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BONN / SPIEGEL-BERICHT Amtshilfe gesucht

aus DER SPIEGEL 7/1963

Am Montag, im stillen Windschatten der Wochenendzeitungen, für deren Schlagzeilen sich sonst die Politik gern ihre Sensationen aufspart, ist der Bericht veröffentlicht worden - doch noch.

Zwölf Wochen lang ist an ihm gearbeitet worden, herumredigiert und geschneidert, zwölf Wochen ist der Bericht von Tisch zu Tisch gegangen, zum Bundeskanzler und wieder zurück, zum Verteidigungsministerium, zum Innenministertum, zum Justizministerium und wieder zum Bundeskanzler, zum Innenministerium und noch einmal zum Justizminister.

Zwölf Wochen ist geformt, gefragt und formuliert, ist beraten und gezögert, ist unterschrieben worden und nicht unterschrieben, ist beschlossen worden, ihn nicht zu veröffentlichen und ihn doch zu veröffentlichen, aber nicht so - eine ausdauernde und schmerzliche Kur.

Aber das Heillose war nicht zu heilen. Die Blamage blieb Blamage, die Widersprüche blieben Widersprüche, die Lügen blieben Lügen. »Die Regierung hätte«, schrieb die sonst regierungstrunkene »Deutsche Zeitung«, »statt unkorrekt zu berichten, lieber ganz schweigen sollen.« Allerdings, ein unkorrekter Bericht wäre vielleicht noch zu vermeiden gewesen. Aber er ist der Sache angemessen: Der unkorrekte SPIEGEL-Bericht spiegelt unkorrekte Maßnahmen.

Am Dienstag, dem 13. November 1962 - etwa ein Viertel der Verlags- und Redaktionsräume wurden nun schon in der dritten Woche von den Beamten der Sicherungsgruppe besetzt gehalten; während dreier bewegter Fragestunden im Bundestag war die Regierung schwer angeschlagen worden -, hatte der Bundeskanzler von den Bundesministerien des Inneren und Äußeren, der Justiz und der Verteidigung einen gemeinsamen Bericht über die SPIEGEL-Affäre angefordert. Innenminister Höcherl hatte sich immer und immer wieder vor dem Parlament für außerstande erklärt mitzuteilen, was da eigentlich von wem gemacht worden war. Wenn schon nicht die Volksvertreter die Wahrheit erfahren konnten, so wollte nun wenigstens der Kanzler wissen, was geschehen war und auf welche Weise. Der von ihm bestellte Bericht sollte »die Maßnahmen darstellen, die im Wege der Amtshilfe für den Generalbundesanwalt von den einzelnen Ministerien getroffen« worden seien.

»Amtshilfe für den Generalbundesanwalt?« fragte rhetorisch ein Kommentator im Westdeutschen Rundfunk, als der Bericht heraus war. »Das müßte doch soviel heißen, der Generalbundesanwalt habe das Ermittlungsverfahren gegen die Redakteure und möglichen Informanten des Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL fest in der Hand gehabt und habe sich sonstiger staatlicher Stellen im Rahmen ihrer gesetzlichen Zuständigkeit bedient. Wie steht es damit?« Die Antwort des Rundfunk -Kommentators: »Was unter Amtshilfe bei uns verstanden werden kann, hat der Bericht gezeigt.«

Das, immerhin, zeigt der Bericht wirklich. Zwar hatte der Justizminister nichts von dem erfahren dürfen, was die Bundesanwaltschaft gegen den SPIEGEL vorbereitete - durch eine CDU-Intrige war der zunächst und vor allem zuständige Mann daran gehindert worden, seiner eigenen Behörde die vom Artikel 35 des Grundgesetzes beschriebene »Amtshilfe« zu leisten*.

Als aber vor dem Parlament allmählich deutlich wurde, daß der damals noch als Verteidigungsminister amtierende Franz-Josef Strauß, der doch nach eigenem Wort mit der Aktion gegen den SPIEGEL »nichts, im wahrsten Sinnes des Wortes nichts« zu tun gehabt hatte, die illegale Verhaftung von Conrad Ahlers und dessen Frau in Spanien veranlaßt hatte, war Strauß es gewesen, der den Begriff der »Amtshilfe« in die Debatte brachte.

Noch war die ganze, die peinliche Wahrheit nicht heraus (sie ist es bis heute nicht), aber Straußens Telephonate mit Madrid zeichneten ihre ersten Konturen. Seine Späher bei der nächtlichen Aktion - eigentümliche »Amtshelfer« auch sie - hatten noch in der Nacht mitgeteilt, daß Conrad Ahlers in Spanien sei, und Strauß hatte zum Telephon gegriffen, das war nun bald nicht mehr lange zu leugnen.

Aber wie den unerbetenen, ungesetzlichen, hitzigen Eingriff erklären? Strauß improvisierte am 8. November vor dem Bundestag, was ihm die rettende Vokabel schien: »Auf dem Wege der Amtshilfe für die Strafverfolgungsbehörden hat das Verteidigungsministerium den Militärattache in Madrid gefragt ...«

Der SPIEGEL-Bericht sagt wenig darüber, wie es zu der Besetzung des SPIEGEL gekommen ist, und bekennt sich auch zu dieser Schweigsamkeit: »Die Durchsuchungen, Beschlagnahmen und

Verhaftungen in Düsseldorf, Hamburg und Bonn in der Nacht vom 26./27. Oktober 1962 und in späterer Zeit sind aus dem Bericht ausgeklammert, da es sich hierbei um Maßnahmen von Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft im Vollzug von Anordnungen der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes und der Bundesanwaltschaft, nicht jedoch um Amtshilfemaßnahmen handelt.«

Immerhin wird mitgeteilt, daß die Bundesanwaltschaft »am 8. oder 9. Oktober« von Amts wegen Kenntnis von der inkriminierten SPIEGEL-Geschichte bekam - das Heft mit der Foertsch -Titelgeschichte datiert vom 10. Oktober, war aber seit dem 8. Oktober im Handel.

Telephonisch habe die Bundesanwaltschaft »am 9. oder 10. Oktober« einen »auch sonst mit der Erstattung von Gutachten in Landesverratsverfahren befaßten Beamten des Bundesverteidigungsministeriums« um eine sachgemäße Prüfung des Artikels gebeten.

Vor dem Bundestag erwähnte Minister Strauß sogar, ein »Abwehroffizier«, ein andermal, »der führende Abwehroffizier der Bundeswehr«, sei einen Tag nach Veröffentlichung der Foertsch -Titelgeschichte über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens informiert worden. Der SPIEGEL-Bericht sagt nichts darüber, in welcher Weise dieser Abwehroffizier tätig geworden ist, und auch der Name des Gutachters wird nicht angegeben.

Bundesinnenminister Höcherl hat aber den Gutachter-Namen bekanntgemacht: Es handelte sich um den Oberregierungsrat Wunder, der in früherer Zeit zur Bundesanwaltschaft gehört hatte

und nun in der Rechtsabteilung des Verteidigungsministeriums arbeitet.

Wie Strauß später vor dem Bundestag behauptete, ging es darum; »daß die durchlässigen Stellen im Ministerium, in hohen Kommandobehörden oder andenswo endlich einmal bekannt wurden«.

