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»Am Ende Härte und Gewalt«

SPIEGEL-Interview mit dem früheren US-Justizminister Ramsey Clark Als Unterhändler Jimmy Carters kam Ramsey Clark im November 1979 nur bis Istanbul: Die Perser verweigerten die Einreise. Als Kritiker Carters dagegen war Clark Anfang dieses Monats den Machthabern in Teheran willkommen.
aus DER SPIEGEL 26/1980

SPIEGEL: Mr. Clark, Präsident Carter hat nach Ihrer Teilnahme an der Teheraner »Konferenz über US-Interventionen im Iran« die »Neigung« verspürt, Sie juristisch verfolgen zu lassen. Ex-Außenminister Kissinger nannte Ihren Auftritt eine »Schande«. Warum sind Sie nach Persien gefahren?

CLARK: Weil ich denke, daß die Spannungen zwischen beiden Ländern überaus gefährlich sind für beide Völker, das amerikanische und das iranische -- am Ende für die ganze Welt. Gespräche können diese Spannungen vermindern, Versöhnung ist nur denkbar, wenn man miteinander spricht. Wenn Amerikaner an der Konferenz -immerhin waren Teilnehmer aus 54 Nationen dort -- nicht teilgenommen hätten, wäre es meines Erachtens eine Tragödie, eine Verletzung des amerikanischen Geistes gewesen.

SPIEGEL: Glauben Sie, daß Sie mit Ihrem Besuch in Teheran den Geiseln geholfen haben?

CLARK: Oh, das kann man jetzt nicht sagen. Im Iran ist vieles irrational. Es gibt ein ausgeprägtes Nationalgefühl, aber auch viel Ärger, Frustration, Chaos. Wahrscheinlich werden die Leute dort darauf bestehen, die Geiseln nicht freizulassen, sie haben herausgefunden, daß dies ein wirksames Mittel ist, ihre Verachtung zu zeigen. Deshalb ist es so wichtig, ihre Haltung aufzuweichen und sie zu beschwichtigen.

SPIEGEL: Ihre Kritiker behaupten, Ihr Auftreten in Teheran habe die amerikanische Politik der Stärke, der Sanktionen und des Boykotts unterlaufen und unglaubwürdig gemacht.

CLARK: Das ist mir zu generell. Die Politik der Stärke -- und man kann den wirtschaftlichen Druck, die Belästigung iranischer Bürger in unserem Land, das Einfrieren der iranischen Guthaben wohl als den Versuch einer solchen Politik bezeichnen -- führt zu nichts. Die Idee, daß man damit das iranische Volk in die Knie zwingt, ist absurd. Dafür haben die Leute im Laufe der Zeit zuviel Widerstandskraft gegen ausländische Einflußnahme entwickelt. Unsere politische Führung muß mehr Weitsicht, mehr Stärke haben, als sie sie bei der gesetzwidrigen militärischen Intervention gezeigt hat ...

SPIEGEL: Gesetzwidrig?

CLARK: Allerdings. Wenn ich Ihnen das im einzelnen auseinandersetzen sollte, brauchten wir viel mehr Zeit. Deshalb will ich Ihnen eine einfache Frage stellen: Wie würde Westdeutschland es finden, wenn eine Supermacht eines Tages an irgend etwas Anstoß nimmt und nachts ihre Soldaten schickt?

SPIEGEL: Aber hat nicht eine Regierung, deren Diplomaten als Geiseln festgehalten werden, ein Recht darauf, diese Geiseln zu befreien?

CLARK: Wahrscheinlich wird von allen Gesetzen, die international gehandelt werden, das sogenannte Gesetz der Unvermeidlichkeit am häufigsten ins Feld geführt. Aber dieses Gesetz ist kein Gesetz. Es sagt genau das, was die Athener vor fast zweieinhalb Jahrtausenden den Medern gesagt haben, daß »die Starken tun, was sie können, und die Schwachen, was sie erleiden können«. Mit Thomas von Aquin glaube ich, daß zwischen souveränen Staaten Kriege unvermeidlich sind, wenn die Staaten nicht nach positiven Gesetzen regiert werden. Und es ist undenkbar, daß ein Staat seine Polizei nach eigener S.121 Willkür in einem fremden Staat einsetzen kann.

