HOCHSCHULEN / BREMEN Alle runter
Fast elf Stunden lang debattierten der Senat, der Bremen regiert, und der Senat, der in Bremen eine Universität gründen soll -- sieben Stunden vertraulich im Kaminsaal des Rathauses und knapp vier Stunden öffentlich im Lesesaal der Staatsbibliothek.
Dann konstatierte Gründungsrektor Dr. Thomas von der Vring, 33, eine »neue Qualität der Auseinandersetzung«. Der Jungsozialist: »Das ist jetzt tatsächlich ein Bündnis zwischen Gründungssenat und politischem Senat.«
Den Kernpunkt des Pakts vom vorletzten Wochenende formulierte Bremens SPD-Regierungschef Hans Koschnick, 41, so: »Wo sich Kontroversen anbahnen, werden wir In Vorgesprächen klären, welches die sachlichen Grundlagen sind.« Von der Vring dazu: »Wir haben beschlossen, die Konflikte auszusitzen.«
Es war höchste Zeit. Denn der letzte Konflikt in zehnjährigen Bemühungen um die Errichtung einer Alma mater Bremensis hatte sowohl den mittlerweile dritten Gründungssenat als auch die Regierungskoalition zwischen SPD und FDP an den Rand der Auflösung gebracht. Die Krise war entstanden, nachdem die Freidemokraten zunächst die Ernennung des schon gewählten Gründungskanzlers Dr. Peter Rabels so lange hinauszögerten, bis der Kandidat verärgert zurücktrat. Zudem sorgte die FDP für die Ablehnung von drei linken Bewerbern um hauptamtliche Universitäts-Planerposten (SPIEGEL 45/1970).
In dieser Situation, die von der Vring als »rigid« beschreibt und die Koschnick um die Koalition bangen ließ, taten die Politiker vom einen Senat und die Wissenschaftler vom anderen Senat das einzig Mögliche: Sie setzten sich zusammen, um die Prestige-Positionen abzubauen, die sie Im öffentlichen Schlagabtausch mehr oder minder notgedrungen bezogen hatten. Horst-Werner Franke, Bildungsexperte der SPD-Fraktion: »Die wollten doch alle runter von der Sache.«
In vertraulicher Diskussion verständigten sich die Senatoren darüber, daß
* der Gründungssenat künftig mehr Rücksicht als bisher auf die Situation in der Hanseaten-Koalition nimmt und umgekehrt,
* der politische Senat sich genauer informiert, welche wissenschaftspolitischen Überlegungen die Gründungsgremien veranlassen, bestimmte hauptamtliche Mitarbeiter zu präsentieren.
In der Regel stammen diese Mitarbeiter aus linken Kadern. Denn, so erkannte Bildungs-Senatsdirektor Curt Kreuser: »Das sind doch die Leute, die sich -- im Gegensatz zu sehr vielen Hochschullehrern herkömmlicher Art -- Gedanken über einen zentralen Punkt des Bremer Modells gemacht haben, nämlich, wie Wissen vermittelt werden soll.«
Solche Erkenntnis schützt freilich nicht vor neuen Attacken der Bremer FDP, deren Fraktionschef Harry John vermutet, daß statt einer Reform-Universität, wie er sie versteht, »eine ideologische Anstalt« heranwachse.
In der Frage künftiger Personalentscheidungen, vor allem der anstehenden Berufung der ersten Hochschullehrer, zeichnet sich schon ein neuer Konflikt ab. Um nach dem Eklat mit den drei abgelehnten Planern (von der Vring: »Die Sache ist erledigt") Klarheit zu gewinnen, hatte der Gründungssenat den Rechtsanwalt Dr. Ulrich K. Preuß, Mitverfasser der SDS-Studie »Hochschule in der Demokratie« und derzeit Mitarbeiter am Institut für Bildungsforschung in der Max-Planck-Gesellschaft, aus Berlin anreisen lassen.
Preuß dozierte über die Berufungspraxis an bundesdeutschen Hochschulen und zog das Fazit: »Bei der Professoren-Ernennung ist der Dienstherr Staat nur beamtenrechtlich, die Universität aber wissenschaftlich verantwortlich.« Darauf Koschnick: »Ich folge Herrn Preuß weitgehend.«
Dr. Heide Gerstenberger, stellvertretende Vorsitzende des Gründungssenats und politischen Kompromissen mit der Regierung weit weniger zugeneigt als etwa Thomas von der Vring, deutet die Koschnick-Bemerkung so, daß der Bremer Senat von der »extensiven Auslegung seiner Dienstherreneigenschaft«, die er bei der Ernennung von hauptamtlichen Planern einnimmt, beim Berufen von Hochschullehrern abgehen will. Die Göttinger Politologie-Assistentin: »Wir legen Wert darauf, daß das so verstanden wird.«
Ganz so will es Hans Koschnick wohl nicht verstanden wissen: »Meine Bemerkung bedeutet, daß ich im Fall der Professoren nicht im gleichen Umfang wissenschaftliche Pluralität erzwingen kann wie bei den Planern -- oktroyieren kann man mir keinen Hochschullehrer.« Und: »Der Gründungssenat wird auch hier gut beraten sein, sich vorher mit uns abzustimmen.«
Für die drei Assistenten im Gründungssenat, allesamt von Göttingens Georgia Augusta, könnte bei solcher Auslegung freilich schnell der Punkt erreicht sein wo weitere Abstimmung mit der Regierung ausgeschlossen wird. Heide Gerstenberger: »Wir haben ganz dezidierte hochschulpolitische und wissenschaftstheoretische Vorstellungen, auf die wir aus etwaigen Koalitionsrücksichten unter keinen Umständen verzichten können.« Darüber wacht auch der Göttinger Assistentenrat, der seine Vertreter aus dem Gründungssenat zurückziehen will, falls die Regierung Bewerber aus politischen Gründen ablehnt.
So steht denn das von Thomas von der Vring gepriesene Bündnis einstweilen auf schwachen Fundamenten. Gründungskanzler Dr. Hans Heinrich Maaß: »Zur Zeit herrscht ein Gleichgewicht des Schreckens und Vertrauens.«