»ALLE MACHEN ENGLAND SCHLECHT«
SPIEGEL: Mr. Callaghan, halten Sie die Schlacht um das Pfund schon für gewonnen?
CALLAGHAN: Der Kampf um das Pfund ist bereits gewonnen, der Kampf um die britische Wirtschaft wird erheblich länger dauern.
SPIEGEL: Wie kommt es, daß England schon seit Jahren immer wieder von Pfundkrisenbetroffen wird? Ist die eine überwunden, folgt die nächste nach einigen Monaten oder einem Jahr.
CALLAGHAN: Weil wir Lasten tragen müssen, die einige andere Länder nicht haben.
SPIEGEL: Welche Lasten?
CALLAGHAN: Die, ein Reservewährungs-Land zu sein. Und außerdem beträchtliche Streitkräfte im Ausland zu unterhalten.
SPIEGEL: Hat es nicht auch Vorteile, ein Reservewährungs-Land zu sein? Einige Experten auf dem Kontinent sagen zum Beispiel, daß England, weil das Pfund in allen Notenbanken als Reserve gehalten wird, sich bevorzugt auf die Kredite vom Internationalen Währungsfonds stützen kann und so immer wieder scharfen Drosselungsmaßnahmen ausweicht.
CALLAGHAN: Das halte ich für nicht ganz richtig; das ist zu simpel. Eine Reservewährung zu haben ist dann ein Vorteil, wenn das übrige Sterling -Gebiet einen Überschuß erwirtschaftet. Derzeit ist es jedoch im Gleichgewicht, unser eigenes Defizit geht also voll zu Lasten unserer Reserven.
SPIEGEL: Warum, glauben Sie, haben sich die Franzosen an der neuesten Stützungsaktion für das Pfund im September nicht beteiligt?
CALLAGHAN: Das müssen Sie die Franzosen fragen, nicht mich.
SPIEGEL: Da die Schlacht um das Pfund, wie Sie sagen, gewonnen ist, was bleibt Ihrer Meinung nach jetzt zu tun?
CALLAGHAN: Die Wirtschaft voll konkurrenzfähig zu machen, damit wir die Kredite des Internationalen Währungsfonds, von denen Sie anfangs sprachen, zurückzahlen können.
SPIEGEL: Deutschland hat etwa ein Viertel dieser Kredite getragen. Das erklärt vielleicht unser Interesse an dieser Frage.
CALLAGHAN: Lassen Sie mich sagen, wie dankbar wir in England Deutschland für seine Beteiligung an der kurzfristigen Hilfe des letzten Jahres und an den im September dieses Jahres getroffenen Vereinbarungen sind. Ich, glaube, Deutschland versteht die besondere Rolle des Pfundes, und das erklärt die Unterstützung, die es gewährte. Aber diese entspringt auch der Freundschaft, die - das kann ich wohl sagen - gegenseitig ist.
SPIEGEL: Das hört man gern. Aber lassen Sie uns fragen: Im Nationalen Plan Ihrer Regierung heißt es: »Wir müssen rasch aus den roten Zahlen herauskommen... und sicherstellen, daß wir nicht wieder in eine solche Klemme geraten.« Wie wollen Sie das erreichen?
CALLAGHAN: Auf fünf Wegen. Erstens durch strenge Kontrolle der Nachfrage ...
SPIEGEL: Also durch die Deflationspolitik, die Sie jetzt verfolgen.
CALLAGHAN: »Strenge Kontrolle der Nachfrage« habe ich gesagt, nicht unbedingt Deflation. Es geht auch durch Währungs- und Steuermaßnahmen. Zweitens durch eine geschmeidige Steuerpolitik, die den Regionen (Provinzen) hilft, wo Wirtschaftskapazität nicht voll ausgenutzt ist. Drittens durch eine strenge Kontrolle der öffentlichen Ausgaben ...
SPIEGEL: Diese Kalamität haben wir zur Zeit in Deutschland auch.
