Zur Ausgabe
Artikel 7 / 57

FRISIA-AKTIEN Am Konkurs vorbei

aus DER SPIEGEL 7/1963

Es ist ein schöner Tag, an dem das

Volk von unten her in die Wirtschaft eingreift und nicht mehr nur das leidende Objekt der Großen ist«, so trompetete vor sechs Jahren der Eidgenosse Gottlieb Duttweiler ("Dutti"), damals noch Europas prominentester Preisbrecher, auf einer Baustelle in Emden.

»Es ist auch schön«, fuhr der Schweizer Nationalrat und Präsident des schweizerischen Migros- Genossenschafts-Bundes fort, »daß die Großaktionäre den kleinen Leuten das doppelte Stimmrecht zubilligten und dazu sechs Prozent Dividende, bevor sie selbst etwas bekommen. Das zeigt den Geist des ganzen Werkes.«

Mit diesen Worten legte Duttweiler 1957 den Grundstein zum Bau der Frisia-Raffinerie in Emden, mit deren Produkten er auf dem Heizöl- und Kraftstoffmarkt einen scharfen Preiskampf entfesseln wollte.

Als der Raffineriebauer im Juni vergangenen Jahres starb, hinterließ er in Emden ein schlimmes Sorgenkind. In Westdeutschland und in der Schweiz grollen ihm heute 24 000 Kleinaktionäre. Sie fühlen sich seit Jahren getäuscht, weil die Gesellschaft keine Dividenden ausschüttete und den Aktionären kaum Gelegenheit gab, das ihnen garantierte doppelte Stimmrecht auszunutzen.

Bisher leistete sich die Firma in den sechs Jahren ihres Bestehens nur zwei Hauptversammlungen, und statt der versprochenen Gewinne wies sie nur Verluste aus. Es fehlte nicht viel, und sie hätte Konkurs anmelden müssen.

Erst am letzten Wochenende teilte die Emdener Verwaltung den Wertpapiersparern mit, wie kritisch es um das Unternehmen stand, das ihnen vor sechs Jahren beim Aktienkauf von den Sparkassen als zuverlässig und gewinnbringend empfohlen worden war.

Hinter dieser massiven Werbung stand damals als Emissionsinstitut die Deutsche Girozentrale - Deutsche Kommunalbank in Düsseldorf, deren Verwaltungsratsvorsitzer, Fritz Butschkau, mit dem Migros-Präsidenten eng befreundet war. Über die Sparkassen wurde die Hälfte der Frisia-Aktien zum Kurs von 110 Prozent (110 Mark für eine 100-Mark-Aktie) verkauft.

Die restlichen 25 Millionen Mark Aktien teilten sich die Großaktionäre:

- die schweizerische Mineralöl-Verkaufsgesellschaft

Migrol, eine Tochtergesellschaft des Duttweilerschen Migros-Genossenschafts-Bundes,

- die American Independent Oil Company

(Aminoil), die der Frisia-Raffinerie das Rohöl 15 Jahre lang vom Persischen Golf Liefern sollte, und

- die Universe Tankships Inc. des amerikanischen Großreeders Daniel K. Ludwig, die den Öltransport übernahm.

Kleinere Aktienpakete wurden von dänischen Genossenschaften und von Duttweilers Millionärsfreund Ernst Göhner erworben, der in der Schweiz als größter Bauunternehmer gilt und bis 1958 an der westdeutschen Autounion GmbH maßgeblich beteiligt war.

Am 25. August 1960 öffneten die Frisianer den Hahn, aus dem das erste Rohöl in ihre Raffinerie strömte. Duttweiler jubelte: »Vor 35 Jahren, am 25. August, bin ich mit dem ersten Migroswagen über Land gefahren - ein gutes Omen. Heute rufen wir: Gute Fahrt der Frisia!«

Indes, seine Wünsche erfüllten sich nicht. Bald stellte sich heraus, daß die Initiatoren der Frisia in ihrem Gründer-Enthusiasmus technische Mängel übersehen und die Marktlage falsch eingeschätzt hatten. Der hohe Preis, den damals die Industrie für schweres Heizöl zahlte, hatte die Planer dazu verführt, die technischen Anlagen zu 72 Prozent auf die Produktion von schwerem Heizöl einzustellen, doch schon wenige Monate nach dem Frisia -Start brachten die Supertanker der großen Mineralölgesellschaften so viel schweres Heizöl nach Westdeutschland, daß die Preise um die Hälfte sanken.

Dann stellte sich der Frisia ein technisches Dauerproblem: In den Emdener Hafen können nur Tanker bis zu 28 000 Tonnen Tragfähigkeit einlaufen, so daß die Tankerriesen des Großaktionärs Ludwig ihre Ladung nicht direkt löschen können, sondern sie vor der Küste in kleinere Tanker pumpen müssen. Dieses Umladen verursacht ständig zusätzliche Kosten, die sich das Preisbrecher-Unternehmen nicht leisten konnte. In der zweiten Hauptversammlung der Frisia AG Mitte 1961 mußte der Vorstand zugeben, daß die Gesellschaft bis Ende 1960 bereits 8,7 Millionen Mark eingebüßt hatte.

