PROZESSE / PETER BRANDT Ähnliche Wege
Zwei Minuten vor zwei Uhr betrat eine rotblonde Protokollführerin den Saal 101 des Moabiter Justizpalastes zu Berlin, nahm am Richtertisch Platz und verhüllte von Amts wegen ihre modisch-freien Beine mit einem langen Talar. Punkt zwei erschien die grauhaarige Amtsgerichtsrätin Luise Maria Veith, 61, und verbreitete mütterliche Milde.
Das schwache Geschlecht sprach -- am Donnerstag letzter Woche -- über einen jungen Rebellen Recht: den Studenten Peter Brandt, 19, den Erstgeborenen des Bundesaußenministers Willy Brandt. Die Staatsanwaltschaft hatte den eigenwilligen Ministersohn des »Auflaufs« angeklagt.
Zweimal in einem halben Jahr war der sozialdemokratische Jung-Genosse mit der Polizei seines Parteifreundes, des Berliner Innensenators Kurt Neubauer, in Konflikt geraten, weil er sich gemeinsam mit anderen Studenten an nicht genehmigten Demonstrationen beteiligt hatte -- am 27. November vergangenen Jahres gegen die Inhaftierung des Kommunarden Fritz Teufel und am Ostersonnabend dieses Jahres nach dem Dutschke-Attentat.
Er habe sich in einer Nothilfe-Situation befunden, erläuterte der Soziologie-Student in Jeans und Strickjacke dem Gericht. Denn seiner Meinung nach sei Fritz Teufel widerrechtlich in Haft gehalten worden. Deshalb habe er, Peter Brandt, es für seine Bürgerpflicht gehalten, öffentlich auf diesen Mißstand hinzuweisen.
In dieser Überzeugung schrie der rote Peter im November vor dem Berliner Kriminalgericht auch dann noch »Freiheit für Teufel«, als die Polizei schon mehrfach zur Räumung der Straßen aufgefordert hatte. Brandt Junior: »Mehrfache Warnungen habe ich nicht gehört.«
Richterin Veith mochte das »unserem Angeklagten« nicht glauben. Und für sie stand »auf Grund der Akten, die hier vorgelegen haben«, auch außer Zweifel, daß Teufel zu Recht einsaß. Doch »mit einer solchen Mappe«, fand Frau Veith, hätte wohl nicht einmal Vater Brandt seinen Sohn überzeugen können, denn: »Er und sein Vater haben zwei grundverschiedene Meinungen.«
Mit dieser Bemerkung spielte die Amtsgerichtsrätin auf den Generationskonflikt im Hause Brandt an. Als Willy Brandt noch im Schöneberger Rathaus residierte, stand Peter, der Marx wie Marcuse verehrt und sich Trotzkist nennt, bereits gegen Papa und Partei.
1964 störte er zusammen mit »Falken«-Freunden die politische Eintracht der Berliner Maifeier und pfiff Bundeskanzler Erhard aus. Der schmächtige Peter predigte Toleranz für Gammler, forderte den freien Verkauf der Anti-Baby-Pille und trieb als Darsteller im Günter-Graß-Film »Katz und Maus« Spiele mit dem Ritterkreuz.
Als die SPD die Große Koalition einging und sein Vater der Bundesregierung beitrat« rief Peter Brandt während einer Protestkundgebung: »Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten.«
Vater Brandt tröstete sich »augenzwinkernd«, wie »Zeit«-Interviewer Werner Höfer vermerkte, letzte Woche: »Es hat sich noch nicht herumgesprochen, wie viele Kinder anderer Väter aus den höheren Bereichen der Politik und der Bürokratie, quer durch alle Parteien und Ressorts« auf ähnlichen Wegen sind wie mein Sohn.«
Peter Brandt war auch Ostern unterwegs gewesen mit Demonstranten, die ihrem Zorn über Dutschke-Attentat, Springer-Presse und SPD-Senat Luft machten. Am Karsamstag ging er mitsamt 300 anderen Protestanten in der Meinckestraße nahe dem Kurfürstendamm in eine Polizeifalle, wurde vorübergehend festgenommen und Ende Mai, zugleich wegen der Teufel-Demonstrationen, vor Gericht gestellt, Auch bei diesem Oster-Auflauf, entschied Richterin Veith letzte Woche in der Urteilsbegründung, hätte sich ihr Angeklagter rechtzeitig entfernen können.
Peter Brandt hatte durch seinen Verteidiger das Gericht bitten lassen, als Erwachsener behandelt zu werden -- was ihm eine Gefängnisstrafe hätte eintragen können. Die Amtsgerichtsrätin Veith jedoch befand: »Das Gericht ist der Überzeugung, daß der Angeklagte in geistiger Hinsicht seinem Alter voran ist. Charakterlich-sittlich ist er aber einem Jugendlichen gleichzusetzen.«
So beweise schon die Ansicht Peter Brandts, die Inhaftierung Fritz Teufels sei unrechtmäßig gewesen, zuviel Unreife« als daß er mit einem Erwachsenen gleichgestellt werden könne. Von kindlicher Unreife zeuge ferner seine Protesthaltung gegenüber dem Vater.
Die Richterin verurteilte »den Herrn Brandt« als »Heranwachsenden« gemäß Jugendgerichtsgesetz: zu zwei Wochen Dauerarrest, damit er »gründlich über alles nachdenken kann«.