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BARZEL Amt riskiert

aus DER SPIEGEL 27/1966

Rainer Barzel, seit Montag letzter Woche 42, vollbrachte das deutsche Wunder, die seit Jahr und Tag in Flügelkämpfen zerstrittene Christen -Union wiederzuvereinigen - gegen Rainer Barzel.

Der gemeinsame Zorn der christdemokratischen Parteioberen entzündete sich an einer Rede, die der Partei-Vize im Mai in seinem Urlaubsquartier in Nizza entworfen und zum 17. Juni in New York gehalten hatte. Kernpunkt: das Angebot, in einem wiedervereinigten Deutschland könne die Sowjet-Union Truppen stationieren.

Bei Heimkehr vom Ausflug nach Übersee tat der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU noch kühn und trotzig. Auf dem Regierungs-Flughafen Wahn prahlte er vorletzten Sonntag: »Ich werde so laut und so lange weiterreden, wie ich kann.«

Er konnte weder laut noch lange. Die Gewitterfront gegen Barzel hatte sich in Bonn bereits zusammengebraut, ehe seine New Yorker Feiertags-Rede (SPIEGEL 26/1966) gehalten war.

Schon am Tag vor dem 17. Juni einte die Herren des CDU-Präsidiums der Verdacht, die im voraus Interessenten zugänglich gemachte und auf Sensation angelegte Rede solle vor allem Jung-Barzels Eigenreklame dienen.

CDU-Ehrenpräses Konrad Adenrauer fehlte auf dieser Sitzung. Grund: Wenn ich da hingekommen wäre, hätte ich gleich Barzels Absetzung fordern müssen.«

Adenauer blieb auch nach Heimkehr seines verlorenen politischen Ziehsohnes Barzel der Unversöhnlichste von allen. Im Fraktionsvorstand am Montagnachmittag letzter Woche warf er den ersten Stein: »Ich finde das himmelschreiend, was der Herr Barzel da gesagt hat.«

Vier Stunden feuerten und schossen die CDU/CSU-Vorstandsherren gegen ihren Fraktionschef Barzel. Gegner Schröder nutzte die Chance, seinem Rivalen auf außenpolitischem Feld einen Denkzettel zu verpassen. Dabei scheute er sich nicht, auch die Hilfe des Schröder-Gegners Konrad Adenauer in Anspruch zu nehmen.

Der Außenminister schlug vor, einem vom Vorstand bestimmten Kommuniqué-Komitee (Gerstenmaier, Schröder, Strauß, Barzel) solle sich »unser verehrter Ehrenpräsident Dr. Adenauer« zugesellen. Adenauer war bereit. In der Kommuniqué-Konferenz attackierte er Barzel erneut: »Wenn Sie solche Reden halten wollen, dann müssen Sie Ihr Amt niederlegen.«

Nachmittags im Großen Fraktionssaal unterm schwarzen Christenkreuz ging der Sturm auf Barzel weiter. Strauß, der den Fraktionschef während dessen mehrwöchigem Urlaub an der Riviera vertreten hatte, übernahm den Vorsitz beim Termin in Sachen Barzel.

Strauß eröffnete: Er und Erhard hätten zwar tags zuvor Barzel das politisehe und persönliche Vertrauen ausgesprochen, »was aber noch lange nicht heißt, daß seine Vorschläge Bestandteil unserer Politik sind«.

Der Kanzler meldete sich ebenfalls zu Wort: »Soll das wiedervereinigte Deutschland womöglich noch eingeteilt bleiben in Besatzungszonen?« Es sei gut, daß die Sowjets zu Barzels Vorschlägen nein gesagt hätten. Aber: »Das Angebot war ja gemacht. Und was wäre gewesen, wenn wir ein Ja bekommen hätten?«

Rainer Barzel war nun vollkommen auf dem Rückzug. Lahm verteidigte er sich vor den Fraktionsgenossen, die noch vor kurzem in ihm den zukünftigen Kanzler gesehen hatten: Er habe nicht mehr gewollt, als »einige Aussagen zu machen, die gehört werden«, und »Ansätze zum Denken zu geben«. Schweigend hörte die Fraktion das Resümee ihres angeschlagenen Chefs: »Wenn man das Echo auf meine Rede liest, und das klare Nein aus Moskau, dann war es ein Erfolg.«

Aber Gerhard Schröder versperrte Barzel auch diese Hintertür: »Es bedurfte nicht dieser Angebote, um zu wissen, daß die Sowjet-Union zur Wiedervereinigung Deutschlands nicht bereit ist.« Überdies sei es nicht wahr, daß Barzel nur einen Diskussionsbeitrag geliefert habe. Seine Vorschläge seien im Stil des »Pronunciamiento"** gemacht worden. Zum Beweis zitierte Schröder aus Barzels Rede: »Hier ist unser Wort...«

Ex-Familienminister Wuermeling verlangte schließlich, die Fraktion solle sich deutlich von Barzel distanzieren. Da griff wiederum Ludwig Erhard ein. Vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen wollte er es nicht zum offenen Bruch kommen lassen: »Dieser Vorschlag ist nicht akzeptabel. Das sprengt die Fraktion auf.« Versöhnlich resümierte der Kanzler: »Es gibt weder Sieger noch Besiegte.«

Nur die Parteiräson rettete den Mann, der noch vor kurzem geglaubt hatte, er könne als politisches Wunderkind im Sturmlauf die Macht in Staat und Partei erringen. Das Vertrauen seiner Parteifreunde hat Barzel verloren, und es wird lange dauern, bis er es wieder gewinnen kann.

Inzwischen sprechen CDU-Fraktionäre offen über einen Plan, Barzels Wiederwahl zum Fraktionsvorsitzenden, die nach einjähriger Amtszeit im Oktober für die restlichen drei Jahre der Legislaturperiode nötig ist, zu verhindern.

Doch selbst in der Niederlage war Rainer Barzel nicht um einen billigen Trost für sich selbst verlegen. Er, dem der Geruch des Opportunisten anhaftet, sieht jetzt als erwiesen an, daß er Politik auch ohne Rücksicht auf die eigene Karriere macht. Barzel zum SPIEGEL: »Ein Amt ist nur so viel wert, wie man bereit ist, es aufs Spiel zu setzen.«

** Aus dem Spanischen: Aufstand gegen die Regierung.

Riviera-Urlauber Barzel*: »Hier ist unser Wort«

* Während seines Erholungsurlaubs am Strand von Nizza.

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