Während sich die Konkurrenz auf dem Weltmarkt verschärfte, konnte die Frisia nicht wie andere Gesellschaften auf günstigere Rohölangebote und niedrigere Tankraten ausweichen, weil sie durch langfristige Verträge an ihre eigenen Großaktionäre, die Aminoil und den Tankreeder Ludwig, gebunden war. So wuchsen die Verluste von Monat zu Monat, und wenngleich die Verwaltung strengstes. Stillschweigen bewahrte, ahnte man an der Börse, wie es um die Frisia bestellt war.

Als Duttweiler dem Werk 1960 eine hölzerne Wilhelm-Tell-Statue überreichte, hatten die Frista-Aktien noch einen Kurs von 224 Prozent, bis Ende 1961 fielen sie auf 112 und im vergangenen Jahr sogar bis auf 70 Prozent des Nennwerts zurück.

Der Kurssturz entsprach dem Geschäftsverlauf des Unternehmens. »Die Einbußen hatten sich inzwischen so gehäuft, daß der Vorstand - streng genommen - im vergangenen Jahr Verlustanzeige (nach Paragraph 83 des Aktiengesetzes) hätte erstatten müssen, weil mindestens die Hälfte des Aktienkapitals verloren war«, so stellte der Züricher Rechtsanwalt Dr. Alfred von Arx fest, der ein Schutzkomitee der Frisia-Kleinaktionäre organisierte.

Das Loch in der Gewinn- und Verlustrechnung ließ sich nur stopfen, wenn die Großgläubiger - das waren gleichzeitig die Großaktionäre - auf den größten Teil ihrer Forderungen verzichteten. Dazu waren aber nur die Migrol und der Tankreeder Ludwig bereit, während der Rohöllieferant Aminoil dieses Opfer scheute.

Dennoch brachten die obersten Frisianer bis Ende Januar das Kunststück

fertig, die überfällige Bilanz für 1961 so zu fassen, daß kein aktienrechtlicher Verstoß nachgewiesen werden kann.

»Nach Durchführung der Vereinbarung auf finanziellem Gebiet«, so heißt es in dem Aktionärsbrief, den die Gesellschaft zum Wochenende verschickte, »weist das Geschäftsjahr 1961 einen Verlust von 11,6 Millionen Mark aus, so daß sich mit dem Vortrag vom Vorjahr ein Verlustsaldo von 20,3 Millionen ergibt... Um ein gesundes Weiterarbeiten der Gesellschaft zu sichern, wurden die kurzfristig fälligen Restforderungen der Hauptgläubiger, die 21 Millionen Mark betragen, in mittel- und längerfristige Kredite umgewandelt.«

Nach dieser Frisur bemühten sich die Frisianer um eine neue Kapitaltransfusion und um Ersatz für die obstinate Amiinoil, die nicht mehr mitziehen wollte. An wen der amerikanische Öllieferant sein Aktienpaket (12,6 Prozent der Anteile) verkaufte, wollte Duttweilers Neffe und Nachfolger Rudolf Suter am Wochenende den Kleinaktionären nicht verraten. Das Paket landete je zur Hälfte bei der schweizerischen Migrol und bei Duttis altem Freund, dem Baulöwen Ernst Göhner.

Schließlich sprang auch noch die Deutsche Girozentrale des ehemaligen Duttweiler-Freundes Butschkau in die Bresche. Sie verpflichtete sich, für acht Millionen Mark neue Frisia-Aktien, die das Emdener Unternehmen demnächst drucken lassen will, pari zu übernehmen.

Normalerweise hätte eine solche Kapitalerhöhung überhaupt keine Chance, denn niemand kauft Aktien zum Nominalkurs, wenn der Freihandelskurs, wie am Wochenende, noch bei 82 Prozent also 18 Prozent unter dem Nennwert

- liegt. Die Deutsche Girozentrale, die

überschüssige Gelder der Sparkassen verwaltet, glaubt dieses Obligo verantworten zu können, weil sich die Frisia in den letzten Monaten gemausert hat.

Nachdem die technischen Anlagen auf die Produktion von mittlerem und leichtem Heizöl (für den Haushaltsbedarf) umgestellt worden sind, wirtschaftet das Unternehmen bereits mit kleinem Gewinn. Als Preisbrecher konnte sich die Frisia allerdings bisher kaum betätigen. Ihr Einheitsbenzin, das an 220 Tankstellen abgezapft wird und superähnlich sein soll, ist zwar pro Liter um sieben bis acht Pfennig billiger als der Supertreibstoff der großen Markenfirmen. Da das Frisia-Destillat aber geringere Oktanzahlen als die Supermarken hat, ist es kein großer Wettbewerbsschlager.

Wer billig tanken will (für 51 bis 53 Pfennig pro Liter), fährt dann schon lieber an eine der 3000 unabhängigen Tankstellen, die in Westdeutschland bereits zwölf Prozent des Umsatzes erobert haben.

Frisia-Gründer Duttweiler*: Statt Dividenden eine Tell-Statue

* Bei der Grundsteinlegung 1957.

Zur Ausgabe
Artikel 7 / 57
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren