JUSTIZ / REFERENDARE Als solches ungehörig
Werner Jörn, 64, Vorsitzender der 8. Kammer des Hamburger Verwaltungsgerichts, hat vom Rest seiner Richterlaufbahn klare Vorstellungen: »Ich will meine Ruhe haben und keine Schererei mit der Justiz.«
Hamburger Juristennachwuchs will nun den Wünschen des Vorsitzenden entgegenkommen: Letzte Woche ging beim Oberlandesgericht das Gesuch ein, Richter Jörn von der Mühe zu befreien, weiterhin Referendare auszubilden. Antragsteller: die Referendare.
Den Jungjuristen mißfällt, daß nach Auffassung dieses Ausbilders der Weg zum Volljuristen über den Verzicht auf staatsbürgerliche Grundrechte führt. Ausgelöst wurde der Generationenkonflikt im Oktober dieses Jahres, als in Hamburg rund vierhundert Gerichtsreferendare mit polizeilicher Erlaubnis gegen offenkundige Mängel der Juristenausbildung demonstrierten.
Enttäuscht darüber, daß selbst einstimmige Empfehlungen einer Hamburger Juristenkommission, das Prüfungsverfahren durchschaubarer zu machen und gerechtere Bewertungsmaßstäbe einzuführen, am hinhaltenden Widerstand der Prüfer zunichte wurden, zogen die Referendare zum Dienstgebäude des Justizsenators Peter Schulz ("Peter, wir kommen") und forderten Sofortmaßnahmen.
Übers Treppengeländer seines Dienstgebäudes sprach der Senator zu den Demonstranten, empfing eine Delegation, erklärte die Reformvorschläge der Referendare für weitgehend berechtigt und diskutierte dann mit ihnen im Plenarsaal des Landgerichts.
Doch was den Senator bewog, »für die faire und sachliche Diskussion zu danken«, bot Richter Jörn Anlaß zu privater Strafaktion. Denn als am Montag vorletzter Woche der Verwaltungsgerichtsdirektor mit seinen beiden Beisitzern und den fünf Referendaren zur Vorbesprechung der nächsten Sitzung zusammentraf, begann die Unterredung nicht, wie üblich, mit der Erörterung anstehender Rechtsfälle. Statt dessen fragte der Direktor: »Hat jemand von Ihnen an der Demonstration teilgenommen?«
Johannes Leverkühn, 31, und Jürgen Libbert, 27, bejahten. Jörn, ganz Richter: »Dann müssen wir prüfen, ob die Basis für weitere Zusammenarbeit noch gegeben ist und ich mit diesen Herren in die Beratung gehen kann. Bitte begeben Sie sich in die Bibliothek, wir werden Sie abrufen.«
Der Verwaltungsgerichtsdirektor, der kein Hehl daraus macht, daß er den Schußwaffengebrauch der Polizei für ein angemessenes Mittel gegen langhaarige Eigentumsverletzer hält, prüfte das rechte Verhältnis des Juristen zur Obrigkeit 25 Minuten lang. »Ihr Verhalten«, so erläuterte er danach den künftigen Berufskollegen kraft hausgemachten Standesrechts, »ist scharf zu mißbilligen. Die Teilnahme an der Demonstration ist für einen Beamten unwürdig, die Demonstration als solche ungehörig und unanständig, Auf die Straße zu gehen und Ihren Senator anzupöbeln, ist ungehörig. Sie werden verstehen, daß wir Ihnen nur noch mit der größtmöglichen Distanz begegnen.«
Für noch mehr Distanz waren die beiden Referendare: Sie wollen ihrem Ausbilder künftig überhaupt nicht mehr begegnen und ließen sich versetzen Leverkühn gar in die Behörde des Justizsenators, um dessen Wohlergehen Richter Jörn besorgt ist.
Hamburgs Oberlandesgerichtspräsident Walter Stiebeler nach dem Eklat: »Ich kann nicht verstehen, wie man als Richter so reagieren kann.« Über den Antrag, Jörn künftig von der Nachwuchspflege fernzuhalten, hat Stiebeler noch nicht entschieden.
Wie immer der Entscheid ausfällt: Scherereien mit der Justiz werden dem ruhebedürftigen Verwaltungsgerichtsdirektor kaum erspart bleiben. Peter Struck, Mitglied des Hamburger Referendarausschusses, will aus dem Vorfall einen Fall machen. Er befragte Jörn und Heinrich Hußmann, den Präsidenten des Gerichts, nach Details.
Hußmann zu Struck: »Das ist ein Einzelfall. Beurteilen Sie danach nicht das ganze Verwaltungsgericht.« Jörn zu Struck: »Mit Ihnen rede ich nicht.«