Alte Puppen für den Westen
Das erste Jahr im eigenen Laden -- Pirna, Lange Straße 44, Telephon 3485 -- ließ sich glänzend an. Annelis Kath betreute die Kundschaft, Ehemann Siegfried fuhr über Land, um Nachschub herbeizuschaffen.
Käufer kamen nicht nur aus dem nahen Dresden. Bis nach Berlin sprach sich herum, daß in Pirna immer ein paar hübsche Sachen zu ergattern waren. Und auch die Konkurrenz wurde aufmerksam: Generaldirektor Laloucek vom »Staatlichen Kunsthandel der DDR«, Berlin, Thälmannplatz 3, suchte Kontakt zu dem rührigen Antiquitätenhändler in Sachsen.
Im Westen, so verriet der dem DDR-Kulturministerium unterstellte Staatshändler, lasse sich mit jeder Art von altem Kram gutes Geld machen, und ob denn der Kollege Kath für den Export nicht Ware besorgen könne. Der Verkaufserlös werde ihm dann in Ostmark gutgeschrieben, minus zehn Prozent Bearbeitungsgebühr.
Kath, immer auf Geschäftsausweitung bedacht, griff zu. Ihn lockte die Aussicht, auf diese Weise auch Schwerverkäufliches loszuschlagen -- beispielsweise nicht wirklich alte, sondern nur gebrauchte Stand- und Wanduhren. Uhreninteressenten in der DDR, das hatte er mittlerweile gelernt, wollten entweder was Modernes aus dem Westen, am besten mit Quarzwerk, oder aber ein wirklich antikes Stück haben. In der Bundesrepublik hingegen schien es möglich, alles an den Mann zu bringen, wenn es nur nicht gerade frisch aus der Fabrik kam.
Also schwamm Siegfried Kath auf der Nostalgiewelle mit und füllte während der nächsten beiden Jahre die Exportlager der Berliner Antiquitäten-Zentrale mit Kitsch und Ramsch. Sein Konto jedoch wuchs dabei nur langsam. Denn die Staatshändler zahlten ihre Lieferanten grundsätzlich erst dann aus, wenn die westlichen Empfänger ihrerseits die Rechnungen beglichen hatten, und darüber vergingen oft Monate.
Dem quieken Pirnaer mißfiel dieses Verfahren mit der Zeit außerordentlich; er beschwerte sich in Berlin, konnte aber nur durchsetzen, daß Laloucek die Unkostenpauschale von zehn auf sieben Prozent senkte.
Kath blieb unzufrieden, und wie schon so oft zuvor kam ihm wieder einmal der Zufall zu Hilfe.
Ein Kunde mit Konsul-Titel, Kopenhagener Visitenkarte und, wie sich später herausstellte, vielen Namen erschien eines Tages im Kath-Laden, kaufte einiges Meißner Porzellan, begann zu plaudern und erbot seine Dienste, falls sie einmal vonnöten sein sollten. Er habe, so ließ der Fremde einfließen, recht gute Beziehungen zum Ministerium für Außenwirtschaft in Berlin.
Um zu testen, was daran wohl Wahres sei, bat Kath, der Herr Konsul möge ihm doch die Genehmigung zum Bezug eines Austauschmotors für den defekten BMW 1800 verschaffen, den der Händler kurz zuvor erworben hatte. Der westlich-fein gekleidete Herr erwiderte, dies sei eine Kleinigkeit; Kath möge doch nächstens nach Berlin kommen.
An einem Sonntag im Frühling 1972 trafen sich die beiden in der Hauptstadt wieder, und Kath bekam nicht nur seinen Motor, sondern zugleich jenen Kontakt, der ihn während der folgenden beiden Jahre zum DDR-Millionär machen sollte. Der Konsul, der natürlich keiner war, hatte zum Essen ins Hotel »Berolina« einen Bekannten mitgebracht: Direktor Dieter Kühl vom Ministerium für Außenwirtschaft, Bereich Kommerzielle Koordinierung.
Kath liefert Nachschub fürs Devisen-Geschäft.
Hinter diesem auf den ersten Blick gewiß ein wenig mysteriösen Begriff, so belehrte Kühl den staunenden Gast aus der sächsischen Provinz, verberge sich etwas ganz Einfaches, nämlich die Aufgabe, dem Staat auf jede Weise Valuta einzubringen. Zu diesem Zwecke betreibe das Koordinierungsbüro im Auftrag des Chef-Devisenbeschaffers der DDR, Außenhandels-Staatssekretär Alexander Schalck-Golodkowski, diverse Firmen im In- und Ausland, beispielsweise die »Intrac« Handelsgesellschaft mbH in der Ost-Berliner Pestalozzistraße 5-8.
