KONGO Afrikas ewiger Krieg
Oliver Gertz, Buchhalter der deutschen Botschaft im kongolesischen Kinshasa, wurde am vergangenen Freitag etwas unsanft aus dem Schlaf gerissen. Das Geknatter von Maschinengewehren und die wummernden Einschläge von Granaten hallten durch die Straßen der kongolesischen Hauptstadt.
Über das staatliche Radio verkündete eine Rebellentruppe, die offenbar aus Offizieren der Präsidentengarde bestand, den Sturz der Regierung. Das war etwas voreilig. Denn bald rasselten Panzer durch Kinshasa und bereiteten dem Spuk ein vorläufiges Ende. Fortan sendete der Staatsrundfunk nur noch Unterhaltungsmusik. Internationale Flüge wurden gestrichen.
Mit diesem Umsturzversuch ging im Kongo eine turbulente Woche zu Ende: Erst hatten von Ruanda unterstützte Milizen die im Osten gelegene Handelsstadt Bukavu besetzt und unter den Augen untätiger Uno-Soldaten Frauen geschändet und Geschäfte geplündert. Tags darauf wiederum erschossen Vertreter der Völkerfamilie aufgebrachte Kongolesen, die sich anschickten, das Uno-Hauptquartier in Kinshasa zu stürmen - aus Empörung über die Passivität der Blauhelme.
Spätestens seit dieser neuen Gewalteskalation ist klar, wie weit der Kongo noch immer vom viel beschworenen Frieden entfernt ist. In der Vergangenheit hatten die Repräsentanten der Vereinten Nationen ihre Tatenlosigkeit angesichts der früher schon im nordöstlichen Bezirk Ituri begangenen Gräuel mit einem fehlenden Mandat und notorischer Unterbesetzung entschuldigt: Angeblich waren vor allem die Uruguayer nicht ermächtigt einzugreifen.
Jetzt verfügt die Uno über knapp 11 000 Blauhelme im Kongo und auch über die Befugnisse, kriegerische Handlungen zu unterbinden. Teil des Mandats sind der »Schutz von Zivilisten unter unmittelbarer Bedrohung durch körperliche Gewalt« und die »Verbesserung der Sicherheitslage in Gebieten, in denen humanitäre Hilfe geleistet wird«, dennoch überlässt die Uno-Truppe die von Milizionären tyrannisierte Bevölkerung ihrem Schicksal.
So dürfte, obwohl die Rebellen unter Führung von General Laurent Nkunda Bukavu nach einigen Tagen kampflos wieder verließen, dem Kongo ein neuer Krieg bevorstehen. Die Vereinten Nationen zumindest haben bewiesen, dass sie nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, das Gemetzel an kongolesischen Zivilisten zu unterbinden. Sie bleiben passiv und unentschlossen wie schon bei den Massakern im bosnischen Srebrenica oder beim Völkermord 1994 in Ruanda.
Der Kongo, reich an Rohstoffen wie Gold, Kupfer, Diamanten oder Coltan, hat sich längst zum blutigsten Schlachtfeld der Gegenwart entwickelt. Seit 1998 sollen auf den kongolesischen »Killing Fields« zwischen drei und fünf Millionen Menschen gestorben sein, und ein Ende des Grauens scheint nicht in Sicht.
Insbesondere Kongos Nachbarland Ruanda, fast 90-mal kleiner als der Riese, schürt die Kämpfe. Unverhohlen droht Präsident Paul Kagame seit Wochen damit, neuerlich Truppen in das Nachbarland zu schicken.
Damit hat Ruanda Erfahrung. Bereits zweimal, 1996 und 1998, führte der Zwergstaat dort einen Krieg. Erst stürzte seine Soldateska Kongos Kleptokraten Mobutu Sese Seko. Später scheiterte sie bei dem Versuch, Staatschef Laurent Kabila aus dem Amt zu jagen, weil der zwischenzeitlich Unterstützung von verbündeten Truppen aus Namibia, Simbabwe und Angola bekam.
Auch die Rebellen, die jetzt Bukavu einnahmen, wurden von Kigali aus unterstützt. So berichteten Augenzeugen, dass die Marodeure über ruandische Truppentransporter verfügten und ruandische Versorgungsschiffe den Kivu-See überquerten.
Die Milizionäre, die jüngst Bukavu terrorisierten, sind in der kongolesischen Bevölkerung verhasst. Sie nennen sich »Banyamulenge« und gehören dem Volk der Tutsi an.