CALLAGHAN: Wir werden sie jetzt meistern. Viertens durch direkte Aktionen zum Ausgleich der Zahlungsbilanz, und fünftens durch eine Erhöhung der Produktivität.
SPIEGEL: Halten Sie es für aussichtsreich, daß sich eine Änderung in der insularen britischen Arbeits- und Denkweise erzielen läßt? Viele Kontinentaleuropäer glauben, daß sich die Engländer zu sehr an ihre Tradition klammern. Bei der Produktion von Autos, um nur ein Beispiel zu nennen, berücksichtigen sie nicht im mindesten den Geschmack des Auslands allgemein oder des Kontinents.
CALLAGHAN: Das halte ich für sehr übertrieben. In den Vereinigten Staaten
werden abgesehen von den ungeheuer erfolgreichen Volkswagen - mehr englische Wagen verkauft als Automobile aus anderen Ländern. Es gibt viele andere Gebiete, auf denen Formgebung und Produktivität in England hervorragend sind.
SPIEGEL: Der Herausgeber des »Daily Mirror«, Cecil King, der Ihrer Regierung gegenüber nicht unfreundlich eingestellt ist, hat beklagt, es gebe in Englands Wirtschaft zu viele verschlafene Betriebsleitungen.
CALLAGHAN: Es gibt auch leistungsfähige. Beides kann stimmen. Trotz großer Verbesserung von Produktivität und Schulung der Betriebsleitungen gibt es noch zu viele verschlafene Firmenspitzen.
SPIEGEL: King behauptet auch, britische Wirtschaftschefs begännen erst um zehn Uhr mit der Arbeit, mittags gingen sie im Club zum Lunch, und er bemängelt, daß in den Aufsichtsräten so viele pensionierte Generale und Admirale sitzen. In mancher Beziehung finden wir auch, daß man hier noch so denkt wie zu Zeiten von Charles Dickens.
CALLAGHAN: Ich glaube nicht, daß das stimmt.
SPIEGEL: Wir meinen es auch mehr symbolisch, und es steht uns nicht zu, über die britischen Eigenheiten zu urteilen. Aber man empfindet England doch noch immer sehr als Insel. Wir kommen gelegentlich herüber, schauen uns die Eisenbahn, Fabriken und Hotels an und finden vieles gut und sehr reizvoll, aber manches auch ein bißchen altmodisch. Heute sahen wir, daß Sie sogar noch Himmelbetten produzieren.
CALLAGHAN: Ein Himmelbett habe ich seit Jahren nicht mehr zum Verkauf gesehen.
SPIEGEL: Wir können Ihnen eines zeigen, im Kaufhaus arm Sloane Square.
CALLAGHAN: Und ich kann Ihnen meine Heimatstadt Cardiff zeigen. Die ist modern; die Stadt Nummer eins im Fürstentum Wales, und ich wette, Sie werden in keinem Geschäft ein Himmelbett finden. Ein Geschäft am Sloane Square mag schon eins ins Fenster stellen, für die Fremden. Aber beurteilen Sie uns nicht danach. Es ist sehr lustig, aber mit der Aufgabe, an der wir arbeiten, hat es nichts zu tun.
SPIEGEL: Es gibt auch ein paar andere äußere Dinge, die vielleicht symptomatischer als das Himmelbett sind. Heute morgen mußten wir am Londoner Flughafen wieder Schlange stehen, und dann fragte der Beamte am Stehpult: »Was wollen Sie in England tun?« Diese Frage wird nirgends in Europa gestellt, vielleicht mit Ausnahme der östlichen Länder.
CALLAGHAN: Was die Einreise betrifft, so wird gerade jetzt auf meine Veranlassung hin eine Untersuchung durchgeführt. Ich hoffe, einen Bericht von der Zollbehörde darüber zu bekommen, wie sich das, worüber Sie sich beschweren, vermeiden läßt.
SPIEGEL: Wir beschweren uns nicht. Wir fragen nur.
