TERRORISMUS Aladin aus dem Schwarzwald
Der Auftritt am Donnerstag vergangener Woche vor dem Istanbuler Haftrichter war an Theatralik kaum zu überbieten. »Ich hatte eine Bombe von einer Tonne vorbereitet, israelische Schiffe hätte ich angegriffen«, schrie der in Ketten gelegte Syrer Luai Sakra, 31, mit sich überschlagender Stimme und funkelnden Augen. »Dabei wäre kein Türke zu Schaden gekommen, einzig und allein Israelis! Allahu akbar!«
Die Wirkung der Megabombe wäre sicherlich verheerend gewesen. In einer Wohnung in Antalya fanden Polizisten rund 750 Kilogramm Wasserstoffperoxid - einen Stoff, der zum Bombenbau passt und den al-Qaida oft verwendet. Der Islamist hat gestanden, er habe Schnellboote mit dem Sprengstoff beladen und auf israelische Kreuzfahrtschiffe jagen wollen. Umgehend ließ die israelische Regierung fünf Luxusliner mit jüdischen Passagieren nach Zypern umleiten und warnte davor, türkische Ferienorte zu besuchen.
Die Festnahme Sakras, dem die Polizisten in der Haft als Erstes das Barthaar abrasieren ließen, gilt als einer der größten Erfolge im Kampf gegen den islamistischen Terror seit langem - und sie alarmierte deutsche Ermittler so sehr, als wäre der Mann in München oder Berlin verhaftet worden.
Die Sicherheitsbehörden identifizierten den Syrer nämlich aufgrund der Angaben aus der Türkei nicht nur als engen Weggefährten des Top-Terroristen Abu Mussab al-Sarkawi, sondern auch als Ex-Asylbewerber aus Deutschland. Sakra hat unter dem Namen »Louai Sakka« bis kurz vor dem 11. September 2001 in Süddeutschland gewohnt und unterhält immer noch verwandtschaftliche Verbindungen in den Schwarzwald.
Der im syrischen Aleppo geborene Student kam im September 2000 als Asylsuchender in die Bundesrepublik, für die deutschen Behörden damals ein unbeschriebenes Blatt. Sakra zog es ins badenwürttembergische Schramberg, eine Stadt mit 19 000 Einwohnern, eingerahmt von saftigen Wiesen am Rande des Schwarzwalds und bekannt als Wiege der Junghans-Uhren.
Hier, an der Bahnhofstraße, steht bis heute die Asylsammelunterkunft »Majolika«, ein langer Altbau, zweistöckig, weiß verputzt. Früher war das Gebäude eine Fabrik für Steingut, danach zogen erst Aussiedler ein, dann Asylbewerber.
Vier der 200 Plätze belegte im Herbst 2000 die junge Familie aus Syrien: Sakra und seine Frau, die damals gerade mal 18 war, aber schon zwei kleine Söhne hatte. Sie wohnten im Erdgeschoss, in einem Zimmer mit vier Betten, an der Wand eine Küchenzeile mit Gasherd, Spüle, Kühlschrank. Luai Sakra war allerdings so gut wie nie da. Wenn er sich mal blicken ließ, schlank, schmächtig und unscheinbar, ver-
mied er jedes Aufsehen. Stets trug er Hemd und Hose, keinen Kaftan, keinen Islamistenbart.
Trotzdem fiel er mit seinem Asylantrag, den er gleich nach seiner Ankunft gestellt hatte, bei den Beamten durch. Auch seine Klage vor dem Verwaltungsgericht Freiburg, Az: A 5 K 10444/01, scheiterte. Doch offenbar ahnte keine der Behörden, was für eine Art von Flüchtling im Schwarzwald Unterschlupf gefunden hatte.
Tatsächlich aber war der Syrer damals wohl schon seit Jahren einer der engsten Gefolgsleute des jordanischen Chefterroristen Abu Mussab al-Sarkawi, der heute die Aufständischen im Irak dirigiert. Sakra war, so berichten jordanische Ermittler, bereits an Sarkawis Vorläuferorganisation beteiligt, die 2000 bei einem konspirativen Treffen gegründet worden sein soll - ausgerechnet in Sakras Geburtsort Aleppo.
Wie aktiv der Islamist schon damals, vor seinem Deutschlandaufenthalt, gewesen sein muss, zeigt eine Auswertung seines Passes: Mehrere Dutzend Reisen unternahm er in den zwei Jahren zuvor, die meisten zwischen Syrien, der Türkei und Jordanien, aber auch nach Afghanistan. Im afghanischen Herat, wo Sarkawi ein Ausbildungslager führte, soll Sakra einer der ersten Terror-Azubis gewesen sein.
