»AM ANFANG STAND EINE GROSSE UNEHRLICHKEIT«
Vom Verteidigungsausschuß des Bundestages wurden am Donnerstag letzter Woche Verteidigungsminister von Hassel, der frühere Generalinspekteur Trettner und der entlassene Luftwaffenchef Panitzki zur Bundeswehr-Krise gehört.
GENERAL TRETTNER:
Es geht mir nicht um Sensation, sondern um eine geistige Auseinandersetzung, wie sie in einer Demokratie ohne Vorurteile möglich sein muß. Was mich zu meinem Rücktritt bewogen hat, sind nicht persönliche Kränkungen oder Versehen, die immer einmal passieren können, es ist vielmehr die klare Erkenntnis, daß ich unter den im Bundesministerium der Verteidigung bestehenden Verhältnissen die Verantwortung nicht mehr tragen konnte, die mir mein Amt als ranghöchster deutscher Offizier im In- und Ausland auferlegte.
Ich bin in der Frage des ÖTV-Erlasses, die meinen Rücktritt auslöste, aus der Verantwortung gestellt worden, in einer Frage, die jeden Kompaniechef, jeden Soldaten und jeden höheren Vorgesetzten unmittelbar angeht.
Ich wäre bereit, die wiederholte Erklärung gelten zu lassen, daß es sich hierbei wieder einmal um ein Versehen gehandelt habe. Ich überlasse es aber Ihnen, meine Herren Abgeordneten, ob man diese Entschuldigung mit dem in der Presse zitierten Wort vereinbaren kann, es habe sich bei dem Erlaß um eine politische Angelegenheit gehandelt, bei der meine Anhörung nicht erforderlich gewesen wäre, oder mit der ebenfalls zitierten Begründung, der Staatssekretär habe die militärischen Herren nicht mehr zu hören brauchen, da er gewußt habe, daß sie dagegen seien.
Ich kann auch der Gedankenführung nicht folgen, daß die Partie damit 1:1 stehe, weil der seinerzeitige Erlaß betreffend »Offentlichkeitsarbeit« vom März 1965 vom Generalinspekteur ohne Beteiligung der Leitung des Hauses ergangen sei. Ich stelle hierzu fest, daß der genannte Erlaß nur Öffentlichkeitskontakte zu den Gewerkschaften, nicht das Koalitionsrecht betraf. Er ging deshalb nicht an die Truppe, sondern an die Wehrbezirkskommandos. Im übrigen brachte er nur den mir bekannten Willen der Leitung des Hauses zum Ausdruck.
Ähnlich lagen die Verhältnisse bei dem seinerzeit aus Anlaß des Heye -Berichtes ergangenen Tagesbefehl**. Ich stelle heute fest, ohne meine Verantwortung leugnen zu wollen, daß ich damals vor Herausgabe meinen Tagesbefehl dem Vertreter des abwesenden Ministers im Wortlaut vorgelegt habe. Er wurde gemeinsam redigiert und gebilligt. Trotzdem schwieg dieser zu allen Vorwürfen in der Öffentlichkeit und dem Parlament gegenüber ...
Schon die Generale Speidel und Heusinger sind bei der Vorlage des ersten Organisationsgesetzes für das Verteidigungsministerium im Jahre 1956 unzureichend informiert worden. Aus einem Brief beider Herren an den Herrn Bundeskanzler (Adenauer) vom 3. Februar 1956 geht hervor, daß ihre Änderungsvorschläge nicht berücksichtigt wurden und der Entwurf unverändert dem Kabinett vorgelegt wurde. Auch damals schon erhielten die Generale keine Antwort auf ihr Schreiben.
Die neu eingeführte Abtrennung der Verwaltung vom- Kommandostrang wurde angeblich zur Erleichterung, in Wirklichkeit aber zur Kontrolle der Soldaten vorgenommen. So stand am Anfang eine große Unehrlichkeit. Infolge der Überwachungsfunktion, die der Verwaltung zuerkannt wurde, entstand sehr schnell eine Mentalität, die das Gegenteil von dem war, was von einer helfenden Verwaltung erwartet werden sollte. Daß solche Gedankengänge dem Konzept des »Staatsbürgers in Uniform« zuwiderliefen, ist ersichtlich. Im Sinne dieses Geistes der Bevormundung war auch das Ministerium organisiert. Fast alle wichtigen Funktionen waren in Händen von Beamten: Personal, Organisation, Finanzen, Infrastruktur, Technik und selbst die Fürsorge für den Soldaten.