CALLAGHAN: Nun gut, wozu Sie Fragen stellen. Ich hoffe, den Bericht noch vor Weihnachten zu haben. Und wenn Sie im Frühjahr wiederkommen, bestimmt aber im nächsten Sommer, werden Sie feststellen können, daß es weniger Hindernisse gibt.
SPIEGEL: Großartig! Was die Wirtschaft anlangt, möchten wir wissen, ob die Labour-Regierung nur die gleichen Maßnahmen ergreifen wird wie ihre Vorgängerinnen. Dann würden ja auch die Ergebnisse die gleichen, sein. Und dann hätten Sie im nächsten Jahr eine neue Pfundkrise.
CALLAGHAN: Nein. Der Unterschied zwischen den Maßnahmen, die wir treffen, und denen, die früher getroffen wurden, besteht darin, daß ich einen Sturmangriff gegen den auf Kapitaltransaktionen zurückgehenden Teil des Zahlungsbilanzdefizits unternommen habe, wie das zu Friedenszeiten bisher nie geschehen ist. Sowohl durch Änderungen des Steuersystems als auch durch direkte Maßnahmen.
SPIEGEL: England wird weniger im Ausland investieren, seine Zahlungsbilanz also dadurch entlasten?
CALLAGHAN: Das ist eine Folge der Maßnahmen. Ich habe auf diesem Gebiet ein halbes Dutzend von Anordnungen erlassen. Beispielsweise sollen Teile von dem Verkaufserlös britischer Investitionen im Ausland nach hier zurückgeschafft werden. Ferner werden wir die Verteidigungskosten überprüfen, die auch ihre Wirkung auf die Kapitalbilanz haben.
SPIEGEL: Durch welche Maßnahmen wollen Sie die Produktivität der britischen Wirtschaft erhöhen?
CALLAGHAN: Ein Weg besteht in der Errichtung von Entwicklungskommissionen in einzelnen Industriezweigen. In den letzten zwölf Monaten haben wir sie in 20 großen Industriezweigen geschaffen. Sie setzen sich aus Vertretern der Regierung, der Gewerkschaften und der Betriebsleitungen zusammen. Ihre Aufgabe besteht darin, praktische Arbeit zur Verwirklichung des Nationalen Plans zu leisten.
SPIEGEL: Womit befassen sich die Kommissionen konkret?
CALLAGHAN: Mit solchen Dingen wie der Förderung des Exports und dem Ersatz für Importwaren, der Verbesserung des Kundenkontakts, der Standardisierung und Massenfertigungen. Bei Maschinenwerkzeugen erörtern sie eine strenge Durchrationalisierung. Dasselbe gilt für die Elektro- und Textilindustrie. Auch die Verbesserung der Personalpolitik und die Drosselungsmaßnahmen der Gewerkschaften stehen auf dem Programm. Die Investitionspläne gründen sich auf die modernsten Methoden der Investitionspolitik.
SPIEGEL: Methoden, die Sie ausgearbeitet haben?
CALLAGHAN: Methoden, die die Regierung ausgearbeitet hat. Sie sind die fortschrittlichsten in der Welt. Wir entwickeln ausgezeichnete Manager-Schulen.
SPIEGEL: In Deutschland, der Schweiz und Belgien gibt es die auch.
CALLAGHAN: Unsere stehen auf sehr hohem Niveau. Mehr und mehr Betriebsberater schalten sich ein; die Beweglichkeit der Geschäftsleitungen nimmt ständig zu. Auf dem Gebiet der Atomenergie sollen unsere modernen Graphitreaktoren in Lizenz in Deutschland gebaut werden.
SPIEGEL: Hier reden Sie aber ganz anders als auf dem Parteitag der Labour Party.
CALLAGHAN: Na ja, wir müssen zu Hause den Leuten sagen, sie sollen sich mehr am Riemen reißen und sehr viel besser arbeiten. Im Ausland aber, glaube ich, werden wir zu sehr angeschwärzt.
