MEINUNGSFORSCHUNG Alte Freunde
Regierungsamtlich wird der Professorin Elisabeth Noelle-Neumann, Leiterin des Allensbacher Instituts für Demoskopie, dieser Tage bescheinigt, was sie jahrelang bestritten hat: daß ihr Institut der CDU so nahe steht wie kein anderes.
Diesem Faktum verdanken die Allensbacher Demoskopen einen gewaltigen Regierungsauftrag. Dem Institut am Bodensee fließt ab Januar 1983 nicht mehr, wie vor dem Regierungswechsel in Bonn, nur ein Vierzehntel, sondern die Hälfte des Geldes zu, das vom Bundespresseamt alljährlich für Meinungsumfragen ausgegeben wird. Steigerungsrate: 600 Prozent.
Dreimal soviel wie bisher wird das Bielefelder Emnid-Institut (Chef: CDU-Mitglied Walter Tacke) für das Presseamt zu tun haben, während umgekehrt die Aufträge für das Bonner Infas-Institut (Chef: SPD-Mitglied Klaus Liepelt) und für das Münchner Infratest-Institut auf etwa je ein Viertel reduziert werden (siehe Graphik).
Mit dieser Neuregelung sollen laut Wolfgang Bergsdorf, früher Leiter des Kohl-Büros in der CDU-Zentrale und heute Inlandschef des Bundespresseamtes, »die Gesichtspunkte der Leistungsfähigkeit und der Loyalität in optimaler Weise zur Wirkung gebracht werden«.
Da Bergsdorf die Frage verneint, ob er Infratest und Infas für weniger leistungsfähig halte als Allensbach und Emnid, bleibt als Kriterium für die Höhe der Aufträge nur die »Loyalität« übrig.
Bereits als es erste Meldungen über die bevorstehende Neuregelung der staatlichen Aufträge gab, hatte das Presseamt eine schlechte Presse.
Eine Entscheidung nach der politischen Einstellung der Institute müsse, fand ein Kommentator des Westdeutschen Rundfunks, »alle verprellen, die daran geglaubt haben, daß Demoskopie etwas Objektives, etwas Wissenschaftliches sei«. Und die Münchner »Abendzeitung« merkte an, daß offenbar »die neue Regierung alte Freunde nicht vergißt«.
Statt nach objektiven Kriterien zu entscheiden, rechtfertigte die neue CDU-Crew im Presseamt ihr Hinauf- und Hinunterstufen der Institute damit, daß sie nach dem gleichen Prinzip handle wie die alte Bundesregierung und alle Landesregierungen.
Tatsächlich ist es in Bonn wie auch in den Landes-Hauptstädten seit jeher üblich, die Institute in zwei Gruppen - CDU-nahe und SPD-nahe - einzuteilen und die Aufträge dementsprechend zu vergeben.
So ist Infas für alle SPD-Regierungen tätig (Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Bremen, Hessen), aber für keine einzige andere. Umgekehrt beschäftigen die Unionsregierungen zumeist Institute, die als CDU-nah gelten: Emnid, Allensbach, Getas (Bremen) und Contest-Census (Frankfurt).
Kommt es irgendwo zu einem Regierungswechsel, so werden über kurz oder lang auch die Umfrage-Institute ausgewechselt. So ist Allensbach in Niedersachsen erst tätig, seit dort CDU-Albrecht regiert, und Emnid arbeitet in Berlin erst, seit CDU-Weizsäcker dort im Schöneberger Rathaus sitzt.
Das einzige Institut, das nicht eindeutig zugeordnet wird, ist Infratest, das weitaus größte. Eine Tochtergesellschaft, die »Infratest Sozialforschung«, ist überwiegend für die SPD und für SPD-Regierungen, eine andere, die »Infratest Wirtschaftsforschung«, ist überwiegend für die CDU und für Unionsregierungen tätig.
Diese Trennung brachte Infratest zwar sogar mit der bayrischen Staatskanzlei, mit der CSU und mit der CDU-eigenen Konrad-Adenauer-Stiftung in Geschäftsverbindung, konnte aber das Institut nun nicht vor der Auftragskürzung im Presseamt bewahren.
Neu belebt wurde die alte Debatte darüber, ob Institute es ohne Schaden überstehen können, wenn sie nach parteipolitischen statt nach sachlichen Gesichtspunkten engagiert werden.
Der Kölner Soziologe Professor Erwin K. Scheuch hält dies für eine Gefahr. Er erklärt diese Praxis damit, daß Umfrageergebnisse »in erheblichem Maße auch propagandistisch eingesetzt werden, aber durchweg nicht mit falschen, sondern mit gewünschten Ergebnissen. Will heißen, daß man mit seinen Freunden ein Thema eher so formulieren kann, daß sich ein erhofftes Ergebnis auch einstellt«.
Solch Verdacht wird genährt, wenn zwei Institute zur selben Zeit das gleiche Thema aufgreifen und zu konträren Ergebnissen kommen. Das geschah zum Beispiel, als Allensbach und die Mannheimer »Forschungsgruppe Wahlen« jüngst die Meinung der Bundesbürger zu den Bafög-Kürzungen der neuen Regierung erforschten (siehe Graphik Seite 61).