Mit anderen Worten, »in der plaudernden Art« (Dr. Arndt) des Bundeskanzlers: »Nun, meine Damen und Herren, wir haben einen Abgrund von Landesverrat im Lande.«

Zwischenruf des Abgeordneten Seuffert: »Wer sagt das?«

Der Bundeskanzler: »Ich sage das.

Denn, meine Damen und Herren, wenn von einem Blatt, das in einer Auflage von 500 000 Exemplaren erscheint, systematisch, um Geld zu verdienen, Landesverrat getrieben wird...«

Der Satz ist nie vollendet worden.

Gutachter Wunder jedenfalls berichtete am 13. Oktober dem Bundesanwalt Dr. Kuhn in dramatischen Worten, es seien in der SPIEGEL-Geschichte über General Foertsch in der Tat »zahlreiche, zum Teil äußerst wichtige militärische Geheimnisse veröffentlicht« worden, aber Dr. Kuhn begnügte sich mit solchen Pauschalangaben nicht und erbat

- immer laut SPIEGEL-Bericht - »ein

erschöpfendes und umfassendes Gutachten«.

Nur ein exzessives Gutachten hat am Ende die exzessive Aktion begründen und auslösen können, zu der das Verteidigungsministerium speziell organisierte Hilfe leistete. Staatssekretär Hopf sicherte zudem, laut SPIEGEL -Bericht, »jede nur mögliche Unterstützung... für Ermittlungen gegen Angehörige der Bundeswehr zu«, ein Verfahren, das später noch »zwei für Sicherheitsfragen zuständige Offiziere« näher absprachen.

Am 19. Oktober 1962 vormittags übergab Oberregierungsrat Wunder das Gutachten in Karlsruhe, nachdem die Bundesanwaltschaft acht Tage nach der telephonischen Aufforderung noch am 18. Oktober, und diesmal schriftlich, über das ihr vorgesetzte Justizministerium das Verteidigungsministerium um ein Gutachten gebeten hatte.

SPIEGEL-Bericht: »Dieses Schreiben wurde jedoch im Bundesjustizministerium, wo es am 22. Oktober 1962 einging, zurückgehalten.« Von wem es zurückgehalten wurde, sagt der SPIEGEL -Bericht nicht. Aber jeder interessierte Zeitungsleser weiß es: von Staatssekretär Dr. Strauß, und zwar auf Weisung des Verteidigungsministers, der sich wiederum auf eine Anordnung des Bundeskanzlersbrief, »wonach der Kreis der vor Durchführung der geplanten Maßnahmen der Bundesanwaltschaft zu benachrichtigenden Personen auf das notwendige Maß -zu beschränken« sei. Das »notwendige Maß« aber war in diesem Fall identisch mit der Zugehörigkeit zur CDU/CSU, die Kanzler, Verteidigungsminister und die Staatssekretäre Hopf und Dr. Strauß verbindet. Der sachlich allein zuständige Justizminister Dr. Stammberger gehört zur FDP.

Seine Mitwirkung an der Sache hatte Minister Strauß am 9. November 1962 vor dem Parlament so dargestellt: »Ich bin nach Rückkehr aus meinem Urlaub am 16. Oktober 1962 von dem Gutachtenersuchen der Dienststelle des Generalbundesanwalts und den Gründen informiert worden.« Und: »Ich habe am 16. Oktober, gerade als es offen war, welche weiteren Konsequenzen sich ergeben würden, Herrn Hopf gebeten, daß er die weitere Behandlung dieser Angelegenheit übernehme, und zwar genau aus demselben Motiv heraus, das ich gestern erklärt habe: um jeden Anschein zu vermeiden, daß ich durch ein persönliches Eingreifen Irgendwie, sei es durch Bestellung des Gutachters, sei es durch Einflußnahme auf den Inhalt des Gutachtens, den Gang der Dinge zu steuern versuche.« Und: »Am 16. Oktober bin ich vom Ersuchen des Generalbundesanwalts informiert worden, daß ein Gutachten eingereicht werden soll. Ich habe daraufhin den Staatssekretär beauftragt, alle Amtshandlungen, die vom Verteidigungsministerium wahrzunehmen sind, auszuüben.«

Auch laut SPIEGEL-Bericht wurde Strauß zum erstenmal am 16. Oktober nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub über die Sache informiert - allerdings vom Gutachter. Ernstlich wird im Bericht - auf Seite 5 - vorgetragen, Strauß habe später nur »einen kurzen Blick auf eine Seite des Gutachtens« geworfen, »um auch jeden Schein eines besonderen Interesses zu vermeiden«, und zwar »mit Rücksicht auf die in diesem Fall politisch besonders gelagerte Situation«.

Aber schon auf Seite 3 war mitgeteilt, daß der zuständige Referent dem Minister Vortrag hielt »über den Sachverhalt«, daß Strauß angeordnet habe, »alle in Frage kommenden Stellen seines Ministeriums« sollten die Arbeit des Gutachters unterstützen, und daß er - Seite 4 - zunächst am 18. Oktober und später noch einige Male den Bundeskanzler informiert habe.

SPIEGEL-Bericht: »... hat der Bundeskanzler dem Bundesverteidigungsminister auf besondere Frage erklärt, er stehe mit seiner vollen Autorität zur Durchführung des Verfahrens; der Bundesverteidigungsminister könne sich jederzeit darauf berufen; der Bundeskanzler sei auch bereit, dies dem Verteidigungsminister schriftlich zu versichern.«

Verräterische Formulierung. Es waren der Bundeskanzler und der Innenminister Höcherl, die in den Bundestags -Fragestunden immer wieder darauf hingewiesen hatten, daß die Unabhängigkeit der Rechtsinstanzen unangetastet bleiben müsse. Höcherl: »Und Sie wissen, daß ich kein anderes Interesse habe - ich nehme an, daß das ganze Haus kein anderes Interesse hat -, als die Unabhängigkeit der Rechtspflege in diesem Fall wie in jedem anderen Fall auch unter allen Umständen zu wahren.«

Warum dann hat Strauß den Bundeskanzler gefragt und warum dann hat der Bundeskanzler dem Minister Strauß auf dessen »besondere Frage« ausdrücklich bestätigt, er stehe »mit seiner vollen Autorität zur Durchführung des Verfahrens«? Warum sollte sich der Bundesverteidigungsminister, der doch »mit Rücksicht auf die in diesem Fall politisch besonders gelagerte Situation« mit der Sache gar nicht befaßt gewesen sein will, jederzeit« auf diese Autorität berufen können und diese Erklärung notfalls schriftlich bekommen?

In welcher möglichen Situation hätte der Bundesverteidigungsminister diese Zusicherung seines Kanzlers, womöglich in schriftlicher Form, gebraucht - bei der Durchführung eines Verfahrens, das nicht von ihm, sondern nur von unabhängigen Rechtsinstanzen betrieben werden durfte?

