ABGEORDNETE Adel verzichtet
Konrad Adenauer stöhnte erinnerungsbeladen: »Ich habe das Trauerspiel mehrfach mitgemacht. Es ist ein Trauerspiel.«
In diesem Sommer vollzieht sich die vierte Neuinszenierung jenes Trauerspiels, das der christdemokratische Parteichef auf dem Parteitag seiner Union in Karlsruhe so sehr beklagte: die Kandidaten-Auslese für die Bundestagswahl.
Das Traurige an diesem Spiel ist für Konrad Adenauer, daß selbst die ergebensten Unions-Lakaien störrisch werden, sobald es gilt, die Herden neu zusammenzustellen, die für die nächsten vier Jahre auf die fette Parlaments -Weide getrieben werden sollen.
Harthörig verschlossen sich auch in diesem Sommer die provinziellen Christdemokraten den personellen Wünschen der Bonner CDU-Zentrale, deren Hätschelkindern einen sicheren Wahlkreis oder einen sicheren Landeslistenplatz einzuräumen.
Selbst des Kanzlers Bundespressechef Felix von Eckardt mußte dreimal in der Provinz antichambrieren, ehe er einen (unsicheren) Wahlkreis erhielt.
Sowohl in Hamburg als auch im ehemaligen Lübke-Wahlkreis Rees-Dinslaken holte sich von Eckardt häßliche Abfuhren von den christdemokratischen Stammeshäuptlingen.
Erst die Cuxhavener CDU nominierte die matt gewordene Kanzler-Stimme (Eckardt: »Es ist so schön, das Meer wiederzusehen") zu ihrem Kandidaten. Allerdings nicht um der Bonner Zentrale zu gefallen, sondern aus achtbaren eigensüchtigen Motiven. Dazu CDU -Kreisverbandsvorsitzender Ebelt: »Wir wissen, daß von Eckardt das Ohr des Bundeskanzlers hat. Es kann für unseren Wahlkreis nur von Vorteil sein, wenn die Wünsche und Probleme unmittelbar zu Konrad Adenauer kommen.«
Allein, ob Cuxhaven sich diesen Vorteil verschaffen kann, bleibt offen: Denn den Wahlkreis 32 (Cuxhaven - Hadeln - Wesermünder) eroberte 1957 der SPD-Kandidat und Ollenhauer -Sekretär Hermsdorf mit 31,8 Prozent der Stimmen. Erst auf dem dritten Rang folgte hinter dein DP-Mann der CDU -Kandidat mit 24,8 Prozent. Cuxhaven und Felix von Eckardt müssen daher ihre Hoffnungen wohl vornehmlich auf die noch nicht fertiggestellte Landesliste konzentrieren.
Anderen Kanzler-Paladinen ging es freilich noch schlechter als dem nun wieder glückhaften Felix. Dem abgehalfterten Vertriebenenminister Theodor ("Pistolen-Theo") Oberländer wurde sein Hildesheimer Direktmandat, das er 1957 für die CDU errungen hatte, gar nicht erst wieder angeboten. Er hat nur noch Chancen, einen Platz auf der CDU-Landesliste Niedersachsens zu erhalten. Kommentar der Hannoveraner CDU-Zentrale: »Wir wissen aber noch nicht, ob er einen sicheren Platz erhält.«
Auch Dr. Schwarz von Liebermann, der als stellvertretender Direktor der politischen Abteilung der Nato mit Franz-Josef Strauß auf vertrautem Fuß steht, mußte erfahren, wie wenig Bonner Beziehungen nützen, wenn es gilt, einen Wahlkreis oder einen sicheren Listenplatz zu erlangen.
Der Verteidigungsminister hatte den 39jährigen Schwarz den Delegierten des baden-württembergischen Wahlkreises Crailsheim als geeigneten Kandidaten empfohlen.
Aber nur eine knappe Mehrheit der Crailsheimer Delegierten stimmte für den Strauß-Protege - mit dem Resultat, daß die unterlegene Gruppe die Wahl anfocht. Der Nato-Doktor zog die Konsequenzen und verzichtete.
Wie im Falle von Eckardt wählten die örtlichen CDU-Gremien tatsächlich immer nur dann Kandidaten der Parteizentrale aus, wenn sie sich selbst etwas davon versprachen.