Mittels dieser Unternehmungen, fuhr Kühl fort, versorge seine Dienststelle den Westmarkt auch mit hochwertigen DDR-Antiquitäten, und da biete sich doch eine Zusammenarbeit mit einem so tüchtigen Fachmann wie dem Herrn Kath geradezu an; was der denn von dem Vorschlag halte.
Siegfried Kath antwortete, das komme auf einen Versuch an. Er berichtete von seinen Exporten von Stand- und Wanduhren und wollte eingedenk seiner schlechten Erfahrungen mit den Kunsthändlern des Kulturministeriums wissen, was denn, wenn er für das Außenhandelsministerium arbeite, zu verdienen sei.
Kühls Konditionen schienen günstig: Vorkasse für den Einkauf, prozentuale Beteiligung am Ostmark-Umsatz. Kath brauchte mithin im Gegensatz zu den Usancen der Kulturhändler eigenes Geld nicht mehr vorzustrecken und verdiente seine Umsatzprovision unabhängig vom Westerlos der Ware ein zusätzlicher Vorteil.
Denn da die Kommerz-Kommunisten aus dem Hause Schalck buchstäblich um jeden Preis im Westgeschäft bleiben wollen, legen sie ihrer Kalkulation einen sogenannten Währungsfaktor von 0,4 bis 0,6 zu 1 zugrunde. Das heißt: Ware, die im Einkauf 100 DDR-Mark kostet, wird für 40 bis 60 Westmark wieder veräußert.
Für Kath war also bei beispielsweise einprozentiger Beteiligung am DDR-Umsatz in diesem Fall eine Mark zu verdienen; bei Berechnung nach dem Westumsatz hingegen wären es nur 40 bis 50 Ostpfennig gewesen.
Auch verzichtete Kühl auf die bei der Kulturkonkurrenz übliche Bearbeitungsgebühr. Und Kühl-Chef Manfred Seidel schließlich, Generaldirektor des »Bereichs Kommerzielle Koordinierung« an der Ost-Berliner Wallstraße 17-22, gab bald nach der »Berolina«-Konferenz einen Bonus obendrauf: Kaths Provisionen blieben steuerfrei.
Mit einer Ladung Stand- und Wanduhren für den Export nach Westdeutschland begann die beiderseits lukrative Geschäftsverbindung zwischen Kath und den Ost-Berliner Koordinierungsgenossen, und schon zur Jahresmitte 1972 gingen die Lieferungen aus Pirna in die Millionen. Sein weiterhin florierendes Privatgeschäft überließ Kath mehr und mehr Frau Annelis, er selber bereiste die ganze Republik und verpflichtete auf Provisionsbasis an die 60 Mitarbeiter, die auf seine Rechnung Ware ankaufen und bis zum Versand am Ort lagern sollten. Am dichtesten knüpfte der Antiquitäten-Grossist sein Netz in den südlichen Bezirken, in Sachsen und Thüringen, und im Norden, in Mecklenburg und Vorpommern -- überall dort, wo in den Jahren zuvor schon der Kellner Kath besonders fündig geworden war.
Zur Freude seiner Auftraggeber leistete der eifrige junge Mann nicht nur als Einkäufer Überdurchschnittliches; Siegfried Kath erwies sich zudem als Organisationstalent.
Er entwickelte ein rationelles, kostensparendes Versandsystem, das überdies den durchaus unterschiedlichen Sortimentswünschen der Kunden entgegenkam: Aus den Lagern seiner Vertreter ließ er die Ware je nach Art in Zentraldepots bringen, wo sie von der
Export-Kundschaft besichtigt und partieweise geordert werden konnte.
So rollten Tausende von Kath-Uhren in Container verpackt nach Westen, ganze Wagenladungen von mechanischen Musikinstrumenten, Drehorgeln, Karussellorgeln, Spieldosen nach Dänemark, Möbel und altertümliches Gebrauchsgut mit Lastzügen zu Großabnehmern in Holland und Belgien. Daß die meisten dieser DDR-Antiquitäten dann in
westdeutschen Geschäften auftauchten, ging Beschaffer Kath nichts an.
Denn um die Abfertigung der Sendungen kümmerten sich die Helfer aus dem Berliner Koordinierungsbüro. Sie besorgten die Versandpapiere und achteten darauf, daß die Warenbegleitscheine möglichst andere als westdeutsche Lieferanschriften trugen.
