»Amerikas Uhren gehen anders«
El Baradei, 60, leitet zusammen mit dem Schweden Hans Blix die Uno-Waffeninspektionen im Irak. Als Chef der Internationalen Atomenergiebehörde ist der Ägypter besonders dafür verantwortlich, die Weiterverbreitung von Nuklearwaffen zu verhindern. -------------------------------------------------------------------
SPIEGEL: Herr El Baradei, der US-Präsident hat gesagt: »Das Spiel ist aus.« Halten Sie den Krieg für eine beschlossene Sache, oder haben Ihre Inspektionen noch eine Chance?
El Baradei: Wir versuchen alles, um bei der Abwendung eines Krieges mitzuhelfen. Ich sehe noch eine Chance für den Frieden. Das Wichtigste: Die irakische Regierung scheint den Ernst der Lage begriffen zu haben. Sie kooperiert mit uns in den letzten Tagen zunehmend besser - also sollten wir die Hoffnung nicht aufgeben.
SPIEGEL: Saddam Hussein reagiert offensichtlich nur unter massivem Druck.
El Baradei: Das ist richtig. Die Rückkehr der Inspektoren ist der militärischen Drohkulisse zu verdanken, die vor allem die USA aufgebaut haben. Die Konzessionen kommen nach und nach. Und noch sind wir keineswegs völlig zufrieden mit der Kooperationsbereitschaft Bagdads.
SPIEGEL: Dann müssten Sie eigentlich für ein klar umrissenes Ultimatum an Saddam Hussein plädieren.
El Baradei: Ich bin mir bewusst, dass in vielen Teilen der Welt die Ungeduld zunimmt, in unterschiedlicher Geschwindigkeit. Es gibt eine Uno-Uhr, die tickt, eine deutsch-französische. Und vor allem die amerikanischen Uhren - die gehen anders. Solange wir Fortschritte melden können, sehe ich aber keinen Grund, warum wir die Inspektionen abbrechen sollten.
SPIEGEL: Weil Saddam Sie sonst wieder in ein Katz-und-Maus-Spiel verwickelt, sein Tarnen und Täuschen fortsetzt. Und weil Inspektionen zumindest in dieser Intensität doch nicht ewig andauern können.
El Baradei: Es ist widersinnig, sich auf einen genauen Zeitraum festzu-
legen. Bei den Inspektionen handelt es sich um einen Prozess, dessen Ablauf man schwer einschätzen kann. Aber natürlich haben Sie Recht: Der Irak muss wissen, dass er besser mit uns zusammenarbeiten muss - und dass er nur mehr wenig Zeit hat.
SPIEGEL: Drei Wochen, drei Monate, drei Jahre?
El Baradei: Da muss man differenzieren. Ich sage klar, dass wir in wenigen Monaten feststellen können, ob Saddam sein atomares Rüstungsprogramm wieder aufgenommen hat oder nicht - eine zentrale Frage, denn Nuklearwaffen sind weltweit immer noch die schlimmste Gefahr. Eine Kontrolle auf diesem Gebiet ist vergleichsweise einfach, denn wir hatten alle Anlagen bei den letzten Inspektionen von 1991 bis 1998 vernichtet. Schwieriger ist es bei den biologischen und chemischen Waffen. Sich da von vornherein auf ein genaues Datum festzulegen ist fast unmöglich.
SPIEGEL: Warum denn? Die Beweislast, das Teufelszeug zerstört zu haben, liegt doch bei Saddam Hussein.
El Baradei: Das ist richtig, doch technisch ist das mit chemischen Waffen und deren Verbleib nicht so einfach. Generell gesagt: Es muss schnell gehen. Drei Jahre wird dem Irak niemand mehr einräumen.
SPIEGEL: Das ist der Zeitraum, den Rolf Ekeus, der frühere Chef der Uno-Waffeninspektoren, im SPIEGEL-Interview genannt hat, um den Irak vollständig zu entwaffnen.
El Baradei: Ich bin dafür, dass der militärische Druck auf Bagdad anhält. Das ist auch von der Uno-Charta gedeckt. Aber militärischer Druck und konkrete Gewaltanwendung - das ist ein großer Unterschied. Keiner wird sagen, dass Bagdad zu 100 Prozent kooperiert. Aber wir sollten die Fortschritte nicht kleinreden. Seit kurzem kontrollieren jetzt auch U-2-Überwachungsflugzeuge das irakische Staatsgebiet. Wir inspizieren ohne Voranmeldung alle Fabriken, die wir wollen, alle Paläste.
