Am heiligen Quell Deutscher Kraft
Julius Herf, 1. Staatsanwalt beim Generalkläger des bayerischen Sonderministeriums, ist in Urlaub gefahren. Der Sachbearbeiter für »Großfälle der Denazifizierung« hat seine Materialsammlung im Großfall Dr. Mathilde Ludendorff abgeschlossen. Er hat mit aller Sorgfalt gesammelt. Sämtliche Bücher, Schriften und Traktätchen der Schöpferin der »Deutschen Gotterkenntnis« hatte er in dem Regal neben seinem Schreibtisch hochgestapelt. »Ich bekam einen richtigen Schreck vor dieser Seeschlange von Büchern.« Aber er hat sie gelesen. Der Urlaub ist verdient.
Die Akten Ludendorff, Mathilde, zierten schon 1946 den Tisch der Spruchkammer Starnberg. Die war zuständig. Doch traute sich damals keiner an das diffizile Studium ihrer Werke. Auch der Kläger nicht. Er war Kohlenhändler von Beruf. Als Alfred Loritz bayerischer Sonderminister wurde, schnüffelte seine Spürnase dazwischen. So landete der Fall schließlich bei Herf.
Er ist als scharfer Hund bekannt. Im Falle Ludendorff läßt Herf die »sogenannte Philosophie« vollkommen links liegen. Ihn interessiert nur ihre Polemik. Davon machte er lange Auszüge. Die erhält der Gott-Erkenntnis-Anwalt Victor Leysieffer, ein Münchener aus dem penetrant sächsischen Wurzen, zur Stellungnahme. Wenn er genommen hat, kann endlich die Klage erhoben werden. Das kann noch Monate dauern.
Dann will Herf Mathilde Ludendorff mit ihren eigenen Worten überführen. Sachverständige will er gar nicht hören. Auch Winfried Martini nicht, der sich zum Ludendorff-Spezialpublizisten ausgeschrieben hat. Bisher hat Herf nicht einmal Martinis Buch »Die Legende vom Haus Ludendorff"*) aufgeschlagen. Aber er verspricht sich davon eine amüsante Urlaubslektüre.
Legende vom Haus Ludendorff. Im Urlaub ist auch die Spruchkammer-Aspirantin. Naturverbunden, wie sie ist, mitten im bayerischen Vor-Karwendel, in einem Berghäuschen, 15 Minuten oberhalb Klais bei Mittenwald. Wie in alten Zeiten, als Erich Ludendorff (von ihr nur »Feldherr« genannt) noch an ihrer Seite rüstig dahinschritt, erhebt sie sich morgens um 6 Uhr. Auf einsamen Wegen wandelt sie stundenlang. Und noch länger, wenn es auf die Soiernspitze (2258 Meter) geht. Das ist die Höhe, die sie braucht.
In eine Bluse von unbestimmter weißähnlicher Farbe und einen zerdrückten blauen Rock gekleidet, der aparterweise vier verschiedene Knopfsorten zeigt, stapft die Einundsiebzigjährige mit ihren Stiefeln für die arbeitende Bergbevölkerung über die grünen Matten. Und wenn dann noch irgendwo ein Bächlein murmelt, ist es wie »am heiligen Quell Deutscher Kraft« (die Ludendorffs schreiben das Adjektiv deutsch grundsätzlich völkisch bescheiden groß). Das war der Titel von Ludendorffs Halbmonatsschrift, in der das Ehepaar zu seinen über 100000 Anhängern sprach. Für 40 Pfennig pro Heft, im Abonnement noch billiger.
Da gab es dann in einer einzigen Nummer:
Nochmals: »Die Deutsche Kriegführung 1917« von General Ludendorff.
»Verantwortung«. Von Dr. Mathilde Ludendorff.
*) Winfried Martini: »Die Legende vom Haus Ludendorff«, Inngau-Verlag Leonhard Lang, Rosenheim, 2,80 DM. »Mathilde Ludendorff, ihr Werk und Wirken« von General Ludendorff.
»Krieg und doch kein Krieg« von General Ludendorff.
»Mitteilungen des Feldherrn«.
Umschau: Die Lüge von der zweitausendjährigen Herrschaft des Christentums.