Wäre nämlich direkt an die Bundesrepublik geliefert worden, hätte der Erlös über die Interzonenhandelsbilanz der beiden deutschen Staaten abgerechnet werden müssen. Bei der Frankfurter Bundesbank wären der DDR die Millionen-Einnahmen aus dem Antiquitätengeschäft gutgeschrieben worden und hätten damit ein wenig zur Deckung des chronischen DDR-Defizits in der zwischendeutschen Handelsbilanz beigetragen. Devisenbeschaffer Schalck aber, erklärlicherweise nur an zusätzlichem Bargeld interessiert, wäre leer ausgegangen.
Um also an harte Mark in bar heranzukommen, mußte der Export in die Bundesrepublik über Mittelsfirmen in Nachbarländern umgeleitet werden -- wobei freilich manche nach Dänemark oder Belgien deklarierte Ladung schon während des Transits in Westdeutschland, häufig sogar schon in West-Berlin hängenblieb.
Wo seine Akquisitionen landeten, kümmerte Kath wenig. Für ihn kam es darauf an, stets genügend Nachschub parat zu haben.
Sein Spürsinn ließ ihn dabei nie im Stich; immer wieder fand er etwas Besonderes, Ware, die sich auf dem westlichen Nostalgiemarkt äußerst gewinnbringend versilbern ließ. Einmal verkaufte Kath 50 komplette Pferdekutschen nach Holland, die per Reichsbahn-Sammeltransport von Nordhausen aus auf den Weg gebracht werden sollten.
Es gab eine kleine Verzögerung: Die Bundesbahn wies die Waggons an der Grenze zurück, weil die Kutschenräder auf den Tiefladern nicht vorschriftsmäßig verkeilt waren. Kath persönlich schaffte 200 passende Keile herbei, und die kostbare Fracht durfte passieren.
Ein andermal hatte der Antiquitätenhändler aus Pirna in der Umgebung von Rudolstadt in Thüringen 19 alte Feuerwehrspritzen ausfindig gemacht. Unmittelbar vor dem Abtransport legte plötzlich die Regional-Dienststelle des Staatlichen Altstoffhandels Protest ein: Export von Altmetall sei verboten, und überdies bestünden die Spritzen-Pumpen aus wertvollem Messing; man fordere« daher Verschrottung zugunsten des Rohstoff-Fonds der DDR.
Kaths Berliner Beziehungen verhinderten die Barbarei. Alle 19 Geräte gelangten, wiederum in Container verpackt. an ihren westlichen Bestimmungsort.
Wenig später kam Kath die Idee mit den Puppen -- sein größter Coup. Alte Puppen, so hatte er von seiner Kundschaft gehört, seien im Westen »in«, ob sich denn da in der DDR nichts auftreiben lasse. Der Händler ließ ein paar Testkäufe machen, fand die Lage günstig und organisierte zur Freude seiner Ost-Berliner Gönner den großen Puppen-Ausverkauf. Er inserierte für 20 000 Mark in allen DDR-Zeitungen und bot für jede per Post eingesandte Puppe 80 Mark.
Das Echo war überwältigend. Der Antiquitätenhändler mußte eigens zwei Leute einstellen, um die Eingänge -- manchmal 150 pro Tag -- von der Post abholen, sortieren und zu je 1000 Stück in Container verpacken zu lassen.
Allein an den Puppen, schätzt Kath, habe der Genosse Schalck mehr als eine Million Mark verdient. Aber auch der Beschaffer ging nicht leer aus; 1972 nahm er 300 000 Mark steuerfrei ein.
Hinzu kamen Vergünstigungen, mit denen die Berliner Koordinierungs-Direktoren Seidel und Kühl ihren expandierenden Zuträger bei Laune halten wollten. So bekam Siegfried Kath einen Audi 100 LS als »Dienstwagen«, seine Frau Annelis einen Fiat 130 Sport -- allerdings gegen Bezahlung.
Der Rat der Stadt Pirna, auf Kosten des Koordinierungsbüros zunächst mit einem, später mit 10 Prozent am Kath-Umsatz beteiligt, beeilte sich, zusätzliche Büro- und Lagerräume bereitzustellen. Und Ende 1972 konnte Kath, inzwischen mit einem Kraftfahrer und 14 hauptamtlichen Mitarbeitern versehen, in Pirna, Markt 14, die »Exportabteilung« seiner Firma eröffnen.