Minister Höcherl, CSU auch er, vor dem Bundestag: Aber ich bin sehr traurig darüber, daß von der Seite der Fragesteller der Anschein einer Einflußnahme erweckt wird. Darüber bin ich tief erschüttert.«

Für neuerliche Erschütterungen dieser Art mag dem Innenminister Höcherl die Lektüre des SPIEGEL-Berichts dienen. Demnach trafen sich am 24. Oktober 1962 im Bundesverteidigungsministerium der Minister Strauß und die Staatssekretäre Hopf (Verteidigung) und Dr. Strauß (Justiz) - einen Tag zuvor bereits hatte der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs, Oberlandesgerichtsrat Buddenberg, die Haftbefehle gegen Rudolf Augstein und Conrad Ahlers und die - im Gegensatz zu den Haftbefehlen - auch mit dem Verdacht der Bestechung begründeten Befehle zur Durchsuchung der Hamburger und Bonner SPIEGEL-Räume erlassen.

SPIEGEL-Bericht: »Die Besprechung befaßte sich mit dem Ergebnis des Gutachtens, mit der Frage der Haft- und Durchsuchungsbefehle« - mit strafprozessualen Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörde also, und alles dies im Verteidigungsministerium unter Teilnahme von Franz-Josef Strauß -, »insbesondere aber damit, daß ein zuständiger Beamter des Bundesjustizministeriums jederzeit - auch über das Wochenende - erreichbar sein solle.«

Ein »zuständiger Beamter«, wohlgemerkt, beileibe nicht der zuständige Minister: »Bei Gelegenheit dieser Unterredung teilte der Bundesverteidigungsminister dem Staatssekretär Dr. Strauß mit, es liege eine Weisung des Bundeskanzlers vor«, daß »der Bundesminister der Justiz bis dahin (gemeint ist: bis zum Beginn der Aktion) nicht zu unterrichten sei.«

Laut SPIEGEL-Bericht fand diese Besprechung - eine von mehreren - am 24. Oktober 1962 statt. Strauß am 9. November 1962 vor dem Bundestag: »In der Zeit vom 16. Oktober bis zum 26. Oktober - ich sage: 26. Oktober, Herr Kollege Erler - habe ich an keiner Besprechung teilgenommen. Aber selbstverständlich bin ich von den zuständigen Herren meines Hauses darauf hingewiesen worden, daß diese Angelegenheit im Laufen sei. Mehr wußte ich nicht. Ich wußte nicht, was kommt, ich wußte nicht, wann es kommt, ich wußte nicht, gegen wen es kommt: und so weiter.«

Innenminister Höcherl, am 7. November 1962 im Bundestag: »Die Dinge waren so: Es handelte sich wohl um den ernstesten Verdacht eines Landesverrats, der in der Nachkriegsgeschichte bisher überhaupt entstanden ist, und deswegen hat die Bundesanwaltschaft einen ganz besonderen Wert auf Diskretion gelegt.« Und: »Daß die Bundesanwaltschaft ein Gutachten angefordert hat, haben außer dem Justizminister die Staatssekretäre Dr. Strauß und Hopf gewußt.«

Der SPIEGEL-Bericht bestätigt, daß der Bundesjustizminister es nicht gewußt hat und daß er es auch nicht erfahren sollte. Im Gegensatz zu Höcherls Angabe vor dem Bundestag, die Bundesanwaltschaft habe höchste Diskretion verlangt, steht im SPIEGEL-Bericht, der Kanzler habe verlangt, den Justizminister nicht zu informieren. Und wenige Tage vor der Veröffentlichung des Berichts, der ihm genau bekannt war, beantwortete Höcherl die Kleine Anfrage der SPD wahrheitswidrig: »Über die Tatsache, daß der Generalbundesanwalt sich mit dem Fallex-Artikel des SPIEGEL beschäftige, ist Bundesminister Stammberger durch das Anforderungsschreiben vom 18. Oktober 1962 in Kenntnis gesetzt worden« - durch jenen Brief nämlich, der laut SPIEGEL-Bericht im Justizministerium »zurückgehalten« wurde.

Höcherl am 7. November 1962 vor dem Bundestag: »Vor der Information des (Hamburger) Innensenators (am 26. Oktober) hat keine Maßnahnme in Hamburg begonnen.«

Bericht des Bundesministers des Innern, Anlage zum SPIEGEL-Bericht: »Am 23. Oktober 1962 hatten sich Beamte der Sicherungsgruppe nach Hamburg begeben. Sie waren beauftragt, taktische Maßnahmen nach eigenem Ermessen durchzuführen...«

Die »taktischen Maßnahmen«, die von Beamten der Sicherungsgruppe drei Tage vor Beginn der Aktion in Hamburg - und nicht nur dort - eingeleitet wurden, betrafen auch das, was in der Alltagssprache »beschatten« heißt. Allerdings scheinen auch noch Institutionen, die nicht zum Bundeskriminalamt und seiner Sicherungsgruppe Bonn gehören, »taktische Maßnahmen« ergriffen zu haben. Aber diese Leute können ihre Arbeit unmöglich gut gemacht haben.

SPIEGEL-Bericht: »Am Abend des 25. Oktober 1962 und am 26. Oktober 1962 liefen beider Sicherungsgruppe des Bundeskriminalamts vertrauliche Mitteilungen ein, daß ein Pkw mit Hamburger Kennzeichen, In dem sich vermutlich Augstein befinde, in Düsseldorf vor der Redaktion des SPIEGEL gesehen worden sei. Der Vertreter der Bundesanwaltschaft, der sich bei der Sicherungsgruppe in Bad Godesberg aufhielt, beauftragte daraufhin am 26. Oktober gegen 15 Uhr zwei Beamte der Sicherungsgruppe, sich nach Düsseldorf zu begeben. Sie wurden angewiesen, Augstein festzunehmen, wenn die Gefahr bestehe, ihn aus den Augen zu verlieren.«

Es handelte sich bei diesem Wagen um einen schwarzen Mercedes 220 S, der täglich vor dem Düsseldorfer SPIEGEL -Büro zu sehen war und ist, der auf den Constanze-Verlag zugelassen ist und den der Leiter der gemeinsamen Constanze- und SPIEGEL-Geschäftsstelle, der Anzeigenmann Erich Fischer, benutzt. Fischer wurde denn auch prompt verfolgt, als er mit seinem Wagen zum Parkplatz des Bankhauses Trinkaus fuhr, und festgenommen, als er - mit einer eingekauften Ente unterm Arm - zum Parkplatz zurückkam.

Rudolf Augstein hat einen Wagen dieses Typs nie benutzt, er wurde allerdings auch nicht festgenommen, bevor er freiwillig, am Sonnabend, dem 27. Oktober 1962, mittags ins Hamburger Polizeipräsidium fuhr. In den Tagen vom 23. bis zum 26. Oktober, in denen die Beamten der Sicherungsgruppe in Hamburg rings um das Pressehaus ihre »taktischen Maßnahmen« vorbereiteten, war er täglich in sein Büro in der Redaktion gekommen und hatte am Freitag, dem Tag der Aktion, abends das Haus verlassen. Die Taktiker merkten es offenbar nicht.

Statt dessen verfolgten sie in Düsseldorf den Anzeigenmann Fischer als Augstein - wenngleich nach Informationen, die andere, sicherlich artverwandte Taktiker dem Minister Strauß gegeben haben müssen, Rudolf Augstein auf dem Wege nach Kuba war -, und sie verfolgten In Hamburg den Polier Werner Dolata bis in dessen heimatliche Kleingärtner-Siedlung am Stadtrand, weil der Mann, den es fröstelte, in der Nähe des Hamburger Pressehauses quer über die Fahrbahn zu seinem Wagen gerannt war. Wie wohl wären die Taktiker zu Rande gekommen, wenn der SPIEGEL wirklich ein Spionage und Agentenzentrum wäre?

