NAHOST Alles oder nichts
Zwei arabische Könige mühten sich in der gleichen Sache um den amerikanischen Präsidenten - und es war doch keine konzertierte Aktion.
Saudi-Arabiens Fahd Ibn Abd el-Asis wies während seines ersten Staatsbesuchs in Washington vorletzte Woche unablässig auf die »gerechte Sache des palästinensischen Volkes« hin. Jordaniens König Hussein wiederum hatte mit PLO-Chef Jassir Arafat eine neue Friedensmarschroute abgesteckt - mit dem Ziel, Ronald Reagan zu erneuter diplomatischer Aktivität in Nahost zu bewegen.
Der US-Präsident, der seit dem ruhmlosen Abzug seiner Marineinfanteristen aus Beirut keine Lust mehr verspürt hatte, sich aufs neue in die Endloswirren der Konfrontation zwischen Palästinensern, anderen Arabern und Israelis verstricken zu lassen, ließ die Vorschläge, Initiative zu ergreifen, an sich abprallen.
Seinen Gast, König Fahd, der seinerseits amerikanischen Freunden beim festlichen Dinner allein für rund 50 000 Mark Beluga-Kaviar reichen ließ, speiste er mit dürren Worten ab: »Die Sicherheit Israels und anderer Nationen in der Region sowie die Rechte des palästinensischen Volkes sollten Gegenstand direkter Verhandlungen sein.«
Das konnte alles bedeuten oder nichts. Zunächst hieß es nur, daß die USA den israelischen Freunden zuliebe am Status quo nichts ändern wollten. Als sich US-Unterhändler Richard S. Murphy und Kreml-Abgesandter Wladimir Poljakow vorige Woche in Wien zu Nahost-Gesprächen trafen, stand deren Ergebnislosigkeit denn auch von vornherein fest.
Dennoch kam durch die arabische Initiative wieder Bewegung ins eingerostete Räderwerk der Nahostpolitik - und zumindest PLO-Chef Arafat suchte die wohl letzte Chance zum Auftritt auf großer politischer Bühne zu nutzen.
Denn nach weit über 500 Beschlüssen der Uno zum Nahen Osten und nach zehn Friedensplänen verschiedener Herkunft enthält Husseins und Arafats jüngste Palästinenserinitiative erstmals Elemente, die es auch Israels kategorischen Neinsagern schwermachen könnten, auf ihrem bisherigen Standpunkt zu beharren. König Husseins und Arafats bisher nicht veröffentlichtes Konzept sieht unter anderem vor: *___eine gemischte jordanisch-palästinensische Delegation ____für Friedensverhandlungen (um Israel entgegenzukommen, ____das bisher Verhandlungen mit der PLO strikt ablehnt); *___einen Palästinenserstaat auf dem Jordan-Westufer in ____Konföderation mit Jordanien; *___das Prinzip »Land im Tausch gegen Frieden« zu ____verwirklichen; *___eine internationale Nahost- Friedenskonferenz.
Von Israels Regierung kam zunächst weder Applaus noch Ablehnung. Mit der abwägenden Behutsamkeit, die ihn von den früheren Likud-Premiers, Menachem Begin und Jizchak Schamir, unterscheidet, meinte Schimon Peres: »Es besteht keinerlei Notwendigkeit für eine hastige Reaktion.«
Sicher nicht für eine hastige. Doch daß er überhaupt reagierte - dazu drängten ihn vergangene Woche sein italienischer Amtskollege Bettino Craxi und Papst Johannes Paul II., bei denen er zu Besuch weilte.
Mit Erfolg: Noch von Rom aus lud der Israeli König Hussein zu einem Besuch ein, bot hilfsweise an, selber nach Amman zu reisen, um über alle Fragen zu reden. Vergangenen Donnerstag flog er dann zu Rumäniens Nicolae Ceausescu, mit dem kurz zuvor Jassir Arafat Gedankenaustausch gepflegt hatte.