Unter dem 21. November 1972 erteilte der Stellvertretende Bürgermeister gegen Gebühr von 30 Mark die entsprechend erweiterte Gewerbeerlaubnis: »Der An- und Verkauf von Antiquitäten erfolgt auf der Grundlage der vertraglichen Regelungen mit dem Ministerium für Außenwirtschaft in Berlin.«
Unzufrieden mit dieser Entwicklung waren damals nur die Genossen vom Staatlichen Kunsthandel in Berlin. Direktor Laloucek sah und hörte nichts mehr von seinem sächsischen Lieferanten und beschwerte sich schließlich bei der Außenhandels-Konkurrenz. Es half ihm nichts; gegen Schalcks allmächtige Valuta-Truppe zog der Kunsthändler den kürzeren und mußte fortan endgültig auf Kaths Dienste verzichten.
Die offizielle Eröffnungsfeier der »Exportabteilung« hatte Kath auf seinen Geburtstag gelegt, auf den 12. Dezember.
Im Restaurant »Zum Dampfschiff« an der Elbe ließ er seinen Berliner Gästen Seidel und Kühl, den Genossen Honoratioren der Stadt Pirna und seinen Mitarbeitern einen üppigen Empfang ausrichten, mit dem er sein Wiegenfest -- 35 Jahre war er nun alt-, die Firmenerweiterung und schließlich Richtfest feiern wollte. Denn vermögend, wie er nun war, genügte ihm das Dresdner Eigenheim im Vorort Gittersee nicht mehr -- es war wegen der vielen Antiquitäten der Kathschen Privatsammlung ohnehin viel zu eng geworden.
Einer der zahlreichen glücklichen Zufälle im Leben des cleveren Siegfried hatte es gefügt, daß ihm Anfang 1972 halbenwegs zwischen Pirna und der erzgebirgischen Uhrenstadt Glashütte in einem Waldtal nahe dem Dörfchen Döbra eine alte Wassermühle aus dem 18. Jahrhundert zum Kauf angeboten worden war. Das zugehörige Anwesen, rund vier Hektar Wald und Wiesen, lag mitten im Naturschutzgebiet des romantischen Trebnitzgrundes, begrenzt von einem Forellenbach und von der Landstraße her nur über eine versteckte Zufahrt zu erreichen.
Der Zustand der sogenannten Hinkelmühle freilich war beklagenswert, und bis auf die Grundmauern mußten die Kaths praktisch alles erneuern lassen. Dank ihres Geldes und ihrer Beziehungen gelang es ihnen, Material wie Arbeitskräfte zu beschaffen, und in ungezählten Feierabend- und Wochenendschichten wandelte sich das alte Gemäuer innerhalb von 18 Monaten in ein nicht nur für DDR-Verhältnisse luxuriöses Schlößchen.
Norddeutsche Eiche und französisches Empire.
Um die Stromversorgung zu sichern, ließ Kath eigens eine Hochspannungsleitung verlegen und hinter seiner Mühle eine Trafostation einrichten; für seine Autos mußten drei Garagen, für die Bäder, die Küche und das Waschhaus eine zentrale Warmwasseranlage gebaut werden. Für die Heizung wurden elektrische Nachtspeicheröfen angeschafft.
Kein Material war den Kaths zu rar, nichts zu teuer: Für die Fußböden im Erdgeschoß erwiesen sich geschliffene, vielfarbige Natursteinplatten als gerade gut genug. Im Obergeschoß, zu dem eine in Eichenstämme gekerbte Holzbohlentreppe -- Handlauf in Schmiedeeisen -- hinaufführte, dienten Hölzer in verschiedenen Mustern und Parkett als Bodenbelag. Kath heute: »Da ist ein ganzes Vierteljahreskontingent des Kreises Pirna draufgegangen.«
Farbige Fliesen für Küche und Bäder, sonst in der DDR nicht aufzutreiben -- Kath hatte sie. Das riesige, neue Treppenhausfenster bekam, sechs mal zwei Meter groß, farbiges Glas in Form eines abstrakten Baumes
»eine gute, gewollte Verbindung zur Umwelt«, wie Kath mit Stolz auf seinen Geschmack noch immer findet.
Da gab es natürlich Marmorriemchen an der Flurwand, Meißner Ofenkacheln im Kaminzimmer. Jeder Raum war einem anderen Stil gewidmet: Norddeutsche Eiche in der Wohnhalle, französisches Empire im oberen Wohnzimmer. Barock im Speisezimmer.