SPIEGEL: Helfen Ihnen dabei die oft zitierten Geheimdiensterkenntnisse? Oder sind die in der Regel so nutzlos wie die von US-Außenminister Colin Powell vor der Uno ausgebreiteten Satellitenfotos?
El Baradei: Erst vor vier Wochen, also sehr spät, kamen Geheimdienstinformationen bei uns an. Natürlich wäre es hilfreich, wenn wir wenigstens jetzt über alle Erkenntnisse von Geheimdiensten verfügen könnten.
SPIEGEL: Irakische Wissenschaftler könnten Ihnen helfen - wenn sie denn wollten und sich auszupacken getrauten.
El Baradei: Bei den von uns gewünschten Interviews mit den irakischen Experten hakt es in der Tat noch. Es fehlt die Bereitschaft, diese Wissenschaftler unkontrolliert befragen zu lassen. Wenn der Irak wirklich nichts zu verbergen hat, sollten Interviews mit diesen Experten auch außerhalb des Landes möglich sein - eine Forderung, von der wir nicht abrücken werden. Das irakische Parlament könnte ein Gesetz verabschieden, dass jeder Wissenschaftler des Landes mit den Inspektoren zusammenarbeiten muss.
SPIEGEL: Vielleicht sieht Bagdad die Inspektoren nicht als die letzte Chance, einen Krieg zu verhindern, sondern als verlängerten Arm der USA. Moskau hat der US-Regierung gerade indirekt vorgeworfen, unzulässigen Druck auf die Inspektoren auszuüben. Hält die Regierung des Irak Ihre Leute womöglich für Spione?
El Baradei: Ach, das glaube ich nicht. Die Politiker in Bagdad haben begriffen, dass wir für die Weltgemeinschaft unterwegs sind und nicht als Büttel irgendeines Staates. Manchmal allerdings lassen sie durchblicken, dass sie einen Krieg für unvermeidbar halten, welche Konzessionen sie auch immer machen. Und fragen dann, warum sie vor einem solchen Waffengang ihre Waffen vernichten sollen.
SPIEGEL: Zumindest Teile der US-Regierung scheinen die Inspektionen tatsächlich für Zeitverschwendung zu halten und wollen lieber heute als morgen zuschlagen.
El Baradei: Ich bin dieser Auffassung vehement entgegengetreten, zuletzt im nichtöffentlichen Teil der Sitzung des Weltsicherheitsrates am 14. Februar. Ich habe darauf hingewiesen, dass wir das frühere Atomprogramm von Saddam Hussein zerschlagen haben. Damals hat die Internationale Atomenergiebehörde auch herausgefunden, dass Nordkorea ein geheimes Nuklearprogramm unterhielt und mehr Plutonium herstellte, als sie angaben. Diese Erkenntnisse verdanken wir unseren Inspektionen - so nutzlos können sie nicht sein.
SPIEGEL: Nordkorea baut an Atombomben, besitzt sie vielleicht schon. Geht von Pjöngjang nicht eine größere Gefahr für den Weltfrieden aus als von Bagdad? Und warum wird Nordkorea - anders als der Irak - mit Samthandschuhen angefasst?
El Baradei: Nordkorea wie der Irak sind sehr ernst zu nehmende Fälle. Pjöngjang kann Plutonium produzieren, besitzt die Technologie, um in relativ kurzer Zeit Nuklearwaffen herzustellen. Wenn Nordkorea die Wiederaufarbeitungsanlage in Yongbyon wirklich angefahren hat, dann hat das mit Energiegewinnung nichts zu tun. Sie könnten in einem halben Jahr mehrere Atombomben produzieren. Es wäre ein Desaster für die weltweiten Abrüstungsbemühungen, gelänge es Pjöngjang, Atomwaffen herzustellen. Eine Katastrophe wäre es auch, wenn wir mit zweierlei Maß messen würden: Nordkorea muss ebenso bedingungslos zur Abrüstung gezwungen werden wie der Irak.
SPIEGEL: Tatsache ist doch, dass Kim Jong Il Ihre Inspektoren aus dem Land geworfen und den Atomwaffensperrvertrag aufgekündigt hat. Niemand weiß, was sich dort genau abspielt. Nordkorea kann die Welt zu Konzessionen nötigen, weil die Welt Angst vor seinem Nuklearprogramm hat. Belohnung für einen Erpresser?
El Baradei: Offenbar gibt es in Nordkorea eine humanitäre Krise und ein schlimmes Energieproblem. Das sollte durch Hilfsleistungen gelöst werden. Aber unabhängig davon muss Pjöngjang wieder Inspektoren ins Land lassen und seinen internationalen Verpflichtungen nachkommen. Es wäre fatal, ein falsches Signal auszusenden, das da lautet: Erpressung mit einer atomaren Option lohnt sich.
