WARENHÄUSER Alles für Frau Piesecke
»Verkaufen heißt, die erschütternde Dummheit des Publikums bekämpfen. Wie wenige Menschen wissen, wie schlecht sie leben. Man muß ihnen zeigen, was sie brauchen können, nicht, was sie haben müssen.«
Bert Brecht in »Dreigroschen-Roman«
Die Zahnschmerzen, die den Kaufhof-Direktor Dr. Werner Schulz bei der Rückkehr von seiner Informationsreise durch Amerikas Mammutwarenhäuser plagten, waren nur Mückenstiche, gemessen an den Hieben, die er jetzt von den kleinen Ladenbesitzern hinnehmen muß. Dr. Schulz ist nicht nur Direktor der Westdeutschen Kaufhof AG., sondern er vertritt - als Vorsitzender - auch die ganze Sparte Mittel- und Großbetriebe innerhalb der Hauptgemeinschaft des deutschen Einzelhandels.
Die kleinen Ladenbesitzer sind seit der letzten Einzelhandelstagung in Hannover wieder auf dem ausgetretenen Kriegspfad. Sie wandeln dabei in den Fußtapfen des alten Mittelstandskämpfers Schulze-Gifhorn (von altem Schrot und Korn) und fordern von Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard in geharnischten Resolutionen, daß endlich den Warenhäusern, Konsumgenossenschaften und Filialgeschäften von Staats wegen Grenzen gesetzt werden.
Vergeblich versuchte Minister Erhard den Fach- und Kleinhändlern einzureden: es sei, trotz der vielen neuen Verkaufspaläste, nicht wahr, was schon Karl Marx vor 100 Jahren verkündete - und was Dr. Schulz in Amerika mit eigenen Augen sah - , »daß die Entwicklung allgemein zum Mammutbetrieb treibt«.
Die kleinen Einzelhändler mißtrauen in ihrer Existenzangst nicht nur der Minister-Beschönigung, sondern erst recht dem Garantieversprechen, das ihnen die »Großen« schriftlich gaben:
* Die Warenhäuser werden bis 1954 keine Expansionspolitik treiben;
* sie werden bis dahin keine weiteren Verkaufsstellen eröffnen und wollen lediglich die bis jetzt vorbereiteten Bauvorhaben zu Ende führen.
Das sei alles blasse Theorie, die rauhe Praxis sehe anders aus, erhitzten sich die Gemüter besonders in Mittel- und Kleinstädten, z.B. in Heilbronn, wo ein Vorstandsmitglied des Warenhausringes Merkur bei der Eröffnung eines neuen Verkaufspalastes erklärte, die Besitzerfamilie Schocken habe bis jetzt nur 51 Prozent ihres in Deutschland erlittenen Schadens ersetzt bekommen*). (Bissige Zwischenfrage der Kleinhändler: »Wer hat uns bisher die Kriegsschäden ersetzt?")
Merkur-Hauptaktionär Salman Schokken, New York, machte sich durch eine Winterhilfsspende beim kleinen Publikum beliebt. Er stellte 150 000 Mark »zur Behebung der dringendsten Not der bedürftigen Bevölkerung an den Standorten und der Umgebung unserer Niederlassungsorte« zur Verfügung. Die Kleinhändler in Heilbronn aber schimpften auf Gemeinderat und Bürgermeister: »Sie haben die Baugenehmigung erteilt, weil sie sich von dem Verkaufspalast eine Belebung der Stadt durch auswärtige Käufer versprachen. Die Belebung kam - aber nicht bei uns.«
Nachdem der neue Merkurpalast, der etwa 30 Läden mittlerer Größe entspricht, den Kundenstrom angelockt hatte, merkten die kleinen Einzelhändler, daß »die Masse der gedankenlosen Käufer dahin
*) Es handelt sich um Restitutionsleistungen an die im Ausland lebende Familie Schocken. läuft, wo sie sich ungeniert aufhalten kann und kaum besehene Dinge kauft, die sie normalerweise nie erwerben würde. Am gedankenlosesten kauft die Landbevölkerung. Was dann noch übrig bleibt, Sonderwünsche, größere Ansprüche, an denen der höheren Kosten wegen nicht das verdient werden kann wie an Massenartikeln, das bleibt den Einzelhandelsgeschäften; und wehe, wenn sie dann diese ausgefallenen Wünsche nicht befriedigen können.«
Was die romantischen Heilbronner erst jetzt spüren, hat Emile Zola schon vor 70 Jahren in seinem kritischen Warenhaus-Roman »Zum Glück der Damen« beschrieben. Damals brach die »französische Revolution« im Handel aus. Es war die Zeit der großen Industriegründungen. Die Söhne der Tagelöhner, die damals in die Städte strömten, um in den neuen Fabriken zu arbeiten, trugen noch hausgewebte Beiderwandkittel und vom Dorfschuster gefertigte Stiefel und Pantinen. Aber bald wollten auch sie sich sonntags gefälliger - »nach der Mode« - kleiden.