Verhaftung und Freilassung Fischers in Düsseldorf lösten, laut SPIEGEL -Bericht, am Freitag, dem 26. Oktober abends, einen Tag nach Erledigung der Kleinen Anfrage wegen »Onkel Aloys« im Bundestag, die Aktion aus: »Da somit Gefahr im Verzuge war, ordnete die Bundesanwaltschaft (etwa um 20.00 Uhr) die sofortige Auslösung der geplanten strafprozessualen Maßnahmen (Fahndung und Durchsuchung) an.«

Den 33 Seiten des SPIEGEL-Berichts ist als Anlage eine elf Seiten starke Darstellung des Innenministeriums beigegeben, der die Maßnahmen der Ermittlungsbeamten in Bonn und Hamburg zu entnehmen sein sollen. Daß die Personen-Namen der Beteiligten in diesem Bericht zum großen Teil falsch geschrieben sind, ist symptomatisch für die Korrektheit dieser Darstellung. Sie enthält Fehler über Fehler.

Beispiel: »Kurz vor Betreten des Hauptportals wurde bemerkt, daß der Redakteur Engel das Haus in Richtung Parkplatz verließ. Darauf wurden zwei Beamte damit beauftragt, Engel zu verfolgen und festzunehmen. Die Festnahme erfolgte gegen 21.10 Uhr in der Nähe des Pressehauses. Engel wies sich auf Verlangen aus und folgte ohne Widerrede der Bitte der Beamten, sie zum Pressehaus zu begleiten.«

Tatsächlich wurde Johannes K. Engel, einer der beiden SPIEGEL-Chefredakteure, gestellt, als er seinen vor der benachbarten Garage abgestellten Wagen aufschloß. Engel wurde von keinem Beamten um Begleitung zum Pressehaus gebeten, sondern sogleich in einem bereitstehenden Wagen der Sicherungsgruppe abtransportiert - zunächst zu sich nach Hause.

Beispiel: »Augstein wurde nicht angetroffen. Jedoch wurde Chefredakteur Jacobi in seinem Zimmer vorgefunden... Auf eine weitere Frage antwortete Jacobi, daß sich von den Redakteuren außer ihm niemand im Haus befinde.«

Da freitags gegen 21.00 Uhr die Bearbeitung der jeweiligen SPIEGEL-Ausgabe nicht abgeschlossen ist und noch nie um diese Zeit abgeschlossen war, konnte Claus Jacobi eine solche Auskunft nicht geben und hat sie auch nicht gegeben. Schon wenige Absätze weiter wird denn auch im Bericht des Innenministeriums die Bitte Jacobis protokolliert, wenigstens einigen Redakteuren die Weiterarbeit zu ermöglichen, damit das Heft notdürftig abgeschlossen werden könne. Der Bericht räumt auch ein, daß sich noch »annähernd 60 Angehörige« in der Redaktion befunden hätten, deren Reaktion auf die Aufforderung, Ihre Arbeit unverzüglich einzustellen, nach der Formulierung des Berichts beinahe zu einer »bedrohlichen« Lage geführt habe: »Auf diese Weise entwickelte sich eine Art Sitzstreik.«

Die Ungenauigkeit dieses Anlage-Berichts vermindert sich von Seite zu Seite nicht. Die Räume der Auslandsredaktion werden in das siebente Stockwerk verlegt, wo sie nicht sind; es wird ein »zuständiger Hausmeister Heyns« genannt - es gibt im SPIEGEL niemanden namens Heyns und keinen Hausmeister, folglich schon gar keinen »zuständigen Hausmeister Heyns«-; nicht einmal die drei Gebäude, in denen der SPIEGEL untergebracht ist (Pressehaus, Haus am Domplatz, Miramarhaus) weiß der Bericht korrekt auseinanderzuhalten.

In einer Sache aber geht der Bericht des Innenministeriums zugunsten der Korrektheit über das hinaus, was Innenminister Höcherl vor dem Parlament zugeben wollte. Es handelt sich um jenen Versuch, eine Vorzensur auszuüben, wegen dessen der SPIEGEL-Verlag beim Bundesverfassungsgericht Antrag auf Erlaß einer Einstweiligen Anordnung stellte. Das Bundesverfassungsgericht folgte dem Antrag nicht, weil es eine »Wiederholungsgefahr« nicht als gegeben ansah.

Der Bericht gibt zu: »Erster Staatsanwalt Buback erteilte weiter die Weisung, die Druckfahnen für die im Druck befindliche SPIEGEL-Ausgabe zu beschaffen und sicherzustellen. Diese Unterlagen seien bedeutsam und müßten daraufhin geprüft werden, ob in ihnen etwa Beziehungspunkte zum Foertsch-Artikel enthalten seien, die als Beweismittel In Frage kommen könnten. Dazu sei es nötig, die Druckfahnen vollständig vorzulegen.«

Da in der Nacht der Aktion am Heft 44 gearbeitet wurde, die inkriminierte Foertsch-Titelgeschichte aber drei Wochen zuvor in Heft 41 veröffentlicht worden war, bleibt mysteriös, welcher Art diese »Beziehungspunkte« hätten gewesen sein können. Der SPIEGEL-Bericht entschleiert dieses Mysterium nicht.

Dem Bericht zufolge dauerte es etwa 45 Minuten, bis ein vollständiger Satz der Druckfahnen aller im nächsten Heft abgedruckten Texte zusammengestellt war, und dieser Satz wurde »in einem festen Umschlag verschlossen und versiegelt. Die Siegel wurden von (Chef vom Dienst) Matthiesen und Beamten der Sicherungsgruppe gezeichnet. Ein zur Abholung des Materials vom Ersten Staatsanwalt Buback entsandter Kurier übernahm den Umschlag und legte ihn dem Ersten Staatsanwalt Buback zur Weiterleitung an den Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs vor«.

Vor dem Parlament hatte Innenminister Höcherl diese Angelegenheit, bei der es darum geht, ob das Grundgesetz eingehalten wurde oder nicht - Artikel 5: »Eine Zensur findet nicht statt« -, ganz anders dargestellt.

Höcherl am 7. November 1962 im Bundestag: »Wenn der Polizeibeamte die Druckfahnen einpackt, weil er den Verdacht hat, es könnte etwas anderes damit beiseitegeschafft werden, und dem Richter die Entscheidung überläßt, dann können Sie doch nicht sagen, daß man in einem staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren überhaupt mehr tun könnte, als den Richter, und zwar den Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs, darüber entscheiden zu lassen. Ich bin vielmehr der Meinung, der Polizeibeamte hat sich vorbildlich verhalten. Ich wäre dankbar - und Sie wissen, wie sehr wir uns gemeinsam um die Polizei kümmern -, wir hätten überall so tüchtige, so gewandte und so vorsichtige Polizeibeamte.«

Am Ende der Debatte stieg wegen der Fahnenabzüge der noch nicht abgeschlossenen SPIEGEL-Ausgabe noch mehr Nebel auf.

Der Abgeordnete Sänger (SPD), am 7. November im Bundestag: »Wir werden ja sehen, was das Gericht zu der Sache noch zu sagen hat.

