GRÜNE Alle durchgeknallt
Im Bonner »Dorfzentrum Dottendorf« erprobten die Grünen zwei Tage lang, wie es sich nach den eigenen Grundsätzen von 1980 über »gegenseitige aktive Toleranz« leben läßt - offenbar gar nicht.
»Haß« und »Hysterie« warf die eine Seite den innerparteilichen Gegnern vor, die allesamt das Verhalten von »Waschlappen und Bauernfängern« gezeigt hätten. Die Angegriffenen keilten ebenso scharf zurück: »Spießbürger« hätten die
Partei mit einer »Schmutzkampagne« überzogen.
Das Gefecht wurde von grünen Politikern ausgetragen, die sich acht Jahre zuvor geschworen hatten, eine »Einheit neuen politischen Stils« zu bilden. Bei der gemeinsamen Arbeit, so gebot es damals ein Manifest der Partei, bedürfe es »der offenen und aufrichtigen Hinwendung zum Partner«.
Nichts davon blieb, als sich der Bundeshauptausschuß der Grünen, das höchste Gremium zwischen den Parteitagen, vorletztes Wochenende im Dorfzentrum über die Kassenführung des Parteivorstands stritt. »Der parteiinterne politische Kampf um Einfluß und Richtung«, fand die »Süddeutsche Zeitung«, sei derzeit bei den Grünen »noch schonungsloser« als in den Altparteien.
Aufgegeben wurde auch ein anderer Anspruch der jungen Partei: »Saubere Kassen« hatte sie sich und der Öffentlichkeit versprochen, als ihr Geldmauscheleien und Spendenaffären der übrigen Parteien 1987 die bislang größte Wählerwelle (8,3 Prozent) zuschwemmten. »Bei uns«, so lautete der grüne Konsens, »darf nicht einmal eine Mark strittig sein.«
Das gilt jetzt nicht mehr, jedenfalls nicht für die fundamentalistisch orientierte Mehrheit der Parteiführung. Vorstandssprecherin Jutta Ditfurth brachte die Abkehr vom alten Grundsatz auf die Formel, die Grünen seien »nach wie vor eine Art Alternativbetrieb«, in dem manches eben weniger »deutsch-ordentlich« ablaufe. Jutta Ditfurth: »Insofern werden wir für spießbürgerliche Ordnungs- und Sauberkeitsfanatiker dauerhaft Stein des Anstoßes sein.«
Auslöser dieser innergrünen Wende waren zwei Berichte im SPIEGEL (24 und 25/1988) über Vorwürfe grüner Funktionäre, parteiintern seien unter anderem *___Barschecks ohne Belege an einzelne Mitglieder ____ausgehändigt, *___unverhältnismäßig hohe Vorschüsse an Funktionäre ____bezahlt, *___Darlehen bis zu 450000 Mark ohne ordentliche Beschlüsse ____vergeben, *___bei der Renovierung der Parteivilla Steuer- und ____Sozialgesetze umgangen und *___grünen Managern »Überstunden« aus der Baukasse vergütet ____worden.
Da die Grünen »einiges an Ansehen und Glaubwürdigkeit zu verlieren haben«, reagierte der Bundesvorstand am 13. Juni mit einem Rundum-Dementi ("Verleumdung«, »üble Nachrede"). Nur drei Tage später mußte Schatzmeister Hermann Schulz vor den Kassierern der Landesverbände im Bundesfinanzrat der Partei einräumen, die Erklärung sei »etwas vorlaut« gewesen. Da war, schon nach flüchtiger Durchsicht, der erste Barscheck aufgetaucht, für den es keine Belege gab.
Eine parteiinterne Kommission, mit fünf Mitgliedern besetzt, bekam den Auftrag, die »SPIEGEL-Vorwürfe« zu untersuchen. Schon drei Wochen später stand sie vor dem Bruch: Die Revisoren wollten sich nicht länger von Schatzmeister Schulz und Bundesgeschäftsführer Eberhard Walde, beide vom Bundesvorstand als ständige Gäste in das Gremium entsandt, lautstark bei den Anhörungen stören lassen.
Die Untersuchung löste in den Spitzengremien Nervosität aus. Der fundamentalistischen Mehrheit im Bundesvorstand galt die Finanzaffäre als »Schmutzkampagne« der Realpolitiker. Die wiederum bezichtigten die Fundis der »kollektiven Paranoia«. Aus der Kommission heraus wurden die Vorstandsfundis gedrängt, »die SPIEGEL-Vorwürfe nicht länger wie einen Bonner Strömungsstreit abzuhandeln«.
