KRIMINALITÄT Ähren im Wind
Im November letzten Jahres glaubten Hamburgs Polizei-Obere, so Innensenator Alfons Pawelczyk, »einen schweren Schlag gegen das organisierte Verbrechen« gelandet zu haben: Bei einer bundesweiten Razzien- und Festnahmeaktion waren 19 als Unterweltler verdächtige Personen ergriffen worden.
Als größten Fang präsentierten die Beamten den Hamburger Gastronomen Wilfrid ("Frieda") Schulz, 55. Der einstige Reeperbahn-Emporkömmling und »Pate von St. Pauli«, so sein Illustriertentitel, war immer wieder mal in den Ruf geraten, ein Big Shot der Hamburger Halbwelt zu sein. Doch alle Verdächtigungen durchstand er, wie die »FAZ« schrieb, als ein Mann, dem »vieles zuzutrauen, doch wenig nachzuweisen« war.
Vor allem aufgrund einer halbjährigen Telephonüberwachung, begründet mit dem Verdacht auf Bildung einer kriminellen Vereinigung, wurde das Verfahren gegen Schulz und seine Freunde immer weiter ausgedehnt - zuletzt auf 60 Personen und 22 Ermittlungsverfahren mit jeweils bis zu 20 Beschuldigten. Eine Latte von Strafvorwürfen kam zusammen, darunter Menschenhandel, Falschspiel, Rauschgiftdelikte und Bestechung.
In Haft jedoch sind längst nur noch Schulz und dessen Weggefährte »Dakota-Uwe« Carstens. Und die Anklage, über die seit dem 20. Dezember vor einer Hamburger Landgerichtskammer verhandelt wird, ist auch geschrumpft.
Der von vierzehnmonatiger Isolierhaft gesundheitlich angeschlagene Schulz ist nun vor allem wegen Steuerhinterziehung und Förderung der Prostitution angeklagt. Zudem wird ihm die Fälschung von Bootsführerscheinen zur Last gelegt, mit denen er seine 200 000-Mark-Jacht »Sea Ray« schippern wollte.
Daß sich vor Gericht nicht umsetzen läßt, was Polizei und Staatsanwälte über Schulz zu wissen meinen, ist nicht neu. Eine Hamburger Sonderkommission, die sich mit der organisierten Unterwelt befaßte, hat zwar zahlreiche Ermittlungsakten angelegt, unter anderem über Rauschgift-Delinquenz, Falschspiel und über Schulz-Kontakte zur US-Mafia. Als gerichtsverwertbar aber erwies sich
nichts davon. Selbst ein Wanzen-Einsatz gegen Schulz brachte außer einer Senatsaffäre (SPIEGEL 39/1982) nichts ein.
Zwei Dutzend Strafverfahren hatten einst die St.-Pauli-Karriere des früheren Bar-Rausschmeißers begleitet. Nur einmal wurde Schulz verurteilt, wegen Steuerdelikten, ansonsten gab es Freisprüche und Einstellungen - Zeugen waren umgefallen, Strafanträge zurückgezogen worden.
Die wilden Reeperbahn-Zeiten, als stets der Name Schulz fiel, wenn von Zuhälterkriegen und Femegerichten die Rede war, sind freilich längst vorüber. Schulz zog sich weitgehend vom Kiez zurück ("Wie ich es meinem Vater versprochen habe") und erwarb im Hauptbahnhofsviertel St. Georg das Animierlokal »Cherie«.
Schulz bezog eine Villa im noblen Blankenese und bemühte sich, einen neuen Stil zu pflegen. Gelegentlich jedoch rutschte er beim Versuch, der erstrebten Reputation gerecht zu werden, noch aus: Seine breitgestreiften Sakkos wurden belächelt, und auch eine Box"Gala« im Congress-Centrum der Hansestadt brachte keine Aufwertung. Hamburger Ermittler notierten: _____« Was sich wieder einmal wie ein Versuch anließ, » _____« endlich Zugang in die zurückhaltenden Hamburger » _____« Gesellschaftskreise zu erlangen, erwies sich dann schnell » _____« als Treffen der Halbwelt, die dem Veranstalter die » _____« Reverenz erwies. In abenteuerlicher Aufmachung feierten » _____« die »Herren« und »Damen« einen der größten Ganovenbälle, » _____« der wohl jemals in Deutschland stattgefunden hat. »
So blieb Schulz beargwöhnter Mittelpunkt schillernder Freundeskreise. Skandal machte seine Beziehung zum Hamburger Kriminaldirektor Hans Zühlsdorf, der immer wieder verdächtigt wurde, »Friedas Mann« zu sein. Auch US-Bürger mit italienischen Namen scharten sich um den Milieu-Aufsteiger.