SPIEGEL: Wir wüßten gern, ob Labour Maßnahmen in petto hat, um zu ändern, was zumindest während der letzten 15 Jahre nicht geändert worden ist.
CALLAGHAN: Natürlich muß man die Leute anstacheln, Besseres zu leisten, aber man darf das Bild nicht überzeichnen. Nehmen Sie zum Beispiel Lastkraftwagen; auf dem Gebiet sind wir die größten Exporteure der Welt. Überhaupt: England exportiert 37 Prozent seiner Fertigwaren, Deutschland nur 34 Prozent.
SPIEGEL: Aber es gibt keine Markkrise, es gibt eine Pfundkrise.
CALLAGHAN: Ich sage ja: Es gäbe keine Pfundkrise, wenn wir nicht so viel von der Verteidigungslast im Ausland zu tragen hätten. Wir hätten dieses Jahr eine ausgeglichene Zahlungsbilanz, wenn wir nicht diese schwere Bürde zu tragen hätten. Oder jedenfalls bestünde sehr gute Aussicht, daß wir nächstes Jahr die ausgeglichene Zahlungsbilanz erreichen.
SPIEGEL: Wir hören, daß sich in der britischen Verteidigung östlich von Aden etwas ändern könnte.
CALLAGHAN: Die Verteidigungskonzeption wird gegenwärtig überprüft. Es ist fraglos eine schwere Belastung unserer Zahlungsbilanz.
SPIEGEL: Wenn wir auf die Zahlen über den Export von Fertigwaren zurückkommen dürfen, so ist der englische Anteil am Welthandel daran von 20 Prozent im Jahre 1954 auf 14 Prozent im Jahre 1964 zurückgegangen.
CALLAGHAN: Seit 1961 ist er gleichgeblieben.
SPIEGEL: Aber obwohl England 37 Prozent seiner Fertigwaren exportiert, scheint es nicht genug zu exportieren:
CALLAGHAN: Es genügt nicht. Wir haben zwischen 1954 und 1961 an Boden verloren. Seitdem aber haben wir uns behauptet, und von nun ab werden wir uns steigern.
SPIEGEL: Anfang des Jahres hieß es, die Londoner City sei nach wie vor gegen Labour und gegen Ihr Programm; sie spekuliere sogar selbst gegen das Pfund.
CALLAGHAN: Ich glaube nicht, daß irgendwelche verantwortlichen Kreise gegen das Pfund spekuliert haben.
SPIEGEL: Es gibt nicht nur verantwortliche Kreise.
CALLAGHAN: Von unverantwortlichen Elementen würde ich ohnehin erwarten, daß sie gegen uns sind. Mit ihnen werde ich fertig. Aber ich kann mich nicht über mangelnde Mitarbeit der City beklagen. Natürlich gibt es gewisse Kreise in der City, die vielerlei Dinge sagen. Zu den verantwortungsbewußten Leuten ist unser Kontakt jedoch gut.
SPIEGEL: Haben Sie der City bewußt geschmeichelt, indem Sie mit der Diskussion über die Verstaatlichung der Stahlindustrie in England Schluß machten?
CALLAGHAN: Haben wir damit Schluß gemacht?
SPIEGEL: Das meinen wir herausgehört zu haben.
CALLAGHAN: Er (Dr. Alexander) war beim Parteikongreß in Blackpool und hat gehört, was ich gesagt habe.
SPIEGEL: In verantwortlichen Labour-Kreisen spricht
man jedenfalls jetzt weniger über Verstaatlichung.
CALLAGHAN: Ich wiederhole, was ich auf der Konferenz gesagt habe: Es ist eine Frage des »Wann«, nicht des »Ob«. Wenn Sie eine parlamentarische Mehrheit von zwei oder drei, Stimmen haben, müssen Sie sich über Prioritäten im klaren sein.
SPIEGEL: Hat die Deflationspolitik Ihre Beziehungen zur Partei erschwert?
