CDU-REFORM Acht Punkte
Die Partei erfuhr die Neuigkeit durch Dein vertrauliches Fernschreiben aus der Bonner Nassestraße.
Unter FS-Nummer 9/64 vom 27. Januar tickte die CDU-Bundeszentrale ihren Landesverbänden »nur zur internen Information« die Nachricht durch, Parteipatriarch Adenauer wolle den CDU -Vorsitz für zwei weitere Jahre behalten.
Josef Hermann Dufhues, seit dem Dortmunder Parteitag 1962 Geschäftsführender Vorsitzender der Christdemokraten und Bewerber für den Posten des Ersten Vorsitzenden, ließ den Landesverbänden mitteilen: »Im Parteiausschuß ist die Frage des Parteivorsitzenden angesprochen worden. Ich freue mich, daß Dr. Gerstenmaier die Meinung der Mehheit dahin zusammenfaßte, daß die Dinge bleiben sollen wie bisher auch.«
Diese Freude war nicht echt. In Wahrheit ist die Rechnung des Parteireformers nicht aufgegangen. Seit zwei Jahren verfolgt er das Ziel, dem Ausscheiden Adenauers aus dem Kanzleramt auch einen Wechsel im Parteivorsitz folgen zu lassen.
Doch der Wille zum Wechsel und zur Reform ist in der CDU wieder erlahmt, seit das wichtigste Problem für die Partei im Herbst vorigen Jahres gelöst wurde: die Übergabe des Kanzleramts an Ludwig Erhard. Der neue Bundeskanzler aber wäre der einzige Mann in der CDU, der Konrad Adenauer einen Anspruch auf den Parteivorsitz streitig machen könnte, ohne die Partei von neuem in innere Auseinandersetzungen zu stürzen.
Ludwig Erhard jedoch will nicht, Dufhues aber möchte Parteichef werden, hat indes gegenwärtig keine Chance, Konrad Adenauer zu schlagen.
Der Altbundeskanzler hat sein Ansehen in der Partei und seinen Einfluß auf die Partei wiederhergestellt - vor allem dadurch, daß er seit seiner Abdankung nicht das tat, was die Partei nach den voraufgegangenen Zwistigkeiten befürchtet hatte: Er intrigierte nicht gegen Ludwig Erhard, sondern verhielt sich loyal. Getreue, die den Alten aus Rhöndorf sprachen, berichteten verblüfft, nicht einmal von Mann zu Mann mache Adenauer noch anzügliche Bemerkungen über seinen Nachfolger.
Darüber hinaus hat sich Konrad Adenauer in außenpolitischen Fragen zum Sprecher der Mehrheit in Fraktion und Partei gemacht, die im Unterschied zu Außenminister Schröder ein möglichst enges Zusammengehen mit Frankreich befürwortet.
Der von ihm mit de Gaulle geschlossene deutsch-französische Vertrag war denn auch die Plattform, von der aus Konrad Adenauer von neuem seinen Anspruch auf den Parteivorsitz erhob. Er hatte lange selber gezögert, ob er nicht endgültig abtreten solle, aber dann hielt er es doch für notwendig, auf dem Posten zu bleiben, um »den Ausbau der deutsch-französischen Freundschaft zu fördern«.
So wird Konrad Adenauer am Dienstag dieser Woche auf dem Parteitag in Hannover zum achten Mal CDU-Bundesvorsitzender werden.
Das Festhalten an Konrad Adenauer fiel den Christdemokraten auch deshalb leicht, weil der von vielen als Partei -Kronprinz angesehene Josef Hermann Dufhues nicht die Hoffnungen erfüllen konnte, die sich vor zwei Jahren an seine Wahl zum Geschäftsführenden Vorsitzenden knüpften.
