KRANKENHÄUSER Alles ungeprüft
Im Vorzimmer von Professor Klaus Böhme, Chef des Allgemeinen Krankenhauses im Hamburger Stadtteil Ochsenzoll, gab sich ein alter Herr starrsinnig. »Ich gehe hier«, beharrte Rentner Walter Weyde, 73, »nicht ohne die Karte weg, selbst wenn Sie zehn Peterwagen holen.«
Der Professor gab nach. Weyde erhielt seine Krankenhaus-Karteikarte in Ablichtung und, im Original und per Einschreiben, ein »Geländeverbot für den Bereich des Allgemeinen Krankenhauses Ochsenzoll«, da er mit seinem Auftritt heim Direktor den »Dienstbetrieb erheblich gestört« habe.
Doch die Störaktion hat sich, trotz Hausverbots und Androhung von »strafrechtlichen Schritten«, für den Rentner gelohnt. Die Kopie aus der Klinik belegt, was er »schon immer vermutet« hatte, aber nie beweisen konnte: »daß ich auf der schwarzen Liste für Patienten stehe«.
Denn auf dem umstrittenen Dokument fand sich, neben Weydes Personaldaten und den Terminen seiner Krankenhausaufenthalte, ein Hinweis, der nicht für Patientenaugen gedacht war: »Siehe Warnkartei vom 6. 2. 67 Hamburgische Krankenhausgesellschaft.«
Die Notiz belegt, einmal mehr, den ungehemmten Umgang westdeutscher Aktenverwalter mit personenbezogenen Daten. Wie in Hamhurg werden seit rund 20 Jahren in allen anderen Bundesländern sogenannte Warnkarteien über Patienten geführt. Krankenkassen, Kliniken und Krankenhausverbände sammeln und verbreiten Informationen über ihre Kunden, die davon nichts wissen -- ein »rechtlich höchst problematischer Vorgang«, wie der Arbeitsrechtler und hessische Datenschutzbeauftragte Spiros Simitis wertet.
Es ist, wie Wolfgang Fischer, Finanzierungsreferent der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) in Düsseldorf glaubt, »der einzige Weg, uns vor Betrügern zu schützen«. Doch ob es nun wirklich alles Gauner sind, die registriert werden, mag er »auch nicht so sagen«, denn kaum einer der Verdächtigen ist gerichtlich als Betrüger überführt.
Gespeichert sind die Daten von knapp 1000 Patienten, die ihre Rechnung nicht bezahlt oder ihren Versicherungsschutz verloren haben. Mitunter sind es Obdachlose oder Gastarbeiter, die ein Bett für ein paar Nächte suchen, zuweilen auch, wie Fischer weiß, »normale Bürger« oder »eingebildete Kranke«.
Wer wann und wo als »Krankenhausläufer« (Medizinerjargon) aufgefallen ist, erfährt die DKG vornehmlich von Kliniken und Versicherungsgesellschaften, bei denen unbezahlte Rechnungen auflaufen.
Finanzexperte Fischer, der das Informationssystem der Krankenhäuser koordiniert, gibt solche Meldungen über »mögliche Betrüger« in Rundbriefen an alle Kliniken in Nordrhein-Westfalen weiter und streut, per Mitteilung an alle Landes-Krankenhausgesellschaften, den Verdacht bundesweit. »Für Rückfragen« behält er eine Kopie in Düsseldorf.
Die Folgen, die solche Speicherung im Warnsystem der Krankenhäuser für die Betroffenen haben kann, hat der Hamburger Rentner Weyde »wie einen Alptraum« empfunden. Selbst wenn er über Schmerzen geklagt habe, sei er »nach ein bis zwei Tagen immer wieder aus der Klinik entlassen« worden: »Einmal ist ein Arzt an mein Bett gekommen und hat gesagt: »Ziehen Sie sich an, Sie sind entlassen, Sie stehen in der Warnkartei.'«
Datenverbreiter Fischer, der solche Beispiele »für hochgespielt« hält, glaubt an derartige Auswirkungen seiner Arbeit nicht. Denn jeder Patient, ob auf der schwarzen Liste oder nicht, werde untersucht und, falls notwendig, auch behandelt: »Das gebietet schon die ärztliche Standespflicht.«
Ob die Warnkartei das Verhalten von Ärzten nun beeinflußt oder nicht -rechtlich bedenklich ist das Informationssystem der Krankenhäuser allemal. Denn nach dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) dürfen personenbezogene Daten nur weitergegeben werden, wenn
* die Übermittlung »im Rahmen der Zweckbestimmung eines Vertragsverhältnisses« liegt oder
* die Weiterleitung zur Wahrung »berechtigter Interessen der übermittelnden Stelle oder eines Dritten oder der Allgemeinheit erforderlich ist« oder
* »der Betroffene eingewilligt hat«.
Für das Warnsystem der Krankenhäuser wollen Datenschützer allenfalls das »berechtigte Interesse« gelten lassen, was als Rechtsgrundlage freilich noch nicht hinreicht. Denn wer solche Informationen übermittelt, muß nach dem BDSG-Kommentar von Simitis beispielsweise prüfen, ob »schutzwürdige Belange des Betroffenen« beeinträchtigt werden und »sich dabei auch von der Richtigkeit der Daten überzeugen«.
Bei der Deutschen Krankenhausgesellschaft scheinen Gesetz und Kommentar unbekannt zu sein. »Alles, was bei uns eingeht«, sagt DKG-Referent Fischer, dessen Kunden auch Daten von drogenabhängigen Ärzten, stehlenden Krankenschwestern und entlassenen Pflegern sammeln, »haben wir ungeprüft und kommentarlos weitergegeben.«
Kaum verwunderlich, daß bei solch leichtfertigem Umgang mit Informationen kaum jemand wieder aus der Kartei herauskommt, der einmal hineingeraten ist. In Hamburg beispielsweise, wo gemäß einer Anordnung der Gesundheitsbehörde jeder Eintrag nach fünf Jahren überprüft und gelöscht werden soll, war Patient Weyde seit 1967 gespeichert. Denn »solche Meldungen über verdächtige Patienten«. verrät Günter Bölke, Direktor der Hessischen Krankenhausgesellschaft, »heben wir praktisch für immer auf«.
Korrekturen von Eintragungen sind gleichfalls unüblich. Haben Krankenkassen und Kliniken den Namen eines vermeintlich betrügerischen Patienten erst einmal verbreitet und zu den Akten genommen, ist der Fall erledigt, selbst wenn die Voraussetzungen für den Eintrag weggefallen sind. »Einen Widerruf«, sagt Kurt Hipp von der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft, »hat es noch nie gegeben.«
Die Ansicht von DKG-Verteiler Fischer, daß es bei der Speicherung auffälliger Patienten »nicht um Datenschutz, sondern nur um den Schutz der Krankenhäuser vor Betrügern« geht, traf in Hamburg erstmals auf Widerspruch: Wegen »rechtlicher Bedenken« ordnete Gesundheitssenatorin Helga Elstner die Vernichtung der schwarzen Listen an.