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»Alles wurde mit Zahlen codiert«

aus DER SPIEGEL 34/1990

An vier Tagen im Jahr, meist zur Adventszeit, spielte der Ost-Berliner SED-Spitzenfunktionär Karl Raab Weihnachtsmann. Die Gaben steckten in einem dunklen Koffer - Millionen Mark in bar, gebündelt mit Banderolen der DDR-Staatsbank.

Raabs »Aktion Dagobert Duck«, wie Spötter den seltsamen Geldtransfer nennen, endete stets in gediegenen Wohnzimmern. Bei Kaffee und Cognac blätterte der SED-Schatzmeister ein paar tausend Scheine auf den Tisch des jeweiligen Hausherrn - ob der nun Gerald Götting hieß oder Manfred Gerlach, Ernst Goldenbaum oder Heinrich Homann.

Was die Vorsitzenden der damaligen DDR-Blockparteien CDU, Liberal-Demokratische Partei Deutschlands (LDPD), Demokratische Bauernpartei Deutschlands (DBD) und Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NDPD) wie Mafia-Verschwörer entgegennahmen, war staatliches Schmiergeld. Erst 1982 schaffte Raabs Nachfolger Heinz Wildenhain, mittlerweile 60, die Barzahlung ab und führte den Transfer von Konto zu Konto ein. Bis zuletzt aber behielt der Oberkassierer ein Prinzip bei, das Vorgänger Raab eingeführt hatte: totale Konspiration.

Zwar seien, offenbarte Wildenhain vor der DDR-Kripo, »Überweisungsbelege gefertigt« worden. »Namen oder dergleichen« tauchten jedoch auf den Formularen nicht auf: »Alles wurde mit Zahlen codiert«, gab er zu Protokoll, »um die Geheimhaltung zu gewährleisten.«

Weil die staatlichen Alimente jahrelang verschleiert wurden, lassen sich die Einkünfte der Blockparteien heute nicht mehr genau taxieren. Nach groben Schätzungen kassierten die Claqueure des SED-Regimes insgesamt 2,5 Milliarden Mark; von 1984 bis 1989 - für diese Zeit existieren Belege - waren es allein 582,7 Millionen Mark, von denen die CDU unter dem Honecker-Hätschelkind Götting mit 195 Millionen Mark den größten Anteil bekam.

Die Parteien ließen das Geld, nach kapitalistischem Vorbild, fleißig arbeiten: Mit dem »Vermögen des Volkes« (SPD-Finanzexpertin Ingrid Matthäus-Maier) wurden zu Vorzugspreisen riesige Grundstücke in besten Lagen gekauft und florierende Betriebe errichtet. Die wiederum waren, weitere Gegenleistung für die Linientreue der Blockparteien, von der Steuer befreit.

Auch wenn die »Blockflöten« (DDR-Spott) zur Finanzierung von Auslandsgeschäften Devisen brauchten, sprang hilfreich die SED-eigene »Zentrale Druckerei-, Einkaufs- und Revisionsgesellschaft mbH« ein. Sie gewährte »Druckereien Kredite in Valuta« (Wildenhain), die Rückzahlung »erfolgte aus den erzielten Exporterlösen«.

Die Staatsführung brach sogar die DDR-Verfassung, nach der Volksvermögen nicht aus Staatshand weggegeben werden durfte. »Verschiedene Objekte/Betriebe«, ermittelte die seit Ende Juni tagende Unabhängige Kommission zur Überprüfung der Vermögenswerte aller Parteien und Massenorganisationen der DDR, seien »aus dem Volkseigentum ausgegliedert« und den Blockparteien oder deren Unternehmen »unentgeltlich zu Eigentum überlassen« worden - ein krimineller Akt.

Das »Großvermögen« (Bundeskanzler Helmut Kohl) der östlichen Counterparts erweckt schon lange die Begierde der Bonner Alt-Parteien. Nur der rechtliche Weg zu den Ostschatullen ist noch umstritten.

Neue Perspektiven eröffnet da das kürzlich von der DDR-Volkskammer verabschiedete Parteiengesetz. Bei Fusionen, so heißt es, sei die »entstehende Partei« Rechtsnachfolgerin. Die neuen gesamtdeutschen Parteien würden damit auch das umstrittene Vermögen erben.

Mit dem Zugriff auf das Ostvermögen könnten die Bonner Koalitionspolitiker allerdings den Volkszorn auf sich ziehen. Wie schon in der Parteispendenaffäre wäre die Selbstbedienung allzu skrupellos - diesmal aus Kassen, die in einer 44 Jahre währenden Diktatur gefüllt worden sind.

