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JUSTIZ / PORNO-FREIGABE Allerlei Mief

aus DER SPIEGEL 47/1970

Vorwitzig hatte ein Abgeordneter in der internen Fragestunde der SPD-Fraktion am letzten Dienstag von Herbert Wehner wissen wollen: »Warum hast du eigentlich dieses Interview gegeben?« Der Fraktionschef polterte los: »Sicher hast du nicht mein Interview gelesen, sondern nur das dumme Zeug, das darüber in den Zeitungen steht.«

Wehner hatte sich gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur KNA kritisch über »gewisse Fragen der Strafrechtsreform«, speziell die Lockerung des Pornographieverbots, und über die Scheidungsnovelle seines Parteifreunds, des Bundesjustizministers Gerhard Jahn, geäußert. »Ich selber«, so sagte er KNA, »habe weder den Zeitpunkt noch diese ganze Massivität, mit der das dann sozusagen vor den Leuten lag, für richtig gehalten.«

Vor den Leuten lag der Grundsatz des neuen Scheidungsrechts, daß die Frau nach gescheiterter Ehe wirtschaftlich für sich selbst zu sorgen habe, und zugleich der neue Paragraph 184 des Strafgesetzbuchs, der Pornographie für Erwachsene freigibt. Einzige Ausnahmen von der Porno-Liberalisierung, die in Dänemark ohne nachteilige Folgen eingeführt wurde: Darstellung von Gewalttätigkeiten und von sexuellem Mißbrauch an Kindern sowie die unverlangte Zusendung pornographischen Materials.

Prompt suchte die Opposition aus dem taktisch begründeten Dissens zwischen Wehner und Jahn Kapital zu schlagen. Friedrich Vogel, Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Rechtsausschuß des Bundestags« verkündete: »Wehner läutet den Rückzug ein.« Der CDU-Mann erbot sich zur gemeinsamen Hatz gegen die »reformistischen Eiferer« in der SPD-Fraktion und »gegen den verderblichen reformistisch-liberalistischen Kurs in der Rechtspolitik«.

Die Reformer in der Rosenburg reagierten gelassener. Alfons Bayerl, Jahns Parlamentarischer Staatssekretär: »Wenn ich mich keusch ausdrücken will, ich war erstaunt, aber in manchen Punkten hat er doch recht.«

Auch Martin Hirsch, Rechtsexperte der SPD-Fraktion, war lernbereit: »Erst habe ich gestutzt, dann habe ich nachgedacht, und jetzt weiß ich: Das war prima.«

Justizreformer Jahn steht derzeit für die Koalition in der Drecklinie. Die auf gesellschaftspolitische Neuerungen drängende Fraktion (Hirsch über die Stimmung der Abgeordneten: »Los, mach deine Reformen, die kosten doch kein Geld") macht Ihn zugleich für negative Reaktionen im Wahlvolk verantwortlich. Bayerl: »Da kam allerlei Mief hoch.«

Der Justizminister freilich konnte auf die Regierungserklärung verweisen. Darin hatte Willy Brandt noch für 1970 die Reform des Scheidungsrechts angekündigt und versprochen: »Die Bundesregierung wird weitere Novellen zum Strafgesetzbuch so rechtzeitig vorlegen, daß sie ... am 1. Oktober 1973 in Kraft treten können.«

Für Herbert Wehner jedoch war das im Wahlherbst 1970 nicht genug. »Ich bin dagegen«, so belehrte er die Fraktion, »wenn man so tut, als ob es gewisse Kräfte in diesem Lande nicht gibt.« Pointiert lobte er den Brief, den Martin Hirsch dem Münchner Kardinal Döpfner geschrieben hatte, nachdem die Deutsche Bischofskonferenz eine kritische Verlautbarung zur Strafrechtsreform verabschiedet und allen Bundestagsabgeordneten zugestellt hatte. Hirsch schlug den Bischöfen ein »sachliches Gespräch« vor. Seine Linie: »Wir müssen uns bemühen, daß die evangelische Kirche wenigstens halb ja und die katholische nur halb nein sagt.«

In der letzten Woche mischte sich auch ein Jahn-Vorgänger ein. Am Montagnachmittag ließ sich Bundespräsident Gustav Heinemann die Fernseh-Sendung »Obszönität als Gesellschaftskritik?« und einige einschlägige Kinofilme vorführen, ehe er abends mit seiner Frau Hilda ein Porno-Kränzchen veranstaltete. Der Justizminister und seine Staatssekretäre, Vertreter der Parteien, der Kirchen und verschiedener Pornoprüfstellen erschienen.

Gerhard Jahn wird seinen Entwurf noch einmal überdenken müssen. Dabei sollen ihm die Experten helfen, die der Strafrechts-Sonderausschuß für die kommende Woche zu einem öffentlichen Hearing nach Bonn geladen hat, »Wenn man einen Panzervorstoß macht«, so Hirsch, »muß bisweilen die Front begradigt werden.«

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