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Ägypten: Heute Frieden, morgen Wohlstand?

Vom Friedensschluß erhoffen sich die einfachen Ägypter, die von Hungerlöhnen leben müssen, endlich die Wende zum Besseren. Aber ihre Erwartungen kosten viel Geld, und die arabischen Freunde wollen nicht mehr zahlen. Wenigstens zwei Jahre wird es nach Ansicht der Regierung dauern, bis die Ägypter vom Frieden profitieren.
aus DER SPIEGEL 15/1979

Eines Tages rief Allah die Staatschefs der Erde zu sich, um sich mit ihnen zu beraten. Zum amerikanischen Präsidenten Carter sagt er: »In zehn Jahren wird der Dollar stabil sein. Auch Breschnew wird getröstet: »In hundert Jahren wird es mit der sowjetischen Landwirtschaft aufwärtsgehen.'

Als die Reihe an Ägypten kommt, denkt Allah lange, lange nach. Dann weint er, weint und weint.

Diese Anekdote macht derzeit in Kairo die Runde, eine Nukta, ein nachdenklicher Scherz, wie ihn die Ägypter lieben. Zu sehr sind sie in den drei Jahrzehnten Kriegszustand mit Israel gebeutelt worden, als daß sie sich nun vorbehaltlos der Freude über das Friedensabkommen hingeben wollten.

Gründe zur Skepsis gibt es genug: Noch immer ist die Wirtschaft fast total zerrüttet, noch immer funktionieren weder Telephone noch Wasserleitungen, brechen übervölkerte Mietskasernen zusammen und stehen sündhaft teure Luxuswohnungen leer. Noch immer liegt das Durchschnittseinkommen bei etwa 80 Mark pro Monat, während die Preise mit Raten von über 20 Prozent steigen -- und hinzu kommt nun das Zerwürfnis mit den arabischen Nachbarn, zumal den ölreichen Geldgebern.

»Begin«, so kommentierte ein Journalist in Kairo den ersten Besuch eines israelischen Premiers in der ägyptischen Hauptstadt, »kam ausgerechnet in der Woche, da, laut Bibel, der Plagen Ägyptens gedacht wird.«

Daß die Ägypter skeptisch in die Zukunft blicken, bedeutet nicht, daß sie nichts von ihr erwarten. Abd el-Gawad Minschadi etwa, ein Straßenkehrer in Kairo, lehnt sich auf seinen Strohbesen, wenn er auf die Zukunft angesprochen wird, und fängt an zu schwärmen: »Wenn der Friede kommt, dann wird sich alles ändern, und wir werden glücklich sein. Der Lohn wird steigen, die Preise werden fallen. Die Friedenswirtschaft wird uns Armen zugute kommen.«

So denken Millionen von schlecht bezahlten, unterernährten Ägyptern. An der Friedenspolitik ihres Präsidenten Anwar el-Sadat interessieren sie weder pathetische Reden noch symbolträchtige Gesten, sondern einzig, ob Friede wirklich gleichzusetzen sei mit einem besseren Leben.

Das jedenfalls hat ihnen der Präsident versprochen. Wenn Sadat sein Wort nicht einlöst, riskiert er damit einen Aufstand, der noch die blutigen Unruhen vom Januar 1977 übertreffen könnte. Damals kamen 80 Menschen um, als Sadats Regierung versuchte, die Preise für bisher subventionierte Lebensmittel heraufzusetzen. Seither stützt die Regierung die Preise zahlreicher Güter des täglichen Lebens, allein dieses Jahr mit insgesamt 1,7 Milliarden Dollar.

Die Ärmsten nutzen die Niedrigpreise auf ihre Art. So pilgern jeden Morgen Frauen im traditionellen schwarzen Schleiergewand vom Arbeiter-Wohnviertel Embaba über eine der Nilbrücken in den feineren Stadtteil Samalek. Dort verkaufen sie Fleisch, das sie im Regierungsladen zu 70 Piaster (3,38 Mark) pro Kilo gekauft hatten, für zwei Pfund (9,68 Mark) an private Metzger.

Wohlhabende Bauern wiederum erstehen korbweise Fladenbrot und verfüttern es ans Vieh, denn es ist billiger als normale Futtermittel.