Auf Süddeutschland kam der umtriebige Syrer wohl, weil er 1997 bei einer seiner Reisen zwei Konvertiten aus Deutschland kennen gelernt hatte: die Brüder Christian und Matthias K., zwei junge Deutsche, die zum Islam übergetreten waren und von Tschetschenien und den Mudschahidin schwärmten. Die Familien verstanden sich blendend. Bald heirateten die Deutschen zwei Schwestern von Sakra und zogen in die Nähe von Schramberg. Als Sakra später als Asylbewerber hinterherkam, dolmetschten die Brüder für ihren Schwager, beschwerten sich über den Lebensstandard, die Unterkunft sei nicht gut genug.
Für die Konvertiten interessierten sich auch deutsche Geheimdienste. Zeitweilig überprüfte der MAD einen der Brüder, der bei der Bundeswehr arbeitete. Die Sakra-Verwandten gehören bis heute zu jenem Kreis von Personen, die im Visier der Sicherheitsbehörden sind, weil sie in Dschihad-Lagern gewesen sein sollen, Christian K. angeblich 1997, sein zwei Jahre jüngerer Bruder Matthias 2000. Damals, vermuten Ermittler, könnte auch Sakras Umzug nach Deutschland arrangiert worden sein.
Immer noch hatten sie den Hauptakteur nicht auf dem Schirm. Am 24. Juli 2001 verschwand Sakra plötzlich von der deutschen Bildfläche, tauchte unter, seine Familie flog nach Damaskus. Erst nach dem 11. September dämmerte den Behörden dann, wen sie im Schwarzwald beherbergt hatten: einen mutmaßlichen Top-Terroristen der Qaida. Denn am 10. September 2001, einen Tag vor den Anschlägen in den USA, berichtete Sakra angeblich dem syrischen Geheimdienst, in naher Zukunft seien Anschläge von al-Qaida in Amerika geplant. Es fielen keine Städtenamen und keine Gebäudebezeichnungen, aber Sakra nannte schon am Tag vor den Anschlägen Details der »Operation Heiliger Dienstag«, unter anderem Flugzeuge als Tatwaffen und Türme als Ziele. Er muss, davon gehen westliche Geheimdienste aus, offenkundig Insiderwissen besessen haben.
Die Syrer teilten der CIA die brisanten Informationen direkt nach den Anschlägen vom 11. September mit. Die Amerikaner, die dem syrischen Nachrichtendienst notorisch misstrauen, reagierten anfangs zurückhaltend, sie vermuteten eine Finte des Partnerdienstes - und starteten gleichzeitig eine internationale Jagd auf Sakra. Vor allem bei Mossad und CIA wurde er zu einem der meistgesuchten Männer der Welt. Es war ein Spiel auf Zeit: Wer würde schneller sein, die Nachrichtendienste oder der Islamist, der offenbar bestens über Anschlagspläne Bescheid wusste?
Die erste Runde ging an Sakra. Am 15. und 20. November 2003 detonierten in Istanbul mehrere Bomben vor einer jüdischen Synagoge, dem britischen Konsulat und der HSBC-Bank. Mitglieder der türkischen Terrorzelle sagten später in Verhören aus, ein Syrer namens »Aladin« habe die Anschläge finanziert. Ermittler identifizierten den Mann aus dem Märchen als Luai Sakra, der als Tarnnamen unter anderem »Dr. Alaa« und »Ala al-Din« benutzt.
Wie nah Sakra in all diesen Jahren Terrorchef Sarkawi stand, belegt ein Urteil des Staatssicherheitsgerichtes in Amman: Am 11. Februar 2002 verurteilten ihn die Richter in Abwesenheit zusammen mit Sarkawi zu 15 Jahren Haft. Sakra soll jene jordanische Terrorgruppe unterstützt haben, die Anschläge zur Jahrtausendwende geplant hatte, unter anderem auf das Marriott-Hotel in Amman. In der Anklageschrift der Behörden von 2001 heißt es über ihn: »Jetziger Aufenthaltsort: Deutschland, flüchtig«. Hätten die deutschen Behörden Sakra also schon damals, 2001, ausfindig machen können?
So aber ging er den Ermittlern erst am vorvergangenen Sonnabend ins Netz. Bei seiner Festnahme auf dem Flughafen von Diyarbakir hatte der aus einer wohlhabenden Familie stammende Terrorist 120 000 Dollar in bar bei sich - die Ermittler vermuten, dass er für Sarkawi eine Art Finanzmanager war.
Auf Sakras Spur waren die türkischen Polizisten gekommen, weil Anwohner Feuer in seinem Appartement in Antalya gemeldet hatten. Offenbar hatten Sakra, der sich bei seiner Festnahme als »Ekrem Oezer« auswies, und ein Komplize daraufhin fluchtartig die Wohnung verlassen.
Wie fanatisch der Syrer denkt, dokumentierte er vergangene Woche. Im Gerichtssaal bekannte er, den Befehl für die Anschläge von Istanbul gegeben und an Exekutionen türkischer Lastwagenfahrer im Irak teilgenommen zu haben. Den Journalisten rief er zu: »Ich bereue nichts!«
DOMINIK CZIESCHE, JÜRGEN DAHLKAMP, HOLGER STARK
* Am Donnerstag vergangener Woche in Istanbul.