch mehr Inenraum als jene.

Für »Autofahrer, die regelmäßig größere Entfernungen zurücklegen« (so Ford), bringen die Kölner nun eine ähnlich abgestufte Modellbreite mit gleichen Blechkleidern auf den Markt wie Opel mit dem Rekord und dem Commodore. Beide Neulinge sind als viertürige Limousinen, als zweitürige Fastback-Limousinen und als Kombiwagen ("Turnier") zu haben.

Den Käufern bieten sich, je nach Modell, fünf Motoren zur Auswahl. Der Consul hat als Serientriebwerk den altbewährten Vierzylinder-V-Motor (1,7 Liter; 75 Ps; 145 km/h); den nobleren Granada liefert Ford mit dem Sechszylinder-V-Motor (2,3 Liter; 108 PS; 164 km/h). Wahlweise kann sich der Granada-Käufer gegen Aufpreis auch für einen Sechszylinder-V-Motor (2,6 Liter; 125 PS; 175 km/h) oder eine noch kräftigere Maschine entscheiden: einen neuen Sechszylindermotor mit drei Liter Hubraum, dessen 138 PS den Wagen in 10,4 Sekunden von null auf 100 km/h beschleunigen sollen (Höchstgeschwindigkeit: 182 km/h). Für Consul-Käufer wiederum steht außer diesem (in zwei Consul-Versionen lieferbaren) Supertriebwerk auch noch ein Zweiliter-Motor (99 PS; 161 km/h) zur Wahl.

Allen Modellen gemeinsam sind die bei Ford üblichen riesigen Kofferräume (752 Liter im Fastback-Modell) und die Notwendigkeit, sich den individuell gewünschten Komfort (Ford: »Die letzten Feinheiten") aus dem schier unübersehbaren Angebot von Sonderausstattungen gegen Aufpreis auszusuchen.

Den Modellen mit 2,6- und Drei-Liter-Motor spendierten die Kölner serienmäßig ein im Rennsport erprobtes Sicherheitsdetail: innenbelüftete und daher widerstandsfähigere Scheibenbremsen an den Vorderrädern. Andererseits laufen alle neuen Modelle mit einem anachronistisch anmutenden Detail vom Fließband: Ihre Scheibenwaschdüsen müssen per Fußdruckknopf betätigt werden.

Die Preise sollen erst in dieser Woche verkündet werden. Als sicher gilt jedoch. daß der billigste Consul-Typ unter 10 000 Mark liegen wird und sich die übrigen Preise am Niveau des Rüsselsheimer Rivalen Opel orientieren.

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