PROZESSE / LASKAWY Ah und Oh
Rechtsanwalt Dr. Erich Schmidt-Leichner erhob sich gemessen vom Verteidigersitz im Schwurgerichtssaal 146 a des Frankfurter Landgerichts, blickte verheißungsvoll auf das Publikum hinter der Holzbarriere und wandte sich langsam, auf Wirkung bedacht, dem Vorsitzenden der 6. Strafkammer zu.
Dann sprach er: »Es kann zu Protokoll genommen werden, daß nach Ansicht des Verteidigers der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft schwerhörig ist und nicht die nötigen Rechtskenntnisse besitzt. Wenn er der Sache nicht gewachsen Ist, möge er den Saal verlassen.«
Landgerichtsdirektor Hans Vollhardt ließ protokollieren, die Beisitzer In Rohe und Zivil starrten verlegen vor sich hin, Staatsanwalt Dr. Armin Schereit, dem der Auftritt galt, wühlte blaß und kopfschüttelnd in seinen Akten.
Die Szene war beispielhaft. Zwei Monate lang lieferte der renommierte Frankfurter Strafverteidiger eine Art Perry-Mason-Persiflage -- er zog überraschend Photos und Briefe aus dem Robenärmel, brachte Zeuginnen zum Weinen, stellte flüsternd Fangfragen, attackierte wechselweise die Zuhörer oder den Staatsanwalt und stürmte während einer Verhandlung aus dem Saal, um eine -- zuvor abgelehnte -- Sitzungspause zu erzwingen.
Schmidt-Leichners rhetorische und mimische Darbietungen machten zuweilen vergessen, wer eigentlich die Hauptrolle vor dem Tribunal spielen und wem der Großeinsatz freilich legitimer advokatischer Hilfsmittel gelten sollte: der ehemaligen Strumpfgroßhändlern Maria Laskawy, 44, angeklagt der schweren Körperverletzung und der Verletzung der Obhutspflicht.
Auge in Auge saß der Angeklagten die Hauptbelastungszeugin und Nebenklägerin gegenüber, die frühere Laskawy-Hausgehilfin Adele Zammert, 22. Im Januar 1967 war das Mädchen, das damals noch Jäger hieß, von Polizei und Fürsorgern aus der Wohnung des Ehepaares Paul und Maria Laskawy an der Frankfurter Nußzeil Nr. 40 herausgeholt worden -- ausgemergelt und verschmutzt, voller Narben und Wunden.
Adele Jäger, die seit 1962 in den Diensten von Maria Laskawy stand, wog nur noch 36,4 Kilogramm, die Amtsärzte schlossen auf jahrelange schwere Mißhandlungen und Unterernährung. Die Aussagen des Mädchens, das erst nach Flucht und Anzeige einer ebenfalls gequälten und eingesperrten Arbeitskollegin aus dem Hause Laskawy befreit wurde, beflügelte »Bild« schon im Januar 1967 zu einem Schlagzeilen-Vorwurf, der Maria Laskawy fortan anhaften und dem Prozeß seinen Namen geben sollte: »Das ist die Folterhexe!«
Adele Jäger gab an, von ihrer Herrin mit der Hand, mit dem Kochlöffel, mit dein Schuh und gar mit einem Brett auf Rücken, Arme und Kopf geschlagen worden zu sein. Vor Gericht schilderte sie, wie sie in der Waschküche, kniend über einen Holzbock gebeugt, gezüchtigt worden sei: »Wenn ich bat, sie solle aufhören, schlug Frau Laskawy nur noch fester zu.«
Adele Jäger war 1962 aus besonders ungünstigem Familienmilieu ins Haus Laskawy gekommen. Ihr Vater habe damals -- so der psychiatrische Sachverständige, Medizinaldirektor Dr. Helmut Lechler -- das Mädchen bei Frau Laskawy schon mit der Warnung abgeliefert und damit ihre Einstellung mitbestimmt: »Das Kind ist verdorben, genau wie die Mutter.«
Und Fachkollege Professor Habauer hielt es in seinem Gutachten für erwiesen, daß Adele schon im Elternhaus als »seelisch und körperlich verkümmertes Kind« aufwuchs und ihr eigenes »negatives Mutterbild« auf die Angeklagte übertragen hat. So sei ein »abnormes Spannungsverhältnis« entstanden, das allein schon körperliche und seelische Schäden zwangsläufig hervorrufen mußte.
