Alle drei Wochen ein Toter
Über 70 verletzte Polizeibeamte in einer einzigen Nacht, darunter einige schwer verletzte - »was hier passiert ist, hat noch keiner erlebt«, entsetzte sich am Dienstag letzter Woche der Rostocker Polizeisprecher Gunnar Mächler.
Staatsschützer in anderen Bundesländern bestätigen den Rechtsaußen-Trend zu beispielloser Brutalität: Unter den rund 40 000 deutschen Neonazis, darunter 4200 gewaltbereite Skinheads, schrecken immer weniger vor Mord und Totschlag zurück.
Im Hoyerswerda-Jahr 1991 forderten Verbrechen rechtsradikaler Täter nach amtlicher Darstellung 3 Todesopfer. Allein in den ersten acht Monaten dieses Jahres jedoch gingen bereits 10 Menschenleben auf das Konto von Rechtsextremisten - bislang durchschnittlich alle drei Wochen ein Toter, mehr als je zuvor in einem Jahr seit 1945, ausgenommen nur das Münchner Oktoberfest-Attentat 1980, bei dem 13 Menschen ums Leben kamen.
Hält der Trend an, wird rechtsradikale Gewalt in diesem Jahr deutlich mehr Todesopfer gefordert haben als der RAF-Terror in dessen blutigster Phase: 1977 starben 10 Menschen durch Schüsse der Linksterroristen.
Die Liste der Opfer rechter Gewalttäter seit Jahresbeginn zeigt, daß Skins und andere Neonazis ihren Haß blindwütig an beliebigen Angehörigen jener Menschengruppen abreagieren, auf die es auch schon die Nazis abgesehen hatten - Andersdenkende sowie sogenannte Fremdrassige und Asoziale.
14. März 1992: Rund 40 Rechtsextremisten überfallen ein Asylbewerberheim in Saal bei Rostock und prügeln den Rumänen Dragomir Christinel, 18, zu Tode. Der Trupp will, nach Aussagen Beteiligter, Rache nehmen für einen Deutschen, der am Vortag durch einen Messerstich verletzt worden war.
18. März 1992: In Buxtehude bei Hamburg wird Gustav Schneeclaus, 53, mit einer Holzlatte erschlagen. Mutmaßliche Täter: der Skin Stefan Silar und ein Kumpan. Schneeclaus hatte Adolf Hitler als Verbrecher bezeichnet und war daraufhin von den Jugendlichen attackiert worden.
19. März 1992: In Flensburg geht ein Skinhead auf den Obdachlosen Ingo Finnern, 31, los und wirft ihn ins Hafenbecken, wo der Mann ertrinkt. Die beiden waren in Streit geraten, nachdem der Täter »Ausländer raus« gebrüllt und das Opfer bekannt hatte: »Ich bin Zigeuner.«
25. April 1992: In Berlin-Marzahn wird der Vietnamese Nguyen Van Tu, 29, auf offener Straße erstochen. Zahlreiche Passanten sehen zu, wie der Maurer Mike Lillge, 21, ein Klappmesser zückt und den Straßenhändler angreift.
9. Mai 1992: Rund 60 Neonazis stürmen mit Baseballschlägern und Eisenstangen ein Lokal in Magdeburg, wo eine Gruppe Punks Geburtstag feiert. Ein Opfer, Torsten Lamprecht, 23, erleidet einen Schädelbruch und stirbt zwei Tage später. Der Überfall war gut vorbereitet: Die örtliche Polizei war zuvor durch einen vorgetäuschten Notruf vom Tatort weggelockt worden.
1. Juli 1992: Ein Skinhead ersticht im brandenburgischen Neuruppin Emil Wendland, 50. Der mutmaßliche Täter, 20, war mit Freunden auf »Pennerfang«; zuvor hatte die Gang das Opfer in einem Park mit Schlägen und Fußtritten malträtiert.
8. Juli 1992: Mehrere maskierte Männer dringen nachts in ein Wohnheim bei Stuttgart ein, in dem Arbeiter aus dem früheren Jugoslawien leben. Die Einbrecher prügeln auf die Wehrlosen ein und schießen mit einer Gaspistole. Der Kosovo-Albaner Sadri Berisha, 55, schon seit rund 20 Jahren in Deutschland, erleidet tödliche Verletzungen.
1. August 1992: Zwei 17jährige erstechen im rheinland-pfälzischen Bad Breisig den Obdachlosen Klaus Dieter Klein, 49. Bei der Vernehmung geben die Täter, so die Polizei, rechtsextremistische Motive an.
3. August 1992: Drei Ordner einer Diskothek im thüringischen Stotternheim schlagen einen Polen so brutal zusammen, daß der Mann kurz darauf stirbt. Alle drei kommen aus der Skinhead-Szene.
24. August 1992: In Koblenz feuert ein amoklaufender Hilfsarbeiter mit einer Pistole in eine Gruppe junger Leute. Den Obdachlosen Frank Bönisch, 35, trifft der Skinhead tödlich. »Allgemeine Haßgefühle« hätten ihn dazu getrieben, gibt der Arbeitslose später an. Er habe sich die Waffe von seinem Vater beschafft und sei dann gezielt losgefahren, »um Menschen zu erschießen«.
Die Dunkelziffer rechtsradikaler Gewalttaten ist hoch. Schwer aufzuklären sind etwa die Ursachen vieler Brände in Asylbewerberheimen. Beispiel: Bei einem Feuer im hessischen Lampertheim kam am 31. Januar eine Familie aus Sri Lanka mit ihrem Baby in den Flammen um. Die Polizei vermutet, eine weggeworfene Zigarettenkippe habe das Feuer entfacht - wer der Verursacher war, wird kaum je zu klären sein.