Dazu noch eine Kupfertiefdruckbeilage »Der Feldherr und seine Gattin« und eine Bildseite »Entartete Kunst«.
Der heilige Quell des Ehepaares plätscherte einträchtig und einträglich. Die Schreiberrollen waren gut verteilt. Da kündete Mathilde über ihre Lehre: »Gotterkenntnis muß jedem, auch dem Gänsehirt am Rain, zugänglich sein. Es wäre schlimm, wenn hierzu das Studium philosophischer Werke nötig wäre.«
Der Gänsehirt am Rain durfte dann einige Zeilen weiter einen Kernsatz der Philosophie inhalieren: »In straffer Zucht zum Sittengesetz als der Grundforderung der Welterhaltung und Volkerhaltung der Menschen und in heiliger Freiwilligkeit zum Gutsein, getragen von der hohen Verantwortung, sich zur Vollkommenheit selbst umzuschaffen, befähigt, das göttliche Bewußtsein zu erleben, steht jeder einzelne Mensch als einmaliges und nie wiederkehrendes Einzelwesen einige Jahrzehnte in diesem gewaltigen Kosmos, um Gotterhaltung in sich und im Volk durch all sein Tun und all sein Denken und Fühlen und all seine Werke zu sichern. Nachdem so sein Leben ein Atemzug Gottes sein durfte, entschlummert er auf ewig zum Nichtbewußtsein.«
Erich Ludendorff entlarvte mit Vorliebe die »überstaatlichen Mächte« (Juden, Jesuiten und Freimaurer in den Hauptrollen). Von den alten Germanen bis zu den jungen Nationalsozialisten waren sie an allem Bösen in der Welt schuld. Besonders das Ende des ersten Weltkrieges (bei dem der General eine zwielichtige Rolle spielte) sei nur auf die Verschwörung der überstaatlichen Mächte zurückzuführen, hieß die Variante Ludendorff zur Dolchstoßlegende. Feldherren verlieren nur ungern.
Doch auch bei den Nazis verlor Erich Ludendorff. Nach dem blutigen Marsch zur Feldherrnhalle hoffte der freigesprochene Ludendorff auf Führerlorbeeren in der NSDAP. Aber Hitler kam zu früh aus Landsberg zurück. Der ehrgeizige General durfte 1925 als Reichspräsident und gegen seinen Weltkriegschef Hindenburg kandidieren, ging kläglich mit knapp 300000 Stimmen ein und stand anschließend kalt. Mit ihm zog sich Mathilde von der NS-Bewegung zurück. Er hatte sie gerade geehelicht.
Nach der offiziellen Version lernte er sie durch Gottfried Feder, den Verfasser des NS-Parteiprogramms, kennen. Inoffizielle Version: Mathilde war als Nervenärztin am Krankenbett von Ludendorffs erster Frau Margarete.
Unsterblichkeit. Auf alle Fälle konnten sie sich gegenseitig gebrauchen. Mathilde Spieß hatte in Freiburg Medizin studiert. Als sie in einem Kolleg von Professor Weißmann von der »potentiellen Unsterblichkeit der Einzeller« und vom »Todesmuß« gehört hatte, lief sie in den Wald und dachte nach. Als Assistentin des Münchener Psychiaters Kraepelin hat sie dann die Seelengesetze des Menschen geschaut. So kam sie zu einer arteigenen völkischen Religion, die »intuitive Schau mit Naturwissenschaft« verband.
Zwischendurch heiratete sie zweimal, darunter einen von Kemnitz. Die Söhne Hanno und Asko von Kemnitz und der Mann ihrer Tochter Ingeborg, Franz Freiherr Karg von Bebenburg, stießen frühzeitig zur Wald- und Wiesenlehre der Mutter. So wurde die »Deutsche Gotteserkenntnis« ein autarker Sippenbetrieb. Als Ludendorff dazustieß, ging es im völkischen Marschtritt.
Aber mit Hitler verzankte sich das Haus Ludendorff regelrecht, trotz der erst so verwandten Seelen. Hitler wurde dem Ehepaar zu lau im Grundsätzlichen der Weltanschauung. In zwei Broschüren attackierte Erich Ludendorff: Hitler habe den Kampf gegen das jüdische Volk eingestellt. Die NSDAP sei treuester Bestandteil der überstaatlichen Organisation der römischen Kirche geworden.