(Zustimmung und Beifall der SPD)

Aber wir werden es als Journalisten, wir werden es als Bürger dieses Staates, wir werden es in der Demokratie unter gar keinen Umständen ruhig mitansehen können, wenn Beamte, die eine Untersuchung über ein vergangenes angebliches Verbrechen oder Vergehen oder was es ist vornehmen, (Zurufe von der CDU/CSU: »Angebliches!")

nun noch ein zukünftiges auch gleich mit festzustellen beabsichtigen...«

Höcherl, Bundesminister des Innern: ... Herr Kollege Sänger, ich habe

- ich bitte Sie, das doch zu beachten,

und ich nehme an, daß Sie der Debatte mit Aufmerksamkeit gefolgt sind - zu der Frage der Fahnenabzüge erklärt, daß diese nicht zum. Zwecke der Zensur und zur Prüfung der Frage, ob das Druckerzeugnis am nächsten Tag veröffentlicht werden kann oder nicht, beschlagnahmt wurden, sondern aus anderen Gründen, wegen der Frage, ob damit Beweismittel usw. vertuscht werden; deswegen sind sie beschlagnahmt und vom Richter geprüft worden.«

Innenminister Höcherl am 7. November 1962 vor dem Bundestag: »Ich habe Auskunft gegeben bis zum Äußersten, das wissen Sie ganz genau. Sie werden nicht eine einzige Zeile widerlegen können.«

Der SPIEGEL-Bericht kann es. Er widerlegt auch die Behauptung des Kanzlers vor dem Bundestag, deren Unrichtigkeit allerdings schon in dem Augenblick, als sie aufgestellt wurde, nachprüfbar war: »... hier hat der Richter, der Beauftragte des Bundesgerichts, selbst diese Durchsuchung der Redaktionsräume in Bonn und Hamburg vorgenommen

(Zuruf von rechts: Angeordnet!)

- nicht nur angeordnet, sondern auch vorgenommen hat er sie selbst.«

Es war eine jener Äußerungen des Regierungschefs vor dem Parlament, die den Professor Eschenburg in seiner Analyse der SPIEGEL-Affäre zu der Feststellung trieb: »Es gibt - zumindest im politischen Bereich - keine Greisenfreiheit, um dieses Wort in Analogiebildung zur Narrenfreiheit zu gebrauchen*.«

Nicht nur zum Begriff der Narrenfreiheit drängen sich im Verlauf der SPIEGEL-Affäre Analogien auf. Die KleineAnfrage der SPD, ob bei der Aktion in Hamburg gegen den SPIEGEL auch Offiziere des Bundesverteidigungsministeriums mitwirkten, hat Innenminister Höcherl dem Parlament ausweichend beantwortet: »Für Sicherheitsfragen zuständige Offiziere sowie Beamte des Bundesministeriums für Verteidigung und seiner Dienststellen haben die Bundesanwaltschaft unterstützt.«

Auch der SPIEGEL-Bericht - der allerdings mehrfach erwähnt, es habe »energischer« Vorstellungen bedurft, die HamburgerPolizeibeamten zur Amtshilfeleistung zu bringen - gibt nicht zu, daß an der Durchsuchung der SPIEGEL -Räume in Hamburg Offiziere teilnahmen. Er sagt nur soviel, daß der Gutachter »während der Durchsuchung am 26./27. Oktober 1962 den Ermittlungsbeamten für eilige gutachtliche Stellungnahmen zur Verfügung gestanden« habe. Eingeräumt wird auch, daß sich bei der Zentrale der Sicherungsgruppe Bonn, in Bad Godesberg, in der Nacht der Aktion »zwei Angehörige des Bundesministeriums für Verteidigung« aufgehalten hätten.

Dort auch rief in der Nacht Straußens Staatssekretär Hopf an, in der Hoffnung, wenige Stunden nach Beginn der Aktion in Hamburg und Bonn seien die vermuteten »undichten Stellen« seines Ministeriums erkennbar. Tiefgreifende Divergenzen in seinem Hause waren ihm bekannt, und der Oberst Schmückle, Pressereferent des Ministers Strauß, hatte Gegner der atomaren Bewaffnung und Fürsprecher konventioneller Verteidigungsformen sogar öffentlich - in einem Artikel für »Christ und Welt« - als Leute angeschwärzt, »deren verhärtetes Gedächtnis immer noch damit beschäftigt ist, Panzer- und Kesselschlachten im Stil des Zweiten Weltkrieges zu schlagen«.

Hopfs Nachfrage, im Wortlaut des SPIEGEL-Berichts: »Nach Beginn der Durchsuchungsmaßnahmen der Bundesanwaltschaft am Abend des 26. Oktober 1962 erkundigte sich Staatssekretär Hopf in der Nacht vom 26. Oktober 1962 zum 27. Oktober 1962 von seiner Wohnung aus fernmündlich bei der Sicherungsgruppe des Bundeskriminalamtes, ob bereits Anhaltspunkte dafür vorlägen, daß Offiziere der Bundeswehr mit den zu ermittelnden Tatbeständen in Verbindung gebracht werden könnten... Im Verlauf eines solchen Ferngesprächs« - offenbar führte der ungeduldige Staatssekretär mehrere - »erfuhr er gegen 1.30 Uhr von den Beamten der Sicherungsgruppe, daß der Versuch der Festnahme des Redakteurs Ahlers erfolglos geblieben sei...

Es war also der Staatssekretär des Verteidigungsministers, der bei der Sicherungsgruppe angerufen hatte. In den Fragestunden des Bundestages, als sich die Abgeordneten und der Innenminister auf fast verzweiflungsvolle Weise herauszubringen bemühten, was in der Nacht geschehen war, hatte Strauß die Angelegenheit so dargestellt, als hätten sich die Beamten der Sicherungsgruppe mit der Bitte um Amtshilfe an das Verteidigungsministerium gewandt.

Strauß am 8. November 1962 vor dem Bundestag: »Das Bundesverteidigungsministerium ist durch die Sicherungsgruppe des Bundeskriminalamtes am 27. Oktober zwischen 1 und 2 Uhr morgens wie folgt verständigt worden: Bei dem erfolglosen Versuch der Festnahme des Herrn Ahlers in seiner Hamburger Wohnung habe sich ergeben, daß sich Herr Ahlers in Spanien oder Tanger aufhalte. Der deutsche Militärattache in Madrid sei über diese Reise unterrichtet. Auf dem Wege der Amtshilfe für die Strafverfolgungsbehörden hat das Verteidigungsministerium den Militärattache in Madrid gefragt, ob diese Mitteilung zutreffe.«

Und: »Das ist eine Angelegenheit, bei der wir zur Amtshilfe verpflichtet waren...«

Und noch einmal die gleiche Geschichte: »Ich habe aber vorher in meiner Antwort vermerkt, daß die Sicherungsgruppe des Bundeskriminalamtes das Bundesverteidigungsministerium in der Nacht... verständigt habe, daß sich bei der erfolglosen Festnahme des Herrn Ahlers ergeben habe, daß sich Herr Ahlers in Spanien oder Tanger aufhalte. Ferner wußte die Sicherungsgruppe bereits in der Nacht, daß der deutsche Militärattache in Madrid über diese Reise unterrichtet war.«

Der SPIEGEL-Bericht vermerkt zwar ausdrücklich: »Der Name Oster ist anläßlich dieser Durchsuchung auf keiner Seite gefallen.« Aber von irgendwoher mag die Sicherungsgruppe ihre Kenntnis schon gehabt haben; die heimliche Durchstöberung eines Ahlers -Koffers, bei der aus Versehen der Schlüssel mit eingeschlossen wurde, legt die Vermutung nahe, daß taktische Maßnehmer, die nicht zur Sicherungsgruppe gehört haben können, schon bei der Reise des Ehepaars Ahlers nach Spanien am Werk waren.