Um dem Volk einen Vorgeschmack auf die anbrechenden fetten Friedensjahre zu vermitteln, türmen sich in den staatlichen Konsumläden die Nahrungsmittel zu Billigpreisen. »Das wird jetzt immer so bleiben«, hofft die Hausfrau Hanafia Mitwalli aus dem ärmlichen Stadtviertel el-Saischida, »denn der Staat hat wieder genug Geld, um uns mit billigen Hähnchen und Speisefett zu versorgen.«

In Wahrheit geben die Amerikaner das Geld -- rund eine Milliarde Dollar im Jahr -- als Zivil-Hilfe und liefern dabei auch noch das Fett. Denn Speiseöl und Margarine stehen außer Tabak, Chemikalien und Kunstfasern auf einer Wunschliste des Kairoer Industrieministeriums.

Vorsichtig versucht nun die Regierung, die hohen Erwartungen wieder etwas zurückzuschrauben. »Selbst wenn der Friede über Nacht kommt«, mahnte Gamal el-Nasir, Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, »dann bricht der Wohlstand nicht schon am nächsten Morgen aus.«

Und »Al Ahram«, die halbamtliche Zeitung der Hauptstadt, erinnert die Ägypter:, Nun erst beginnt der Kampf um den Aufbau und die Verbesserung der Lebensbedingungen.«

Der muß an allen Fronten geführt werden. Denn drei Jahrzehnte ständiger Einschränkungen, pausenloser Durchhalte-Appelle haben die Psyche der Ägypter genauso belastet wie die Wirtschaft und die Infrastruktur ihres Landes. »Am schlimmsten«, sagt der angesehene Kairoer Kolumnist Mustafa Amin, »steht es mit unserer Arbeitsmoral. Wir müssen wieder lernen, was es heißt, gern zu arbeiten.«

Das wird schwerfallen bei den schlecht bezahlten Angestellten der Staatsbetriebe, die durchweg hohe Defizite produzieren. Bonns Ex-Finanzminister und Sadat-Berater Alex Möller hatte vorgeschlagen, sie durch die Einführung kapitalistischer Leistungsprinzipien auf Vordermann zu bringen.

Insbesondere müßte der Staatschef die Garantie abschaffen, alle Absolventen der Oberschulen und Universitäten in der Regierung zu beschäftigen. Schon heute sind über drei Millionen Ägypter als Beamte oder Angestellte im öffentlichen Dienst tätig.

Sozial noch brisanter ist die Steuerungerechtigkeit. »Das Ägypten der Nachkriegsära muß als erstes die längst überfällige Steuerreform durchführen«, verlangt ein führendes Mitglied der Arbeitergewerkschaft. Die neureichen Geschäftsleute sind Meister im Fälschen ihrer Einkommenserklärungen.

Obgleich der ägyptische Staat ihnen Regierungsjobs garantiert, wandern Tausende von Schul- und Universitäts-Absolventen aus -- am liebsten nach Saudi-Arabien und Libyen, wo sie oft das Zwanzigfache ihres ägyptischen Lohns verdienen. Insgesamt sind 1,7 Millionen Ägypter im Ausland tätig, allein 41 000 als Staatsbeamte in Kuweit. Sie überweisen jährlich 1,2 Milliarden Dollar in ihre Heimat.

»Besorgen Sie mir ein Visum«, wünschen sich ägyptische Studenten oft von ausländischen Besuchern, »egal wohin, nur fort von hier.«

Der Drang ins Ausland hat zur Folge, daß gutgeschulte Fachkräfte fehlen. Bauunternehmer und Sadat-Schwiegervater Osman Ahmed Osman klagt: »In der Suezkanal-Zone kriege ich keine Bauarbeiter mehr.« Und in Heliopolis, Kairos nördlichem Vorort, fragte eine Hausfrau: »Ob uns der Frieden wohl wieder einen Klempner in unser Stadtviertel bringt?«

Landflucht, verbesserter Bildungsstand sowie die zunehmende Emanzipation der Frau führten zwar zu einer Senkung des Bevölkerungswachstums von 3,2 auf 2,3 Prozent. Dennoch nimmt die Zahl der Ägypter (heute fast 40 Millionen) stärker zu, als das Land es verkraften kann, und sie wird weiter steigen, denn einmütig verdammen islamische wie auch koptische Geistliche die Pille.

Sadat weiß auch, wo noch Platz ist. »Ägyptens Zukunft liegt in der Wüste«, versucht er seinen Landsleuten zu erklären. Denn wegen der sieh ausweitenden Städte ist die Agrarfläche sogar noch gesunken.

