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SED/PDS Aktion Rose

Durch SED-Filz, Pfründen und Immobilien sichert die alte Staatspartei ihren Anhang gegen die Folgen der Wende ab.
aus DER SPIEGEL 22/1990

Als die Ost-Berliner Hauseignerin letzten Herbst in den Westen ausreisen wollte, bewarben sich zwei Hauptinteressenten um das Grundstück mit Swimming-pool im Villengebiet Kaulsdorf - ein Rechtsanwalt und ein Gärtnermeister aus der Nachbarschaft. Den Anwalt lehnte die Eigentümerin ab, der Gärtner sollte es sein.

Dann stockte unvermutet der Aktengang - bis das zuständige Amt der DDR-müden Frau in Aussicht stellte, sie könne problemlos ausreisen, wenn sie ihren Besitz an den Magistrat verkaufe. Die Bürgerin gab schließlich nach, wurde mit der Stadtverwaltung handelseinig und ging in den Westen.

Der Fall schlug hohe Wellen, selbst Ost-Berlins damaliger Oberbürgermeister Erhard Krack war eingeschaltet. Der Politiker, der vor den Kommunalwahlen im Mai unter dem Verdacht des Wahlbetrugs zurückgetreten war, verteidigte die Einverleibung des Grundstücks »in das Eigentum des Volkes« als eine Art Fürsorgeakt - andernfalls wäre das Ausreiseverfahren womöglich noch länger »behindert« worden.

Mißtrauische Nachbarn wie der Juraprofessor Rudolf Hartwig sahen in der Transaktion dagegen ein Komplott »hoher und höchster Stellen«, vermutlich zu Recht: Die Stadtväter hatten die Immobilie nach Übernahme unverzüglich weiterverschoben.

Erwerber war der bis dahin erfolglose Kaufinteressent Nummer zwei, der Rechtsanwalt Jürgen Wetzenstein-Ollenschläger. Der prominente Jurist pflegte Umgang mit den höchsten Stellen des alten Regimes und ist noch heute der Anwalt eines der Mächtigsten von einst, des ehemaligen Stasi-Ministers Erich Mielke.

Das Filzstück zeigt, wie routiniert in Deutschland-Ost die Machthaber Politik und Geschäft zu verquicken wußten. Von diesen Erfahrungen profitieren die Genossen, seit es gilt, Spitzenfiguren des alten SED-Regimes gegen die Unbilden der neuen Zeit abzusichern - beliebtes Instrument: der Schacher mit Grundstücken.

Verflossene Staatsträger, vom letzten SED-Generalsekretär Egon Krenz bis hin zu Lothar Kolditz von der Nationalen Front, dazu all die Alt-Minister, Ex-Staatssekretäre, Oberfunktionäre gesellschaftlicher Organisationen bekamen nach der Wende schnell noch Grundbesitz aus Volkes Hand, in bester Pankower Funktionärslage und meist zu Discountpreisen.

Aus dem reichen Grundstücksbestand des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) und der »Versorgungseinrichtung des Ministerrats der DDR« (VEM) wurden vor allem die bisherigen Dienstwohnungsinhaber bedient. »Man macht aus Mitarbeitern Mieter und aus Mietern Eigentümer«, zürnte der Runde Tisch von Pankow in einem Flugblatt.

In einer Verordnung der letzten SED-Regierung Hans Modrow wurde den Größen von Partei und Staatssicherheit das Vorkaufsrecht für die von ihnen bewohnten Ein- und Zweifamilienhäuser angedient. Auf der Liste der VEM-Bewohner finden sich klangvolle Namen wie Willi Stoph (früher Ministerpräsident), Günther Kleiber (Vize-Vorsitzender des Ministerrats) oder Heinrich Toeplitz (Präsident des Obersten Gerichts), manche gar mehrmals. Das lese sich »wie ein Who is who des alten stalinistischen SED-Apparates«, fand die Tageszeitung.