Im Grunde fehlt es am Willen zur Anerkennung der Eigenständigkeit des Soldatenberufes. Darin liegen zum Beispiel auch die gravierenden Meinungsunterschiede - das nur als ein Beispiel - über das Bundeswehrbeamten-Gesetz begründet. Man kann eben nicht durch Verwaltungsakt, ohne eine Ausbildung, wie sie jeder Beruf erfordert, einen Beamten zu einem militärischen Vorgesetzten machen.
Auf Grund dieses Sachverhalts hatte ich mir vorgenommen, zu versuchen. auf evolutionärem Wege gewisse Änderungen in der Aufgabenzuteilung innerhalb des Ministeriums zu erreichen. In einigen wenigen Fällen ist mir das dank der Mithilfe des Herrn Ministers gelungen. Von der Mitarbeit am Organisationsgesetz jedoch wurde ich durch die Taktik des der Leitung des Hauses unmittelbar unterstehenden Organisationsreferates weitgehend ausgeschaltet ...
Als sich im Herbst und Winter 1965/66 die Arbeiten an dem neuen Gesetzentwurf ihrem Ende näherten, ohne daß die Abteilungsleiter hinzugezogen wurden, meldete ich mich zu einer Aussprache beim Herrn Minister, die am 10. März 1966 stattfand. In dieser Aussprache habe ich trotz fortbestehender Bedenken die Grundkonzeption des Ministers akzeptiert, ihm jedoch drei Forderungen gestellt.
In einem Schreiben vom 14. März habe ich diese Forderungen dem Minister noch einmal schriftlich formuliert und um die Bestätigung gebeten, daß er sie abgelehnt habe. In dem Brief hieß es ... »daß meiner Meinung nach aus rechtlichen und psychologischen Gründen die Kommandogewalt und Disziplinarbefugnis nicht auf einen beamteten Staatssekretär übergehen könnten und daß nur eine politische Persönlichkeit für diese Vertretung in Frage komme. Sie haben dagegen entschieden, daß der beamtete Staatssekretär Ihr Vertreter auf allen Gebieten sein solle. Weiter habe ich daran erinnert, daß der Generalinspekteur bisher eine Institution »sui generis« gewesen und protokollarisch und besoldungsmäßig klar als der »3. Mann« herausgestellt worden sei. Ich bat darum, diese Stellung des ranghöchsten Soldaten in dem Gesetz zum Ausdruck zu bringen. Sie haben diese Bitte abgelehnt. Der Generalinspekteur wird also nach meinem Weggang als Jüngster an 5. Stelle im Ministerium rangieren.
Da es sich bei beiden Problemen um Fragen handelt, die von grundsätzlicher Bedeutung sind und Fernwirkungen auf das Offizierkorps haben werden, die man heute noch gar nicht übersehen kann, kommt es auf letzte Klarheit an. Um jedes Mißverständnis auszuschließen, bitte ich Sie, Herr Minister, höflichst, mir zu bestätigen, daß meine obigen Ausführungen richtig sind und Ihre Meinung richtig wiedergeben.«
Auf diesen Brief habe ich bis heute noch keine schriftliche Antwort erhalten, obwohl ein weiteres langes Gespräch am 2. Juni 1966 stattgefunden hat und der Herr Minister mir dabei die Beantwortung meines Briefes für Anfang Juli zugesagt hatte ...
Ich muß mich hier auch gegen eine monatelang betriebene Kampagne vor allem in der FAZ wenden, deren Militärexperte Weinstein gute Verbindungen zu Herrn Staatssekretär Gumbel hat, durch die mir immer wieder die Forderung nach dem militärischen Staatssekretär unterschoben wurde. Auch hier haben meine Vorgesetzten nicht eingegriffen, ähnlich wie in der Frage des Atomminengürtels, die ich hier endlich einmal klarstellen möchte, da mir bisher dafür keine Möglichkeit gegeben war, ohne illoyal zu werden. Ich erkläre hiermit öffentlich, daß ich nie dem Gedanken eines Atomminengürtels Raum gegeben habe noch derartige Pläne entwickelt und vorgeschlagen habe ...