Und überall in den weitläufigen Räumlichkeiten hatte der Hausherr, nach Art und Stil geordnet, seine liebsten Schätze aufgebaut: Porzellane und Fayencen, die Sammlung alter Uhren, Zinn, erlesenes Glas, laut Kath alles in allem -- von den parkartig neugestalteten Außenanlagen über die restaurierten Gebäude bis zum Inventar -- »mindestens fünf Millionen wert«.
Für einen weniger privilegierten Mitbürger wäre es weit mühsamer, wenn nicht unmöglich gewesen, die notwendigen Bau- und Material-Bezugsgenehmigungen zu bekommen. Doch der Antiquitätenhändler von Pirna war in nicht nur reich an Geld.
Er besaß, was im realen Sozialismus mehr zählt als Hab und Gut: Beziehungen nach oben, nach Berlin. Und solche Verbindungen bewahren den, der sie hat, vor unangenehmen Fragen örtlicher Organe, machen Stadt- und Kreisfunktionäre beflissen, fördern zwar Gerüchte und Getuschel. verschaffen zugleich aber Reputation.
Günstig für Kath wirkte sich zudem aus, daß die Pirnaer Genossen dank der vom Berliner Koordinierungsbüro gewährten Umsatzbeteiligung am Geschäftssinn ihres Mitbürgers partizipierten. Von den zusätzlichen Einnahmen konnte sich die Stadtverwaltung beispielsweise einige Schreibmaschinen westlicher Bauart kaufen; Bürgermeister Rudi Lorenz erhielt als Dienstwagen einen neuen Polski-Fiat 125, der Wirtschaftsstadtrat einen »Trabant und der »Vorsitzende des Rates des Kreises« einen »Lada«.
Mithin: Für Pirna in Gestalt seiner Obrigkeit war die Existenz der Firma Kath ein Gewinn. Warum also hätte man dem Geschäftsinhaber nicht hie und da gefällig sein sollen?
Auf Amtshilfe blieb Kath nicht nur bei seinem Mühlenausbau angewiesen. Technische Unterstützung hatte er auch im Geschäft nötig -- so etwa, als es darum ging, 20 Lastzugladungen alter Möbel von Mecklenburg nach Pirna zu schaffen, Mit Hilfe seiner kommunalen Gönner bekam der Händler die Transportkapazität. die er brauchte. um die norddeutsche Beute abzufahren.
Der Staatsanwalt
kam morgens um sieben.
Zwischen 1972 und 1973 hatte Kath speziell die Gegend zwischen Neubrandenburg und der polnischen Grenze systematisch abgegrast. Er ließ keines der ehemaligen Herrenhäuser, keinen vormals aristokratischen Landsitz aus. Und wieder fand er, wie bei seinen Streifzügen von 1969, in Rumpelkammern. Hühnerställen und Waschhäusern die von den neuen Bewohnern der vergammelten Adelshöfe traurig zugerichtete Hinterlassenschaft der vertriebenen Besitzer.
Oft hatten die Landleute mit dem »ollen Pröl« nichts Besseres anzufangen gewußt, als ihn zu verheizen. Und manche Bauersfrau hatte in der Nachkriegszeit die Leinwand großer Gemälde so lange gekocht, bis die Farbe ausgewaschen war, um sich dann aus dem Stück Stoff eine Schürze zu nähen.
Was vom alten Inventar überdauert hatte, konnte Kath für billig Geld manchmal auch für einen neuen Stuhl oder Schrank mitnehmen. Daheim ließ er die Möbel restaurieren, und die schönsten Stücke wanderten in seine Privatsammlung.
Nicht immer aber dachte Kath nur an sich. Manches, was er auf seinen Touren aufspürte, ging als kultur- und kunstgeschichtlich besonders wertvoll ins Museum. In dem 154-Seelen-Dorf Wohla nördlich von Dresden beispielsweise entdeckte der Stöberer bei Durchsicht des alten Barock-Gutshauses 20 Sandsteinfiguren aus dem frühen 18. Jahrhundert.
Sie wanderten auf Bitten des Museumsdirektors Joachim Menzhausen in die Dresdner Kunstsammlungen statt, wie von den Berliner Exporteuren schon geplant, auf den Münchner Antiquitätenmarkt.