Karl Marx lehrte sie: »Die kapitalistische Produktionsweise ist gerade dadurch gezeichnet, daß sie die gesellschaftlichen Produktivkräfte in bis dahin unerhörter Weise entfaltet.« - Die Mehrproduktion suchte neue Konsumenten. Sie fand sie bei den Massen des Proletariats, die vor allem billige Waren verlangten. Die Ware veränderte überhaupt ihren Charakter. Der Konsument bevorzugte das fertige Produkt und nicht mehr das Halbfabrikat, dem er bisher die letzte Form zu geben hatte*).
Dieser Zug zum fertigen Produkt führte zur Vereinheitlichung des Bedarfs, zur Konfektion, zum raschen Wechsel der Typen und damit zur Kurzlebigkeit der Ware. Er führte zur Gründung von Warenhäusern und Konsumgenossenschaften. Sie paßten sich zielbewußt der gesteigerten
*) Mit der Industrialisierung setzte die Spezialisierung der Arbeit ein. Ein Gebiet nach dem anderen schied aus der Hauswirtschaft aus und bildete einen eigenen Fabrikationszweig. Der bäuerliche Haushalt stellte bis dahin die Kleidung, von der Gewinnung der Wolle und des Flachses an bis zum fertigen Kleidungsstück, selbst her; in den bürgerlichen Haushalten wurde zumindest die Frauenkleidung selbst genäht. Kaufkraft und den vermehrten Wünschen der breiten Käufermassen an, während die patriarchalischen Kramläden schwerfällig hinterher hinkten.
Das Warenhaus vermittelte am schnellsten den Übergang vom robusten Gebrauchsstück zum billigen Modeartikel. Die ersten Warenhäuser ähneln noch den Jahrmärkten und Bazaren alten Stils. Erst 20 Jahre später, nachdem auch der übrige Einzelhandel sich geräkelt hatte, wurden die Warenhäuser gesellschaftsfähig.
In Deutschland begann die Prähistorie der Warenhäuser, als der alte Fuhrmann Tietz in Birnbaum an der Warthe (Provinz Posen) 1870 seinen Sohn Leonhard in die Welt schickte. Leonhard Tietz sieht sich zunächst in den Geschäften seiner Verwandten um und fängt dann selbst in Stralsund einen Großhandel in Kurzwaren an. Wenige Jahre später zieht es auch seinen jüngeren Bruder Oscar zum aufblühenden Handel.
Er wird der eigentliche Organisator des deutschen Warenhauswesens und zwingt - nachdem er unter dem Namen seines Onkels Hermann Tietz in Gera ein Kurz-, Weiß- und Wollwarengeschäft gegründet hat - alle seine Verwandten, gemeinsam mit ihm gewisse Artikel direkt ab Fabrik zu beziehen, »um so Preise und Bedingungen wie ein Grossist zu erzielen.«
Oscar Tietz verkauft billiger als alle anderen, dafür kann man allerdings bei ihm nicht anschreiben lassen und feilschen. Er verkauft zu vorher auskalkulierten festen Preisen. Auch das ist ein Novum. Bis dahin war jeder Ladenjüngling in der kaufmännischen Kryptographie geschult, in der die Warenpreise ausgezeichnet wurden. Je nach Einschätzung des Kunden und seinem Talent im Feilschen wurde dann der Preis nach den chiffrierten Richtzahlen endgültig ausgehandelt.
