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PRESSE / JOHNSON Alter Bulle

aus DER SPIEGEL 16/1968

Es ist einfach furchtbar«, stöhnte der New Yorker Pressezeichner Walt Kelly. »Der Präsident hätte mich wirklich vorher informieren sollen.«

Kelly hatte sich bislang durch besonders abfällige Johnson-Karikaturen hervorgetan; den ungeliebten Präsidenten strichelte er als störrischen »alten Bullen«. Nach LBJs überraschendem Verzicht auf mögliche vier weitere Jahre im Weißen Haus, blieb Kelly auf 20 »Bullen«-Bildern sitzen.

Der Verzicht machte Johnson in den Augen vieler Amerikaner wieder schön. Sie werten -- wie eine Blitzumfrage amerikanischer Verleger ergab -- den Rückzug aus dem Wahlkampf als ein Zeichen persönlicher Größe.

In vielen Drug-Stores, Super-markets und Kiosken verschwanden Johnson-kritische Bücher aus den Regalen -- sie würden Kunden verprellen. In den Verlagen begann das große Umschreiben, die große Umwertung des unglaublichen Lyndon Baines Johnson.

Der Washingtoner Bürochef der »New York Times«, Tom Wicker, muß sein Buch »JFK und LBJ: der Einfluß der Persönlichkeit in der Politik« -- es war bereits angedruckt -- noch einmal überarbeiten. Ein ebenfalls für das Wahljahr geplantes Johnson-Porträt des Washingtoner »Life«-Chefs Hugh Sidney »wird jetzt vielleicht erst nach den Wahlen veröffentlicht« (so Verleger Simon Michael Bessie).

Johnsons Abdank-Ankündigung in der Nacht zum 1. April bereitete auch Morgenblättern und Wochenmagazinen Verdruß. Die »Rocky Mountain News« meldete zwar am 1. April: »Dies ist der Tag, an dem Lyndon Johnson bekanntgibt, daß er nicht mehr kandidiert.« Aber die Meldung war als April-Scherz gedacht -- und entsprach nun plötzlich der über Nacht gewandelten Wirklichkeit.

Dafür lasen sich ernstgemeinte Artikel, die noch vor der Johnson-Rede in Druck gegangen waren, am anderen Morgen wie April-NarTetei.

Die »New York Daily Column« erschien mit der Schlagzeile: »Mit LBJ ist bei den Wahlen und Vietnam zu rechnen«. Die Zeitschrift »U. S. News & World Report« sah »klare Anzeichen dafür, daß die Nominierung Johnsons gesichert« sei. Und Joseph Alsop, der prominenteste Falke der US-Publizistik, schwor in seiner Montag-Kolumne darauf: Johnson bekomme »Auftrieb durch Vietnam

Lediglich »Time« kalkulierte das Unberechenbare in Lyndon Johnson ein. »Time« verschob den Andruck von Samstagnacht auf Sonntagabend und hatte die Sensation im Blatt.

Vor allem Johnson-Freunde gehören zu den Johnson-Geschädigten. Vergebens hatten sie für den Wahlkampf Handzettel, Fähnchen und Plakate gedruckt. Im Los Angeles-Hauptquartier der »Demokraten für Johnson« türmt sich LBJ-Werbematerial. »Wir hoffen nur«, so erklärte ein Sprecher, »daß sich wenigstens irgendein Johnson im Land für irgendein Amt bewirbt. Wir können ihm sagen, wo er wirklich günstig Plaketten und Aufkleber erwerben kann.«

David Schneider, Fabrikant von Meinungs-Plaketten, hat ebenfalls Absatzsorgen. In seinem Lager liegen »mehrere tausend« Buttons mit Aufschriften wie »LBJ Go Away« (LBJ hau ab), »Dump Johnson in '68« (Laßt Johnson 68 fallen) und »ABJ« (Anbody But Johnson: Jeden, nur nicht Johnson). Jetzt prägt Schneider neue Plaketten: »Johnson bleib!«

Auch Karikaturist David Levine zog Konsequenzen aus dem Johnson-Verzicht. Sein LBJ hatte bislang eine übergroße Nase und mächtige Schlappohren. Nun will Levine den Johnson-Riecher reduzieren und: »Falls er tatsächlich den Frieden bringt, bekommt er auch kleinere Ohren.«

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