Eine Gruppe »Glasnost bei den Grünen«, die sich schon über das rasche Dementi des Bundesvorstands geärgert hatte ("dumm, unpolitisch und unwahr"), fertigte unter Führung des früheren grünen Vorstandssprechers Lukas Beckmann eine 125 Seiten starke Dokumentation. Darin wurden Anfang des Monats detailreich »Anspruch und Wirklichkeit grüner Politik« beschrieben.
Die Chronologie, von der Mehrheit des Bundesvorstands als »sachlich falsch«, »ungeheuerlich« und »schädlich für die Partei« verdammt, ist wohl das Härteste, was Grüne sich bisher gegenseitig vorgeworfen haben.
»Wiederholte Behinderung der Arbeit der Untersuchungskommission« kreidet das Dossier der Vorstandsmehrheit an. Angestellte der Grünen, die als Zeugen geladen waren, seien beeinflußt und veranlaßt worden, das »falsche Spiel mitzuspielen«, um Fehler des Vorstands zu vertuschen.
»Loyalität und Gehorsam«, so die Dokumentation, habe der Bundesvorstand von immer mehr Angestellten gefordert, um über »den eigenen Anteil an Unregelmäßigkeiten« hinwegzutäuschen. So sei »ein Netz von Abhängigkeiten« geschaffen worden, »immer mehr Hände« wuschen sich gegenseitig. Fazit der Chronik: »Bei anderen Parteien nennen wir das Filz.«
Die Fundis im Bundesvorstand mußten, wollten sie ihre Posten behalten, den Bericht der Untersuchungskommission herunterspielen. Zunächst sorgten sie dafür, daß der zehn Seiten lange Rapport bis zum Beginn einer Pressekonferenz in Bonn unter Verschluß blieb. Vor den Journalisten gaben die
grünen Vorständler dann eine eigenwillige Wertung zum besten: Der Untersuchungsbericht bestätige, daß es bei den Grünen mit einer Ausnahme »keine Unregelmäßigkeiten« gegeben habe, auch »keine Bereicherung« und »keinen Finanzskandal«.
Um so überraschter waren die Funktionäre der grünen Landesverbände, als sie schließlich den Wortlaut des Untersuchungsberichts in Händen hielten.
Die Landespolitiker, etwa in Nordrhein-Westfalen, wußten zwar, daß der Bericht unvollständig war, weil die Kommission außer den »SPIEGEL-Vorwürfen« nichts untersuchen durfte. So war der frühere grüne Rechnungsprüfer Klaus Stawitzki, der den Revisoren eine Liste weiterer Finanzmanipulationen vortragen wollte, barsch mit der Bemerkung abgewürgt worden: »Das wollen wir nicht hören.« Doch die »Frechheit«, mit der die Bonner Parteiführung die Nachrichten über den Rumpfbericht »geschönt« habe, so ein nordrhein-westfälischer Vorständler, »verschlug uns erst mal die Sprache«.
Tatsächlich sind die Ergebnisse der Untersuchung kaum geeignet, den Bundesvorstand der Grünen zu entlasten. Die Revisoren fanden Beweise für Zahlungen »ohne Belege« an das frühere Vorstandsmitglied Uli Tost. Für die meisten Darlehen, bis hin zum Betrag von 450000 Mark, bemängelten sie, konnte ihnen »kein Bundesvorstandsbeschluß vorgelegt werden«. Lediglich bei einem 6000-Mark-Kredit an Bundesgeschäftsführer Walde habe es keines Beschlusses bedurft, denn das »Arbeitnehmerdarlehen« aus der Parteikasse stelle einen »üblichen Vorgang« dar.
Die Prüfer selber bauten dem Bundesvorstand jedoch mehrere Brücken. An jeden Einzelbericht nämlich hängten die Untersucher eine »Bewertung« an, mit der sie ihre Feststellungen abmilderten. Zahlungen ohne Belege, selbst über mehrere tausend Mark, galten ihnen nur noch als »Überzahlungen«. Mal bewerteten sie die entdeckten Fehler als »Nachlässigkeit«, mal als »Schlamperei«, mal hatten sie auch einfach »Verständnis« dafür.