Im Laufe des Jahres 1973 bekam Kath allerdings auch zu spüren, daß sein Job trotz guter Taten und bester Beziehungen nicht risikolos war. Zwar befand sich unter seiner Inlandskundschaft inzwischen allerlei Republik-Prominenz, vom ehemaligen Außenminister Lothar Bolz bis zum Stellvertretenden Staatsratsvorsitzenden Heinrich Homann; unter seinen Helfern und Lieferanten aber fand sich manch weniger illustres Element. Und da kam es dann schon mal vor, daß einer im Zwielicht des Gewerbes über gesetzliche Hürden stolperte. Von Unterschlagung, von Kunstraub, von Hehlerei war dann die Rede.
Daß auch für ihn selbst Gefahr drohte, merkte Kath, der Vielbeschäftigte, nicht. Ihm war es gleich, ob ihm seine Geschäftspartner in Ost-Berlin, die sozialistischen Stadtväter von Pirna und die mittlerweile 68 Mitarbeiter seiner Firma den Erfolg neideten und ob sie dem früheren Bergmann mißgönnten, daß er es in nur einem Dutzend DDR-Jahren zum Vermögensmillionär gebracht hatte.
Der Erfolg, so vertraute der Händler, und dazu die enge geschäftliche Bindung, die er mit dem Außenhandelsministerium in Berlin eingegangen war, würden ihn schützen.
In Berlin hatten die Genossen Seidel und Kühl vom »Bereich Kommerzielle Koordinierung« inzwischen eine neue Firma gründen lassen, die sich speziell der Umwandlung von DDR-Altwaren in frisches Westgeld annehmen sollte.
Das Unternehmen erhielt den Titel »Kunst- und Antiquitäten GmbH, Internationale Gesellschaft für den Export und Import von Kunstgegenständen und Antiquitäten«, und residierte an der Ost-Berliner Französischen Straße 15. Zum Hauptgeschäftsführer berief das Ministerium den Westhandelsfunktionär Horst Schuster, nach Kaths Erinnerung ein »arroganter, überheblicher Typ«.
Wenig später wandelten die Berliner Kaths »Exportabteilung« in Pirna in die »Antikhandel GmbH« um, die über den Mitgesellschafter Schuster mit der Kunst- und Antiquitäten GmbH in Berlin verflochten wurde. Kath blieb Hauptgeschäftsführer, an Art und Modalitäten seiner Tätigkeit änderte sieh nichts -- für genau sechs Wochen.
Am 6. März 1974 war die neue Firma in Pirna gegründet worden, am 18. April um sieben Uhr morgens klopfte der Hausmeister der Hinkelmühle den Hausherrn aus dem Bett: Besuch sei da.
Es war der Staatsanwalt Findeisen samt einer Truppe Staatssicherheitsmänner unter Führung eines Hauptmanns. Die Genossen hatten einen Haftbefehl dabei, der den Antiquitätenhändler der Unterschlagung von 19 000 Mark für hinreichend verdächtig erklärte. Kath durfte sich anziehen und von seiner Frau verabschieden, dann ging"s mit dem Auto nach Dresden -- ins Untersuchungsgefängnis der Stasi-Bezirksdirektion an der Bautzener Straße.
Daran, was sich in den ersten Tagen seiner Haft mit ihm tat, kann sich Kath heute nicht mehr so ganz genau erinnern: »Ich hatte einen Schock. Ich weiß nur noch, daß die Vernehmer zuerst sehr grob und dann sehr freundlich waren.«
Von simpler Unterschlagung war bald nicht mehr die Rede. Die Befrager interessierte vor allem, was ihr Häftling über seine Verbindungen in der Hauptstadt, über die wie sie sich ausdrückten -- »Berliner Heinis« zu erzählen wußte.
Ganz offenkundig wollte sich die bis dahin nicht besonders gut informierte Stasi in Dresden ein möglichst genaues Bild von den Praktiken auf dem grauen Antiquitätenmarkt der DDR verschaffen. Was ihm nun tatsächlich vorgeworfen wurde, erfuhr Kath trotz der fast täglichen Dialoge mit seinen Vernehmern nicht. Wer hatte ihn verhaften lassen und weshalb? War er zu clever gewesen, zu reich geworden? Keiner gab ihm eine Antwort.
Offizielle Anklage wurde nicht erhoben, eine Anklageschrift gab es nicht. Erst
nach der Haft erfuhr Kath, daß gegen ihn nach den Paragraphen 178 und 179 des DDR-Strafgesetzbuches ermittelt worden sei, also wegen Betrugs oder Verfehlung »zum Nachteil persönlichen oder privaten Eigentums«
Delikte, die maximal mit zweijähriger Freiheitsstrafe geahndet werden können. Zugleich kam dem Händler zu Ohren, der Gesamtschaden, den er angerichtet habe, belaufe sich auf runde 150 000 Mark.