Das Agrarland Ägypten muß seine landwirtschaftliche Produktion anheben, verlangt die Weltbank. Das Geld dafür soll es vom Friedenshaushalt von elf Milliarden Pfund (52,8 Milliarden Mark) abzweigen. Sadat hofft dabei insbesondere auf Hilfe der USA und nannte seinen eigenen Hilfsplan flugs »Carter-Plan«. Danach sollen die USA, aber auch Japan und die Bundesrepublik, Ägypten in den nächsten fünf Jahren zehn bis 15 Milliarden Dollar zur Überbrückung der größten Engpässe zur Verfügung stellen.

Die US-Industrie interessiert sieh vor allem für den Ölsektor, und da hat Ägypten auch immer mehr zu bieten. Im vergangenen Jahr exportierte das Land bereits Rohöl für 500 Millionen Dollar. Für dieses Jahr werden sogar Einnahmen von knapp einer Milliarde Dollar erwartet.

Ägypten hat gute Aussichten, zu einer mittleren Ölmacht aufzusteigen, vor allem da Israel sieh auch bereiterklärt hat, das ergiebige maritime Ölfeld von Alma, südlich der Sinai-Halbinsel, an Ägypten herauszugeben. Dieses von den Israelis entdeckte Feld lieferte bisher allein ein Drittel des israelischen Gesamtverbrauchs.

Auch die Möglichkeit zur raschen Entwicklung solcher Ölvorkommen im Roten Meer war für Ägypten ein wichtiger Grund, die Friedensverhandlungen mit Israel voranzutreiben. Denn die Erschließung der eigenen Naturschätze verringert die Abhängigkeit von den Geldgebern aus den Ölstaaten.

Israel hinterläßt auf der Sinai-Halbinsel fast seine gesamte Infrastruktur -- Straßennetz, Wasserleitungen, Stromanlagen, Häuser, Flugplätze sowie die touristischen Einrichtungen in Seharm el-Scheich und den Feriendörfern an der Eilat-Bucht. Geschätzter Wert der israelischen Sinai-Hinterlassenschaft: vier Milliarden Dollar.

Und Ägypten scheint entschlossen, die israelischen Anlagen voll auszunutzen. Die Annullierung der finanziellen Unterstützung Ägyptens durch die arabischen Vertragsgegner wird deshalb in Kairo heruntergespielt.

Ägypten erhält von den Arabern nur knapp 25 Prozent der Mittel, die es von den USA, Westeuropa und internationalen Organisationen bekommt. Auch macht der Außenhandel mit den fünf arabischen Ländern nur sechs Prozent des Gesamtvolumens aus.

»Die Bagdad-Beschlüsse der arabischen Finanzminister waren für uns kein Schock«, behauptet deshalb Wirtschaftsminister el-Saih. »Wohl auch deshalb nicht, weil die Ägypter insgeheim doch hoffen, daß die Gelder der Ölländer auch weiterhin fließen.

Zehn Milliarden Dollar haben die Ölaraber bisher auf Konten am Nil deponiert, doch höchstens zwei Milliarden könnten sie kurzfristig wieder abziehen.

»Welcher Syrer und Iraki kann denn beurteilen«, meinte ein hoher Beamter des Finanzministeriums zum SPIEGEL, »ob sich die eingeschüchterten Saudis oder Kuweitis an ihre Zusagen halten und uns überhaupt nichts mehr zukommen lassen werden?«

So sicher sind sich die Ägypter in ihrer Gewißheit, daß sie schon jetzt die ersten Wirtschaftsbeziehungen mit Israel anknüpfen. So wurde vor kurzem bereits eine gemeinsame Touristik-Gesellschaft gegründet, die »Salom« heißt (gebildet aus dem hebräischen »Schalom« und dem arabischen »Salam"). Die Gesellschaft will direkte Besucher-Tourneen zwischen beiden Ländern arrangieren. Außerdem plant sie ein Bungalow-Feriendorf für Israelis an der Küste bei Alexandria.

Ob Ägypten aber seine inneren Probleme meistert, erscheint vielen als fraglich. Minister Gamal el-Nasir gibt sich bedenklich:,, Es ist leichter, im Krieg zu planen als im Frieden. Denn zu Friedenszeiten fällt ja das Argument »Krieg' aus -- und das war der beste Kleiderbügel, an dem wir unsere Unzulänglichkeiten aufzuhängen pflegten.«

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