Der Fuhrmannssohn aus Birnbaum wirft die ganze Tradition über den Haufen, als er systematisch mit seinen Waren in mittlerer und minderer Qualität - bis zum Ramsch - auf Kundenfang ausgeht. Er scheffelt seinen Profit nach der Maxime:
* Großer Umsatz, kleiner Nutzen.
Bald stehen die ersten Warenhäuser der Firma Hermann Tietz, Inhaber Oscar Tietz, in München und Berlin. Bald gründen auch Wertheim und der Manufakturwarenhändler Rudolf Karstadt aus Wismar, zusammen mit Theodor Althoff, ihre Warenhäuser in der Berliner City und in den großen Provinzstädten. Aber der Fuhrmannssohn Oscar Tietz aus Birnbaum hält 30 Jahre lang weiter die Spitze*).
Gleich hinter »Hertie« (Inhaber Oscar Tietz) folgt in Umsatz und Größe des Unternehmens der Warenhaus-Konzern seines Bruders Leonhard Tietz, der von Köln aus über 40 Großverkaufsstellen dirigiert (heute Westdeutsche Kaufhof AG.). An dritter Stelle marschiert der Karstadt-Konzern. Drei Fünftel des Warenhaushandels werden von fünf Großkonzernen beherrscht.
Sie wecken durch regelrechte Reklamefeldzüge immer neue Bedürfnisse und den Massenluxus überhaupt. Erst durch die Warenhäuser wird das Porzellan zum Massenverbrauchsgut, erst die Warenhauskönige
*) Oscar Tietz setzte sich mit dem von ihm gegründeten Verband deutscher Waren- und Kaufhäuser gegen den Mittelstandsblock durch. Er war Wortführer der jüdischen Kultusgemeinde in Berlin und arbeitete der Weimarer Regierung das Reichsumsatzsteuergesetz aus, mit dem die Warenhaus-Sondersteuer-Gesetzgebung endgültig zu Fall gebracht wurde. bringen billiges Emaille- und Aluminiumgeschirr, Spielzeug. Grammophonapparate und -platten, billige Klassiker-Ausgaben, Kunstseide und Füllfederhalter unter das Volk und die billigen Putz- und Modeartikel an die Frauen, nach dem Song:
»Erst kamen die Blusen und Kleider
> und dann die Jupons voller Pli
> und dann die Dessous und so weiter ...«
und schließlich die billigen Seidenstrümpfe.
Das Schwergewicht des Erfolges liegt beim Einkauf. Die Einkaufsorganisationen verfügen über einen Stab von Fachleuten mit genauen Kenntnissen des Umsatzes, der Lagergrößen, der Schichtung der Kundschaft und des Warenumschlagtempos. (Heute wechseln die Lagerbestände durchschnittlich neunmal im Jahr.) Ladenhüter sind tabu. Durch Veranstaltung von Reste-Tagen, von »Weißen« und »Grünen Wochen« werden die Lager systematisch klein gehalten.
Die industriellen Lieferanten können bei den Großbestellungen nicht gerade viel verdienen, betrachten sie aber wegen ihrer Gleichmäßigkeit und der prompten Bezahlung als willkommenes Maschinenfutter. Bis die Konzerne - um sich die Lieferanten gefügiger zu machen - mehr und mehr zur Eigenfabrikation standardisierter Massenartikel übergehen und sie mit Raffinement in den Konsum pressen*).
Inzwischen hatte aber auch der übrige Einzelhandel seine archaischen Formen längst abgelegt. Das organisatorische Vorbild der Warenhäuser hatte die kleineren Betriebe nicht nur zu intensiver Werbung und Dekoration, sondern auch zu Arbeitsteilung (Einführung der Betriebsstatistik
*) Noch 1948 verhängte ein großer westdeutscher Filial-Kaufhaus-Konzern eine Einkaufssperre von einer Woche, um bei seinem Lieferanten eine Preisermäßigung von 10 Prozent zu erzwingen. und der Registrierkasse) und Konzentration der Verkaufskraft (Gründung von Einkaufsvereinigungen, z. B. EDEKA für den Lebensmittel-Einzelhandel) angeregt.