Daß es gleichwohl zu keiner Anklage kam, wundert Kath nicht; denn, so beteuert er, Strafbares habe er ja nicht getan. Daß ihn aber bei so vergleichsweise harmlosen Vorwürfen nicht die eigentlich zuständige Kripo, sondern der Staatssicherheitsdienst holte, erstaunt ihn noch immer. »Ich muß wohl doch, philosophiert er heute, »sehr mächtige Neider gehabt haben.«
Die U-Haft schleppte sich von Monat zu Monat. Zweierlei aus jener Zeit blieb dem Häftling fürs Leben: eine Nierenheckenentzündung und der Ekel vor der Paprikasoße, Standardbeigabe der Gefängniskost.
Ab und zu bekam Annelis Kath Sprecherlaubnis; doch was sie zu berichten wußte, stimmte den Gefangenen nicht zuversichtlicher: Da war zwei Wochen nach seiner Verhaftung In halbes Dutzend Leute samt dem Staatsanwalt Findeisen in der Kath-Mühle erschienen und hatte begonnen, eine Liste des Inventars mit Wertingabe für jedes einzelne Stück anzufertigen.
Eine Woche dauerte die Bestandsaufnahme. Insgesamt 911 Positionen mußten notiert und klassifiziert werden -- vom »Henkeltopf, Irdenware, Reliefauflage, Hessen, 18. Jahrhundert« für 100 Mark über die »Kaffeekanne m. Vogelmalerei, Meißen, Mitte 18. Jh.« für 2000 Mark bis zum »Leuchterweibchen, obersächsisch, Anfang 16. Jh.« für 20 000 Mark.
Prominente Namen bürgten für präzise Angaben; aus Dresden hatte die Staatsanwaltschaft fünf Koryphäen herbeizitiert -- die Eheleute und Kath-Bekannten Ingelore und Joachim Menzhausen, er Direktor des »Grünen Gewölbes« der Staatlichen Kunstsammlungen, sie Direktorin der Porzellansammlung im Zwinger; ferner Chef und Kustos des Museums für Kunsthandwerk, Günter Reinheckel und Gisela Haase, sowie Johannes Just, Direktor des Dresdner Volkskunst-Museums.
Die Mühle samt Inventar, dazu den Pirnaer Kath-Laden ließ der Staatsanwalt unter Verschluß nehmen, und Annelis Kath mußte sich bei ihrer Familie in der Nähe von Meißen einquartieren. Ihr Mann wartete derweil weiter vergeblich auf die Anklageschrift.
»Die hatten mich nie wieder hochkommen lassen.«
Statt des Papiers erschien Anfang April 1975 ein Mitarbeiter der Ost-Berliner Generalstaatsanwaltschaft und bedeutete dem U-Häftling, er möge doch anstelle seines bisherigen Rechts-Vertreters -- ein Kath von früher bekannter Advokat aus Schönebeck an der Elbe -- den Rechtsanwalt Wolfgang Vogel in der DDR-Hauptstadt mit seinem Mandat betrauen.
Kath tat wie geheißen, und schon wenige Tage später sah er sich dem prominenten, in heiklen deutsch-deutschen Transaktionen erfahrenen Juristen gegenüber.
Auf seine Fragen, wie es denn nun weitergehen werde, habe Vogel -- so erinnert sich Kath -- geantwortet: Der Staat sei an einer Verurteilung nicht interessiert; wenn Kath mit Frau in die Bundesrepublik wolle, so sei das vielleicht zu machen, vorausgesetzt, er leiste, zum Ausgleich der angerichteten Schäden, einen freiwilligen Vermögensverzicht.
Dem Häftling schien diese Aussicht trotz der herben materiellen Einbuße immer noch besser als das spätere Angebot des Staatssicherheitsdienstes, in Karl-Marx-Stadt als Chef eines Trupps staatlicher Antiquitätenaufkäufer von vorn zu beginnen. Kath: »Die hätten mich doch in der DDR nie wieder hochkommen lassen.«
Nach der Entscheidung für den Westen war der Rest eine Frage von Tagen. Am 21. Mai 1975 wurde Siegfried Kath nach Karl-Marx-Stadt überführt -- Sammelplatz aller in die Bundesrepublik abzuschiebenden Häftlinge. Am selben Tag erklärten die Eheleute Kath vor dem Notar den Verzieht auf ihre Millionärsmühle, die per Schenkung an Horst Schusters Kunst- und Antiquitäten Gmbl-l ging, und auf ihr gesamtes bewegliches Vermögen im Wert von 1,5 Millionen Mark; fortan verfügungsberechtigt: Horst Schuster.