CALLAGHAN: Ich bin auf der Parteikonferenz mit einer größeren Mehrheit in den Vorstand gewählt worden als früher, mir persönlich hat es also nichts geschadet. Ich glaube, das englische Volk erkennt die Notwendigkeit von vielen dieser Maßnahmen an, und im Ausland entsteht das Gefühl, sie hätten früher getroffen werden sollen. Das ist ein Grund, glaube ich, weswegen unsere Beliebtheit - nach den neuesten Meinungsumfragen - sogar gestiegen ist. Und das trotz der Schärfe unserer Maßnahmen.
SPIEGEL: Deflation bedeutet auch das Inkaufnehmen von Arbeitslosigkeit. Was sagen Ihre Leute dazu?
CALLAGHAN: Diese Furcht ist natürlich unmittelbar unter der Oberfläche. Aber unser Ziel ist eine Abwanderung der Arbeiterschaft, nicht Arbeitslosigkeit. Der ganze Nationale Plan gründet sich darauf, daß die Beschäftigungszahl in den alteingesessenen Wirtschaftszweigen - wie Kohle und Landwirtschaft - schrumpft und daß die auf den Naturwissenschaften basierenden Industriezweige - wie Kunstfasern, Chemikalien, Elektronik - ausgebaut werden. Für die Übergangszeit haben wir Maßnahmen getroffen, damit die Familien nicht leiden müssen. Außerdem werden wir mehr Arbeiter für neue Berufe umschulen. Für umgesiedelte Kumpel werden wir neue Häuser in Gebieten mit rentablen Zechen bauen.
SPIEGEL: Das zeigt aber doch, daß es bisher in der britischen Industrie eine gewisse Unbeweglichkeit sowohl bei den Betriebsleitungen als auch unter der Arbeiterschaft gegeben hat.
CALLAGHAN: Das »bisher« interessiert mich nicht. Wichtig ist das, was sich jetzt abspielt.
SPIEGEL: Sie riskieren immerhin, zeitweise einige Hunderttausend Arbeitslose zu haben, bis diese in einem anderen Zweig der Industrie untergebracht werden können.
CALLAGHAN: Wir hoffen, daß das bei den Bergwerken nicht so sein wird. Beides läßt sich nebeneinander durchführen: die Schließung einiger Gruben und der Bau neuer Fabriken. Das ist unser Programm.
SPIEGEL: Was wollen Sie gegen die britische Teepausenmentalität unternehmen und gegen die Arbeitszeitverschwendung beispielsweise der englischen Dockarbeiter?
CALLAGHAN: Was die Teepausenmentalität angeht, wie Sie es nennen ...
SPIEGEL:Wir können es anders nennen, wenn Ihnen der Ausdruck nicht gefällt.
CALLAGHAN: Nein, ich finde das eine durchaus gute Bezeichnung dafür. Das ist wieder eines der Dinge, über die ich in England wohl eindringlich spreche, aber wenn ich ins Ausland gehe, finde ich genausoviel davon wie bei uns. Es ist wirklich ein Problem. Am besten wäre es, wenn die Gewerkschaften und Betriebsleitungen es unter sich ausmachen könnten. Das Verständnis dafür, wie sich diese Schwächen beheben lassen, wächst. In den Docks haben wir jetzt einen Hafen-Rat eingesetzt, der recht viel Geld für die Modernisierung und Verbesserung der Arbeitsmethoden anlegen will. Es sieht so aus, als ob diese Ärgernisse endlich abgestellt werden können.
SPIEGEL: Sind Sie noch im Stadium der Bildung von Ausschüssen oder schon dabei, praktisch zu reformieren?
CALLAGHAN: Beides. Aber das ist natürlich eine langfristige Aufgabe, und darin liegt auch ein Grund, warum wir jetzt keine Wahlen wollen, obwohl wir sie gewinnen würden. Wir haben unsere Aufgabe erst zum Teil gelöst.