Immerhin, zum Zeitpunkt dieser ministeriellen Auskünfte vor dem Parlament hatte Strauß noch nicht zugegeben, daß er vom Militärattaché Oster die Verhaftung von Conrad Ahlers verlangt hatte.

Dr. Mommer (SPD): »Wer hat die Weisung an Herrn Oster gegeben, die Festnahme von Herrn Ahlers zu veranlassen?«

Strauß, Bundesminister der Verteidigung: »In der Fragestellung steckt eine Behauptung, die in dieser Form nicht zutrifft.«

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vorbereitend konstruiert Strauß nun die wahrhaft groteske Unterstellung, irgend jemand könnte es den deutschen Militärattachés im Ausland zum Vorwurf machen, wenn sie deutsche Touristen nicht bespitzelten. Strauß: »Wenn das Verteidigungsministerium diesem Hinweis nicht nachgeht, dann würde mit Recht der Vorwurf erhoben oder zumindest die Frage gestellt werden: Warum weiß der deutsche Militärattache nichts von der - Ausreise des Mannes, der am besten über Informanten Auskunft geben kann? Darum sind wir diesem Hinweis pflichtgemäß nach gegangen.«

(Beifall bei der CDU/CSU)

Derweil müht sich Höcherl: »Ich habe schon erklärt, daß ich nun seit Stunden und seit Tagen bis herein in die frühen Morgenstunden von heute festzustellen versuche, wer noch zusätzlich von der Sicherungsgruppe - so wie das spanische Informationsministerium es behauptet - in der Frühe um 2 Uhr, also am 27. ... durchtelephoniert hat. Ich konnte es noch nicht feststellen.«

Der Mann neben ihm auf der Regierungsbank, der es weiß und mit einem einzigen Satz aufklären könnte, redet statt dessen von ganz anderem, als er wieder ans Pult tritt. Strauß: »Die Sicherungsgruppe des Bundeskriminalamtes hat sich sicherlich nicht aus reinem - ich bitte mir dieses ironische Wort nachsehen zu wollen - Mitteilungsbedürfnis in dieser Weise geäußert, sondern weil die Sicherungsgruppe auf dem Wege der Amtshilfe - Artikel 35 des Grundgesetzes - erfahren wollte: Was ist denn da dran?«

So ist aus den nächtlichen Anrufen des Staatssekretärs Hopf bei der Sicherungsgruppe, der die Namen beteiligter Offiziere wissen wollte, in Straußens Darstellung ein Amtshilfe-Ersuchen der Sicherungsgruppe an das Verteidigungsministerium geworden, die illegale Verhaftung des Ehepaars Ahlers zu bewerkstelligen. Und so eigentümlich quirlen die Rechtsvorstellungen im Hirn dieses Mannes durcheinander, daß nach seiner Behauptung aus einer etwaigen Hilfe-Verweigerung bei der (nie erbetenen) illegalen Verhaftung von Conrad Ahlers ein Verdacht der Begünstigung konstruiert werden könnte.

Strauß vor dem Bundestag: »Denn wenn Herr Ahlers - was in der Nacht in keiner Weise zu übersehen war - nach Marokko weitergereist wäre, ein Urlaubsziel, das er angegeben hatte, und nicht mehr zurückgekehrt wäre - was zu verhindern das Ziel der Bemühungen war -, dann wäre der Schatten eines Verdachts hängengeblieben, daß mit Hilfe einer Stelle oder einer Person aus dem Dienstbereich des Verteidigungsministeriums ein Mann nicht mehr zur Auskunft hätte veranlaßt werden können, der nach unserer Kenntnis der Dinge am besten über viele Informanten Bescheid weiß.«

Die Teilhaberschaft einer Dienststelle des Verteidigungsministeriums an den Ferien von Conrad Ahlers wurde in der Darstellung des Ministers Strauß vor dem Parlament immer gravierender: Aus der »Kenntnis« wird »Bescheid wissen«, wird »mit Hilfe«, und am Ende ist laut Strauß die Reise eines der Hauptbeschuldigten »durch das Verteidigungsministerium organisiert worden«.

Strauß behauptete das im Ernst an jenem Tage, an dem er vor dem Parlament zugeben mußte, daß er es gewesen war, der mit dem Militärattache Oster telephoniert hatte. Aber er verband dieses Eingeständnis mit neuen Unwahrheiten - zum Beispiel mit der Behauptung, Oster habe die Stimme des Ministers am Telephon zu hören verlangt. Und immer wieder gibt Strauß an, die Sicherungsgruppe habe um Amtshilfe gebeten.

Strauß am 9. November 1962 vor dem Bundestag: »Wenn die Sicherungsgruppe, die bei keiner anderen Festnahme das Verteidigungsministerium verständigt hat, diese Mitteilung macht, dann steckt darin ja ein ganz bestimmter Sinn: Wir suchen jemanden, der aufgrund richterlichen Haftbefehls festgenommen werden soll im Zusammenhang mit dem Verdacht des Landesverrats, und das Verteidigungsministerium, eine Stelle oder eine Persönlichkeit aus diesem Bereich weiß über diese Reise ja Bescheid. Damit war für uns die Notwendigkeit der Amtshilfe gegeben ... Aus diesem Grunde ist nachts der Anruf der Sicherungsgruppe erfolgt.«

Es war zunächst gar kein Anruf von der Sicherungsgruppe »erfolgt«, sondern ein Anruf bei der Sicherungsgruppe: am Telephon der Staatssekretär Hopf. Niemals auch ist dem Verteidigungsministerium ein Hinweis zugegangen, der auch nur entfernt als Bitte um Amtshilfe hätte ausgelegt werden können - das Gegenteil war der Fall.

Zwar gibt auch der SPIEGEL-Bericht keine definitive Klarheit über alle Einzelheiten dieser Nacht, weil die zum Teil diametralen Angaben der vier Ministerien ohne Wertung gleichberechtigt nebeneinander gestellt sind. Aber nicht einmal der Bericht des Verteidigungsministeriums kann die abenteuerlichen Angaben aufrechterhalten, die Strauß dem Parlament vorsetzte.

Den Regierungsdirektor Schwenk, für das Verteidigungsministerium im Redaktions-Komitee des SPIEGEL-Berichts, »wird die Erinnerung an seine Tätigkeit in der Kommission wohl noch lange verfolgen«, schrieb die »Süddeutsche Zeitung«. »Immer, wenn ihm ein Vertreter des Auswärtigen Amts eine neue Einzelheit' aus der Nacht der langen Drähte vorhielt, mußte er seinen Minister oder Staatssekretär fragen, und jedesmal wurde er mit einer ausweichenden oder ablehnenden Antwort bedacht.«

Kein Wunder. Denn was Außen- und Innenministerium zu den Vorgängen in jener Nacht vom 26. auf den 27. Oktober 1962 zu berichten haben, klingt ganz anders, und auch die Rolle, die Straußens zunächst beurlaubter, später rehabilitierter Staatssekretär Hopf gespielt hat, zeigt sich nun plötzlich in neuem Licht, genauer: zum ersten Male im Licht.

