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LUFTFAHRT / PREISKAMPF Alte Bastarde

aus DER SPIEGEL 43/1969

Wenn Sie einen Computer mit unseren gegenwärtigen Flugtarifen füttern«, spottete Fabrizio Serena di Lapigio, Marketing-Chef der italienischen Luftverkehrsgesellschaft Alitalia, »kommen sie wie Spaghetti ineinander verschlungen wieder heraus.«

Ende vergangenen Monats bereicherte die Alitalia-Direktion in Rom den Tarif-Wirrwarr im Linienverkehr um eine neue Variante: Sie kündigte an, sie werde den niedrigsten Preis für einen Flug von Rom nach New York und zurück von 1539 auf 1136 Mark senken.

Zum erstenmal in der Geschichte des internationalen Luftverkehrsverbandes Air Transport Association (Iata), der die Flugpreise der Linienfluggesellschaften einheitlich festlegt, brach damit ein Iata-Mitglied aus dem weltumspannenden Luftfahrt-Kartell aus. Dadurch, daß die Italiener die erst im Februar getroffenen Preisabsprachen kündigten, beschworen sie eine offene Tarifsituation auf den Nordatlantik-Routen herauf.

Pan American World Airways (PanAm) und Trans World Airlines (TWA), Alitalias Hauptkonkurrenten auf der Rom-Route, folgten dem italienischen Beispiel. Die »niedrigsten Nordatlantik-Flugtarife in der Geschichte des Linienluftverkehrs« gab kurz darauf auch die Lufthansa bekannt.

Die deutsche Luftfahrtgesellschaft plant, den Preis eines Hin- und Rückfluges von Frankfurt nach New York für sogenannte Affinitätsgruppen (Vereine, Klubs, Verbände und Firmen, die nicht erst zum Zweck der Reise gegründet wurden) je nach Gruppengröße und Saison auf 600 beziehungsweise 960 Mark zu senken (bisheriger Preis: 817 beziehungsweise 1273 Mark).

Als in der vorletzten Woche auch Air India, Swissair, Air France und die niederländische Luftverkehrsgesellschaft KLM ähnliche Tarifsenkungen bekanntgaben, rief Iata-Generaldirektor Knut Hammarskjöld die Verbandsmitglieder vergangene Woche zu einer Notkonferenz nach Lausanne zusammen.

Gelingt es den Vertretern der Luftverkehrsgesellschaften nicht, die ins Rutschen geratenen Tarife für Transatlantikflüge wieder abzufangen, droht den wettbewerbsentwöhnten Iata-Gesellschaften ein interner Preiskampf, den ihnen bisher nur Außenseiter geliefert hatten.

Ohnmächtig hatten die Luftfahrtmanager in den vergangenen Jahren mitansehen müssen, wie immer mehr Passagiere die billigeren Charterflüge (600 Mark statt 1916 Mark für einen Flug von Frankfurt nach New York und zurück) bevorzugten. Noch 1963 hatten nur 34 260 Reisende den Atlantik in Charterflugzeugen überquert. Im vergangenen Jahr waren es schon 413 792, und in diesem Jahr werden es voraussichtlich fast 700 000 Passagiere sein.

Der Marktanteil der Chartergesellschaften am Transatlantikverkehr, der 1963 erst zwei Prozent betrug, wird damit bis Jahresende auf über 14 Prozent steigen. Auf den Routen zwischen Los Angeles und Europa flog im vergangenen Sommer sogar die Hälfte der Passagiere in gecharterten Maschinen.

Najeeb E. Halaby, Präsident von PanAm, befürchtet das Schlimmste: »Manche sagen, diese Charterfluggesellschaften seien angeblich dazu da. uns zu ergänzen. In Wirklichkeit wollen sie nichts anderes als uns ersetzen.«

Zwar versuchten Halaby und seine Kollegen von den anderen Iata-Geselischaften in den vergangenen Jahren durch Einführung von Sondertarifen am Boom der Gruppenreisen teilzuhaben. Aber den Vormarsch der »non-skeds« ("non-scheduled airlines"), wie die Charterunternehmen im Luftfahrtjargon heißen, vermochten sie nicht aufzuhalten.

Vor allem amerikanische Reiseveranstalter schafften es immer wieder, die Vorschrift, wonach an billigen Flügen nur Affinitätsgruppen teilnehmen dürfen, zu durchbrechen und vom eigens gegründeten Gesangverein bis zur Hausfrauenliga Passagiere aller Art in die Billig-Maschinen zu schaffen. Lediglich als kürzlich ein US-Reisebüro den Trip eines »Internationalen Ordens alter Bastarde« nach Palma de Mallorca anmeldete, erhob die amerikanische Luftfahrtbehörde Einspruch.

Mehr Erfolg haben Reiseagenten in New York und Los Angeles. Sie fassen Gruppenreisende, die Transatlantikflüge zu einem Sondertarif einer Liniengesellschaft buchen, zusammen, stecken sie in ein Charterflugzeug und kassieren die Preisdifferenz. Das Geld, so vermuten die Iata-Manager, erhöht das Vermögen der Mafia.

»Es ist wie zur Zeit der Prohibition«, klagte Richard O'Melia, Chef des Überwachungsbüros in der US-Luftfahrtbehörde. »Jeder weiß, daß es verboten ist; aber selbst rechtschaffene Bürger mißachten die Vorschriften, weil sie glauben, daß jeder andere es auch so macht.«

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