GENERAL PANITZKI:
Am 29. Oktober 1965 entstand der erste Bericht für den Verteidigungsausschuß, der ohne Wertung alle Faktoren aufzeigte, die auf die Flugsicherheitssituation Einfluß hatten. In dem Bericht wurde vor allem durch eine Fülle von Beispielen auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die durch die Zersplitterung der Zuständigkeiten innerhalb des Verteidigungsressorts und durch Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit der Luftwaffenindustrie entstehen. Es wurde insbesondere aber die Bildung von Waffensystem-Arbeitsstäben unter Beteiligung aller Abteilungen des Hauses mit
Entscheidungsbefugnis gefordert, das heißt Zusätze zur GGO (Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesregierung), die speziell auf die Belange der militärischen Führung zugeschnitten sind und die für das Verteidigungsressort verbindliche Entscheidungen in kürzester Frist ermöglichen würden.
In der Diskussion dieses Berichtes wurde mir vorgeworfen - von den zivilen Vertretern - daß ich mit diesem Bericht die Schuld nur auf andere beteiligte Abteilungen des Hauses abwälzen wollte. Nach langer Diskussion und verschiedenen Widersprüchen beteiligter ziviler Abteilungsleiter entschied der Minister: Der Inspekteur der Luftwaffe soll eine geraffte Darstellung zur Unterrichtung des Verteidigungsausschusses erneut vorlegen. Das Kapitel organisatorischer Probleme innerhalb des Verteidigungsressorts wäre ganz zu streichen. Ebenso das Kapitel über die Luftfahrtindustrie und der größte Teil des Kapitels der von uns vorgeschlagenen Maßnahmen und Empfehlungen, darunter insbesondere auch die Forderung nach, Waffensystem-Arbeitsstäben mit Entscheidungsbefugnis und Zusätzen zur GGO. Ich muß dem Herrn Minister widersprechen, wenn er sagt, daß die erste, zweite und dritte Fassung sich nicht voneinander unterschieden hätten. Ich habe von meinen Herren mir eine genaue Aufstellung machen lassen. Es sind ganz wesentliche Unterschiede da ...
Am 3. Januar 1966 wurden die Bearbeiter des zweiten Berichts zum Herrn Staatssekretär gerufen, und zwar in Anwesenheit von drei anderen Offizieren. Die Entscheidung des Staatssekretärs im großen war: der Bericht sei nach handschriftlich übergebener Gliederung des Staatssekretärs umzuarbeiten - ich habe die handschriftliche Notiz hier -; vor dem Verteidigungsausschuß sei kein Bericht der Luftwaffe, sondern ein Bericht des Ministeriums vorzulegen, also müsse der Staatssekretär auch Einfluß auf die Gestaltung haben; der Bericht zeuge von geringem politischen Fingerspitzengefühl. Ein teilnehmender Offizier rief nach unserer Rückkehr aus dem Urlaub meinen Adjutanten an und sagte, die Verpackung des Berichts sei für Abgeordnete ungeeignet.
Am 6. Januar 1966 bin ich sofort zum Herrn Staatssekretär gegangen und habe ihm gesagt, daß es nach meinem Gefühl nicht darauf ankomme, politisch
- wie sich der Herr Staatssekretär mir
gegenüber ausdrückte - erst einmal über die Runden zu kommen, sondern daß man nach meiner Auffassung den Ausschuß umfassend zu unterrichten habe und die wahren Probleme aufzuzeigen habe, weil wir ja deshalb Hilfe bräuchten.
Der Herr Staatssekretär hat mir gesagt, ich möge mich darauf verlassen, daß er besser wisse, wie man mit Abgeordneten umgehe, und das andere sei eine spätere Sorge.
Ich habe dann den Herrn Staatssekretär gefragt, ob er wirklich alle erforderlichen Maßnahmen unterstützen würde, die die Luftwaffe braucht, um die Probleme der F-104 schnellstens in Ordnung zu bringen. Dieses Versprechen wurde mir vom Herrn Staatssekretär gegeben.
Im Vertrauen auf diese Zusage hatte ich mich entschlossen, nicht nur weil ich weisungsgebunden war, sondern auch aus Loyalität, diese von dem Herrn Minister und dem Staatssekretär gegebene Weisung mitzubefolgen. Ich habe daraufhin am 10. Januar 1966 die endgültige Fassung, die ganz anders aussieht, gebilligt, also die Fassung, die Ihnen im Verteidigungsministerium vorgetragen wurde ...