Die Warenhäuser mußten sich mehr und mehr auf bessere Qualitäten umstellen und differenzierten ihre Verkaufsstellen nun nach dem soziologischen Charakter der Verkaufsgegend. Das Pofel- und Ordinärgeschäft, der kleine Massenluxus, wanderte in die Einheitspreisgeschäfte, die Woolworth zuerst nach Deutschland importierte. Noch steigen die Umsätze der großen Konzerne - bis zum Krisenjahr 1932. Dann beginnt der Rücklauf, dem 1933 der politische Boykott und die Arisierung folgen. Die Liquidierung war aus realpolitischen Gründen nicht möglich. Wenn die Warenhäuser 1933 geschlossen worden wären, hätte der übrige Einzelhandel die Bankschulden übernehmen müssen. Das Debet durch amerikanische Dollaranleihen war so angeschwollen, daß alle deutschen Einzelhandelsumsätze 30 Jahre lang mit ein Promille hätten belastet werden müssen.
Nach 1945 sind die meisten Warenhäuser Ruinen. in denen die ausgebombten Gesellschaften das Nachkriegsgeschäft zunächst in den Kellergeschossen mit umgearbeitetem Wehrmachttrödel anlaufen lassen. Eines Tages ist das Wunder da, über das jetzt der Mittelstandsblock polemisiert:
»Wie kommen die Warenhäuser - ausgerechnet zu einer Zeit, da dem Einzelunternehmer die Kapitalbildung durch die Besteuerung unmöglich gemacht wird - zu Riesenkapitalien für den Bau ihrer Geschäftspaläste? Ist das alles neuverdientes Geld oder muß die Bundesrepublik den zum Teil ausländischen Unternehmen*) Kredite oder Entschädigungen geben?«
Es ist selbstverdientes und - fremdes Geld von den Großbanken. Die Banken
*) In amerikanischem Besitz befindet sich - außer Woolworth - das 10:8 umgestellte Aktienkapital der Emil Köster-AG. mit den Defaka-Filialen. Das Unternehmen gehört der New Jersey Industries Co. Inc., New York, an der der frühere Berliner Finanzmann Jakob Michael maßgeblich beteiligt ist. gaben lieber den großen Warenhaus-Konzernen Millionenkredite, als die gleichen Beträge in mehreren tausend Partien in den gewerblichen Mittelstand zu kleckern. Auch das hat die Kleinhändler erbost.
Bis jetzt haben die Warenhäuser etwa vier Prozent am Gesamtumsatz des Einzelhandels (traditionell fünf Prozent) zurückerobert. 1933 kam auf je 595 Läden ein Warenhaus, heute kommen auf je 1292 Einzelhandelsgeschäfte je ein Warenhaus oder eine Einheitspreisfiliale.
Diese Arithmetik verschleiert allerdings die Tatsache, daß, wie in Vorkriegszeiten, auch heute wieder etwa 10 Prozent aller Textilien in Warenhäusern gekauft werden und daß ein Drittel der jährlich umgesetzten Damenkonfektion ausschließlich von der Stange der Waren- und Kaufhäuser stammt. (Außerdem ist die Verkaufsintensität heute weitaus stärker als früher. Siehe Graphik.)
Beim Nachkriegswettlauf des Wiederaufbaus vertragen sich die acht beherrschenden Großunternehmen - voran Karstadt, dann der Kaufhof, die Köster-AG. und der Merkur-Ring - besser als etwa die in einer Straße konkurrierenden Kleinhändler. Die Solidarität der »Großen« geht so weit, daß der Westdeutsche Kaufhof und Karstadt nicht nur alle Erfahrungen, sondern sogar die Umsatzbilanzen der einzelnen örtlichen Verkaufsabteilungen austauschen, verrät Kaufhof-Organisationschef Direktor Dr. Klonz.
Man will sich, wie in einem Gebietskartell, möglichst nicht ins Kunden-Gehege kommen. Nur einmal hat der Kaufhof das stillschweigende Gebietsabkommen gebrochen, als die Gesellschaft am Stachus in München, wo sie früher nicht vertreten war, zum Ärger von Karstadt, plötzlich einen neuen Verkaufspalast (für acht Millionen Mark) hochtreiben ließ.