Laut SPIEGEL-Bericht hatten die Beamten, die in Hamburg die Wohnung von Conrad Ahlers durchsuchten, dort die genaue Ferienanschrift des Ehepaars Ahlers in Spanien erfahren und waren auch von der anwesenden Tante von Frau Heilwig Ahlers informiert worden, daß Conrad und Heilwig Ahlers für drei Tage nach Rabat reisen - auch diese Adresse wurde angegeben -, dann aber den Rest der Ferien wieder in Spanien verleben wollten. Vorgefundene Unterlagen bestätigten alle Daten.

Dem SPIEGEL-Bericht zufolge hatten die durchsuchenden Beamten in der Ahlers-Wohnung »lediglich« die Tante vorgefunden. Daß die drei Kinder des Ehepaars ebenfalls in der Wohnung waren - ein Umstand, der nicht eben für Fluchtpläne sprach -, wird im Bericht nicht erwähnt. Ausdrücklich aber heißt es: »Der Name Oster ist anläßlich dieser Durchsuchung auf keiner Seite gefallen.«

Das Innenministerium erinnert sich: »Bald darauf (nach Beginn der Aktion in der Nacht zum 27. Oktober 1962) rief Staatssekretär Hopf bei dem leitenden Beamten der Sicherungsgruppe an. Staatssekretär Hopf erklärte, Ahlers, der sich in Spanien befände, müsse festgenommen werden. Ihm wurde geantwortet, daß die Sicherungsgruppe dazu nicht zuständig sei und daß sie eine Verhaftung auch nicht veranlassen könne. Dazu bemerkte Staatssekretär Hopf, wenn dies die Sicherungsgruppe nicht könne, dann werde dies das Bundesministerium der Verteidigung auf eigenem Wege versuchen.«

So also sah aus, was nach der immer und immer wiederholten Darstellung des damals amtierenden Verteidigungsministers Strauß vor dem Parlament von seinem Ministerium nur als Amtshilfe -Ersuchen verstanden werden konnte. Nicht einmal die Erinnerung des Staatssekretärs Hopf bestätigt diese Version: »Ich rief bei der Sicherungsgruppe an und fragte, ob Ahlers auch im Ausland festgenommen werden könne. Mir wurde geantwortet, daß die Sicherungsgruppe für diese Frage nicht zuständig sei und daß sie eine Verhaftung im Ausland nicht verantworten könne.«

So rief also Hopf, der bei der Sicherungsgruppe seinen Wunsch nicht durchsetzen konnte, Ahlers in Spanien verhaften zu lassen, im Justizministerium an, bei Ministerialrat Dr. Kleinknecht. Ohne Namensangabe teilte Hopf dem Ministerialrat mit, »daß diejenigen Personen, gegen die Haftbefehle ergangen seien, nicht auffindbar seien«, und ob man nicht Steckbriefe erlassen sollte. Der Ministerialrat Dr. Kleinknecht war gegen Steckbriefe, und Dr. Kuhn von der Bundesanwaltschaft war es auch.

SPIEGEL-Bericht: »In derselben Nacht (26./27. Oktober 1962)... teilte Staatssekretär Hopf dem Ministerialrat Dr. Kleinknecht mit, daß sich von den nicht auffindbaren Beschuldigten einer in Spanien und einer in Budapest befinde. Staatssekretär Hopf sprach dabei von einem 'Draht', den das Bundesverteidigungsministerium nach Spanien habe. Er fragte, ob es über die Justiz, das Auswärtige Amt oder die Sicherungsgruppe des Bundeskriminalamtes einen Weg gebe, den Gesuchten aus Spanien herauszubringen.

»Ministerialrat Dr. Kleinknecht machte Staatssekretär Hopf darauf aufmerksam, daß wegen politischer Delikte, zu denen der Landesverrat gehöre, nicht ausgeliefert werde; dieser Grundsatz komme in allen Auslieferungsverträgen zum Ausdruck. Zugleich wies Ministerialrat Dr. Kleinknecht auf Paragraph 3 des Deutschen Auslieferungsgesetzes hin. Er erklärte, daß alles unterbleiben müsse, was von den spanischen Behörden als Auslieferungsbegehren aufgefaßt werden könne...

»Sogleich danach (etwa gegen 2 Uhr nachts) fand ein Ferngespräch zwischen Ministerialrat Dr. Kleinknecht und Bundesanwalt Dr. Kuhn statt, der inzwischen ebenfalls - und zwar von der Sicherungsgruppe - erfahren hatte, daß der beschuldigte Ahlers, nach dem gefahndet wurde, in Spanien sei. Beide erörterten, daß eine Einschaltung von Interpol in die Fahndung nach Ahlers gemäß der Interpol-Satzung unzulässig sei. Ministerialrat Dr. Kleinknecht legte dabei unter Zustimmung von Bundesanwalt Dr. Kuhn dar, daß eine Auslieferung wegen eines politischen Delikts nicht zulässig sei...

»Bundesanwalt Dr. Kuhn setzte sich sodann fernmündlich mit dem Leiter von Interpol beim Bundeskriminalamt Wiesbaden, dem Leitenden Regierungskriminaldirektor Dickopf, in Verbindung. Nach den Angaben des Bundesanwalts Dr. Kuhn hat dieses Gespräch etwa um 2 Uhr nachts, nach der Erinnerung des Leitenden Regierungskriminaldirektors Diekopf am Vormittag des 27. Oktober 1962 stattgefunden Bundesanwalt Dr. Kuhn legte dabei dar, daß bei einem politischen Delikt Interpol nicht eingeschaltet werden könne. Leitender Regierungskriminaldirektor Dickopf teilte diese Auffassung und versicherte, daß Interpol nicht eingeschaltet werde. Bundesanwalt Dr. Kuhn erklärte daraufhin, diese Zusicherung genüge ihm.... In derselben Nacht erörterte Bundesanwalt Dr. Kuhn fernmündlich auch mit dem Regierungskriminalrat Saevecke vom Bundeskriminalamt, daß eine Einschaltung von Interpol im Falle Ahlers unzulässig sei.«

Sicherungsgruppe, Justizministerium und Bundesanwaltschaft waren also einig, daß Ahlers in Spanien nicht verhaftet werden durfte, und haben mit dieser Ansicht gegenüber dem mehrfach anrufenden Staatssekretär des Verteidigungsministeriums Hopf nicht hinter dem Berge gehalten. Im Verteidigungsministerium - genauer beim Minister Strauß und Staatssekretär Hopf - herrschte dagegen eine ganz andere Stimmung.

Hopf rief in der Nacht seinen Minister an und schlug ihm vor - so jedenfalls berichtet es das Verteidigungsministerium im SPIEGEL-Bericht -, den Militärattaché bei der Deutschen Botschaft in Spanien anzurufen - es muß jener »Draht« gewesen sein, von dem Hopf gegenüber dem Justizministerium gesprochen hatte.