So obsiegte bei einer Kampfabstimmung um das CDU-Mandat im Wahlkreis Kreuznach der Mitschöpfer des Grundgesetzes, Professor Adolf Süsterhenn, über das 74jährige enfant terrible der Bonner Christdemokraten, den Leitartikler der rechtsradikalen »Deutschen Soldaten-Zeitung«, Jakob Diel.
Die Kreuznacher CDU hatte es dem nur auf der Landesliste gewählten Diel nicht vergessen, daß er 1957 seinen Bundestagswahlkreis an den sozialdemokratischen Ostlandfahrer Dröscher verloren hatte, obgleich die CDU an Zweitstimmen mehr für sich buchen konnte als die SPD an Erststimmen. Der ungleich befähigtere Süsterhenn soll nun für die CDU auf ganzer Linie siegen.
Im Wahlkreis 175 kandidiert - gleichfalls zur Zufriedenheit der Bonner CDU und der Einheimischen - Generalbundesanwalt Max Güde, von dem die Alt -Badener hoffen, daß er sich in Bonn auf Schäffers Ministersessel schwingen und badensische Nationalinteressen unterstützen wird.
So schwer es also die Bundesprominenz hat, in der Provinz aufgestellt zu werden, so leicht fällt dies den Stammesfürsten der Parteien, die diesmal quer durch alle Parteien dem abgewirtschafteten Föderalismus persönlich Rechnung tragen und aus ihren Gauen zur Bonner Krippe drängen.
In Hamburg hat sich CDU-Chef und Kohlengroßhändler Erik Blumenfeld an die Spitze der Landesliste setzen lassen. Koks-Beau Blumenfeld, der im Auftrag des Kanzlers mehrmals seine amerikanischen Kontakte in den Dienst der deutschen Außenpolitik stellte und als erster CDU-Mann den amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy besuchte, wird sich in Bonn in die imposante Galerie unentwegter Außenminister-Aspiranten einreihen, die ohnehin schon von dem bayrischen Freiherrn von Guttenberg bis zum ewigen Jung-Unionisten Majonica reicht.
Für die SPD treten gleich drei ausgediente Länderchefs den Marsch auf Bonn an: Ministerpräsident a.D. Fritz Steinhoff, 63, in Nordrhein-Westfalen; Alt-Ministerpräsident Wilhelm Hoegner, 73, in Bayern; Altenteiler Max Brauer, 73, in Hamburg, der aus Altersgründen im vorigen Jahr die Leitung der Stadtgeschäfte abgeben mußte.
Werden so Prominente aus den Ländern ohne Rücksicht auf ihr vorgeschrittenes Alter zum erstenmal für die Bundestagswahl aufgeboten, so bekommen gleichzeitig verdiente Parlamentssenioren aus Altersgründen den Abschied.
Die 83jährige Alterspräsidentin Marie -Elisabeth Lüders zieht sich grollend aufs Altenteil zurück, um ihre Memoiren zu schreiben. Sie konnte in ihrem Wahlland Berlin nicht wieder kandidieren, weil die FDP nicht mehr im Berliner Abgeordnetenhaus vertreten ist, das die Bonn-Abgeordneten bestimmt.
Zu hoch betagt für die Anstrengungen einer weiteren Legislaturperiode schienen den Christdemokraten der Hamburger Bankier Hugo Schamberg mit 68 Jahren, und Justizminister Schäffer, 73, der seinen Passauer Wahlkreis an den Kapfinger-Redakteur Ramminger abgeben muß nachdem von einer Kandidatur des Passauer Potentaten und Strauß-Freundes Kapfinger aus mancherlei Gründen nicht mehr die Rede ist.