Zwar ist es Dufhues gelungen, die Partei einigermaßen geschlossen durch die beiden politischen Krisen zu steuern, die dem Dortmunder Parteitag folgten
- die SPIEGEL-Affäre und den Kanzlerwechsel. Aber mit der Reform an Haupt und Gliedern, wie sie von vielen Parteimitgliedern für notwendig erachtet wird, ist Dufhues über Ansätze nicht hinausgekommen.
Auf dem Höhepunkt der Strauß-Krise im November 1962, nach dem Auszug der FDP-Minister aus dem Bonner Kabinett, war es Dufhues, der einen Ausweg wies. Er forderte Adenauer auf: »Herr Bundeskanzler, das Interesse der Partei verlangt, daß alle Minister der CDU/CSU jetzt zurücktreten, und einer kommt dann halt nicht wieder.«
So geschah es, und bei der Neubildung des Kabinetts wurde Franz-Josef Strauß nicht mehr berücksichtigt.
Mitten im ärgsten Wirbel um den Kanzlerwechsel im April 1963 machte Dufhues sich auf eine Rundreise durch die CDU-Landesverbände. Dabei erreichte er, daß im Bundesvorstand alle Landesverbände mit Ausnahme des Landesverbands Rheinland, der sich wegen der Kanzler-Ambitionen seines Landsmannes Gerhard Schröder der Stimme enthielt, für Ludwig Erhard eintraten. In einer geheimen Testwahl der Bundestagsfraktion, die der Nominierung des Kanzlernachfolgers vorausging, hatten dagegen nur 70 Prozent für Erhard gestimmt.
Sogar Konrad Adenauer würdigte die politischen Verdienste seines Partei -Führungsgehilfen. Nach einer harten und lauten Auseinandersetzung unter vier Augen lenkte der Kanzler ein: »Ich merke doch, Herr Dufhues, daß Sie ein Westfale sind.«
Dufhues heute zu dieser Anspielung auf seine westfälische Dickköpfigkeit: »Das hat er mir inzwischen ein dutzendmal bescheinigt.«
Den politischen Erfolgen des Geschäftsführenden Vorsitzenden folgten aber nur spärliche Fortschritte auf dem Gebiet der CDU-Reform, da Dufhues durch die Partei- und Regierungskrisen ein volles Jahr für seine Arbeit verlor. Selbst die »Deutsche Zeitung« zog eine herbe Bilanz: »Der Hang zum alten Schlendrian ... war denn doch stärker, als man annahm. Die Macht der Landesvögte ist indessen ungebrochen, die Partei selbst in ihrem Unterbau kaum von neuem Leben durchdrungen.«
Konrad Adenauer hatte den Kampf gegen die regionalen Parteiführer längst aufgegeben und während seiner Kanzlerzeit die Parteigeschäfte mehr und mehr treiben lassen. Aber auch Dufhues kam gegen die Landesherren nicht an. Jeglichem Eingriff in autonome Regionalherrlichkeit widersetzten sie sich durch Verschleppungsmanöver. Direktkontakte, die Dufhues von Bonn zu den Kreisparteien aufgenommen hatte, wurden gekappt: Sie müßten von den Landesvorständen erst geprüft und genehmigt werden.
Vollends kurios wirkte der CDU-Föderalismus sich aus, als auch Kreisverbände auf ihre Souveränität pochten: Ein Kreisverband aus Oldenburg beispielsweise beschied die Bonner Bitte um Übersendung der Mitgliederlisten zwecks Anfertigung einer Hollerith -Zentralkartei abschlägig: »Unser Vorstand steht auf dem Standpunkt, daß unsere Mitglieder diese Bundesmitgliederkartei nicht wollen.«
Bei solcher Resistance mußte Dufhues mit bescheidenen Fortschritten zufrieden sein: »Zum ersten Mal in der Geschichte der CDU hatte ich alle Kreisgeschäftsführer in Bonn zusammen.«
Außerdem ist die Macht der CDU -Zentrale auch von den Geldabgaben abhängig, die ihr vom Fußvolk zugestanden werden. Das Dufhues-Reformkonzept aber setzt eine erhebliche Ausweitung des Haushalts für die CDU-Bundesspitze voraus. Die chronische Finanzmisere der Partei war darin nicht berücksichtigt.
