Außenpolitik Absolut unehrenhaft
Dem Gast aus Deutschland überbrachte der Bonner Botschafter Jürgen Ruhfus gleich nach der Ankunft in Washington eine schlechte Nachricht. Der Diplomat informierte den verdutzten CDU-Generalsekretär Volker Rühe, daheim in Bonn habe sich Hans-Dietrich Genscher »ganz kurzfristig« zu einem Flug in die USA entschlossen.
Rühe, der seinen amerikanischen Gesprächspartnern telefonisch »im Auftrag des Bundeskanzlers« angedient worden war, bewahrte Fassung. Der unerwartete Besuch des Außenministers, stimmte er tapfer dem Botschafter zu, liege gewiß »im deutschen Interesse«.
So drängelten sich zum unverhofft schnellen Finale des Golfkrieges gleich zwei deutsche Polit-Promis vorige Woche zur Gratulationscour in Washington. Und der Sieg über den irakischen Diktator Saddam Hussein milderte fürs erste die Kritik der glücklichen Gastgeber an ihren deutschen Verbündeten.
Über Nacht avancierten die ins Zwielicht geratenen Deutschen dank üppiger Zuschüsse zur Kriegskasse der Alliierten im US-Außenministerium sogar zu »Mitgliedern der Koalition« gegen Saddam Hussein.
»Wir sind«, kommentierte ein deutscher Diplomat erleichtert den Stimmungswandel in Washington, »mit einem blauen Auge davongekommen.«
Rühe und Genscher, in der christliberalen Koalition einander in tiefer Abneigung verbunden, nutzten die Siegesfeiern zu getrennten, aber gleichlautenden Solidaritätsadressen: Lobte der Christdemokrat die »entschlossene Führung« des amerikanischen Präsidenten George Bush, pries der Liberale »einen Tag des großen Erfolges für die USA und die Völkergemeinschaft«.
Genscher rühmte sich einmal mehr, »im Gegensatz zu anderen schon während der irakisch-iranischen Krieges« den Diktator von Bagdad einen »Aggressor« genannt zu haben. Daß die öffentliche Schuldzuweisung im Jahre 1987 als peinlicher Fauxpas galt und Genscher eigens nach Paris eilen mußte, um den Ausrutscher im Gespräch mit Iraks Außenminister Tarik Asis in Ordnung zu bringen - wer fragt heute noch danach?
Seinen über Nacht angesetzten Blitztrip - Fototermin am Kamin des US-Präsidenten inklusive - hatte Genscher als Konkurrenzvisite zu CDU-Außenpolitiker Rühe erwogen. Als er von den Reiseabsichten seiner französischen und britischen Amtskollegen Roland Dumas und Douglas Hurd Wind bekam, hielt es Genscher nicht mehr in Bonn
Der gemeinsam mit Helmut Kohl nach Kriegsausbruch Mitte Januar wegen »peinlicher Führungsfehler« (so ein US-Diplomat) in Amerika ins Gerede geratene Außenminister habe einen Zeitpunkt gewählt, bestätigte einer seiner Gehilfen, »ohne Gesichtsverlust und äußeren Druck« in Washington vorsprechen zu können. Da sei es doch gut gewesen, ergänzte Botschafter Ruhfus, »hinter Hurd und Dumas in der Reihe zu stehen«.
Genscher wie Rühe redeten die deutsch-amerikanischen Beziehungen schöner, als sie sind.
Bonns Chefdiplomat sprach nach seinen Begegnungen mit amerikanischen Senatoren und Abgeordneten von »harmonischen Zusammenkünften«. »Natürlich« habe es Unmut verursacht, soviel räumte er immerhin noch ein, als die Beteiligung deutscher Firmen an der Giftgasproduktion Saddam Husseins ruchbar geworden sei.
Der CDU-Generalsekretär behauptete schlicht, das deutsch-amerikanische Verhältnis »solide und fest« vorgefunden zu haben. Die Schwierigkeiten »in der öffentlichen Meinung« seien ausgeräumt - als ob es nur darum ginge.
Daß die Enttäuschung über die »undankbaren Deutschen« (The Washington Post) durch hastige PR-Auftritte überwunden werden kann, glauben jedoch nicht einmal Berufsoptimisten aus dem Bonner Außenamt. Zu tief sitzt, vor allem bei amerikanischen Senatoren und Abgeordneten, der Frust über die deutschen Verbündeten.
Gut nur, daß der Golfkrieg schon nach 43 Tagen ein für die USA glückliches Ende nahm. Hohe Verluste der Alliierten oder gar der Einsatz chemischer Waffen aus deutscher Produktion hätten die deutsch-amerikanischen Beziehungen endgültig in »die schwerste Krise seit der Nachrüstungsdebatte« gestürzt, wie sie die Politik-Berater der rechten Rand Corporation ohnehin schon gekommen sahen.