SPIEGEL: Sie müßten eigentlich ganz froh darüber sein, daß das US-Kommandounternehmen fehlgeschlagen ist.

CLARK: Niemand kann glücklich sein, daß acht Menschen getötet wurden. Wäre das Kommando bis Teheran gekommen -- nur Gott weiß, warum es nicht gelang --, wären meiner Ansicht nach die Geiseln getötet worden und viele weitere Amerikaner umgekommen, die Welt hätte einen hohen Preis gezahlt.

SPIEGEL: Bezweifeln Sie die offizielle Version, daß die Hubschrauber versagten?

CLARK: Ich glaube nicht, daß wir die volle Wahrheit erfahren haben.

SPIEGEL: Was würden Sie der Regierung empfehlen, um die Geiseln freizubekommen?

CLARK: Das Erste und wahrscheinlich Vordringlichste ist eine volle Aufdeckung der amerikanischen Politik gegenüber dem Iran seit dem Zweiten Weltkrieg. Eine vollständige Aufdeckung ist besonders wichtig für das amerikanische Volk. Wir begreifen uns als eine Demokratie. Und die basiert auf einer informierten Öffentlichkeit. Wir müssen wissen, was unsere Regierung tut. Wir, die Bürger, sind schließlich für die Handlungen unserer Regierung verantwortlich. Die Iraner wollen eine vollständige Enthüllung ...

SPIEGEL: Sollen die Amerikaner sich schuldig bekennen, Menschen das Foltern beigebracht und den iranischen Geheimdienst Savak unterstützt zu haben?

CLARK: Meiner Meinung nach sollte jede Regierung abgesetzt werden, die Menschen darin unterweist, wie man Menschen foltert. Welche Regierungsform ein Staat auch immer hat: Niemand darf Menschen lehren, andere Menschen zu foltern. Ich weiß nicht, ob die Vereinigten Staaten so etwas wirklich getan haben. Ich höre es allerdings aus vielen Ländern. In Chile etwa oder in Panama sollen US-Agenten gelehrt haben, wie Telephone zu Schockinstrumenten umgebaut werden können. Ich weiß nicht, ob es stimmt. Aber wir wissen, daß Amerika den Schah wieder auf seinen Thron gehoben hat, wir wissen es von CIA-Chefs, von Allen Dulles bis Richard Helms.

SPIEGEL: Nixon und Kissinger verkauften dem Schah in den siebziger Jahren für viele Milliarden Dollar Waffen und sicherten Amerika dadurch die Vormacht in der für den Westen existenzentscheidenden Ölregion am Persischen Golf. Was war falsch an dieser Politik?

CLARK: Zunächst einmal verstieß sie gegen alle unsere Grundsätze. Wir predigten Demokratie und unterstützten Tyrannei, wir predigten Freiheit und unterstützten Savak, wir predigten S.122 Menschenrechte und duldeten Folterungen.

SPIEGEL: Das sind in erster Linie moralische Kategorien ...

CLARK: ... mit politischen Folgen. Diese Politik ist zum Scheitern verurteilt. Das Volk läßt sich irgendwann die Unterdrückung nicht mehr gefallen. Und was sind wir dann? Nichts als die Verbündeten der Tyrannen.

SPIEGEL: Kann sich eine Supermacht diesen Rigorismus leisten? Kann ein Land in seiner Außenpolitik stets den hohen abstrakten Grundsätzen seiner Verfassung folgen?

CLARK: Etwas anderes lohnt doch der Mühe nicht. Dann sollten wir sagen: Laßt uns die Demokratie vergessen, die Gerechtigkeit vergessen, die Freiheit vergessen.

SPIEGEL: Die Sowjet-Union hatte wenig Skrupel bei der Invasion Afghanistans.

CLARK: Das wird für sie auch noch ein schwerer Rückschlag. Es gibt über eine halbe Milliarde Mohammedaner auf der Welt, die über diese Invasion erregt und aufgebracht sind. Sogar auf unserer kleinen Konferenz in Teheran wurde die sowjetische Delegation niedergeschrien, als sie ihre Version der Gründe für die Invasion vortragen wollte. Uns applaudierte man, als wir forderten: »Laßt die Geiseln frei«. Ich möchte nicht der sowjetische Militärgouverneur in Kabul sein ...

