GRIECHENLAND Akt der Liebe
Wenn es zwischen uns zu einem offenen Bruch kommt«, vertraute der konservative griechische Staatspräsident Konstantin Karamanlis jüngst dem SPIEGEL an, »muß einer gehen: er oder ich.«
Er - Andreas Papandreou, 66, Sozialist und Premier - bleibt. Karamanlis, 78, von den Griechen »Gott« genannt, räumte am Sonntag vorvergangener Woche den politischen Olymp.
Der »offene Bruch« war da, 67 Tage vor Ablauf von Karamanlis' erster Amtsperiode, nicht einmal eine Woche vor seiner von Papandreou zugesicherten Wiederwahl für weitere fünf Jahre.
Papandreou hatte einen anderen Kandidaten vorgezogen. Daß der politische Junior den Senior mit einer List von der Macht vertrieb, konnte Karamanlis nicht verkraften, demonstrativ trat er vorzeitig zurück.
Mit dem Wortbruch hat Papandreou das empfindliche Gleichgewicht an der Spitze des Staates erschüttert, den griechischen »historischen Kompromiß« beendet. Zwischen Links und Rechts stehen die Zeichen auf Konfrontation.
Viele Griechen packte die historisch begründete Angst vor bürgerkriegsähnlichen Zuständen und sogar vor einem Putsch der Militärs. Sie hamsterten, räumten ihre Banckonten ab.
Ein Verhältnis zwischen zwei Vollblutpolitikern unterschiedlicher Ideologie war zerbrochen, das viele Griechen lange Zeit als eine Art Vater-Sohn-Beziehung gesehen hatten.
Seinen Eintritt in die Politik Griechenlands verdankt der linke Papandreou nämlich eher dem rechten Karamanlis als seinem Vater, dem linken, späteren Premier Georgios Papandreou. Es war Karamanlis, der 1961 als Ministerpräsident den in die USA emigrierten Andreas, inzwischen Ökonomieprofessor, heimholte und ihn an die Spitze eines halbstaatlichen Wirtschaftsforschungsinstituts setzte.
Zwei Jahre später, nach schwerem Streit mit dem Königshaus, trat Karamanlis zurück und ging freiwillig ins Exil nach Paris. Im Schatten des charismatischen Nachfolgers Georgios Papandreou arbeitete sich Sohn Andreas als Politiker empor.
Seine Chance, das Erbe des Vaters anzutreten, vereitelte der Putsch der Obristen und Karamanlis. Denn nach dem Zusammenbruch der Diktatur wurde Karamanlis nach Athen zurückgerufen und ließ sich als Retter des Vaterlands feiern. In seiner sechsjährigen Amtszeit als Ministerpräsident sicherte der Konservative den unblutigen Übergang zur Demokratie. Er ließ per Referendum die Monarchie abschaffen und die Putschisten aburteilen.
Sein einstiger Schützling Papandreou junior, der als Verfolgter der Junta gleichfalls emigriert war, zunächst nach Schweden, dann nach Kanada, mußte nach seiner Rückkehr 1974 neu anfangen. Mit einem Häuflein von Genossen aus dem Widerstand gründete er seine »Panhellenische Sozialistische Bewegung« (Pasok).
Sieben Jahre später, bei den Wahlen 1981, bescherte die Parole »allaghi« (Wechsel) der Pasok 48 Prozent der Stimmen und damit die Mehrheit im Parlament. Karamanlis hatte sich, die Wende vorausahnend, im Jahr zuvor ins höchste Staatsamt abgesetzt. Die großen Präsidial-Vollmachten der Verfassung sollten ein Gegengewicht zur Linken und vor allem als Barriere gegen die gefürchteten Extratouren des Ministerpräsidenten Papandreou bilden.
Karamanlis nutzte Alter, Erfahrung und Prestige im In- und Ausland, um mit väterlichem Rat und beschwichtigendem Zureden auf Papandreou einzuwirken.
