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»ALLEN WIRD VIEL ZUGEMUTET«

aus DER SPIEGEL 47/1965

SPIEGEL: Die vorige Bundesregierung hat in der EWG durchgesetzt, daß sich die Erweiterung der nationalen Haushalte im Rahmen des Zuwachses des Bruttosozialprodukts halten solle, zumindest aber dürfe die Grenze von fünf Prozent nicht überschritten werden. Der eigene Bonner Haushalt 1966 jedoch übersteigt das Volumen des Haushalts 1965 - bei einem geschätzten Zuwachs des Bruttosozialprodukts von 4,2 Prozent - um 8,5 Prozent. Sind wir den EWG-Partnern gegenüber dadurch nicht wortbrüchig geworden?

DAHLGRÜN: Die Forderung der EWG ist kein bindendes Recht, sondern lediglich Richtschnur. Die Bundesregierung bemüht sich erst seit wenigen Jahren, das Wachstum der Ausgaben am Sozialprodukt auszurichten. Früher sind die Ausgaben des Bundes jährlich schneller gewachsen als das Sozialprodukt. 1962 stiegen zum Beispiel die Bundesausgaben gegenüber dem Vorjahr um 14,9 Prozent, das Sozialprodukt um 8,7 Prozent. 1963 wuchs das Sozialprodukt um 6,3 Prozent; die Bundesausgaben nahmen um 9,7 Prozent zu. Erstmals 1964 wurde das Ziel erreicht: Die Bundesausgaben stiegen um 6,5 Prozent, das Sozialprodukt um 9,7 Prozent.

SPIEGEL: Und haben Sie diese Relation im laufenden Etatjahr halten können?

DAHLGRÜN: Das Jahr 1965 ist noch nicht abgeschlossen. Wir werden eine stärkere Erhöhung der Ausgaben des Bundes zu verzeichnen haben, als geplant war. Die Bundesbahn erforderte über die im Haushaltsplan eingesetzten Beträge hinaus namhafte Zuschüsse. Die Steigerungsrate der Bundesausgaben wird 1965 jedoch voraussichtlich nicht höher sein als der Zuwachs des Sozialprodukts mit etwa 8,6 Prozent. Dabei handelt es sich um Ist-Ergebnisse und nicht um die Soll-Zahlen des Haushaltsplans. Der jetzt vom Kabinett gesteckte Rahmen für den Haushalt 1966 bedeutet eine Erhöhung um 8,5 Prozent. Im Verhältnis zu den voraussichtlich effektiven Ausgaben 1965 wird die Steigerungsrate jedoch niedriger liegen. Wenn unser Ziel im Haushaltsjahr 1966 noch nicht voll erreicht werden kann, müssen wir es im Laufe der Legislaturperiode wie 1964 schaffen.

SPIEGEL: Nach dem Wunsch des Kabinetts soll die Bundesbahn 400 Millionen Mark ihres Defizits durch Tariferhöhungen auch im Güterverkehr abdecken. Die Konkurrenz von Straße und Wasserstraße hat für diesen Fall bereits eigene Tariferhöhungen angekündigt. Wird die allgemeine Verteuerung des Frachtverkehrs nicht zu Preissteigerungen und damit zu höheren Lohnforderungen der Gewerkschaften führen?

DAHLGRÜN: Ich rechne nicht mit erheblichen Preissteigerungen. Die Tariferhöhungen im Verkehr bringen zwar eine gewisse Belastung für die Wirtschaft, rechtfertigen aber keinesfalls eine allgemeine Verteuerung. Als die Bundesbahn vor einiger Zeit Tarife gesenkt hat, blieben Preissenkungen aus. Die Tariferhöhungen dürfen deshalb nicht zu höheren Preisen führen und können auch zusätzliche Lohnforderungen nicht rechtfertigen.

SPIEGEL: In Erhards Regierungserklärung wird ein systematischer Abbau der staatlichen Subventionen als langfristiges Ziel proklamiert. Innerhalb welcher Frist will die Regierung diesen Plan verwirklichen, und welcher Wirtschaftszweig muß zuerst mit Einbußen rechnen?

DAHLGRÜN: Schon durch die Beschlüsse des Kabinetts zum Haushaltsausgleich und durch das Haushaltssicherungsgesetz werden Subventionen von mehr als einer Milliarde Mark abgebaut. Ein Anfang ist also gemacht. Die Bundesregierung wird das Thema Subventionen in nächster Zeit weiter bearbeiten. Feste Fristen zu nennen, ist unmöglich. Auf bestimmte Subventionen wird man nie verzichten können. Es wird sicher sogar neue Subventionen, zum Beispiel bei strukturellen Krisen, geben. Alte, eingefressene Subventionen jedoch müssen ständig überprüft werden, ob sie nicht entbehrlich geworden sind. Sie müssen da eingeschränkt werden, wo es zweckmäßig ist.