Nach den Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft beschäftigte Maria Laskawy -- die früher eine attraktive Serviererin, mit einem Ex-Piloten der Reichsluftwaffe verehelicht und in Würzburg laut »Stuttgarter Zeitung« eine »der schillernden Figuren Im deutsch-amerikanischen Fraternisierungsbetrieb der Vorwährungszeit« war -- ständig mehrere zum Teil minderjährige Mädchen für untergeordnete Arbeiten Im Haushalt und im Büro ihres zweiten Mannes, des Strumpfgroßhändlers Paul Laskawy.
Die meisten Laskawy-Dienstboten bestätigten das Martyrium der Adele Jäger und berichteten aus eigenem Erleben von Strafaktionen und Tätlichkeiten während ihrer Zeit bei Maria Laskawy.
Die Zeugin Dora Macht erinnerte sich: »Wenn Frau Laskawy einen anguckte, dann waren da nur Augen, die drangen durch und durch. Ich wollte mehrmals weg von ihr, aber sie holte mich immer wieder zurück, durch Drohungen und Schmeicheleien. Ich war Ihr hörig.«
Unter einer gewissen Hörigkeit -- nicht etwa sexueller Art, wie die Ermittlungen ergaben -- standen offenbar alle Mädchen, die Maria Laskawy vorwiegend über Zeitungsinserate engagierte. Sie forschte dann geschickt nach dunklen Punkten in der Vergangenheit der Bewerberinnen und stieß dabei auf uneheliche Kinder, Prostitution, Schulden oder polizeiliche Fahndungen, etwa wegen Unterhaltspflichtverletzung oder Fehlen eines festen Wohnsitzes.
Danach zwang Maria Laskawy die meist verängstigten Mädchen in ein Abhängigkeitsverhältnis -- sie gewährte karge Kost und Logis; mitunter auch abgelegte Kleider, sie zahlte gar nichts oder wenig, und sie animierte die ansehnlichsten ihrer Untermieterinnen zur Arbeit in Bars oder Fabriken.
Vor Polizei und Gericht freilich bestritt die Mädchen-Halterin alle Vorwürfe. Dafür bekundete die Zeugin Carola Franzen, die einst auch der Laskawy untertan war: »Wenn die Frau das Maul aufmacht, lügt sie. Das kann die Presse schreiben: Die lügt nach Strich und Faden.«
Zweimal mußte das Verfahren aufgeschoben werden, ehe Maria Laskawy genau dort saß, wo sich kurz zuvor das amerikanische Ehepaar Raymond und Birsen Birch wegen Folterung ihres türkischen Dienstmädchens Nahide zu verantworten hatten (SPIEGEL 37/1970). 1968 starb ihr mitangeklagter Ehemann Paul, und im April 1970 brach sich kurz vor Prozeßbeginn ein Gutachter beim Skilaufen das Bein.
Als dann endlich Im Oktober 1970 -- nachdem Adele Jäger schon 1969 vom Arbeitsgericht 20000 Mark Schmerzensgeld zugesprochen worden waren -Landgerichtsdirektor Vollhardt die Verhandlung eröffnete, begann für Richter und Beisitzer eine hindernisreiche Wahrheitssuche:
* Maria Laskawy beantragte sofort, aber vergeblich, die Aussetzung des Verfahrens, weil sie durch die Jahre der Haft und des Wartens krank und geschwächt sei.
* Wegen einer anonymen Bombendrohung mußte wenig später der Saal geräumt und die Sitzung vertagt werden.
* Drei Männer wurden aus dem Saal gewiesen, nachdem sie die Angeklagte auf der Straße und im Gerichtssaal beleidigt ("Böse Schlange«, »Hängt sie auf") und tätlich belästigt hatten.
* Ein Sitzungstag fiel aus, weil Maria Laskawy wegen angeblich hohem Fieber zu Bette blieb -- ein Amtsarzt registrierte nur leicht erhöhte Temperatur.
* Die Angeklagte lehnte den von Dr. Schmidt-Leichner vorübergehend als Vertreter beauftragten Rechtsanwalt Dr. Walter Matzke ab, weil sie zu ihm kein Vertrauen habe, worauf sich Matzke in der Verteidigung behindert sah und um Vertagung ersuchte.