Die Institute halten es für abträglich, einer Partei zugeordnet zu werden. Sie wehren sich allerdings mit verschiedener Intensität dagegen. Allensbach-Chefin Noelle-Neumann scheint anders als früher dem Eindruck kaum noch entgegenwirken zu wollen, daß sie mit der CDU im allgemeinen und mit Kohl im besonderen eng verbunden ist.
Kein Meinungsforscher hat je mit irgendeinem Politiker über viele Jahre hinweg so eng zusammengearbeitet wie Frau Noelle-Neumann mit Kohl. Das war schon so, als der heutige Kanzler noch Ministerpräsident in Mainz war (wo die Allensbach-Chefin einen Lehrstuhl für Publizistik besitzt), und es blieb auch so, als Kohl in Bonn Oppositionschef war und es der CDU zeitweilig an Geld fehlte, um Allensbach-Umfragen zu bezahlen.
Obwohl sich Frau Noelle sooft wie kein anderer Demoskop in Aufsätzen und Interviews zu politischen Themen äußert, hat sie schon seit Jahren noch nie ein Argument öffentlich vorgetragen, das die Wahlchancen Kohls vermindern oder auch nur gegen seine Politik verwendet werden konnte.
Vor fast jeder Wahl wird die Allensbach-Chefin denn auch als CDU-Helferin angegriffen - gelegentlich zu Unrecht, häufig zu Recht. Und auch vor der Hamburg-Wahl am vierten Advent setzte sie sich mitsamt ihrem Institut einschlägiger Kritik aus.
Mit Allensbach-Zahlen versuchte »Bild« nachzuweisen, daß die Hamburger dem CDU-Kandidaten Kiep mehr positive Eigenschaften zuschreiben als dem SPD-Bürgermeister Dohnanyi. Als Irrtum erwies sich die Noelle-Meinung, daß die SPD in Hamburg »ihre Wähler nicht so geschlossen an die Wahlurnen bekommt wie die CDU«.
Über die Parteipräferenzen der Hamburger Wähler wurden immer neue Umfragezahlen des Allensbacher Instituts veröffentlicht. Fünf verschiedene Ergebnisse kursierten in der Hansestadt, obwohl S.61 das Institut sich auf zwei Umfragen beschränkt hatte.
Zur ersten Verwirrung trug die Allensbach-Chefin selbst bei, als sie bei einer Umfrage je zwei Zahlen für jede Partei nannte: für die wahlberechtigten und für die zur Wahl schon entschlossenen Hamburger. Nach der einen Lesart lag die SPD vor der CDU, nach der anderen war es umgekehrt. Die Zeitungen zitierten verschiedene Zahlen und meinten doch dieselbe Umfrage.
Zum Skandal kam es, als »Bild« am Tag vor der Wahl die Titelseite mit der Meldung aufmachte, in Hamburg gebe es ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen SPD und CDU: Allensbach habe je 43 Prozent ermittelt.
Die Meldung war falsch. Die »Bild«-Zeitung war, wie deren stellvertretender Chefredakteur Hans-Erich Bilges einräumt, »einem sonst zuverlässigen Informanten aufgesessen«. Bilges hatte sich per Telephon bei Frau Noelle vergewissern wollen, sie aber nicht erreicht.
Sowohl »Bild am Sonntag« wie auch »Welt am Sonntag« übernahmen die Falschmeldung am Wahltag, und erst zwei Tage nach der Wahl stellte die Allensbach-Chefin in einem Interview mit »Bild« den Fehler eher beiläufig richtig: Die Zahlen seien »nicht korrekt« gewesen.
Vollends zum Zahlensalat wurden die Allensbacher Daten, als die Instituts-Chefin in einem »Welt am Sonntag«-Interview eine Woche nach der Wahl versehentlich richtige Zahlen dementierte und falsche bestätigte.
Das einzige Institut, das vor der Hamburg-Wahl ein dem Trend nach richtiges Umfrage-Ergebnis veröffentlicht hatte, war Infas. Ein weiteres Institut, die Mannheimer »Forschungsgruppe Wahlen«, war zwar dem Wahlergebnis noch näher gekommen, hatte aber aus Prinzip darauf verzichtet, die Zahlen zu veröffentlichen. Der Grund: Die »Forschungsgruppe« wird alle Wahltage wieder vom ZDF für die Hochrechnungen engagiert und will vermeiden, daß die Zuschauer letzte Umfragen und erste Hochrechnungen durcheinanderbringen.
Erst nach der Wahl publizierte Frau Noelle-Neumann das Ergebnis einer Umfrage, das ähnlich ausgefallen war wie die Infas-Zahlen.
Auch in der Analyse des Hamburger SPD-Sieges gehen die Ansichten der Allensbacherin und der »Forschungsgruppe« weit auseinander.
Für Frau Noelle ist Hamburg eine politische »Insel«, auf der ein ganz anderes »Meinungsklima« herrsche als sonst in der Bundesrepublik. Die »Forschungsgruppe« sieht keinen solchen Unterschied: »Das Pendel schlug in Hamburg weiter aus, aber die gleiche Grundstimmung ist auch in der Bundesrepublik vorhanden.«