Die Regierung Modrow hatte bei ihrem Auftrag, die VEM-Häuser zu verkaufen, offenbar selbst ein schlechtes Gewissen. Sie dekretierte: »Dieser Beschluß ist nach Realisierung zu vernichten, die Archivierung erfolgt durch den Herausgeber.« Nicht einmal oberflächlich geniert zeigten sich dagegen landesweit viele Amtsträger der alten SED-Garde bei der Vergabe von Firmenjobs, Verwaltungsposten oder Staatssubventionen, mit denen die Genossen vor den unangenehmen Folgen der Wende geschützt werden sollen: *___Der SED-Oberbürgermeister von Rostock hievte 16 ____verdiente Partei-Mitarbeiter in den Schuldienst; *___im mecklenburgischen Lübtheen erhielt ____Magistratsprominenz aus der SED Arbeitsverträge für ____eine Tätigkeit in der Stadtverwaltung, und der frühere ____Bürgermeister wurde Chef eines neuinstallierten ____Umweltdezernats; *___ein einst für die Entlassung von Ausreisewilligen ____verantwortlicher Dresdner Kommunalbeamter ist in die ____Spitze des städtischen Arbeitsamts gerückt; *___in Chemnitz erhielten seit Anfang dieses Jahres 89 ____demobilisierte Stasi-Mitarbeiter Invalidenstatus - bei ____30 mittlerweile aufgehobenen Invaliditätsbescheiden ____hätte sich eine durchschnittliche Rente von 1750 Mark ____im Monat ergeben, viermal höher als die Normalrente.

Unterschlupf finden Abstiegsbedrohte in zahlreichen Staatsfirmen und gesellschaftlichen Einrichtungen. Bei der staatlichen Werbefirma Dewag, der größten im Lande, muß zwar ein Drittel der 1200köpfigen Belegschaft in der Berliner Zentrale schon jetzt den Betrieb verlassen. Verdiente Kader freilich bekommen statt der Kündigung einträgliche Pfründen.

An der Spitze der Agenturen, in die das Haus Dewag aufgespalten wird, entdeckte die verbitterte Belegschaft lauter altbekannte SED-Gesichter. So besteht die künftig wahrscheinlich lukrative Tourismus-Abteilung zu einem Drittel aus Genossen.

Postenvermehrung durch Aufspaltung betreiben auch Entscheidungsträger der Freien Deutschen Jugend (FDJ). Die Mammut-Organisation mit über einer Million Mitgliedern »steht noch fest wie eh und je«, wundert sich die neuerdings zuständige Ministerin für Jugend und Sport, Cordula Schubert (CDU). Heute noch gehören dem staatlichen Jugendverband Dutzende von Immobilien, ein protziges Zentralratsgebäude in Ost-Berlin Unter den Linden und rund 80 Dienstwagen.

Nun will die FDJ zahlreiche GmbH gründen, die mit Nutzungsverträgen über bisherige Bestände verfügen sollen - dort ist viel Platz für Veteranen. »Die teilen die Aufgaben und spielen sich die Aufträge zu«, zürnt ein Sprecher des Schubert-Ministeriums, das sich an eine Bestandsaufnahme der Organisation macht.

In der neugegründeten »Tourist u. Service GmbH« etwa entdeckte das Schubert-Ressort bekannte FDJ-Größen wie den ehemaligen stellvertretenden Leiter der Abteilung »Wirtschaftliche Einrichtungen« oder den bisherigen Bezirkssekretär Helmut Maier, zuletzt Berlins oberstes Blauhemd.

Die FDJ-Gründung »Video-Sound-Service-GmbH« (VSS) verfügt nach Zählung des regierungsnahen Jugendmagazins Chance über High-Tech-Material im Wert von zehn Millionen Valutamark. Bei VSS macht sich der langjährige FDJ-Chef Eberhard Aurich als Arbeitnehmer nützlich, nach Feststellungen eines Revisors des Jugendministeriums allerdings nicht ganz so schlicht wie vorgegeben: »Offiziell schleppt er Kabel, intern ist er praktisch Geschäftsführer.«

Den größten Bedarf an Pöstchen haben die ehemaligen Horcher und Greifer von der weitgehend aufgelösten Stasi. Bei 85 000 offiziellen Mitarbeitern, die ihren Job verloren haben, gerieten die alten Dienstherren ins Klotzen: *___Allein Berlins Volkspolizei übernahm 506 Stasi-Leute, ____davon 270 Offiziere - Kripo-Bearbeiter von der ____"Hauptabteilung Untersuchung« befürchten seither ____"strukturelle Unterwanderung«; *___Armee, Zoll oder Grenztruppen boten »ganzen ____Kommandoeinheiten« der Stasi Unterkommen, dort bildeten ____sich deshalb nun »Substrukturen«, wie selbst das Organ ____der SED-Nachfolgepartei PDS Neues Deutschland ____registriert; *___"besorgniserregend« fand die Arbeitsgruppe Sicherheit ____des Berliner Runden Tischs, daß der Ministerrat seine ____gesamte Fahrbereitschaft vom MfS übernommen hat und das ____MfS-Rechenzentrum in der Wuhlheide - 360 Beschäftigte, ____sechs Großrechner - komplett an die Staats-Airline ____Interflug ging; *___die Wohnungsverwaltung des MfS mit sämtlichen 40 ____Mitarbeitern wurde in die Kommunale Wohnungsverwaltung ____der früheren Berliner Stasi-Hochburg Hohenschönhausen ____integriert - »die Strukturen einschließlich der Leiter ____wurden beibehalten«, merkte der Runde Tisch an; *___rund 1500 mit Spionage- und Sicherheitstechnik befaßte ____MfS-Werker wurden Anfang des Jahres zu einem ____"Ingenieurbetrieb für wissenschaftlichen Gerätebau« ____zusammengeschlossen - Werner Fischer, der im Auftrag ____des Zentralen Runden Tischs für die Auflösung der ____Spitzel-Behörde zuständig ist, bezweifelt »den zivilen ____Charakter im Interesse der Bevölkerung«.