Hitlers Leibphilosoph Rosenberg mußte zurückgiften. Im Sommer 1933 wurde »Ludendorffs Volkswarte« verboten. Das ist heute eines der Hauptargumente der Ludendorff-Jünger: Der Feldherr und die Philosophin hätten in mehr als 120 Veröffentlichungen vor Hitlers Machtergreifung, vor Hitlers Gewaltmethoden und seinen Kriegsplänen gewarnt. Darum seien sie 1933 verfolgt worden.
Aber schon im selben Jahr sprudelte der heilige Quell. Und im März 1937 gar söhnten sich Führer und Feldherr in aller Oeffentlichkeit aus. Hitler stand dann Dezember 1937 mit Staatskranz am Sarge des eingegangenen Feldherrn. 1939 jedoch ließ Hitler der Tutzinger Witwe, die er nicht ausstehen konnte, das Papier für ihren Verlag sperren. »Eine der wenigen Wohltaten, die Hitler dem deutschen Volk erwiesen hat«, meinte Winfried Martini dazu.
Als Erich noch nicht zum ewigen Nichtbewußtsein entschlummert war, zeigte er sich als bester Interpret seiner kämpferischen Gefährtin. Mit mannhaftem Temperament schwang er die Ruhmesfackel um ihr lichtblondes Haar: »... die einheitliche Grundlage des Wirkens Mathilde Ludendorffs, ihre erstaunliche Denkkraft, ihr ausgeprägtes seelisches Erkennungsvermögen, ihr unerbittlicher Wahrheitswille, die ihr eigene lebensvolle Sprache des Rasse-Erbgutes aus dem Unterbewußtsein und überbewußte Schau des gottwachen Ichs ihrer Seele, das befähigt, vom Standorte des Wesens aller Erscheinung aus Einsichten zu gewinnen«. Oder erkannte sie als »den größten Revolutionär der Weltgeschichte, der eine alte Welt zusammenstürzen läßt und durch seine Erkenntnis Weltenwende schafft«.
Erbe des Feldherrn. Am Sedan-Tag 1928 wollte der Generalquartiermeister a. D. in Düsseldorf ein Denkmal für sein Füsilierregiment 39 enthüllen. Er war ganz arglos. »Aber mit ungemeinem Scharfsinn durchschaute meine Frau den Listkampf unserer Gegner.« Er ließ sich Bilder vom Denkmal kommen. Es war die »tollste Verhöhnung des heldischen Deutschen Soldaten in der Darstellung des Denkmals in widerlichen Rohlingen«. Wie hätten sich die überstaatlichen Mächte gefreut, wenn gerade Ludendorff solch ein Denkmal enthüllt hätte. Aber: »Die überstaatlichen Mächte hatten es nicht leicht, gegen die Klugheit meiner Frau zu kämpfen.«
Mathilde Ludendorff revanchierte sich oft. Bei seinem Tode: »Das große hehre Erbe des Feldherrn wird heute und in Zukunft allen Deutschen höchstes Gut sein.«
Mit dem Titel »Scheinwerfer leuchten« hatte der »Heilige Quell« eine Unterhaltungsbeilage. Fast in jeder Nummer war eine Ritualmordgeschichte. Außerdem Ueberschriften, wie »Sonnenstudienakt«, »Königsmord durch die Freimaurerei«, »Das Wunder im Kirchturm«, »Erlebnisse mit den Ueberstaatlichen auf Irland«, »Ein Priester warnt vor Priestern«. Die Rubrik »Heidenlachen« brachte Witze und Zoten über Klöster und Pfarren.