Von der Westdeutschen Kaufhof AG. Köln weiß man, daß sie im vergangenen Jahr - bei einer Umsatzsteigerung von 40 Prozent gegenüber 1950 - für 350 Millionen Mark Waren umgesetzt hat. Für 1952 rechnet man überschlägig mit etwa 400 Millionen Mark (nominelle Vergleichsziffer für 1930 bei ungleich größerer Verkaufsfläche: 200 Millionen Mark).
Trotzdem kann ein so gesundes Unternehmen (35 Verkaufsstellen, 50 Einheitspreisfilialen der angeschlossenen Kaufhalle GmbH.), dem der Fiskus weitgehende Abschreibungsmöglichkeiten für die Neubauten (auf Lebenszeit) einräumt, nicht ohne erhebliches Fremdkapital auskommen.
Das Unternehmen hat während der beiden Jahre 1950/51 für über 35 Millionen Mark Sachanlage-Investitionen vorgenommen, d. h. verbaut und für die Einrichtung neuer Verkaufsstellen verwendet. Es mußte für über 20 Millionen Mark Bankkredite in Anspruch nehmen**).
»Wir müssen uns erst wieder konsolidieren«, umschreibt der Organisationschef der Kaufhof AG., Dr. Otto Klonz, die realpolitische Notwendigkeit des allgemeinen Warenhaus-Expansionsstops. Die Dynamik der expansiven Kräfte wird jetzt nach innen gelenkt und kommt Betriebsverbesserungen zugute. So wurden z.B. in den großen Kaufhof-Häusern die alten Ladentische durch moderne »Gondeln« ersetzt. Das sind oval gestreckte, zerlegbare
**) Eine weitere Belastung ist die Restitutionsschuld an die Nachkommen des alten Leonhard Tietz aus Birnbaum an der Warthe (heute in England, Amerika, Israel und Australien), die nach 1933 ausgesteuert wurden und nun mit 5 Millionen Mark abgefunden werden müssen. Tische, die, wie Kombinationsmöbel, je nach Bedarf in Nieren- oder Herzform, zusammengerückt werden.
Amerika-Fahrer Dr. Schulz, der sich vom kleinen Verkäufer zum internationalen Warenhaus-Experten hinaufdiente (u. a. Präsidiumsmitglied der Internationalen Handelskammer), will den notorischen Warenhauskundinnen von Zeit zu Zeit nicht nur eine neue Reklameaufmachung, sondern ein völlig verändertes Innen-Arrangement bieten.
Außerdem wird der Kunde durch sporadische Verlegungen einzelner Abteilungen zu Ausflügen durch das ganze Haus gezwungen. Dadurch wird nicht nur das Parterre, das den Hauptbesucherstrom anzieht, sondern auch das Gekröse des Warenhaus-Mammutbauches vom Käufer besichtigt. Ansehen aber ist die Vorstufe des Kaufens.
In den modulationsfähigen »Gondeln« bedienen die Verkäuferinnen »rundum«. Die Tische verjüngen sich nach unten V-förmig, damit die Kunden die Füße unter die Theken schieben können. Sie sollen so nahe wie möglich an die Waren herantreten. ("Laßt Waren sprechen.") Das ist aber nur der Anfang einer Revolution der Verkaufstechnik und Kundenbehandlung, für die Kaufhaus-Schulz auf seiner Reise durch das amerikanische Wunderland der Mammutwarenhäuser phantastische Vorbilder fand.
Die Warenhäuser in USA haben sogar drehbare Theken. Das Pin-up-Verkaufs-Girl rotiert mit. Der Dienst am Kunden geht so weit, daß die Warenhausgesellschaften zu Weihnachten nicht nur den fertig geschmückten Weihnachtsbaum frei Haus liefern, sondern auf Bestellung auch die Beschenkerei, meistens durch Versenden von Geschenkbons (z.B. Bons für Tanzstunden oder Eiscreme), übernehmen. Auch die Geburtstagswünsche sind längst warenhaus-konfektioniert: es gibt regelrechte »Erinnerungskonzerne«, bei denen man Präsentbestellungen listenmäßig gleich für ein ganzes Jahr aufgeben kann.