Der Präsident schirmte aber den Premier auch gegen Angriffe aus Kreisen der Armee sowie gegen das Mißtrauen des Auslandes ab. So bot er sich den Nato-Partnern, angesichts der gegen das Bündnis gerichteten Kapriolen des Premiers, gar als Garant für die Treue zur Allianz an. Daß Griechenland noch EG- und Nato-Partner ist, schreibt Karamanlis
seinem Einfluß auf Papandreou zu.
Zwar machte der Präsident nicht von seinen verfassungsmäßigen Sonderrechten Gebrauch - etwa das Parlament aufzulösen oder das Kabinett unter seinem Vorsitz einzuberufen. Er versuchte aber, auf Minister einzuwirken, ließ Gesetze und Dekrete, denen er nicht zustimmen wollte, einfach liegen und tat sozialistische Experimente in der Wirtschafts- und Sozialpolitik als »blauen Dunst« ab.
Der Regierungschef fühlte sich schließlich von der erdrückenden Autorität des alten Mannes in seiner Handlungsfreiheit eingeengt. Er mied zwar die offene Konfrontation, begann aber, wie ein Karamanlis-Intimus es nennt, ein »Räuber-und-Gendarm-Spiel«, um den Einfluß von Karamanlis zu mindern.
Gleichwohl schien für fast jedermann in Griechenland festzustehen, daß Papandreou den eigenwilligen Präsidenten für weitere fünf Jahre ins machtvolle Amt heben wollte.
Diese Perspektive aber forderte die griechische KP, mit zwölf Sitzen im 300köpfigen Parlament die drittstärkste Partei, zum Angriff heraus. Für die Moskautreuen ist Karamanlis als Repräsentant des Establishments ein Hindernis auf dem Weg zum »echten Wechsel«, wie KP-Führer Florakis meint. Die Kampagne der KP brachte Unruhe in den marxistischen Flügel der Pasok. Das Boulevardblatt »Avriani« beschrieb das Verlangen der Parteibasis so: »Andreas, schick Karamanlis nach Hause!«
Noch am vorletzten Freitagabend, zwölf Stunden vor der entscheidenden Sitzung des Pasok-Zentralkomitees, ließ Papandreou dem Präsidenten-Büro durch einen Sonderemissär mitteilen, er stehe nach wie vor zur Wiederwahl von Karamanlis. Wenige Stunden danach, in seiner Villa »Gallini« (Ruhe) im Athener Vorort Kastri, beugte er sich dann dem Verlangen der Partei-Marxisten, die Zusage an Karamanlis rückgängig zu machen.
Die Radikalen behaupteten, mit seinem Votum für Karamanlis setze der Chef die Partei einer Zerreißprobe und der Gefahr einer Wahlniederlage aus.
Endgültig fiel Papandreou um, als Parteiorganisationen aus Athen und aus der Provinz vor einer Massenabwanderung der Wähler zur KP warnten und mit Schließung der eigenen Parteibüros drohten. Einstimmig, ohne Debatte, bestätigten ZK wie Fraktion der Partei die Entscheidung des Chefs sowie dessen neuen Kandidaten für das Präsidentenamt, Christos Sartzetakis, 56. Kulturministerin Melina Mercouri über die Wahl: »Ein Akt der Liebe.«
Der Parteilose Sartzetakis, Richter am Areopag, dem höchsten Gericht des Landes, ist ein Held der Linken, der ein Jahr in den Kerkern der Junta saß. Vor 20 Jahren hatte er sich als furchtloser Untersuchungsrichter einen Namen
gemacht: Er klärte den Mord an dem kommunistischen Abgeordneten Grigoris Lambrakis auf. Der Fall lieferte Costa-Gavras den Stoff für seinen weltberühmten Film »Z«.
Die Pasok-nahe Presse bejubelte, wohl etwas voreilig, »das Ende von Karamanlis«. Der könnte durchaus - vielleicht als Präsidentschaftskandidat - bald wieder auf dem Plan sein, wenn Sartzetakis am 29. März nicht die erforderlichen 180 Stimmen Mehrheit erhält. Pasok und KP zusammen verfügen nur über 178 Stimmen.
Die dem Ex-Präsidenten nahestehende Zeitung »Kathimerini« jedenfalls verkündete: »Karamanlis hat sein letztes Wort noch nicht gesprochen.«