Mit deren Geschichte sind die Blockparteien aufs engste verstrickt. Schon im Juni 1945 hatte der »Befehl Nr. 2« der Sowjetischen Militäradministration die Gründung politischer Parteien erlaubt, die samt und sonders der Kontrolle sowjetischer Politoffiziere unterworfen waren. Damit sollte von vornherein die Vorherrschaft der Kommunisten gesichert werden.

Das Instrumentarium dazu bot ihre »Einheitsfront der antifaschistisch-demokratischen Parteien«, kurz »Antifa-Block«. Die »Block«-Beschlüsse waren »bindend für alle Parteien« und wurden auf dem »Wege der Vereinbarung« getroffen - demokratische Abstimmungen gab es nicht.

Die Sitze in der Volkskammer wurden nach einem festgelegten Schlüssel vergeben: Eine gemeinsame Kandidatenliste der »Nationalen Front des Demokratischen Deutschland« garantierte dem SED-Regime die Alleinherrschaft. Der Dank des Großen Bruders war den Blockparteien gewiß: Erst belohnte sie Walter Ulbricht reichlich mit irdischen Gütern, dann Erich Honecker.

Wie schamlos die Geschäfte betrieben wurden, belegt ein Schriftstück des damaligen LDPD-Chefs Gerlach, von 1960 bis zur Revolution auch Vizevorsitzender des DDR-Staatsrats. Das SED-Politbüro hatte »zur Weiterentwicklung der sozialistischen Produktionsverhältnisse« beschlossen, der Staat müsse private Anteile an Firmen übernehmen, die in Volkseigene Betriebe (VEB) umzuwandeln seien.

Gerlach kam für den Unternehmensbereich seiner Partei der Order nach. Dafür verlangte er, »mit sozialistischem Gruß«, von Horst Sinderman, damals Vizepremier, happige Gegenleistungen: 24 dieser neuen VEB, meist Druckereien, sollten »der VOB Aufwärts« zugeordnet werden - der Wirtschaftsfirma seiner eigenen Partei. Der Ministerrat stimmte zu, die VOB (Vereinigung Organisationseigener Betriebe) Aufwärts scheffelte Geld in die Kasse der Liberalen.

Zwar spielte bei der Vergabe staatlicher Gelder auch eine Rolle, wie der jeweilige Vorsitzende einer der Blockparteien bei der SED-Führung gelitten war. Im Normalfall aber, weiß ein SED-Kenner, »entsprachen die Zuwendungen der Summe, die die Partei für sich beanspruchte«.

Jeweils im Spätsommer wurde zwischen SED und DDR-Finanzministerium die Gesamtsumme »im voraus abgestimmt und in den Staatshaushalt insgesamt aufgenommen«. Nachdem sich Raabs Einzelgänge erledigt hatten, überwies das Ministerium das Geld aufs Zentralkomitee-Konto 6666-11-260202 bei der Ost-Berliner Staatsbank - in zwölf Monatsraten.

Von dort leitete die SED-Hauptkasse die Zuschüsse weiter an die Blockparteien. Noch 1989 spendierten die Bonzen reichlich: 31 Millionen Mark für die CDU, 30 Millionen Mark für die DBD, 18 Millionen Mark für die LDPD und 27 Millionen Mark für die NDPD.

Nach den bisherigen Feststellungen der Ost-Berliner Kommission besaß *___die CDU 30 Handelsunternehmen, 16 Produktionsbetriebe, ____9 Zeitungs-, Buch- und Kunstverlage, ein Hotel, ein ____Übersetzungsbüro, 6 Ferienheime und -lager, 4 ____Bungalows; *___die NDPD, die jetzt in der FDP aufgegangen ist, 8 ____Betriebe (Druckereien, Buchbindereien), 6 Verlage, ____mehrere Schulungshäuser, ein Ferienlager; *___die LDPD, jetzt gleichfalls FDP, einen Buchverlag, 5 ____Zeitungsverlage, mehrere Immobilien.

Der Kommission ist es bisher nicht gelungen, das Vermögen in Mark und Pfennig auszurechnen. Nach Schätzungen des Bonner SPD-Schatzmeisters Hans-Ulrich Klose gehören den Liberalen »vier bis fünf Milliarden Mark« (FDP-Kollege Hermann-Otto Solms: »Reines Hirngespinst"), der CDU »zwei bis drei Milliarden«. Der CDU-Besitz erhöht sich beträchtlich, wenn die reiche Bauernpartei, wie angekündigt, mit der Union fusioniert.

Allein das Barvermögen der Partei von DDR-Ministerpräsident Lothar de Maiziere beziffert Klose auf 100 bis 150 Millionen Mark.

Das hat in der Partei Unmut geweckt. Walter Kansy, 16, stellvertretender Vorsitzender der Jungen Union in Sachsen mit 3000 Mitgliedern: »Die da oben halten ihre Gelder zusammen, und uns fehlt der Kleister für die Plakate.«

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