Bei Not am Mann griffen existenzbedrohte MfSler gelegentlich zur Selbsthilfe. Etwa 40 Ehemalige gründeten in Berlin die Detektei »Abakus«; Wach- und Schließgesellschaften schössen »wie Pilze aus dem Boden«, konstatiert das Neue Deutschland.

Andere schritten zur Selbstbedienung und ließen aus den Dienststellen Ausrüstung mitgehen.

Überprüfungen durch Bürgerkomitees ergaben, daß aus Stasi-Objekten hochwertige Rechen- und Meßgeräte sowie teure »Importelektronik-Bauteile« verschwunden sind. In der Ost-Berliner Köpenicker Allee 19, bisher »Entwicklungsstelle Gebäudesicherung« des MfS, waren die Räume der Leiterplattenentwicklung und Meßlabors nächtlich leergeräumt, die Gerätschaften in einem Wartburg-Tourist abgefahren worden.

Nach der Plünderung eines Objekts an der Prenzlauer Allee recherchierte ein Bürgerkomitee sogar das Diebesfahrzeug; ein MfS-Mann namens Müller hatte am Tatort fälschlich wissen lassen, die »Beräumung« finde in Abstimmung mit dem Runden Tisch statt.

Die wertvollsten Stasi-Immobilien allerdings wurden von den Alt-Genossen keineswegs eigenmächtig verdealt. Beispiel für einen organisierten Raubzug etwa war die ministeriumsintern so genannte »Aktion Rose«.

Jahrelang vertrieb das MfS durch Kriminalisierung, Verhaftung oder Drohung zahlreiche Hauseigner aus ihrem Besitz, um Platz für konspirative Objekte zu schaffen. Als Scheinkäufer traten Mitarbeiter des MfS oder deren Familienmitglieder in Erscheinung. Nach Einschätzung von Experten aus den Bürgergruppen bestehen die Vorräte des Ministerrates zu weiten Teilen aus solchen Stasi-Immobilien.

Dafür spricht die Geheimniskrämerei der Versorgungseinrichtung des Ministerrats beim Aufzeigen ihrer Besitztümer - »die Methoden reichen von Verweigerung bis Nichtauffinden«, klagt der Runde Tisch Berlin, dem nicht mal die vollständige Objektliste vorgelegt wurde.

Daß die amtliche Grundstücksagentur faktisch von der Stasi regiert wurde, ist durch interne Akten belegt. So erließ das MfS 1986 ein Grundsatzpapier über die »Nutzung der VEM für die Abdeckung von KW/KO«. In der geheimen Verschlußsache über die Beschaffung solcher konspirativen Wohnungen (KW) und Objekte (KO) wird die Hilfsfunktion der VEM für die Staatssicherheit bis ins einzelne geregelt: Die VEM hatte der Stasi Häuser zu beschaffen und »operative Kräfte« gegebenenfalls mit Deckadressen auszurüsten; »113 KW, 203 KO, 33 konspirative Wohnobjekte, 16 Naherholungsobjekte« betreute, laut Stasi-Papier, die VEM zeitweise für Horch und Greif.

Für störungsfreien Gang sorgten »die in der Abteilung Recht und Grundstücksverkehr der VEM tätigen OibE«. Ein OibE - Offizier im besonderen Einsatz - habe vor allem der Leiter dieser Abteilung zu sein, verfügte das von »Mielke, Armeegeneral« abgezeichnete Kommandopapier. »Ausgewählte politisch-operative Maßnahmen zur Überprüfung der Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit« des Managers seien grundsätzlich durch die Stasi-Hauptabteilung Kader und Schulung zu führen - Behörden-Kürzel: »KuSch«.

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