Ebenfalls aus Altersgründen tritt der westdeutsche Fleischerverbandsvorsitzende Fritz Mensing, 66, von der Bonner Bühne ab und kann nicht mehr über die Karriere des Fleischerkindes Franz -Josef Strauß wachen, dem er noch im Vorjahr versicherte: »Du kannst immer auf uns rechnen, und wir werden dafür sorgen, daß deine politische Karriere mit diesem Minister-Amt noch nicht abgeschlossen ist.«
Den Parlaments-Zylinder erhält schließlich auch Ostlandreiter und Vertriebenen-Tribun Manteuffel-Szoege, der »das Böse« stets mit allen Waffen einschließlich Atomwaffen bekämpfen wollte. Er muß künftig darauf verzichten, von den Bonner Bundeshaus-Friseuren nach der täglichen Rasur im Chor mit »Auf Wiedersehen, Herr Baron« verabschiedet zu werden.
Als zweiter prominenter Vertriebenen-Funktionär wird der SPD-Abgeordnete Georg Richard Kinat, 72, abtreten. Nur zürnend fügte er sich dem Dekret höherer Partei-Instanzen, seinen Platz auf der Landesliste Nordrhein-Westfalen zu räumen. An seine Stelle tritt sein prominenterer Vertriebenen - Kollege Wenzel Jaksch, den - laut Kinat - »kein sonstiger Bezirk der SPD in der Bundesrepublik als Kandidaten aufstellte, am allerwenigsten sein Wohnland Hessen«.
Jammerte Kinat, der »über ein halbes Jahrhundert« seiner Partei die Treue gehalten hat, in einem Brief an seine Parlaments-Kollegen: »Das bringt also meine Partei fertig...«
Nicht nur unter den Vertriebenen, sondern auch unter den parlamentarischen Industriellen und Professoren fand ein kleines Revirement statt. Anstelle des Klöckner-Beauftragten Berendsen, der als Brigadegeneral zur Bundeswehr abwanderte, konnte die CDU das Demag-Vorstandsmitglied Dr. Erich Kemna als Kandidaten anwerben. FDP -Mende köderte auf einem Amerika-Trip für die hessische Landesliste den Hoechster Farbenchef Dr. Wilhelm Alexander Menne, dessen vielfältige Verbindungen der FDP-Kasse zugute kommen sollen.
Der Heidelberger Theologe und Universitäts-Rektor Wilhelm Hahn, der 1956 zum Bischof von Oldenburg gewählt worden war, aber unmittelbar vor seinem Amtsantritt seine Zusage zurückgezogen hatte, verstärkt die spärliche CDU-Professorenriege, aus der Atom -Professor Pascual Jordan ausscheidet.
Der Atom-Professor selbst hatte nie viel von Parlamentsarbeit gehalten. Jordan 1943: »Der parlamentarisch-demokratische Gedanke lebt nicht mehr«. Für diesen Professor wurde 1957 von der CDU dennoch auf der niedersächsischen Landesliste ein Vorderplatz frei gemacht, nachdem Jordan die 18 Professoren, die damals im »Göttinger Manifest« vor einer deutschen Atomaufrüstung warnten, als politische Ignoranten verhöhnt hatte.
Während seiner Bonner Abgeordnetentätigkeit indes machte Jordan nur einmal von sich reden. Auf dem Bundestreffen des »Stahlhelm« verkündete er kernig: »Der Stahlhelm-Geist ist die beste Medizin für das deutsche Volk.« Die CDU-Zentrale heute über Jordan: »Bei solchen Leuten täuscht man sich oft.«
Eine andere Berufsgruppe wird im neuen Parlament stärker als bisher vertreten sein: Demoskopen und Journalisten.
Im Wahlkreis Groß-Gerau und auf Platz 17 der hessischen CDU-Landesliste kandidiert der Meinungsforscher Erich Peter Neumann, dessen Ehefrau Elisabeth Noelle-Neumann als Chefin des Allensbacher Instituts zur Erforschung der Volksstimmung regelmäßig in Kanzlerdiensten steht.
Neumann, dessen Kandidatur lange geheimgehalten wurde und der sich in Bad Wörishofen durch Kneipp-Kuren, auf den Wahlkampf vorbereitete, will mit einem sechsköpfigen Team und Meinungsforscher-Methoden seinen Wahlkreis erobern, der 1957 mit dem knappen Vorsprung von 0,7 Prozent der Stimmen an die SPD ging.