Zudem wußte Schmidt-Leichner dem von den Ermittlungen her unzulänglich fundierten Prozeß ständig neue Wendungen zu geben und brachte schließlich gar den ersten Repräsentanten der Anklage ins Aus -- die Staatsanwältin Gisela Homann, 34.
Nachdem die Juristin dem Gericht von einer angeblichen Zeugenbeeinflussung berichtet hatte, die von Maria Laskawy bestritten wurde, wollte Verteidiger Schmidt-Leichner die Staatsanwältin im Zeugenstand unter Eid zu dem Bekenntnis zwingen, eine unrichtige Erklärung abgegeben zu haben. Nachdem seine Gegnerin -- als Zeugin -- Hörfehler und Mißverständnisse nicht ausschließen konnte, wurde sie abgelöst. Schon zuvor hatte der Verteidiger angekündigt, er wolle herausfinden, »welche geistige Spannweite diese Zeugin hat«.
Und als Homarm-Nachfolger Schoreit die Staatsanwältin als »Assistentin« wieder mitbrachte, verlangte Schmidt-Leichner ihre Übersiedlung in den Zuschauerraum -- das Gesetz kenne keine Assistentin der Anklage. Das Gericht entschied jedoch, sie könne bleiben.
Mit dem Laskawy-Ankläger Schoreit, der sich in die stattlichen Aktenberge und die psychische Konstitution der Angeklagten erst einfinden mußte, sprang der Laskawy-Verteidiger um wie mit einem Referendar.
Einwände des Staatsanwalts gegen die ihm unzulässig erscheinende Ausfrage-Technik konterte Schmidt-Leichner ungerügt mit Spott und Hohn: »Wenn die Situation nicht so ernst wäre, müßte ich jetzt laut lachen« -- »0 Gott, Herr Staatsanwalt, Sie wiederholen sich, und auch noch so schlecht« -- »Sie sollten das kleine Einmaleins der Strafprozeßordnung lernen« -- »Sie begreifen es nicht und werden es nie lernen«.
Und einmal trat der Rechtsanwalt vor den Richtertisch, deutete anklagend auf Schoreit und rief aus: »Schauen Sie sich das an, Herr Vorsitzender, das nennt sich Staatsanwalt, in allem Ernst!«
Aussagen bereits weinender oder in Widersprüche verwickelter Zeuginnen ließ sich der Verteidiger -- die Hand einem Schwerhörigen gleich ans Ohr gelegt -- vom Landgerichtsdirektor Vollhardt laut dolmetschen, nachdem er verkündet hatte: »Ich muß mich jetzt wohl entfernen, ich kann hier nicht mehr teilnehmen, ich verstehe nichts.«
Wenn er eine Belastungszeugin -- so die quicke Verkäuferin Ingrid Knoke, 28 -- mit bohrenden Fragen verwirrt hatte, meldete Schmidt-Leichner den Richtern bedauernd: »Ich halte diese Zeugin für nicht ganz gesund, sie tut mir leid.« Und zu der Feststellung, auf einem 1967 in der Laskawy-Behausung sichergestellten Brett sei Blut von Adele Jägers Blutgruppe B analysiert worden, bemerkte er: »13 Prozent aller Bundesbürger, also über sechs Millionen Menschen, gehören zu dieser Gruppe.«
Die Angeklagte war vom Einfallsreichtum ihres Anwalts gleichwohl nicht so überwältigt, daß sie ihn nicht ihrerseits gelegentlich unterbrochen hätte, ebenso wie mitunter Zeugen; der Staatsanwalt verbat sich schließlich »das ständige Seufzen und Stöhnen, das Ah und Oh« der einst platinblonden Frau, die vor Gericht eine dunkle Perücke und breitrandige Hüte trug ("damit mich die Leute nicht erkennen").
In den Verhandlungspausen ergötzte oder stieß sich die zierliche Angeklagte, die Spitzenjabots und hochhackige Pumps bevorzugte, an guten und schlechten Zeltungsphotos und korrigierte Jahre alte »Bild«-Berichte: »Habe ich vielleicht graublaue Augen?« -- sie sind tatsächlich dunkelbraun. Und beim Gang zur Toilette sprach sie Neugierige an: »Ich habe keinen Mann, kein Geschäft, kein Haus und kein Geld mehr, nur noch eine Schlafstelle.«
Zwei Tage vor Weihnachten fällten die Richter das Urteil: Zwanzig Monate Freiheitsstrafe ohne Bewährung.