Den Bundestagswahlkampf 1961 hat die CDU mit über zweieinhalb Millionen Mark Schulden abgeschlossen. An Mitgliedsbeiträgen kann sie jährlich nur drei Millionen Mark verbuchen (SPD bei rund 650 000 Mitgliedern: 16 Millionen Mark). Nicht alle der rund 250 000 eingeschriebenen Christdemokraten zahlen regelmäßig ihren Monats-Obolus (im Schnitt 1,50 Mark), denn die Partei verfügt im Gegensatz zur SPD nicht über genügend Kassierer zum Eintreiben der Zahlungen.
Die CDU hat jedoch pro Jahr ordentliche Ausgaben - ohne Wahlkampfkosten - in Höhe von 13 Millionen Mark zu bestreiten. Der Fehlbetrag muß durch Spenden und Staatszuschüsse gedeckt werden. Auf dem Parteitag in Hannover wird erstmals eine neue, nach Einkommen gegliederte »Beitragsstaffel« beraten, die das Aufkommen aus Mitgliedsbeiträgen erhöhen soll.
Um der Partei finanziell einen soliden Unterbau zu verschaffen, hatte Dufhues vor zwei Jahren die Mitgliederwerbung zum Kernpunkt seines Programms gemacht. Doch die erste Werbeaktion (bei ausgesuchten »Zielpersonen") begann - nach mehreren Aufschüben - erst Im letzten Oktober zur Zeit des Kanzlerwechsels. Zwar kann die CDU in Hannover kundtun, ihr Trommeln habe binnen zwei Monaten 17 634 neue Parteigänger gebracht. Aber Dufhues ist sich darüber klar, daß ein so werbewirksamer Anlaß wie Erhards Amtsantritt nicht so schnell wieder eintritt.
Einige Organisations-Reformen haben die Christdemokraten nach dem Vorbild erprobter SPD-Einrichtungen modelliert:
- Ein »Sprecher der Partei« (seit September 1963: Dr. Arthur Rathke) koordiniert die Pressepolitik der CDU; Regierung, Fraktion und Partei äußern sich seither nicht mehr mit unterschiedlichen Erklärungen.
- Kontaktleute halten Verbindung zu
Gruppen und Verbänden und leiten deren Wünsche an die Fraktion weiter.
Wichtige und für eine straffere Führung der Partei notwendige Reform -Projekte sind allerdings - aus Geldmangel - steckengeblieben:
- Die Funktionärskader in den Kreisverbänden konnten nicht vergrößert werden, weil die Gehälter nicht attraktiv sind, obwohl hauptamtliche Mitarbeiter der Partei jetzt in ein CDU-Versorgungswerk aufgenommen werden, das Alters- und Invalidenrente zahlt.
- Der Neubau eines Parteihauses
mußte aufgeschoben werden.
- Ein vorgesehenes Studienzentrum für politische Grundsatzforschung wird vorerst nicht eingerichtet.
Aber es fehlt nicht nur der äußere Rahmen für eine neue politische Standortbestimmung der CDU. Liegengeblieben ist auch die »Prinzipien-Erklärung«, in der die CDU »ihr Selbstverständnis« (Bundestagspräsident Gerstenmaier), ihre geistigen Grundlagen, erläutern will.
Mit der Beratung über eine solche Prinzipien-Erklärung hatte unter Vorsitz von Dufhues im Spätsommer 1963 eine Kommission begonnen, der auch Theologen beider Konfessionen angehörten. Das Ergebnis der Beratungen ein Acht-Punkte-Text auf zweieinhalb Schreibmaschinenseiten - liegt seit Ende Februar bei Gerstenmaier. Erhält Änderungen für unerläßlich.
CDU-Kandidat Adenauer, Reformer Dufhues, Kanzler Erhard: Zum achten Mal gewählt