SPIEGEL: Sie haben den Sicherheitsrat eingeschaltet, der Sanktionen gegen Pjöngjang verhängen kann. Kim Jong Il hat schon erklärt, Vergeltungsmaßnahmen der Vereinten Nationen betrachte er als Kriegserklärung. Können Sie solch eine Eskalation verantworten?
El Baradei: Niemand will Sanktionen, aber als letztes Mittel kann die Weltgemeinschaft nicht auf die Androhung verzichten. Sanktionen und Krieg: Das sind die letzten, die wirklich allerletzten Mittel.
SPIEGEL: Zur dritten Macht in George W. Bushs »Achse des Bösen": Sie haben sich zu einem Besuch in Teheran entschlossen. Droht da eine neue Front?
El Baradei: Die Machthaber in Iran betreiben nach eigenen Worten ein »ehrgeiziges Atomprogramm«, von dem sie sagen, es diene nur friedlichen Mitteln. Sie sind im Gegensatz zu denen in Pjöngjang gesprächsbereit. Teheran muss in die üblichen Überwachungskriterien der Atomenergiebehörde eingebunden werden. Nur so lässt sich Misstrauen abbauen.
SPIEGEL: CIA-Direktor George Tenet spricht schon von einer »nuklearen Dominotheorie«. Sehen Sie die Gefahr, dass sich einzelne Staaten schnell nacheinander zu Atommächten entwickeln könnten? Und wird eine Terrororganisation wie al-Qaida bald an Nuklearwaffen herankommen?
El Baradei: Es ist für Terroristen nicht so einfach, an Atombomben zu kommen, wie immer behauptet wird. Anders ist es mit den so genannten schmutzigen Bomben: Sie sind relativ einfach zu bauen, mit Materialien, die in vielen Krankenhäusern oder Universitäten vorhanden sind. Die Zerstörungskraft von schmutzigen Bomben ist erheblich geringer als die »richtiger« Atomwaffen. Es stimmt aber, dass es immer mehr Staaten gibt, die von ihren technischen Fähigkeiten her in der Lage wären, »richtige« Atomwaffen zu bauen.
SPIEGEL: Sind die bisherigen Rüstungskontrollen nicht ausreichend?
El Baradei: Wir müssen uns schleunigst etwas einfallen lassen, um das Überwachungssystem weltweit auszubauen und zu verbessern. Und außerdem dürfen wir ein Ziel nicht aus den Augen verlieren: Das Nukleararsenal der Atommächte muss abgebaut werden, dazu haben sich alle gemeinsam verpflichtet.
SPIEGEL: Danach sieht es nun wirklich nicht aus. Gerade wurde ein Geheimplan des Pentagon bekannt, dass die Vereinigten Staaten bald mit dem Bau neuer »Mini-Nukes« beginnen, ihr Nukleararsenal also ausbauen und auffrischen wollen. Offensichtlich steht das im Zusammenhang mit der neuen Bush-Doktrin möglicher Präventivkriege.
El Baradei: Die Diskussion über eine neue Generation von Atomwaffen ist äußerst gefährlich. Die Entwicklung muss in eine andere Richtung gehen: Ächtung der Bombe, voranschreitende Zerstörung des Arsenals. Sonst wird es immer wieder atomare Habenichtse geben, die sagen: Warum sollen die Großen Rechte haben, die uns nicht zustehen?
SPIEGEL: Die Großen könnten in wenigen Tagen sagen: Ihr hattet eure Chance mit Inspektionen, jetzt sind wir dran im Irak. Wie viele Tage vor Kriegsbeginn werden Sie vom Weißen Haus informiert?
El Baradei: Es heißt, sich mit dem Krieg abzufinden, wenn man sich so etwas konkret überlegt. Aber natürlich werden wir nicht zulassen, dass es im äußersten Fall so weit kommt, dass unsere Inspektoren zu menschlichen Schutzschilden werden könnten. Ich bin für alle diese Männer und Frauen verantwortlich.
SPIEGEL: Wenn die USA ohne Legitimierung der Uno einen Krieg beginnen sollten, während Sie der Meinung sind, alle friedlichen Mittel seien noch nicht ausgeschöpft: Werden Sie dann zurücktreten?
El Baradei: Solche Gedankenspiele mache ich nicht mit, wenngleich ich nichts ausschließe. Ich glaube fest daran: Der Frieden hat noch eine Chance. Ein Krieg würde bedeuten, dass die gesamte internationale Politik und Diplomatie gescheitert ist.
SPIEGEL: Herr El Baradei, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Das Gespräch führten die Redakteure Erich Follath und JürgenKremb in Wien.