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ARABER / EINHEIT Ägyptische Invasion

aus DER SPIEGEL 47/1970

Drei Araber-Führer begründeten einen Staatenbund -- um einen toten Kameraden zu ersetzen.

Feierlich bekundeten der Libyer Gaddafi, der Ägypter Sadat und der Sudanese Numeiri am vorletzten Sonntag, daß sie ihre drei nordafrikanischen Araber-Staaten fortan im Triumvirat regieren wollen.

Zu diesem großen »historischen Schritt« zwang sie nach eigenem Bekunden der Tod Nassers. »Die arabische Welt«, so das Kommuniqué der Bündnis-Architekten, »hat mit Präsident Nasser einen Mann verloren, dessen Gegenwart allein für die arabischen Völker ein Symbol der Einheit war.«

Ob freilich der neue Staatenbund das Einheitssymbol Nasser ersetzen kann, ob er einen »neuen Impetus« (so das Kommuniqué) geben wird, scheint zweifelhaft. Denn alle Versuche, den Traum der arabischen Einheit durch Staatenzusammenschlüsse zu verwirklichen, schlugen bislang fehl.

Nur dreieinhalb Jahre, von 1958 bis 1961, hielt die von Ägypten und Syrien gebildete »Vereinigte Arabische Republik« WAR). Schon nach sechs Monaten zerbrach 1958 die Liaison zwischen Jordanien und dem Irak.

Beide Male waren vor allem innenpolitische Umwälzungen Ursache für den Bruch: Als im Irak 1958 König Feisal ermordet wurde, endete die irakisch-jordanische Föderation; und als 1961 syrische Nationalisten putschten, scherte Syrien aus Nassers VAR aus.

Politische Instabilität bedroht jetzt auch das neue Bündnis. Denn keiner der Triumvirn sitzt in seinem Land fest im Sattel:

* Ägyptens Sadat gilt als Kompromißkandidat zwischen linken und rechten Kairoer Führungscliquen.

* Libyens Gaddafi wird von Widersachern in seinem Revolutionsrat bedroht.

* Der Sudanese Numeiri kämpft gegen aufständische Negerstämme im Süden und muß sich gegen die mächtige politisch-religiöse Mahdi-Sekte zur Wehr setzen.

Alte Feindschaften zwischen den Nachbarvölkern überschatten zudem den Einheitswillen der Staatschefs. Zwar ergänzen sich die Staaten ideal: Libyen (zwei Millionen Einwohner) und der Sudan (15 Millionen) brauchen dringend Fachkräfte, die das mit 33 Millionen Menschen bevölkerte Ägypten im Überfluß hat. Doch Libyer wie Sudanesen fürchten, dabei unter die Vorherrschaft der Ägypter zu geraten.

Noch immer ist im Sudan die Erinnerung an die Schreckensherrschaft der Ägypter im vorigen Jahrhundert wach. 60 Jahre lang, von 1821 bis 1881, herrschte Kairo mit despotischem Terror über das Land am Oberlauf des Nils. Hunderttausende Sklaven wurden von den Ägyptern verschleppt.

1953 erwies sich, daß die Sudanesen den Ägyptern noch nicht vergeben haben: Als der damalige ägyptische Präsident Nagib zur Eröffnung eines (Übergangsparlaments nach Khartum kam, demonstrierten Zehntausende; es gab über hundert Tote; vorzeitig reiste Nagib wieder ab.

Heute grollen vor allem die Nubier den Ägyptern: Ein großer Teil dieses

* Erste Veröffentlichung über das Massaker in »The Plain Dealer, Cleveland, Ohio.

Volks, das im Norden des Sudan siedelte, mußte vor wenigen Jahren in den Süden des Landes ziehen -- auf der Flucht vor den Wassern des ägyptischen Assuan-Stausees.

Noch unbeliebter als im Sudan sind die Ägypter in Libyen. Kairo, so argwöhnen viele Libyer, geht es letztlich nicht um die arabische Einheit, sondern nur ums Geld -- um die rund vier Milliarden Mark jährliche Erdöleinnahmen der Libyer und um Posten für Ägyptens zahlreiche Arbeitslose.

Seit der Machtübernahme der linken libyschen Militärjunta im September letzten Jahres wandern jeden Monat tausende Ägypter, die im Niltal keinen Job finden, in das reiche Ölland. 35 000 Ägypter arbeiten heute bereits in Libyen -- Lehrer, Verwaltungsfachleute, Ingenieure, Wissenschaftler, Ärzte, Kinderschwestern und Straßenfeger.

Die Ägypter sitzen heute in höchsten Positionen: Der Präsident und zwei von sechs Beisitzern des Obersten libyschen Gerichtshofs sind Ägypter; eine Expertenkommission zur Neuorganisation des libyschen Nachrichtendienstes wird von einem Ägypter geleitet. Schon klagen die Libyer über eine »ägyptische Invasion«.

Wie wenig sie die Ägypter mögen, demonstrierten die Libyer letzten Juli, am ägyptischen Nationalfeiertag: Die ägyptische Flagge wehte auf allen öffentlichen Gebäuden -- aber auf keinem einzigen Privathaus.

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