Die amerikanische Lebensweise ist konfektioniert bis zum Sterben. Man kann sich zu Lebzeiten bei Macy''s in New York, dem größten Warenhaus der Welt, einen Grabstein aussuchen und reservieren lassen. Als einprägsamster Zeuge für die
Universalität dieses Warenhausunternehmens gilt ein Syrer, der sich die Baupläne und Entwürfe für ein Luxus-Hotel bei Macy''s bestellte und sie nach einigen Tagen prompt für 200 000 Dollar bekam.
Aber die große Zeit der City-Warenhauspaläste ist vorbei, seit das Zentrum der Großstadt zum Golgatha der Kraftfahrer wurde. Zur Entlastung der verstopften Citystraßen sind an der Peripherie der Großstädte die »Shopping Centers« (Einkaufszentrum mit Parkplätzen für 1000 bis 2000 Kraftwagen) entstanden.
Hier kauft die moderne Autofrau gleich für die ganze Woche ein. Sie will die Ware wenigstens von außen prüfen können. Deshalb sind die Shopping-Centers hauptsächlich »supermarkets«, d. h. Selbstbedienungsläden, in denen auch das tiefgekühlte Steak in Cellophan und die polierten Kartoffeln - neben den üblichen Lebensmitteln - in genormter durchsichtiger Verpackung,
frei zum Greifen, aufgetischt sind. Die Selbstbedienung dringt über den Lebensmittelverkauf, der in USA zu 40 Prozent auf »supermarket« umgestellt ist, in den übrigen Einzelhandel ein. Dabei helfen die sehr stark verbreitete Standardisierung der Markenartikel - Marken garantieren dem Verbraucher eine bestimmte Mindestqualität - und die fortschreitende Rationalisierung.
Am meisten imponierten dem Konsumpolitiker Dr. Schulz die amerikanische Verschleißwirtschaft und das Prinzip des »High pressure marketing« (Hineinpressen der Waren in den Markt unter Hochdruck). »So hat Henry Ford das Automobil in Amerika zum Massenverbrauchsgut gemacht, so werden jetzt die Television-Geräte in die Haushalte gepreßt.«
Das amerikanische Modell ist aber nur sehr bedingt auf Westdeutschland übertragbar. Der amerikanische Durchschnittsverdiener bringt im Monat 1175 Mark nach Hause, sein westdeutscher Kollege dagegen nur 325 Mark. Der Deutsche benötigt 58 Prozent seines Einkommens für die Ernährung, der Amerikaner aber nur 25 Prozent. Er hat also gegenüber dem deutschen Durchschnittsverdiener die Möglichkeit, etwa die sechsfache Menge von industriell hergestellten Konsumgütern außerhalb der Ernährung zu verkraften.
In Deutschland müßte aber gerade die Unterbilanz in vielen Haushaltskassen den Handel anregen, den Käufermarkt ökonomischer zu organisieren und den Rationalisierungsgewinn mit dem Käufer zu teilen. Die scharf kalkulierenden Betriebswirte ärgern sich schon seit 20 Jahren darüber, »daß Jahr für Jahr ein Mensch hinter dem Ladentisch stehen muß, um jährlich für 15 000 bis 20 000 Mark Waren nicht etwa herzustellen, sondern nur an den letzten Kunden zu verteilen. Die Hälfte seiner Arbeitszeit ist für den Verkäufer reine Wartezeit.«
Trotzdem folgt der deutsche Einzelhandel nur sehr zögernd der Selbstbedienungspraxis. Die ersten hundert Selbstbedienungsläden in Westdeutschland sind noch sehr unterschiedlich. Überzeugen kann erst die Perfektion, wie sie Karstadt in seinem neuen Musterwarenhaus an Düsseldorfs Schadowstraße erreicht hat. Hier reagiert die Kundschaft im allgemeinen
positiv. Aus der Fülle der Lobesstimmen:
* Wegfall der Wartezeit;
* bessere Warenübersicht;
* unbeeinflußte Auswahl;
* kein Streit um die Reihenfolge der Bedienung;
* kein Ärger über langsames Personal;
* keine abgehetzten, müden, mürrischen Verkäuferinnen;
* verbesserte Warenhygiene;
* keine Rechenfehler.