SPIEGEL: Solange er aber in Kabul sitzt, ist die Sowjet-Union dem Öl am Persischen Golf ein ganzes Stück nähergekommen.

CLARK: Die CIA hat nach dem Fiasko mit dem Schah gesagt: »Aber 25 Jahre lang ging alles gut.« Doch 25 Jahre reichen nicht. Beide Supermächte müssen das noch lernen. Wir haben Tschiang Kai-schek unterstützt und Maos China isoliert. Was kam damals dabei heraus? Wir haben China an die Seite der Sowjet-Union gedrängt. Wir haben den kubanischen Diktator Batista unterstützt und Castro isoliert. Das Ergebnis: Den Kubanern blieb keine andere Wahl, als sich nach Moskau zu orientieren. Geopolitiker wie Kissinger haben noch immer nicht begriffen, was der Mexikaner Benito Juarez meinte, als er sagte: »Frieden ist Respekt vor dem Recht des anderen.«

SPIEGEL: Vermuten Sie, daß der US-Wirtschaftsboykott und die anderen Sanktionen den Iran an die Seite der Sowjet-Union treiben?

CLARK: Natürlich. Zwar kann man die künftige Entwicklung des Landes derzeit kaum abschätzen. Aber eines scheint mir sicher: Alles, was die ohnehin labile Situation dort verschlechtert, vergrößert den Einfluß und die Aussichten der Sowjet-Union.

SPIEGEL: Die Politik der Stärke könnte den Amerikanern bei ihren anderen Verbündeten im Nahen Osten nützen. Länder wie Saudi-Arabien könnten amerikanische Konzessionsbereitschaft als Schwäche deuten und ihre Verbindung zu Amerika lockern, vielleicht sich nach einem entschlossenen Partner umsehen.

CLARK: Eine Politik der Stärke macht die Situation im Iran noch labiler und gefährlicher -- und damit auch die Lage am ganzen Golf.

SPIEGEL: Präsident Carter war während der ersten zwei Monate der Geiselkrise ziemlich zurückhaltend. Erst später zeigte er Härte.

CLARK: Er war von Anfang an weniger flexibel, als die Öffentlichkeit annahm. Bis Februar war ich ziemlich gut informiert, weil mich der Präsident zunächst in den Prozeß einbezogen hatte. Und deshalb weiß ich, daß die Administration stets darauf bestanden hat: »Erst müßt ihr die Geiseln freilassen, dann können wir über alles reden.«

SPIEGEL: Was ist falsch daran?

CLARK: Für einen Entführer bedeutet dieses Ultimatum: »Gib all deine Machtmittel auf und vertraue auf die Gutwilligkeit des Gegners.« Ich habe dem Präsidenten von Anfang an gesagt: »Es gibt eine harte Linie, und es gibt eine weiche, verbindliche Linie. Nur eine funktioniert. Und nur wenn Sie die Geiseln freibekommen, können Sie gewinnen.« Kurzfristig waren die Entscheidungen Carters populär, die Meinungsumfragen seit November belegen es. Aber am Ende muß er dafür bezahlen.

SPIEGEL: Wie erklären sie die Tatsache, daß die amerikanische Öffentlichkeit eine harte Linie, ein forsches Auftreten so deutlich honoriert?

CLARK: Das hat wohl eine Reihe von Gründen. Da sind zunächst einmal die allgemeine Unsicherheit, die Rezession, die Inflation, also die wirtschaftlichen Krisensymptome. Dann die Geiselnahme: Sie hat bei vielen eine Art Angst ausgelöst, vergleichbar der Angst, jemand könne einem das Kind wegnehmen. Schließlich: Die sowjetische Invasion Afghanistans schürt die Angst vor der kommunistischen Weltverschwörung. All das zusammen führt zu einem Gefühl der Ohnmacht. Am Ende suchen die Menschen dann Zuflucht bei dem scheinbar leichten Ausweg: der Härte, der Gewalt.

S.120Während der »Konferenz über US-Interventionen im Iran«.*S.122Während der Weihnachtsfeier 1979.*

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