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JUSTIZ Absurde Vorstellung

Generalbundesanwalt Rebmann hat Strafanzeige gegen einen Bundesanwalt erstattet. Hintergrund: ein Rauschgift-Delikt. *
aus DER SPIEGEL 16/1987

Generalbundesanwalt Kurt Rebmann kann es nicht lassen. Strafverfolgung ist seine Leidenschaft. Wann immer der oberste Ankläger der Republik das Gesetz verletzt sieht, fühlt er sich aufgerufen zu handeln.

Es macht ihm offensichtlich zu schaffen, daß er auf seinem Karlsruher Olymp nicht für alles und jedes zuständig ist. Gewiß, große Spione gehen selten ins Netz, und mit dem Einfangen der Terroristen hapert es schon lange. Da wächst die Verlockung, sich gelegentlich auf anderen Rechtsgebieten hervorzutun.

Erst Mitte März erteilte Rebmann unerbetene Ratschläge, mit welchen Sanktionen man den Bundestagsabgeordneten der Grünen beikommen müsse. Für deren Aufruf zum Boykott der Volkszählung seien »unbedingt« Bußgelder bis zu 10000 Mark zu verhängen.

Die Bonner Reaktion auf Rebmanns Ausflug ins Recht der Ordnungswidrigkeiten war eisig. FDP-Rechtsexperte Burkhard Hirsch kanzelte den Hinweis des Generalbundesanwalts, der wieder mal die innere Sicherheit bedroht sah, als »kontraproduktiv« ab. Der Liberale ließ anklingen, Rebmann möge sich tunlichst aus Sachfragen heraushalten, für die er ohnehin nicht zuständig sei.

Doch schon am 17. März witterte Rebmann neues Unrecht und wurde abermals aktiv. Der Fall schien bedrohlich. Denn nicht irgendwo im Lande hatte er einen Verdächtigen ausgemacht - das Unerhörte war in der eigenen Behörde geschehen: ein Rauschgiftdelikt in der Bundesanwaltschaft.

Als Täter ermittelte Rebmann einen seiner höchsten Mitarbeiter, den Bundesanwalt Manfred Bruns, 52. Unter dem Aktenzeichen 2200/1E diktierte der oberste Strafverfolger persönlich die Strafanzeige wegen des Verdachts Bruns habe »den Tatbestand des Paragraphen 29 Absatz 1 Nr. 10 Betäubungsmittelgesetz erfüllt«. Den Vorgang schickte er »mit dem Anheimgeben weiterer Veranlassung« an den Leitenden Oberstaatsanwalt in Karlsruhe.

Mit der »Bitte um Kenntnisnahme« erhielten die Abteilungsleiter der Bundesanwaltschaft Kopien, wurden in den brisanten Fall eingeweiht. Nur der Beschuldigte erfuhr erst einmal nichts.

Es ist das erste Mal, daß ein Chefankläger der Bundesrepublik Strafanzeige gegen einen Bundesanwalt erstattet. Die oberste Anklagebehörde des Landes eine Lasterhöhle? Ein Strafermittler drogensüchtig?

Nichts davon. Der Generalbundesanwalt nahm Anstoß an zwei Schreibmaschinenseiten. Bundesanwalt Bruns hatte in einem Brief an die Karlsruher Aids-Initiative die Rechtslage zu einem aktuellen Drogenproblem dargelegt und die Vergabe von Einmalspritzen an Fixer für rechtlich unbedenklich erklärt.

Rebmann hielt diese Erklärung für eine Straftat. Doch was Bruns vermeintlich unerlaubt befürwortet, wird seit langem von Drogenrechtlern und Politikern öffentlich propagiert.

Offensichtlich kennt sich der oberste Ankläger im Betäubungsmittelrecht nicht aus. Hätte er sich vorher pflichtgemäß informiert, wäre ihm die jüngste seiner Blamagen erspart geblieben -

noch ist offen, ob die Affäre nur mit Gelächter und Befremden über den ebenso ahnungslosen wie unkollegialen General beizulegen sein wird oder ob sich Rebmann selber deshalb noch strafrechtlich verantworten muß.

Die Rechtsfrage, um die es geht, ist alles andere als akademisch. Keine der bekannten Aids-Risikogruppen ist zu einem so hohen Anteil infiziert wie die der Fixer. Nach jüngsten Erhebungen in Frankfurt sind dort schon mehr als 50 Prozent HIV-positiv. In anderen Städten liegt die Infektionsrate bei 40 Prozent. In Hamburg wurden im Sommer letzten Jahres elf HIV-positive Prostituierte ermittelt, alle elf waren drogenabhängig.

Der Blut-zu-Blut-Kontakt über das gemeinsame Benutzen nichtsteriler Spritzen ("needle-sharing") gehört zu den häufigsten Ansteckungsquellen. Kein Fixer verzichtet auf eine Injektion, weil ihm das sterile Spritzbesteck fehlt. Statt dessen greift er zur benutzten »Fixe«. Da sich viele Fixer mit Prostitution ihr Geld für neuen Stoff verdienen, wird das Virus schnell verbreitet.