SPIEGEL: Ihre Regierung hat erklärt, daß die zur Pfundstützung aufgenommenen Kredite zwischen 1967 und 1970 zurückgezahlt werden sollen_
CALLAGHAN: Die kurzfristigen Kredite, die wir voriges Jahr erhielten, darunter von Deutschland, haben wir im Mai zurückgezahlt mit den Mitteln, die wir vom Internationalen Währungsfonds erhielten. Diese Ziehungen bei dem Fonds sind es, die zwischen 1967 und 1970 zurückgezahlt werden müssen.
SPIEGEL: Als die Konservativen 1961 in eine Pfundkrise gerieten, trafen sie harte Maßnahmen, mit dem Ergebnis, daß sie innerhalb eines Jahres die Anleihen zurückzahlen konnten. Der Diskontsatz wurde auf sieben Prozent heraufgesetzt, und das Pfund war wieder fest. Warum wählen Sie ein langsameres Tempo?
CALLAGHAN: Wenn Geld aus dem Ausland schnell einströmt, wird sich das Tempo beschleunigen. Aber unsere Aufgabe ist groß. Wir wollen die Wirtschaft in Ordnung bringen. Wir sind nicht nur daran interessiert, etwas ins Schaufenster zu stellen, wir wollen gründlich vorgehen.
SPIEGEL: Haben Sie nicht manches Mal selbst gedacht, eine Abwertung des Pfundes sei das kleinere Übel?
CALLAGHAN: Viele Leute auf dem Kontinent sagen uns, wir sollten abwerten - all die ungläubigen Thomasse, die sich nicht vorstellen konnten, daß wir uns durchsetzen würden -, aber wir hielten das nicht für den richtigen Ausweg aus unseren Schwierigkeiten. Wenn das Internationale Währungssystem nicht so gut funktioniert hätte, hätte ich andere Maßnahmen angewendet, aber abgewertet hätte ich nicht.
SPIEGEL: Sie glauben, daß das westliche Währungssystem, verglichen mit den späten zwanziger Jahren, sehr gut funktioniert?
CALLAGHAN: Im Vergleich zu den späten zwanziger Jahren ist es so Verbessert wie ein Auto von 1965 zu einem von 1920. Aber das heißt nicht, daß es vollkommen ist. Zum Beispiel ist Sicherheit nicht eines seiner Hauptmerkmale, ebensowenig wie bei einem Auto.
SPIEGEL: Aber Sie stimmen zu, daß das System nur dann funktioniert, wenn ein Staat mit einem Zahlungsbilanz-Defizit sich traut, strenge Maßnahmen zur wirtschaftlichen Gesundung durchzuführen, wie etwa Italien es 1964 getan hat?
CALLAGHAN: Wir haben die strengsten Maßnahmen getroffen; die Währungsgremien der ganzen Welt haben uns das bescheinigt. Die Wirkung zeigt sich in der großen Erholung unserer Zahlungsbilanz und in der Stärke des Pfundes.
SPIEGEL: Hat Ihnen die Entscheidung der Franzosen, ihre Pfunde und Dollar in Gold umzutauschen, weh getan?
CALLAGHAN: Nein.
SPIEGEL: Oder die Chinesen, die vom Pfund als Devisenreserve auf Schweizer Franken auswichen, war das ein Schlag?
CALLAGHAN: Es ist natürlich immer ein Schlag, wenn Leute aus dem Pfund aussteigen. Aber, wie Sie sehen, war der Schlag nicht tödlich. Das Pfund hat in den letzten zwölf Monaten so viele »tödliche« Schläge einstecken müssen, daß ich beginne zu glauben, das Pfund sei unsterblich.
SPIEGEL: Was waren das für tödliche Schläge?
CALLAGHAN: Nun, beispielsweise die mangelnde Bereitschaft von Leuten ...
SPIEGEL: Leuten in England?
CALLAGHAN: Nein, nein, von Ausländern, die nicht glauben wollten, daß England seine Wirtschaftsprobleme lösen kann. Selbst als wir die besten Exportziffern erzielten, die wir je gehabt haben, sagten sie: »Das ist ein Zufall.« Alle machten England schlecht. Dann aber taten sich die Zentralbanken im September zusammen und verabreichten uns eine psychologische Spritze. Wir beherrschten die Situation bereits. Was nötig war, war nur die psychologische Spritze.