Bei etlichen amerikanischen Politikern ist die Vorstellung zerstoben, das wirtschaftlich potente Deutschland sei zugleich die stärkste politische Macht in Europa. Der noch vor Jahresfrist am meisten favorisierte europäische Partner der USA habe - so gestehen selbst wohlmeinende Deutschlandkenner im US-Außenministerium ein - allzu hohe Erwartungen geweckt: »Jetzt sind die Grenzen sichtbar geworden.«
Mit einer europäischen Führungsrolle ihrer deutschen Verbündeten rechnen die Amerikaner vorerst nicht mehr: Nach dem Golfkrieg ist die »gemeinsame Führungsverantwortung« zerronnen, mit der George Bush noch 1989 Kanzler Helmut Kohl als seinem »Partner in leadership« geschmeichelt hatte.
In Amerika gilt der Mangel an deutscher Solidarität im Kreuzzug gegen den babylonischen Diktator als schwerer Sündenfall: Die Deutschen hätten sich, im Unterschied zu Großbritannien oder Frankreich, als schlechte Alliierte für Washington erwiesen.
Mitten in der Krise, so lauten die Klagen nach wie vor im US-Kongreß, habe man auf die Solidarität der Deutschen nicht bauen können. Dies sei, so der demokratische Senator Robert Byrd, »absolut unehrenhaft, und das amerikanische Volk wird sich daran erinnern«.
Die Verdächtigungen im Capitol reichen schon mal ins Absurde: »Vielleicht wird Saddam Hussein der deutschen Regierung mitteilen«, versteift sich der republikanische Senator Malcolm Wallop aus Wyoming, »daß sie einen Nachlaß im Ölpreis erwarten kann, wenn die Truppen der Vereinigten Staaten nicht nach Deutschland, sondern statt dessen nach Hause zurückkehren werden.« Womöglich, so zitieren US-Diplomaten unsinnige Geheimdienstberichte, werde die Stimmungslage in der Alt-BRD durch »protestantische Fundamentalisten« in der Ex-DDR negativ beeinflußt, die antiamerikanische Gefühle schürten.
Ernster zu nehmen ist, daß die Amerikaner die Debatte, ob die Bundeswehr künftig außerhalb des Vertragsgebietes der Nato eingesetzt werden darf, als »konfus« abtun.
»Die Entscheidung«, weiß Rühe aus seinen Gesprächen in Washington, »darf nicht eng ausfallen.« Und Genscher, noch vor vier Jahren ein Gegner von Blauhelm-Einsätzen deutscher Soldaten unter dem Kommando der Vereinten Nationen, meint jetzt: »Es muß möglich sein, was die Uno-Satzung erlaubt.«
Was für die Deutschen viel ist, bleibt für die Amerikaner immer noch zuwenig. Ehe sie ihre Verfassung änderten, bekamen die Besucher aus Bonn zu hören, sollten sie sich gut überlegen, ob sie sich wirklich auf Einsätze unter Uno-Hoheit beschränken wollten. Für die als Weltmacht gestärkten Amerikaner ist der Golfkrieg das Modell für künftige Konflikte, und ihre Frage lautet deshalb: Werden die Deutschen bei einem nächsten Mal mit Truppen dabei sein, oder wollen sie sich weiter drücken?
Rühe und Genscher trösteten sich mit der Aussicht, daß sich ein Konflikt wie am Golf so schnell nicht wiederholen werde.
Genscher prophezeite entgegenkommend, die Bonner Regierung werde deutsche Soldaten an allem teilnehmen lassen, »was die Vereinten Nationen autorisieren«. Rühe wollte sich da lieber nicht festlegen. Zwar werde »in zwei Jahren« über den grenzenlosen Einsatz deutscher Streitkräfte entschieden. »Aber ich habe noch keine Antwort«, so der CDU-Generalsekretär, »was wir tun werden.«
Eine Antwort mit Symbolwert müssen die Bonner allerdings recht schnell geben. Die Amerikaner sähen es gern, wenn die Bundeswehr ihre vor Kreta dümpelnde Minensuchflotte in den Golf schicken würde, um Saddams Treibminen beseitigen zu helfen. Zudem ist Washington an der Überlassung des Minenräumsystems »Troika« interessiert.
Vor einem förmlichen Ersuchen schreckten Verteidigungsminister Richard Cheney und Stabschef Colin Powell zurück - sie wollen nicht als Bittsteller auftreten, denen womöglich eine Abfuhr erteilt wird.
Es geht wieder einmal um Hochbrisantes: 1984 schon, als der libysche Revolutionsführer Muammar el-Gaddafi im Verdacht stand, Minen im Roten Meer plaziert zu haben, entwickelte sich prinzipieller Streit in Bonn. Damals wollte die Marine gern losfahren, Genscher aber verhinderte es mit dem Argument, das Grundgesetz lasse solche Einsätze außerhalb des Nato-Gebiets nicht zu.
Und diesmal? Als der Außenminister in Washington vorsichtig auf solche Wünsche angesprochen wurde, schien er wenig abgeneigt: Es geht ja um den Frieden und um die Aufräumarbeiten nach dem Krieg - dafür fühlt sich Genscher zuständig.