MINISTER VON HASSEL:
Der Generalinspekteur Trettner sagt, er habe nie vom Minister einen militärischen Staatssekretär gefordert. Dazu darf ich Ihnen aus meinen eigenen Aufzeichnungen folgendes vortragen: Mit dem Herrn Generalinspekteur habe ich am 2. Juni dieses Jahres alsdann noch einige Fragen des Organisationsgesetzes behandelt. Er erklärte mir dazu eingangs folgendes: das Gesetz wäre ihm nicht ganz nach seiner Mütze, aber der Minister habe entschieden, und das gliche letztlich einem Befehl. Er habe zwar den militärischen Staatssekretär als eine Ideallösung gesehen. - Er sehe ein, daß diese Lösung politisch nicht erreichbar wäre. Weiter hat General Trettner kritisiert, daß er auf seinen Brief an mich, in dem er - wie er vorhin sagte - drei Forderungen gestellt hat, keine Antwort bekommen hat. Diese Antwort sei ihm für Juli dieses Jahres versprochen gewesen. Ich möchte hier aus grundsätzlichen Überlegungen folgendes sagen. In meiner Aufzeichnung, die ich inzwischen eingesehen habe, steht nicht:"drei Forderungen«, sondern: »drei Bitten«. Meine Herren, ich lege Wert darauf, daß das richtiggestellt wird, denn ich weiß nicht, wie es in politischen Kreisen und draußen aufgenommen wird, wenn die Generale in dieser Beziehung Forderungen stellen ...
Das zweite Kapitel ist nun die Darstellung des Herrn Inspekteurs der Luftwaffe. Die Darstellung Panitzkis geht zum Teil zurück In die vergangenen Jahre und muß daher im einzelnen noch nachgeprüft werden. In der Tendenz ist diese Darstellung aber sicher falsch ...
General Panitzki hat dargelegt, ich hätte ihn daran gehindert, im Ausschuß zu erscheinen und dort auszusagen. Das ist ein unerhört gravierender Vorwurf. Dazu möchte ich folgendes erklären. Ich habe die Frage General Panitzkis durch meinen Adjutanten vorgelegt bekommen - und zwar nach Aushändigung des Briefes, mit dem ich Herrn Panitzki bat, einstweilen seine Dienstgeschäfte nicht auszuüben -, ob General Panitzki dennoch am Sonnabend, dem 27. August, auf seinen vorbereiteten Urlaub nach Portugal fahren könne. Ich habe durch meinen Adjutanten sagen lassen: von mir aus keine Bedenken. Es hat nun dieses Gespräch vom 25. August, das letzte Gespräch, stattgefunden. Dabei habe ich die Frage gestellt: Gehen Sie übermorgen, wie vorgesehen, auf Urlaub? Herr Panitzki hat geantwortet: Nein, ich bleibe bis zur Sitzung des Verteidigungsausschusses. Dann habe ich gesagt: Dann werden Sie im Verteidigungsausschuß in etwa dasselbe sagen, wie in Ihrem Interview in der NRZ. Daraufhin hat Herr Panitzki gesagt: Nein, es gibt noch mehr. Ich habe geantwortet: Ich kann mir das im einzelnen nicht ganz vorstellen. Replik von Herrn Panitzki: Das werde ich erst vor einem neutralen Gremium sagen, und das ist für mich der Verteidigungsausschuß. Dann habe ich geantwortet: Dann ist die Fortsetzung dieses Gesprächs nicht mehr sonderlich sinnvoll; und ich habe es beendet: Damit ist auch, glaube ich, ganz eindeutig klar, daß ich nicht den mindesten Versuch unternommen habe, Herrn Panitzki davon abzuhalten, zu diesem Ausschuß zu kommen ...
** Nachdem der damalige Wehrbeauftragte Admiral Heye Im Sommer 1964 erklärt hatte, die Bundeswehr könne zum »Staat im Staate« werden, erließ Trettner einen Tagesbefehl, in dem es hieß, die Truppe solle »in einer Stunde der Anfechtung« zu ihrem Diensteid stehen.
Minister von Hassel, Staatssekretär Gumbel* (l.) Fernwirkungen auf das Offizierkorps
Generale Trettner (l.), Panitzki*
Nicht ganz nach der Mütze
* Während der Sitzung des Verteidigungsausschusses. Dritter von links: Vorsitzender Zimmermann (CSU). Rechts im Hintergrund: Wehrbeauftragter Hoogen.
* Auf dem Weg zur Ausschuß-Sitzung am
1. September 1966.