Es stehen zwölf doppelt besetzte Registrierkassen zur Verfügung, um an den Flutzeiten auch hier den dicksten Kundenstrom schnell ablaufen zu lassen.
»Gestohlen wird im Selbstbedienungsbetrieb nicht mehr als sonst im Warenhaus üblich (das sind 0,3 Prozent des Umsatzes)«, bestätigt Karstadts Selbstbedienungsspezialist im Düsseldorfer Musterbau (12 Millionen Mark Baukosten) »die rheinische Grundehrlichkeit«. Er blickt aber trotzdem häufig in die Kontrollspiegel, die den Kunden beim Passieren der attraktiv aufgemachten Warenstände auf die Finger sehen.
Die Einsparung an Personalkosten durch die Selbstbedienung ist zur Zeit noch gering (5 Prozent). Man sieht zwar nur den Aufsichtsführenden, einen Assistenten und die Kassiererinnen, aber hinter den Kulissen häuft sich die Komparserie der Hilfskräfte, die notwendig sind, um die Ware - von den Hülsenfrüchten in durchsichtigen Cellophanbeuteln bis zu den Äpfeln in mitgelieferten Bastnetzen - abzupacken. Eine spezifische Verpackungstechnik - wie sie andere westeuropäische Länder für ihre üppig blühenden Supermärkte bereits entwickelt haben - muß in Westdeutschland erst aufgebaut werden. Außerdem muß sich die Industrie noch mehr auf die Produktion von spezieller Selbstbedienungsware umstellen. Der Supermarkt kann keine unsortierten Waren gebrauchen. Er benötigt für seine Treibjagd auf den Kunden:
* Raffinierte Sortimente von standardisierten Artikeln mit Preisaufdruck und planmäßig eingehämmerten Warenzeichen.
Die Konsumgenossenschaften verbesserten ihren Kundendienst durch Einführung von Tempoläden, in denen alle Waren an den betriebsschwachen Tagen vorgewogen und mit Preisen ausgezeichnet werden, so daß der Kundenstrom am Wochenende und an sonstigen Hauptgeschäftstagen schneller abgefertigt werden kann. Das sind erste Trippelschritte zur nächsten Etappe der Weiterentwicklung im Einzelhandel.
Kaufhaus-Direktor Dr. Schulz begründet die Notwendigkeit der »ökonomischen Vereinfachung« ("Auch wir werden immer amerikanischer") auf seine Art: »Auch Frau Piesecke (der Normal-Kundentyp) will nicht mehr stundenlang vor der Ladentheke stehen, nur um ein Pfund Salz zu kaufen.« - Auch Frau Piesecke hat es immer eiliger, besonders wenn sie berufstätig ist, und diese Frau Piesecke wird immer kritischer, weil sie sehr genau mit dem Pfennig rechnen muß. (Es ist bezeichnend, daß heute weit mehr Lebensmittel als früher im Warenhaus gekauft werden.)
»Damit ist aber noch keineswegs die Dämmerung der kleinen Ladengeschäfte angebrochen«, trösten die Funktionäre der Hauptgemeinschaft des deutschen Einzelhandels am Neuen Markt zu Köln die in ständiger Existenzangst lebenden »kleinen« Verbandsmitglieder. »Der Fachhandel wird auch in Zukunft für differenzierte Ansprüche unentbehrlich sein.«
Weiter: »Es wird auch nach 20 Jahren noch Tante-Anna-Läden (Familien-Kleinstbetriebe) geben, denn welche Hausfrau fährt wegen eines Pfundes Salz zum Super-Markt. Sie wird also, schon aus Bequemlichkeit, weiterhin auch zu ihrem Straßen-Kolonialwarenhändler laufen« - sofern er inzwischen nicht der Konkurrenz der allzu vielen neuen Kleinhändler unterlegen ist.