Daß beim Umbau der Parteivilla »Haus Wittgenstein« bei Bonn gegen Steuer- und Sozialgesetze verstoßen wurde, bestätigte die Kommission dagegen ohne Einschränkung. Sie verwarf die Darstellung des grünen Bundesvorstands, der dem Finanzamt gegenüber noch »versichert« hatte, »keine Kenntnis von solchen Unregelmäßigkeiten gehabt zu haben«. Die Parteiprüfer, denen »übereinstimmende Zeugenaussagen« vorlagen: »Für die Kommission steht fest«, daß bei Walde und Schulz »eine grundsätzliche Kenntnis über die Vorgänge« um das Parteihaus vorhanden war.
Bei der Renovierung der Parteivilla (Kosten bislang: 3,5 Millionen Mark) hatte die Partei über drei Jahre mehr als 70 »Aushilfskräfte« eingesetzt, denen sie offiziell monatlich nur 440 Mark bezahlte. Bei diesem Verdienst müssen nur zehn Prozent Lohnsteuer, Beiträge zur Sozialversicherung aber überhaupt nicht abgeführt werden.
In Wahrheit hat eine unbekannte Zahl von Aushilfen, die zumeist aus der örtlichen Drogentherapie kamen, bis zum dreifachen des offiziellen Lohns kassiert - die Grünen-Anwälte sprechen von »10 bis 20 Prozent der Fälle«. Um Finanzamt und Versicherung zu täuschen, wurde der Beginn der Arbeitsverhältnisse um Monate vordatiert. Die Arbeit weniger Wochen wurde bei den Behörden, kaum nachprüfbar, als Mini-Tätigkeit über Monate deklariert. Rund 10000 Mark Steuernachzahlung und Nachversicherungen über 28000 Mark haben die Grünen dafür bis jetzt schon leisten müssen. Der Staatsanwalt ermittelt.
Doch Schulz ("Ihr seid alle Arschlöcher") blockiert mit einem Veto die Forderung des Bundesfinanzrats, die Villen-Renovierung von einem unabhängigen Wirtschaftsprüfungsinstitut durchleuchten zu lassen. Das koste »rund 100000 Mark«, argumentierte der Schatzmeister der Grünen. Nun muß sich Anfang Dezember satzungsgemäß der Bundesparteitag mit der Affäre befassen. Ein Ende ist nicht in Sicht, nur ein weiterer »radikaler Verlust an Glaubwürdigkeit« (Fraktionssprecher Helmut Lippelt).
Um nicht noch mehr Mitschuld auf sich zu laden, hat der dem Realo-Flügel zugerechnete Fraktionsobere nun auch die Diäten der Grünen zum Thema gemacht (siehe Kasten Seite 59). Doch das wird kaum ausreichen, um die Partei auf den Weg der »besonderen grünen Kultur« (Beckmann) zurückzuführen.
Schon gilt Steuerhinterziehung beim Bundesvorstand, wie bei den Flick-Parteien, offenbar als Kavaliersdelikt. Den neugewählten FDP-Vorsitzenden Otto Graf Lambsdorff schmähte die Partei, ganz nach dem früheren Muster, zwar noch als »notorischen Steuerhinterzieher«, der sich nun auf dem Chefstuhl »in Ruhe resozialisieren« könne. Doch jetzt, selbst mit ihrer Partei ertappt, mag die grüne Vorstandssprecherin Regina Michalik nicht zurücktreten: »Für 10000 Mark Steuern - das ist mir zu popelig.«
Entschuldigt wird die Hinterziehung von Steuern und Sozialabgaben auch im mehrheitlich fundamentalistischen Bundeshauptausschuß der Partei. Das sei doch nur geschehen, lobte die Fundi-Mehrheit ihren Bundesvorstand, um »Menschen zu helfen, denen in unseren Verhältnissen sonst keine Chance mehr offengestanden hätte«. Gemeint waren die ehemaligen Drogenabhängigen, die erst als Aushilfen, später zum Teil als Angestellte der Grünen die Parteivilla betreuten (Vorstandssprecher Christian Schmidt: »Keine moralisch schlechte Handlung"). Von den meisten hat sich der Bundesvorstand wieder getrennt.
Die restlichen »Wittgenstein«-Bediensteten standen längst auf der Abschußliste. Schon vorher hatte Schatzmeister Schulz der Bonner Niederlassung der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen den Grund für die geplante Entlassung mitgeteilt: »Das sind doch alles durchgeknallte Menschen.«
Und weil auch Grüne Arbeitgeber sind, sprach der Kassierer den örtlichen Gewerkschaftssekretär gleich auf die Abfindungen an: »Sagen Sie endlich, was das kostet.«