Unterhaltender war der Anzeigenteil des »Scheinwerfers«. Verantwortlich Hanno von Kemnitz: »Gesinnungsfreunde kaufen Bohnerwachs, weiß und gelb, kg 95 Rpf., in Eimern, bei Max Gräfe, Oberlichtenau über Radeberg-Sachsen«, oder »Freie Deutsche erkennen die Wirkung des Alkohols. Trinkt alkoholfreien Traubensaft. Fruchtsaftkelterei Loos, Gentersblum am Rhein.« Die Ludendorffgläubigen hielten eng zusammen und protegierten sich gegenseitig. Vom Verlag wurden kostenlos Bezugsnachweise herausgegeben: »Wo kaufe ich als freier Deutscher?«
Aus den »Sippenanzeigen« erfuhr man, daß Johannes Petersen und Frau Inge aus Husum am 25. Lenzing 1938 die Deutsche Ehe geschlossen haben. Und reihenweise wurden die Deutschen Jungen Sieghard, Otger, Gunter geboren. Oder es suchte ein »Selbständiger Kunsttischlermeister mit vorwiegend nordischer Art, langjährigem Kampf für die Deutsche Gotterkenntnis, Gedankenaustausch mit artähnlichem Deutschem Mädel. Zuschrift unter Nibelungentreue 411 an den Verlag.« Die verkleinerte Büste des Feldherrn von Professor Manzel, »bronzegetönt, mit Sockel, 26 cm hoch«, wurde für 50 RM angepriesen.
Der »Heilige Quell« und der »Scheinwerfer« stehen bei den Gotterkennern heute hinter Heines Werken im Regal. Von ihrer eingeschworenen Meisterin legen sie nur die »philosophischen« Bücher auf den Tisch: »Das Weib und seine Bestimmung«, »Der Minne Genesung«, »Triumph des Unsterblichkeitswillens« und die sechs Bände über die Seele.
Sie selbst fühlt sich als Verfemte der Nazizeit. Mit ihren leuchtenden Friedrichder-Große-Augen bekennt sie: »In jenen Jahren mußte ich meine Bücher unbedingt über 400 Seiten stark schreiben. Solche dicken Bücher las die Gestapo nämlich nicht; sonst wäre es mir schlecht gegangen!« Einem Schweizer Korrespondenten vertraute sie an: »Hitler wagte erst nach dem Tode meines Mannes, gegen die Juden vorzugehen!«
Nur 50 Seiten stark war das Bändchen der Ludendorff »Ein Blick in die Morallehre der katholischen Kirche«. Das hatte im September 1937 bereits 104000 Auflage. Wer delikate Schilderungen erwartete, fiel glatt auf den Titel ihrer 25-Pfennig-Broschüre »Christliche Grausamkeiten an Deutschen Frauen« herein. 1937 82000 Auflage. In ihrem Verlag erschienen reihenweise »Enthüllungsbücher«, die über Bibel und Kirche herzogen. Das Christentum war in Mathildes Augen die Propagandalehre für die jüdische Weltherrschaft.
Ein Beweis ihrer Toleranz: 1939, nach den Judenpogromen, schrieb sie: »Es ist ein Unterschätzen des Juden und vor allem seiner Kampfschar, wenn unendlich viele Menschen heute glauben, daß die Judenfrage nun erledigt sei.«
Dazu gab es pervers-billige Karikaturen, etwa wie der Deutsche Schwertsiegfried gegen die Hydra Rom mit ihren Schlingarmen, Zölibat, Meineid, Unzucht, Paragraph 175 kämpft.
Das alles hat Mathilde sich selbst vergeben. 1945 fing sie munter von neuem an. Ihr Schwiegersohn Karg von Bebenburg verschickte »Antworten an unsere Freunde«. Mathilde selbst reiste dozierend nach Westdeutschland, vom Enthusiasmus ihrer Anhänger begleitet.
Kein Offizieller trat gegen die Bewegung auf. Selbst die Kirche sagte nichts gegen Tutzinger Mißklänge.
Nur einem Mann hat es die Ludendorff zuzuschreiben, wenn ihr heute Schwierigkeiten gemacht werden. Sie haßt Winfried Martini deswegen. Er hat ein zu gutes Gedächtnis. Während der NS-Zeit stand er einmal an einer Ludendorff-Buchhandlung. Zwei Heilige Quellen-Trinker schimpften auf die Nazis. Warum? Sie seien viel zu lahm in der Ausrottung der Juden.
Dem Narren eine Rute. Nach dem Kriege ackerte Martini die neue Heilslehre gründlich durch. Er zerteilte hemmungslos in vielen Artikeln den Nebel um die Werke der Ludendorffs. Da fiel dem Nebelspalter einiges auf. Er merkte an Dutzenden von Fehlern, daß die »Philosophin« gar keine Ahnung von der hebräischen Sprache hatte, obwohl sie sich ständig damit auseinandersetzte.