Sterile Einwegspritzen an Fixer abzugeben galt in der Bundesrepublik lange als Ermunterung zum Drogenmißbrauch und war verpönt. Anders beispielsweise in Holland oder Großbritannien, wo den Suchtkranken die Beschaffung steriler Spritzen und Nadeln schon ermöglicht wurde, bevor die Aids-Welle nach Europa übergriff, weil sich damit auch die Zahl der Hepatitis-Infektionen drastisch senken ließ.

Strafbar war es nie, an Fixer sterile Spritzen abzugeben. Professor Arthur Kreuzer, Kriminologe in Gießen und Experte für Drogenrecht: »Ist der Käufer Fixer, dann hat er bereits eine Bezugsquelle für Drogen. Ist er jedoch beispielsweise zuckerkrank, dann bringt ihn auch die Spritze nicht in die Nähe illegaler Drogen.« Der Verkauf von Spritzen an Drogenabhängige stelle allenfalls eine Beihilfe zur Drogeneinnahme dar. Die Drogeneinnahme aber ist für sich genommen nicht strafbar, also auch die Beihilfe dazu nicht.

Zum selben Ergebnis war auch Bundesanwalt Bruns gelangt, als er der Aids-Hilfe in Karlsruhe die Rechtslage erklärte: »Ich halte es für unbedenklich«, schrieb er, »wenn Sie im Rahmen Ihrer Aufklärungs- und Betreuungsarbeit Drogenabhängigen Einmalspritzen überlassen.« Eine wirksame Aids-Prophylaxe müsse »an diesem Punkt ansetzen«. So habe sich beispielsweise in Amsterdam gezeigt, daß auf diese Weise die Weiterverbreitung von Aids unter Drogenabhängigen »ganz erheblich eingeschränkt werden kann«. Der Paragraph 29 des Betäubungsmittelgesetzes stehe der Spritzenvergabe jedenfalls nicht entgegen.

Nach dieser Vorschrift kann mit Freiheitsstrafe bis zu vier Jahren bestraft werden, wer einem anderen Gelegenheit zum unbefugten Genuß von Betäubungsmitteln verschafft, gewährt oder eine solche Gelegenheit öffentlich mitteilt.

Strafbar wäre, einen Drogenkunden zu Umschlagplätzen zu führen oder Verbindung zu Dealern und Konsumenten herzustellen. Der Verkauf oder die Verteilung von Einwegspritzen wird rechtlich anders bewertet. »In die Strafbarkeitszone begäbe sich sonst nämlich ebenso, wer Tabak an Haschischraucher für deren Joint verkauft - eine absurde Vorstellung«, so Professor Kreuzer in einem Kurzgutachten, das im Januar veröffentlicht wurde.

Bereits im Dezember 1985 hatte der Justizminister von Nordrhein-Westfalen entschieden, das Überlassen von Einmalspritzen sei nicht strafbar. Das Düsseldorfer Gesundheitsministerium teilte den Beratungsstellen mit, das Aushändigen von Einmalspritzen löse keinen »rechtserheblichen Tatbestand« aus.

Die Hamburger Gesundheitssenatorin Christine Maring sieht die Abgabe steriler Nadeln sogar als notwendige Staatsaufgabe. Die saarländische Regierung appellierte an die Apothekerkammer, Einmalspritzen an Fixer unbegrenzt zu verkaufen. Der NRW-Gesundheitsminister Hermann Heinemann forderte die Apotheken öffentlich auf, »an Drogenabhängige ohne Vorbehalt Einwegspritzen zu verkaufen«. Im Dezember beriet der Bundesrat über eine einheitliche bundesweite Empfehlung. Anfang März beschloß die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, allen Apothekern in der Bundesrepublik den freien Verkauf von Einwegspritzen an Rauschgiftsüchtige anzuraten.

Das stand zwar in den Zeitungen, wurde aber von Rebmann offenbar nicht zur Kenntnis genommen. Unbeeindruckt schickte er seine Strafanzeige an die Staatsanwaltschaft Karlsruhe. Oberstaatsanwalt Robert-Dieter Klee benötigte nur wenige Tage bis zur Entscheidung: »Von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen Manfred Bruns wird abgesehen, weil keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine verfolgbare Straftat gegeben sind.«

Klee, der früher selber mal als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Bundesanwaltschaft tätig war, formulierte die Begründung wie eine Abfuhr für den Chefankläger: Manfred Bruns habe in seinem Brief an die Aids-Initiative »darauf hingewiesen, daß seiner Meinung nach kein Verstoß gegen Paragraph 29 Betäubungsmittelgesetz vorliege. Diese Rechtsauffassung ... wird auch von der Staatsanwaltschaft Karlsruhe geteilt. Keinesfalls enthält die im Schreiben des Manfred Bruns vorgetragene Rechtsansicht einen Verstoß gegen einen Straftatbestand«.

Karlsruher Juristen spekulieren bereits, ob Oberstaatsanwalt Klee jetzt ein Ermittlungsverfahren nach Paragraph 344 Strafgesetzbuch gegen den Generalbundesanwalt einleiten wird - wegen »Verfolgung Unschuldiger«.

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