Eine journalistische Blutauffrischung erwarten die Sozialdemokraten von der Sozialpolitikerin der »Welt«, Ilse Elsner, die aussichtsreich in Hamburg kandidiert, und von dem ehemaligen dpa-Chefredakteur und jetzigen Berater der SPD-Vorstandsbaracke, Fritz Sänger. Er tritt im Herzogtum Lauenburg gegen den Christdemokraten Otto Fürst von Bismarck an, der bei der letzten Bundestagswahl freilich seinen Wahlkreis mit über 50 Prozent der Stimmen für sich buchen konnte. Sänger wurde auf der Landesliste von Schleswig-Holstein auf dem fünften Platz abgesichert.
Ein anderer attraktiver Adelsmann, der Wittelsbacher Prinz Konstantin, der sich mit Serien wie »Des Königs schönste Damen« und »Der Papst« einen Illustrierten-Namen machte, wurde von den Delegierten des CSU-Wahlkreises Traunstein als Kandidat abgelehnt. Obwohl der Prinz darauf verweisen konnte, daß er im Falle seiner Wahl auf ein Schloß seiner Väter im Wahlkreis ziehen würde, zogen die CSU-Bayern einen weithin unbekannten Politiker namens Brenck vor, der bei der bayrischen Landesvertretung in Bonn Dienst tut.
Die Absage an den Bayern-Prinzen entsprach einer allgemeinen Entwicklung. Aristokraten als Volksvertreter sind nicht mehr sehr gefragt. Ihre Zahl im Bonner Parlament ist von einer Wahlperiode zur anderen zurückgegangen. Klangvolle Namen wie Hubertus Prinz zu Löwenstein, Fürst zu Oettingen-Wallerstein und Fürst Fugger von Glött sind aus dem Bundestagshandbuch verschwunden. Statt dessen melden immer mehr Neu-Privilegierte ihren Anspruch auf Bundestagssitze an: die Verwandtschaft der Bundesprominenz.
Saß Im letzten Parlament erst ein Vertreter dieser Gattung, Jakob-Kaiser -Schwiegersohn und CDU-Linksaußen Hans Katzer, so haben jetzt drei andere Prominenten-Verwandte Chancen, in den Bundestag einzuziehen:
- Der Sohn des verstorbenen NRW -Ministerpräsidenten Karl Arnold, Assessor Dr. Gottfried Arnold, Jahrgang 1933, kandidiert im Wahlkreis Düsseldorf I für die CDU.
- Der Schwiegersohn des inzwischen
verstorbenen CSU-Ernährungsministers Niklas, Josef Ertl, 36, Vorsitzender eines Kulturwerks für Südtirol, kandidiert auf Platz 5 der bayrischen FDP-Landesliste.
- Der Neffe des ehemaligen Justizministers
Thomas Dehler, Klaus Dehler, 34, kandidiert für die Freien Demokraten im Wahlkreis Nürnberg.
Wie zu jeder Tragödie der griechischen Antike das Satyr-Spiel gehört, so braut sich auch am Rande des von Konrad Adenauer beklagten Trauerspiels der diesjährigen Kandidaten-Aufstellung eine Posse zusammen. Szene: der bayrische Wald.
Dort führt der Ex-Revierförster Ludwig Volkholz, ehemaliger Abgeordneter der Bayernpartei im Ersten Deutschen Bundestag, wegen Anstiftung zum Meineid mit zehn Monaten Gefängnis vorbestraft, im dichten Tann für die FDP einen Wahlkampf à la Kennedy-Brandt in bajuwarischer Holzhammer-Ausgabe.
Volkholz schüttelt Holzfällerhände, läßt in Wahlversammlungen seine junge Frau zur Laute jodeln und findet dabei eitel Zustimmung. Im Büro des FDP -Vorsitzenden Erich Mende wird daher ernstlich befürchtet, daß der FDP größter Sieg auch ihr schmerzlichster Triumph sein könnte: Volkholz will nämlich sein Direktmandat in einem Wahlkreis gewinnen, in dem die FDP 1957 nur 0,9 Prozent der Stimmen erringen konnte.
Bonn-Abgänge Jordan, Manteuffel-Szoege, Lüders, Mensing, Kinat: So schön... ... das Meer wiederzusehn: Bonn-Zugänge Blumenfeld, Neumann, Elsner, Volkholz, Süsterhenn