SPIEGEL: Die Notenbanken werden sich nicht so sehr gefreut haben, noch einen Kredit geben zu müssen.
CALLAGHAN: »Kredit« haben Sie gesagt. Die genauen Abmachungen sind nicht bekanntgegeben worden.
SPIEGEL: Und Sie wollen uns nicht sagen, inwieweit Sie von dem zusätzlichen Hilfsangebot Gebrauch gemacht haben oder nicht?
CALLAGHAN: Ich bin nicht bereit, dazu etwas zu sagen, höchstens, daß die britischen Goldreserven im September und Oktober sehr erheblich gestiegen sind und daß wir in beiden Monaten einen gewissen Betrag des Zentralbanken-Kredits zurückgezahlt haben.
SPIEGEL: Das könnte aber auch bedeuten, daß Sie lediglich Finanzmittel entgegengenommen und in Gold umgetauscht haben.
CALLAGHAN: Das bedeutet es nicht. Wie ich schon gesagt habe, wurden unsere Ziehungen beim Internationalen Währungsfonds benutzt, um frühere Ziehungen bei Zentralbanken zurückzuzahlen. Sie fallen da selbst in die Denkweise von einigen Kontinental-Europäern. Sie wollen gute Nachrichten nicht glauben.
SPIEGEL: Sie erinnern sich, daß einer Ihrer Vorgänger, Sir Stallord Cripps, der Öffentlichkeit sehr oft gesagt hat, das Pfund werde nicht abgewertet. Und dann hat er es trotzdem getan.
CALLAGHAN: Sie müssen daran denken, wann das passierte. Es war 1949, nur vier Jahre nach dem Krieg. Die Welt hatte keine Gelegenheit gehabt, nach dem großen, vom Krieg hervorgerufenen Trubel, feste Währungs-Paritäten auszuarbeiten. Es war aber klargeworden, daß das Pfund offensichtlich überbewertet war. Heute ist die Lage gasz anders. Unsere Preise können konkurrieren, und unser eigentliches Problem beim Export ist nicht der Preis, sondern die Liefermöglichkeit. Darum legen wir das Hauptgewicht auf Wachstum durch höhere Produktivität.
SPIEGEL: Um den Kurs an den Währungsbörsen einigermaßen zu halten, mußten Sie Millionen einsetzen, und dann ging das Pfund in New York etwa doch nur um ein Zweiunddreißigstel eines Cent herauf. Haben Sie damals von Zweiunddreißigsteln und Sechzehnteln geträumt?
CALLAGHAN: Das kann man wohl sagen. Die Zweiunddreißigstel haben mich in den ersten zwölf Monaten meiner Amtsführung nie verlassen. Aber ich hatte auch sehr ermutigende Erlebnisse. Am Weihnachtsabend 1964 - eine schwierige Zeit war das, die Tage unmittelbar vor Weihnachten - saß ich ziemlich niedergeschlagen in meinem Arbeitszimmer in der Downing Street 11. Da rief mich der stellvertretende Finanzminister der USA, Bob Roosa, aus New York an und sagte: »Paß auf, Jim, Weihnachten nächsten Jahres wird alles viel besser sein.« Und ich glaube, er wird recht behalten.
SPIEGEL: Herr Schatzkanzler, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Callaghan (r ) beim SPIEGEL-Gespräch in seinem Londoner Amtssitz*
Die englische
Krankheit
Britische Bauarbeiter bei der Teepause: Fleißappell an die Nation
Londoner Börse: Im Kampf um das Pfund tödliche Schläge
Stahl-
Verstaatlichung
Englischer
Unternehmer
»Wir fürchten VW
sonst nichts
auf dieser Welt«
* Mit SPIEGEL-Redakteuren Dr. H. G. Alexander (1.) und Leo Brawand; daneben: Stenograph.