Wenige Tage vor seiner Zwangsausreise bekam Kath in Karl-Marx-Stadt noch einmal Besuch; zwei Herren, die jemals wiederzusehen der Häftling nie und nimmer erwartet hatte -- die Westhändler Seidel und Schuster.
Wenn Kath, so eröffneten die beiden ihrem Ex-Partner ohne Scheu, im Westen über Export-Praktiken des Ministeriums für Außenhandel den Mund halte, werde man ihm dort auf die Beine helfen. Er dürfe jederzeit frei in die DDR einreisen und möge nächstens mal in Ost-Berlin vorsprechen.
Am 10. Juni bekam Kath die vom Innenminister Dickel persönlich unterschriebene Entlassungsurkunde aus der DDR-Staatsbürgerschaft und Fahrgelegenheit zum Grenzübergang Herleshausen/Wartha. Nach dreizehneinhalb Jahren stand er nun wieder da, wohin er seit seinem mißglückten DDR-Ausflug vom 15. Dezember 1961 stets zurückgewollt hatte -- auf dem Boden der Bundesrepublik, als armer Mann.
Von der DDR und ihren Antiquitäten hatte der Abgeschobene aber die Nase noch immer nicht voll. Schon im Juli fuhr er nach Ost-Berlin, traf seine Frau (die erst im November 1975 ausreisen durfte) und den Westhandelsspezialisten Seidel.
Der gab ihm ein Darlehen von 20 000 Mark West in bar, deutete an. über den Verbleib der beweglichen Kath-Habe sei noch nicht entschieden, und riet dem Besucher zum Eintritt in die »Antique-Handels-GmbH« im bayrischen Aschheim, eine Firma, die sich unter tätiger Anteilnahme der Ost-Berliner Außenhändler mit dem Import von Ostware befaßte.
Am 1. Januar 1976 übernahm Kath dann tatsächlich in diesem Unternehmen den eigens geschaffenen Posten eines »Marketing-Direktors«, fuhr zur Leipziger Messe und machte schon im ersten Halbjahr eine halbe Million Umsatz. Im September aber hatte er den Job wieder satt -- die Partner in Ost-Berlin, so sagt er, hätten ihre Zusagen nicht eingehalten. Sie be-
* In Jürgen Kaths Geschäft in West-Berlin.
schränkten seine Bewegungsfreiheit bei DDR-Reisen und offerierten bereits im Sommer 1976 ehemalige Kath-Antiquitäten in West-Berlin.
Kath trennte sich von der Aschheimer Firma, die ihm ein lobendes Zeugnis ausstellte, und probierte in West-Berlin einen neuen Start -- zum erstenmal ohne Glück. Er zerstritt sich mit seinem Partner, einem alten Bekannten aus dem Ost-West-Geschäft, und stieg Anfang dieses Jahres aus.
Seither muß Siegfried Kath von Arbeitslosengeld leben, denn eine Konkurrenz-Sperrklausel in seinem letzten Vertrag verbietet ihm vorerst, wieder in der Branche tätig zu werden.
Doch weder Haft noch Pech haben seinen notorischen Optimismus zerstören können. Seinem Sohn aus erster Ehe, dem 21jährigen Architekturstudenten Jürgen Kath, hat er mit Rat und Tat geholfen, in der West-Berliner Kolonnenstraße eine Kunsthandlung einzurichten. Ehefrau Annelis steht mittlerweile einer Antiquitäten-GmbH in Kreuzberg vor, und Siegfried Kath selber lebt in der Zuversicht, schon demnächst irgendwo -- »vielleicht an der holländischen Grenze« -- auch auf eigenen Namen und Rechnung wieder im großen Stil aus alten Sachen neues Geld zu machen.
Bis es soweit ist, tröstet er sieh mit dem Gedanken, daß er es schließlich schon einmal zum reichen Mann gebracht hat. Die Beweise verwahrt er in einem schmalen Aktenordner: 59 Seiten Inventarprotokoll aus seiner Mühle, aufgenommen im Mai 1975. Schwarz auf weiß steht da in langen Tabellen. was Kaths bewegliche Habe damals zu -- niedrigen -- DDR-Taxpreisen wert war: genau 606 431 Mark.
Und das muß stimmen. Staatsanwalt Findeisen hat's unterschrieben.
Ende