Hier aber liegt das wirkliche Kriterium: Der kleine Einzelhandel (bis zum Bauchladen) ist heute mehr denn je übersetzt:
Allerdings nahm auch die Bevölkerung - etwa proportional - um 20 Prozent zu. Aber der handel verlagerte sich mehr und mehr in Klein- und Kleinstläden, während die Zahl der rationeller arbeitenden Mittel- und Großbetriebe rund 35 Prozent niedriger liegt als vor dem Krieg. Diese Entwicklung hat sowohl politische als auch soziologische Gründe.
»Unter Berufung auf die Gewerbefreiheit ist der Einzelhandel praktisch zu einem Ausweich- und Versuchsfeld für alle möglichen Personen geworden, die in anderen Berufen mangels sachlicher Eignung gescheitert sind«, sagt der Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft Mittel- und Großbetriebe, Dr. Michel, in Köln. (Von 300 000 selbständigen westdeutschen Einzelhändlern haben nur etwa 40 Prozent eine ordentliche Kaufmannslehre absolviert.)
Hinzu kommt das gesellschaftliche Vorurteil, daß es honoriger sei, sich als selbständiger Gewerbetreibender mühsam durchzubringen, als etwa an der Drehbank sein Auskommen zu haben; obwohl der Kassensturz am Wochenende dem Gelegenheitshändler häufig genug zeigt, daß der Reingewinn - nach Abzug der Steuern und Unkosten - kaum an den Inhalt einer Gedinge-Lohntüte heranreicht, die ein werteschaffender Facharbeiter nach Hause bringt.
Die krankhafte Aufquellung des Einzelhandels hat zur Folge, daß in der Warenverteilung mehr Betriebsmittel - Geschäftsraum, Strom, Kohle, Transportmittel - , mehr Warenlager und mehr Arbeitskräfte beansprucht werden als notwendig. Diese unnütze Verschwendung führt zu einer Erhöhung der gesamten Verteilungskosten. Das schlagendste Beispiel bietet Frankreich:
Hier betätigen sich allein in der Textilbranche neben den 100 000 Besitzern von alten Läden weitere 72 000 Nachkriegshändler. Der Umsatz blieb jedoch der gleiche wir vor dem Kriege. Da der Kuchen für alle zu klein ist, mußten alle Textilhändler ihre Verdienstspanne ausweiten, um existieren zu können, so daß die Textilpreise unnötig stiegen.
Die Kunst des Handels - so definiert etwa der versierte Handelskaufmann Dr. Schulz - aber muß darin bestehen, durch kluge Betriebsführung und Rationalisierung zu einem Abbau der überhöhten Handelsspannen*) zu kommen und trotzdem noch einen gesunden Reingewinn zu erzielen.
Kaufhof-Direktor Schulz, der das Erbe von Leonhard Tietz verwaltet, ist der Initiator einer Arbeitsgemeinschaft, die den zurückgebliebenen Kleinhändlern die Erfahrungen der Großbetriebe vermitteln will, damit auch sie zu einer gesunden Betriebskalkulation kommen, »ohne Frau Pieseckes Portemonnaie mehr als nötig zu strapazieren«.
Deshalb hat auch Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard auf die Eingaben des Wortführers der kleinen Einzelhändler in Bayern, Wilhelm Krumbach, kürzlich entschieden: »Die Erhaltung einzelner bedrohter Handelsbetriebe ist nicht Sache des Staates, sondern der eigenen Bewährung.« Der Verbraucher allein soll weiterhin Schiedsrichter im Marktkampf bleiben.
*) Die Handelsspannen (Groß- und Einzelhandel zusammengenommen) betragen etwa 45 bis 60 Prozent des Kaufpreises.
Jahr | Einzelhandelsbetriebe >in Westdeutschland | Beschäftigte |
1939 | 395 000 | 1 103 000 |
1950 | 467 597 | 1 274 258 |
ANTEIL DES WARENHAUSUMSATZES<
AM GESAMTEN EINZELHANDEL: 4,0 %<
AM TEXTILEINZELHANDEL: 9,3 %<
UMSATZ EINES WARENHAUSES<
Umsatz der Warenhäuser<
1951<
ca. 1,5 Mrd. DM<
entsprach<
1933 (Reich)<
28 Einzelhandelsgeschäften<
1951 (Bundesrepublik)<
48 Einzelhandelsgeschäften<