SPIEGEL: Im alten Bundestag haben die Unionsparteien die Verabschiedung diverser Wahlgeschenke bewußt so terminiert, daß Sie von Ihrem Vetorecht gegen höhere Ausgaben keinen, Gebrauch mehr machen konnten, ohne die Gesetze selbst zu Fall zu bringen. Warum haben Sie nicht die Parlamentsmehrheit gezwungen, mit Initiativentwürfen die Suppe selbst auszulöffeln?

DAHLGRÜN: Der vergangene, Bundestag hat die Gesetzesbeschlüsse sicherlich nicht bewußt so terminiert. Jedes Parlament versucht, mit seinem Pensum fertigzuwerden. Kurz nach den Wahlen werden verhältnismäßig wenige Gesetze verabschiedet; zum Schluß einer Legislaturperiode ist dann bei vielen Gesetzen die Beratung abgeschlossen. Bundestag, Bundesregierung und alle Parteien haben mitgewirkt. Nun kann das Parlament nicht gezwungen werden; Initiativentwürfe einzubringen. Es ist souverän

und muß selbst wissen, was richtig ist. Es war Aufgabe der Bundesregierung, das Haushaltssicherungsgesetz einzubringen. Das Parlament muß noch vor Ende des Jahres darüber entscheiden.

SPIEGEL: Geht die Bundesregierung bei ihren Kürzungsmaßnahmen davon aus, daß der Wähler eine starke Regierung, die Wahlgeschenke wieder einsammelt, mehr schätzt, als eine schwache Regierung, die sie zuvor verteilt hat - obgleich es praktisch dieselbe Regierung ist?

DAHLGRÜN: Die Bundesregierung läßt sich bei ihren Sparmaßnahmen nicht von Popularitätshascherei leiten. Als sie seinerzeit vor der Wahl die Anwendung des Artikels 113 des Grundgesetzes aus übergeordneten Gründen ablehnte, hat sie durch Kabinettsbeschluß eindeutig öffentlich erklärt, daß härteste Maßnahmen später kommen müßten. Das ist jetzt soweit. Die Regierung hat mit guten Argumenten das getan, was notwendig war. Das leuchtet auch der Bevölkerung nach vielen Briefen ein, die ich in diesen Tagen bekommen habe. Die Sparmaßnahmen werden nicht nur allgemein begrüßt. Die überwältigende Mehrzahl der Briefe enthält sogar Vorschläge, wo noch mehr eingespart werden kann.

SPIEGEL: Sie haben als FDP-Finanzminister - wie zuvor der Bundeskanzler - der Forderung des linken CDU -Flügels nach Erhöhung der Branntwein - und Sektsteuer nachgegeben, obwohl Sie anderer Meinung waren. Läßt diese Niederlage in der ersten Koalitionsschlacht im neuen Kabinett Schlüsse auf das fernere Verhalten der Freien Demokraten zu?

DAHLGRÜN: »Koalitionsschlacht im Kabinett« ist dummes Zeug. Ich bin im Prinzip wegen der damit notwendig verbundenen Aufblähung der Haushalte und dem Anwachsen des Staatsanteiles nach wie vor gegen Steuererhöhungen und habe meine Haltung nicht geändert. In der Politik müssen aber Kompromisse geschlossen werden. Bei dem Sparprogramm wird allen viel zugemutet. Gesetzlich festgelegte Leistungen müssen reduziert oder hinausgeschoben werden. Jeder, auch der Bundesminister der Finanzen, hat nachgeben müssen, um das Ganze nicht zu gefährden. Die geringfügige Erhöhung der Steuerbelastung ist so vertretbar, nicht, weil davon Schnaps und Sekt betroffen sind, sondern vor allem deshalb, weil die Mehreinnahmen nicht zur Finanzierung zusätzlicher Ausgaben dienen, sondern zur Herabsetzung des Anleihebedarfs. Der Kapitalmarkt soll geschont werden.

SPIEGEL: Gilt die Entschuldigung auch für zukünftige Steuererhöhungen?

DAHLGRÜN: Bei Steuererhöhungen größeren Ausmaßes entfällt diese Begründung, denn der Bund kann sich ja nicht durch Mehreinnahmen ganz aus dem Kapitalmarkt drängen lassen. Dann wirken aber Mehreinnahmen für den Haushalt aufblähend, denn ein Rezept für die Stillegung der Gelder oder ihre Ansammlung als Rücklagen gibt es im Haushaltsrecht - noch - nicht.

Bundesfinanzminister Dahlgrün*

»Gewisse Belastung für die Wirtschaft«

* SPIEGEL-Titel 9/1963.

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