Mit Einladung und Besuchsangebot will Peres höfliche Flexibilität zeigen. Daß König Hussein darauf eingeht, ist nicht zu erwarten, und das ist Peres auch recht so. Denn er hat andere Sorgen.
Nach der ersten Phase des Rückzugs der Israelis aus dem Libanon auf die schwer zu verteidigende Linie entlang des Sachrani-Flusses haben die Guerilla-Überfälle radikaler Schiiten das Ausmaß eines Kleinkriegs angenommen. »Uns starrt so blanker Haß entgegen, daß es
einem den Atem verschlägt«, staunen israelische Soldaten.
Die Frage, ob - wie von vielen Israelis gefordert - das Tempo des Rückzugs beschleunigt werden soll, steht zuerst zur Entscheidung an. Denn unsicher ist noch, ob die Friedenspunkte König Husseins und Jassir Arafats das letzte Wort der Araber in Sachen Nahostfrieden sind. Ungewiß ist auch, ob der Friedensplan selbst von der Hausmacht des PLO-Chefs akzeptiert wird.
Die »Volksfront zur Befreiung Palästinas« (PFLP) und die »Demokratische Front zur Befreiung Palästinas« (DFLP), die gemäßigten unter den Arafat feindlich gesonnenen PLO-Fraktionen, lehnten ihn jedenfalls entrüstet ab. Der radikale PFLP-Chef Georges Habbasch meinte, eine andere Methode zur Befreiung Jerusalems als mit dem Gewehr komme nicht in Betracht.
Zu Wort meldete sich auch Abu Nidal. In einem Interview mit einem französischen Journalisten meinte der im vergangenen Jahr totgesagte und von Arafat zum Tode verurteilte Führer palästinensischer Killerkommandos, er habe beschlossen, König Hussein »zu exekutieren«. Die übrigen Arafat-Gegner ließen es mit wortreichen Klagen bewenden. »Arafat«, so ein anderer Opponent in Damaskus, »will uns der Ehre des Kampfes gegen Israel berauben.«
Von dieser Ehre halten zumindest Arafats alte Kameraden vieler verlustreicher Kämpfe nichts mehr. Arafat-Vize Abu Ijad beispielsweise erklärte dem SPIEGEL: »Wenn wir einen palästinensischen Staat fordern, bedeutet dies, friedlich mit den Israelis zusammenzuleben. Wir wissen, daß viele jener Israelis, mit denen wir leben wollen, zu den Streitkräften gehörten und womöglich unsere Frauen und Kinder wahllos getötet haben. Dennoch sagen wir eindeutig, wir wollen mit ihnen ohne Haß und ohne Rache zu nehmen zusammenleben.«
Doch vor dem letzten Schritt hin zur Realpolitik scheuen auch Arafats Freunde zurück. So gab der Zentralrat der PLO seine generelle Zustimmung zum Hussein-Arafat-Plan, meldete dies auch den Nachrichtenagenturen. Aber die Palästinenser-Funktionäre verschwiegen, daß sie ihr Ja an so viele Bedingungen knüpften, daß es für Arafat fast schon zu einem Nein geworden ist.
Ob es ihm noch gelingen wird, seine Freunde umzustimmen, steht dahin. Sicher ist aber, daß König Hussein, wenn seine Zusammenarbeit mit Arafat scheitern sollte, mit Rückendeckung durch Ägypten einen Alleingang mit den Israelis versuchen wird.
Die terroristischen schiitischen Hisbollahi (Parteigänger Gottes) im Libanon glauben jedenfalls, schon vorauszusehen, wie es kommen wird. Ein Sprecher in Beirut: »Der Rückzug der gedemütigten Israelis aus dem Südlibanon und der Zusammenbruch der jordanisch-palästinensischen Konspiration bilden den Auftakt für die Befreiung Jerusalems.«