Der bedeutendste unter ihnen war ein Giuseppe di Giorgio. Der alte Herr hatte einst, vor seiner Ausweisung aus den USA, dem legendären Mafia-Boß »Lucky« Luciano als Fahrer gedient und zeigte in Hamburg gern ein Photo von sich und seinem Chef herum. Auf St. Pauli agierte er, so Ermittlungen, als Croupier in Spielhöllen von Schulz-Freunden.
Allerdings war Giorgio ein ganz besonderer Croupier. Gewöhnliche St.-Paulianer hatten ihn mit »Mr.Joe« anzureden. Wie ein St.-Pauli-Chronist in der Zeitschrift »Transatlantik« berichtete, erfuhr der Alte merkwürdigerweise Respektbezeigungen: »Die Portiers der Lokale verneigten sich vor ihm, und auch die Köpfe der Nutten und Eckensteher senkten sich bei seinem Namen wie Ähren im Wind. Betrat er ein Lokal, erstarrten die Eingesessenen zu einer Ehrensekunde des Schweigens.«
Als »Mr. Joe« am 8. September 1979 starb, unterbrachen viele Etablissements ihr Programm. Zu seiner Beerdigung ließen Freunde aus dem Milieu Berge von Kränzen herankarren. Auf eine Kranzschleife ließ Schulz Gereimtes drucken: _____« Ehrlich und aufrecht war Dein Leben! Vieles hast Du » _____« uns gelehrt! Nach Deinem Codex woll''n wir streben Wir » _____« haben Dich alle sehr verehrt! »
In Kontakt mit ersten Mafia-Adressen stand, wie das FBI dem Bundeskriminalamt mitteilte, auch Joseph Nesline, 70, ein weiterer US-Bekannter des »Cherie«-Eigners. Nesline war einst mit der Mafia-Größe Meyer Lansky liiert gewesen, reiste gelegentlich nach Europa, um Spielkasinos einzurichten, und gilt US-Behörden »als Finanzier bedeutender Rauschgifthändler«. Verwicklung ins Drogenmilieu freilich bestreitet Wilfried Schulz energisch: »Ich verachte diese Leute«, behauptet er, »jeder, der mich kennt, weiß das.«
Dafür ist Schulz dem Metier eines weiteren US-Bekannten um so inniger verbunden: William Ray Davis, 54, der wie sein Freund aus dem »Cherie« ein engagierter Spieler ist - und gleichfalls in zweifelhaftem Ruf steht.
Ermittler rechnen Davis einem US-Gangstersyndikat zu. Wie eng seine Verbindungen zu Hamburg sind, zeigt Davis auch, wenn er sein Toupet von einem Hamburger Friseur pflegen läßt.
Als Davis 1981 in Monte Carlo unter dem Verdacht des Falschspiels festgenommen wurde, gelang es - so die Polizei - seiner Hamburger Freundin, einige Chips im Werte von 600 000 Franc zu retten. Die fanden sich während der November-Razzia in der Kanzlei des Rechtsanwalts Hans Ewerwahn, der auch Schulz schon vertreten hat.
Verdächtigungen wie die, Schulz und Freunde hätten im Auftrag der US-Mafia von Hamburg aus das illegale Glücksspiel in der Bundesrepublik kontrolliert, weist Schulz zurück. Er stellt sich als Zocker dar, den nur Spielleidenschaft ständig ins Visier von Ermittlern gebracht habe.
Ob Klaberjaß, Backgammon oder Bakkarat - der »Cherie«-Wirt machte gern eine Partie. Hamburger Staatsanwälte versuchen herauszufinden, ob dabei im großen Stil Spieler mit manipuliertem Gerät abgezockt worden sind.
Fest steht, daß Schulz oft bei Razzien in illegalen Spielklubs in Berlin, München und Düsseldorf angetroffen worden ist. »Persönlichkeiten aus der Unterwelt« der Städte waren, berichtet ein Hamburger Ermittler, »stets zugegen«. _(Bei Prozeßbeginn am 20. Dezember. )
Bei Prozeßbeginn am 20. Dezember.