PROZESSE / BUNDESWEHR Alles getan
Der Luftwaffensoldat Gerold Ohlhoff, 19, wäre nach dem Urteil der Dritten Großen Strafkammer des Landgerichts Duisburg nicht im Diabetes-Koma gestorben, wenn der Luftwaffen-Oberfeldarzt Dr. Karl-Heinz Kroll, 46, zur rechten Zeit das Richtige getan hätte. Trotzdem sprach die Kammer am Mittwoch vergangener Woche den Fliegerdoktor vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung frei.
Die Zweite Große Strafkammer des Landgerichts Krefeld hatte den Fall anders gesehen: Sie verurteilte Dr. Kroll im Januar vorigen Jahres zu 3000 Mark Geldstrafe an Stelle einer an sich verwirkten Gefängnisstrafe von zwei Monaten (SPIEGEL 6/1966). Der Krefelder Spruch aber wurde im Dezember vom Bundesgerichtshof aufgehoben und der Fall zu neuer Verhandlung nach Duisburg verwiesen.
Der schmächtige Wehrpflichtige Ohlhoff (1,64 Meter groß, 52 Kilo schwer), in seiner oldenburgischen Heimat Friedrichsfehn noch »o. B.« (ohne Befund) gemustert, war Anfang Oktober 1963 in die holländische Luftwaffen-Garnison Budel eingerückt. Bei der Einstellungs-Untersuchung am 3. Oktober wurde in Ohlhoffs Urinprobe Zucker entdeckt.
Als eine spätere Probe den gleichen Befund ergab, schickte Kroll, damals noch Oberstabsarzt, am 7. Oktober den Diabetiker zur Spezial-Untersuchung nach Mönchengladbach, wo der Bundeswehrvertragsarzt Dr. Lothar Hellbach »leichten Diabetes« diagnostizierte. Das Ergebnis (4,1 Prozent Urinzucker, 195 Milligrammprozent Blutzucker) teilte Internist Hellbach dem Oberstabsarzt telephonisch mit. Er empfahl, 20 Einheiten Insulin zu spritzen.
Kroll instruierte die beiden Stabsärzte Dr. Theodor Deggelmann und Dr. Klaus Kalbitzer und verließ am Abend das Revier. Kalbitzer, der wußte, daß Jugend-Diabetes »immer etwas Kitzliges ist«, und Deggelmann »rückversicherten« (Kalbitzer) sich bei einem Internisten im nahe gelegenen Krankenhaus Weert. Der Holländer riet ihnen am Telephon von einer Insulin-Spritze ab und empfahl Bettruhe unter Beobachtung, da im Krankenhaus nur noch ein Notbett frei sei.
Während die Kroll-Untergebenen mithin den Fall Ohlhoff mit Vorsicht behandelten, war Sanitätsstaffel-Chef Kroll am nächsten Morgen weniger ängstlich: Er akzeptierte den Stabsärzte-Entschluß, kein Insulin zu spritzen, und schickte Ohlhoff, der tatsächlich keine Krankheitssymptome zeigte, auf die Stube. Krolls Anweisung: keine Süßigkeiten, Zurückhaltung beim Genuß von Kartoffeln und Brot.
Am Nachmittag des 8. Oktober kam der Rekrut, taumelnd und von einem Soldaten gestützt, zurück ins Revier. Ihm war beim Unterricht unwohl geworden, und er war halb bewußtlos vom Hocker gerutscht. Kroll untersuchte Ohlhoff, wies ihm ein Bett an und ließ ihn, da der Patient sich inzwischen wieder erholt hatte, abends zurück in die Unterkunft gehen. Am nächsten Morgen starb Gerold Ohlhoff im Koma.
Spätestens am Nachmittag des 8. Oktober -- darin waren sich die Gutachter Professor Hans-Wilhelm Bansi (Hamburg) und Professor Karl Jahnke (Wuppertal) einig -- hätte bei Kroll ein »rotes Warnlicht« (Bansi) aufleuchten müssen. Hätte der Truppenarzt -- wie die beiden Stabsärzte am Abend zuvor -- zu diesem Zeitpunkt einen Fachmann zu Rate gezogen, so wäre Ohlhoff durch die dann * Letzte Woche im Duisburger Gerichtssaal.
fällige Einweisung ins Krankenhaus sehr wahrscheinlich gerettet worden.
Doch dem Militär-Arzt, der an diesem Tage infolge einer Angina-Epidemie. stark belastet war, leuchtete kein Licht. Wie er selber zugab, hatte er vom Wesen der Zuckerkrankheit kaum eine Ahnung. In seiner zehnjährigen Praxis habe er nur »ein oder zwei« zuckerkranke Patienten betreut. Der besonders tückische Jugend-Diabetes war ihm »kein Begriff«.
In seiner Urteilsbegründung erklärte der Strafkammer-Vorsitzende, Landgerichtsdirektor Gerhard Schulte, bei rechtzeitiger Einweisung in das Krankenhaus Weert wäre Ohlhoff dort richtig behandelt worden. Dennoch treffe den damals ranghöchsten ärztlichen Betreuer von 2000 Soldaten strafrechtlich keine Schuld, denn hier sei nicht der allgemeine ärztliche Bildungsstand, sondern der »angeklagte Arzt Dr. Kroll« der Maßstab.
Kroll aber habe »aus seiner Sicht alles getan, was er für erforderlich hielt«. Und: »Man muß insgesamt den Eindruck haben, daß er es nicht besser wußte.«
Nach dem Fall Ohlhoff wurde Oberstabsarzt Kroll zum Oberfeldarzt befördert.