Seit Ruanda im Kongo Krieg führt und die Rebellentruppe RCD-Goma steuert - die sich kurioserweise »Sammlungsbewegung für Demokratie« nennt und mittlerweile gar einen von Kongos Vizepräsidenten stellen darf -, kämpfen die Banyamulenge an der Seite ihrer ruandischen Verwandten.
Dabei wird die Führung in Kigali erst durch Unterstützung von westlichen Industrienationen in die Lage versetzt, den Kongo so hemmungslos zu plündern und die örtliche Bevölkerung zu morden.
Obwohl Paul Kagame die letzten Wahlen mit 95 Prozent der Wählerstimmen gewann (unter anderem, weil er die größte Oppositionspartei verboten und seinen Herausforderer massiv behindert hatte) und seine Truppen zeitweilig sogar ein Drittel des Kongos besetzt hielten, ist Ruandas Junta ein Lieblingskind deutscher Entwicklungshilfe. In sieben Jahren flossen knapp 140 Millionen Euro aus der Bundesrepublik.
Erst vor kurzem zelebrierte Kigalis Tutsi-Regierung für Millionen US-Dollar das zehnjährige Gedenken an den Genozid von 1994 - bei dem damals die Hutu-Mehrheit innerhalb von 100 Tagen die Tutsi-Minderheit abschlachtete - und genoss internationale Anteilnahme. Niemand fragte da nach den Millionen Kongo-Toten.
Denn erst das viele Geld aus der internationalen Entwicklungshilfe, die zeitweilig über 90 Prozent des ruandischen Staatshaushalts ausmachte, macht den afrikanischen Ministaat potent - und ermöglicht es ihm, eine hochgerüstete Armee zu unterhalten, die in der Lage ist, in wenigen Wochen bis ins ferne Kinshasa zu marschieren.
Ruandas Tutsi-Diktatur ist Nutznießer des schlechten Gewissens der Weltgemeinschaft. Denn die sah vor zehn Jahren hilflos zu, wie die mehr als 800 000 Angehörigen des Hirtenvolks der Tutsi massakriert wurden. Nun aber finanziert sie Paul Kagames Kriegerkaste in Kigali, ohne zu überprüfen, ob die auch nur im Mindestmaß demokratische Prinzipien anzuwenden bereit ist.
Europas Hilfe für Ruanda ist absurd. Während ein Autokrat wie Simbabwes Präsident Robert Mugabe öffentlich an den Pranger gestellt wird, weil die Opfer seiner Enteignungspolitik Weiße sind, darf Kagames Tutsi-Truppe ungestört einen großen Teil Zentralafrikas tyrannisieren.
Dabei glaubt ein französischer Untersuchungsrichter inzwischen sogar herausgefunden zu haben, dass Paul Kagames Tutsi-Guerilla am 6. April 1994 das große Massaker in Ruanda mit ausgelöst hat: Von Uganda aus operierend soll sie jenes Flugzeug abgeschossen haben, in dem Ruandas damaliger Präsident Juvenal Habyarimana und sein burundischer Kollege Cyprien Ntaryamira saßen. Damit habe sie den Hutu einen willkommenen Vorwand geliefert, ihre lang geplante Mordkampagne loszutreten. Aber auch solche Erkenntnisse beeindrucken die internationale Gemeinschaft nicht.
Der Völkermord vor zehn Jahren ist denn auch Kigalis Standardargument zur Begründung der blutigen Streifzüge im Nachbarland Kongo. Denn noch immer halten sich Angehörige der brutalen Hutu-Interahamwe-Milizen dort versteckt. Mit der angeblichen Suche nach diesen »Völkermördern« werden die Plünderungen gerechtfertigt, die oft ganz unverfroren in aller Offenheit stattfinden.
Gerade in letzter Zeit häuften sich die Drohungen aus Kigali, wieder im Kongo aktiv zu werden. Auch Uganda, wie Ruanda ein Lieblingskind europäisch-amerikanischer Anteilnahme und ebenfalls einer der wichtigsten Profiteure des kongolesischen Rohstoffreichtums, kündigte derweil eine erneute Truppenentsendung ins Nachbarland an.
Auch wenn die von Ruanda gestützten Milizen vorige Woche das ostkongolesische Bukavu wieder verlassen mussten - ihr Überfall erschütterte das 1500 Kilometer entfernt liegende Kinshasa: Die Rebellion hatte die kongolesische Regierung schlagartig geschwächt. Unzufriedene Teile der Präsidialgarde nutzten die Situation - diesmal noch vergebens. THILO THIELKE