Martini, von Gymnasiumszeiten an eifrig interessierter Semitologe, beherrscht das Hebräische. Als der Gotterkenntnis-Anwalt Victor Leysieffer ihm einmal auf seinen Artikel einen bösen Brief schrieb ("Ihre ins Groteske gesteigerte Ueberheblichkeit«, »geradezu lachhafte Unkenntnis"), revanchierte sich Martini: »So möchte ich Ihrer Mandantin in der ihr offenbar so geläufigen Sprache an Hand eines Zitats aus dem Alten Testament die Motive meines Kampfes gegen sie verdeutlichen. Ich lasse dabei, wie das im Verkehr zwischen gewiegten Hebräisten üblich ist, die massoretische Punktation fort, die doch letzten Endes nur für Leute geschaffen wurde, die des Hebräischen weniger mächtig sind, als Ihre kulturschaffende Mandantin.« Und dann folgte eine Zeile kursives Hebräisch aus den Sprüchen Salomons, Kapitel 26, Vers 3.
Mit Wonne malte sich Martini aus, wie die Antisemiten rund um Mathilde sich von einem Ostrabbiner den Spruch übersetzen lassen mußten. Er lautet: »Dem Roß die Geißel, dem Esel einen Zaum und dem Narren eine Rute auf den Rücken.«
Hebräisch ist im Landhaus der Martini mitten im Rosenheimer Land Tagessprache. Die Ureinwohner von Endorf gucken glotzig, wenn der zugereiste Martini, meliertes Haar über scharfgeschnittenem Profil, einen hundeähnlichen Vierbeiner mit hebräischen Kommandos über die Wiese jagt. Nelly, eine raffinierte Rehpinscher-Rassenentartung, ohne Schwanz geboren, kann mehr hebräisch als Mathilde Ludendorff. Das freut Winfried Martini.
Auch seine Frau Barbara ist auf die Generalswitwe nicht gut zu sprechen. Drei Monate hindurch mußte sie für den Gatten Auszüge aus Mathildes Werken machen. Oft geriet sie dabei in die falsche Zeile, ohne es gleich zu merken. Trotzdem lernte Barbara den Ludendorff-Jargon nicht ohne einiges Vergnügen: »Er vertarnte sein Wollen« - »Mir wurde die Erkenntnis« - »Ich nahm in mich auf« (zu deutsch: ich las).
Die Auszüge mixte Martini mit dem Gutachten, das er auf Anforderung der Spruchkammer machte, zum »Legenden«-Buch. Es kam gerade rechtzeitig. Davon berichtete er allerdings nicht: Eines Tages standen zwei Frauen mit Strahlenblick vor der Tür. Sie beschworen ihn, von seinem Kampf gegen »unsere Frau Ludendorff« zu lassen: »Schauen Sie aus dem Fenster! Sie sollten mit ihrem gottbegnadeten Können die herrliche Gottesnatur des Chiemgaues beschreiben, statt einer Mutter, wie Frau Ludendorff, wehe zu tun.«
Die zwei Frauen kamen direkt von der großen Feier des 70. Geburtstages der Mathilde. 400 Menschen aus allen Teilen Deutschlands hatten sich im Garten ihres Tutzinger Heims eingefunden. Man redete auf sie. Sie redete, und die Tür des meist verschlossenen Feldherrnzimmers im Erdgeschoß stand weit offen. Ehrfürchtig, wie im Museum, beschauten Gläubige die Reliquien des Feldherrn.
Die Spruchkammer hatte einen Beobachter entsandt. Als alle der Siebzigjährigen die Hand gedrückt hatten, kam auch er, um ihr zu danken. Kein Wunder, denn Mathildes Sohn Asko von Kemnitz war jenseits des Starnberger Sees Spruchkammerchef von Pfaffenhofen. Er machte seine Sache gut.
Eine psychiatrische Untersuchung hat Mathilde Ludendorff hinter sich. Darauf drang Martini. In derselben Klinik, wo sie als begabte Assistenzärztin wirkte, wurde sie ambulant beargwöhnt. Aber man fand nichts Widernatürliches in ihrem Kopf. Sie ist sehr stolz darauf. Nein, sie ist gesund. Sie ist voll zurechnungsfähig.