Der Minister war genau der gleichen Ansicht. In seinen Worten: »Der Bundesminister der Verteidigung hielt es gleichfalls für geboten, daß er persönlich mit dem Militärattache spreche, weil

1. dieser aus der Zeit der gemeinsamen Tätigkeit bei der Dienststelle des Bundeskanzleramtes für die mit der Vermehrung der Alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen mit Ahlers gut bekannt war.

2. die Angelegenheit mit Rücksicht auf die zu diesem Zeitpunkt zu befürchtenden Konsequenzen von ungeheurer Wichtigkeit war.

3. zu befürchten war, daß der Militärattache als ehemaliger Abwehroffizier angesichts seiner persönlichen Bekanntschaft mit Ahlers einerseits und der weittragenden Konsequenzen andererseits nur einer mit der ihm bekannten Stimme des Ministers ergehenden persönlichen Weisung des Ministers vertrauen und Folge leisten würde, und zwar sowohl hinsichtlich der Auskunft über seine Mitwirkung bei der Auslandsreise des Ahlers als auch bei weiteren eventuell erforderlich werdenden Maßnahmen.«

Im Bundestag noch hatte Strauß nichts davon gesagt, daß Oster einer »Weisung«, Ahlers gegen alles geltende Recht verhaften zu lassen, nur folgen »würde«, wenn sie »mit der ihm bekannten St;imme des Ministers« ergehe, sondern die Sache umgedreht und behauptet, er sei auf Verlangen des Attaches 'kurz« mit Oster verbunden worden, weil der Oberst gesagt haben soll, er »kenne nur die Stimme des Ministers«.

In Wahrheit rief Strauß bei der Deutschen Botschaft an, erreichte dort den Kanzler der Botschaft und forderte ihn auf, den Militärattaché Oster zu einem Rückruf bei Strauß zu veranlassen.

SPIEGEL-Bericht: »Schließlich verpflichtete Herr Minister Strauß den Kanzler Reif, über dieses Telephongespräch mit niemandem zu sprechen außer reit Oberst Oster, und sagte ihm: Dies ist ein dienstlicher Befehl, ich handle in diesem Augenblick auch im Namen des Herrn Bundeskanzlers und des Herrn Außenministers.«

Das entsprach zwar nicht der Wahrheit, aber in eigenem Namen konnte der Verteidigungsminister dem Kanzler der Deutschen Botschaft nicht gut einen »dienstlichen Befehl« erteilen. Er wußte sicher, warum ihm soviel daran gelegen sein mußte, daß sein Anruf in Madrid nicht bekannt wurde. Kanzler Reif sollte darüber nicht sprechen, und auch der Militärattache Oberst Oster wollte sich später nicht äußern, weil Strauß ihm gesagt habe, »er brauche sich nicht vernehmen zu lassen«.

Aus den Mitteilungen, die das Auswärtige Amt zum SPIEGEL-Bericht beisteuerte, ergibt sich aber, was der Militärattaché in der Nacht seinen Madrider Botschaftskollegen, dem Geschäftsträger Dr. Breuer und dem Legationsrat Dr. Feit - auch er ein Duzfreund von Conrad Ahlers - über den Inhalt seines Telephongesprächs mit dem Minister angegeben hatte.

Geschäftsträger Dr. Breuer: »Am 27. Oktober 1962, morgens gegen 3 Uhr, erhielt ich einen telephonischen Anruf von Oberst Oster, der mir in erregter Stimme folgendes mitteilte: Bundesminister Strauß habe ihn angerufen und ihm erklärt, in dieser Nacht sei eine Großaktion wegen Verrat von Staatsgeheimnissen und Bestechung gegen den SPIEGEL unternommen worden. Mehrere Redakteure und auch hohe Offiziere seien verhaftet worden, die Angelegenheit stehe auch mit der Kuba-Krise in Verbindung, und Herr Augstein habe sich bereits nach Kuba abgesetzt. Er komme soeben vom Bundeskanzler und gebe ihm auch im Einverständnis des Herrn Bundeskanzlers und des Herrn, Außenministers den dienstlichen Befehl, alles zu unternehmen, um den stellvertretenden Chefredakteur Ahlers, der in Spanien weile, verhaften zu lassen.«

Bericht Legationsrat Dr. Feit: »Oster habe dann Strauß angerufen. Der Minister habe ihm gesagt, er käme eben vom Bundeskanzler, er riefe auch in seinem Auftrag an, sowie im Namen des Bundesaußenministers. Der Oberste Untersuchungsrichter beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe habe Haftbefehl gegen Ahlers und alle SPIEGEL-Verantwortlichen erlassen. Sie hätten alle Landesverrat begangen. Die ganze SPIEGEL -Redaktion sei beschlagnahmt worden, und mehrere hohe Offiziere, vielleicht 12, verhaftet. Ahlers sei ein Haupttäter. Die Spanier müßten ihn auf der Stelle verhaften, er, Oster, sei ermächtigt und habe den Befehl, alles zu tun, um dies zu erreichen.«

Das Auswärtige Amt fügte hinzu: »Hierzu ist festzustellen, daß weder der Herr Bundesminister des Auswärtigen, noch der Herr Staatssekretär Professor Dr. Carstens, noch irgendeine andere Stelle des Auswärtigen Amtes zu diesem Zeitpunkt Kenntnis von dem Vorgehen gegen Ahlers hatten und daher in der Lage waren, sich mit diesem Vorgehen einverstanden zu erklären. Damals befand sich der Herr Bundesminister des Auswärtigen in Bonn und war zu erreichen.«

Aus den Worten, mit denen Breuer und Feit referieren, was Oster ihnen in der Nacht gesagt haben soll, ergeben sich überdeutlich Anklänge an Straußens Argumentation. So wie er schon im Bundestag mehrmals von »höchstrichterlichen« Haftbefehlen spricht - die Haftbefehle waren vom zuständigen Richter erlassen -, und so wie er noch im SPIEGEL-Bericht Untersuchungsrichter schreibt, wo es Ermittlungsrichter heißen müßte, tauchen nun die falschen Termini auch in der Erinnerung der Botschaftsangehörigen wieder auf - diesmal verwandelt zum »obersten Untersuchungsrichter«.

Es ergibt sich aber auch noch etwas anderes: Strauß hatte dem Oberst Oster nicht gesagt, Ahlers sei der verantwortliche Redakteur der Foertsch-Titelgeschichte, die im Verdacht stehe, militärische Geheimnisse enthalten zu haben. Statt dessen berichtete er abenteuerlichen Unsinn über Massenverhaftungen und Kuba-Flucht, um den Attache zu schockieren und zum Eingreifen zu bewegen.

Ob die Mitteilung von Strauß an Oster, Rudolf Augstein sei bereits nach Kuba geflohen, nur einem etwa vorhandenen Hang zu Übertreibungen zuzuschreiben ist, läßt sich nicht klären. Sicher ist aber: Einen Tag vor Beginn der Aktion hatte Ahlers aus Spanien den SPIEGEL-Chefredakteur Claus Jacobi angerufen. Ahlers fragte, ob Rudolf Augstein wünsche, daß er, Ahlers, seinen Urlaub abbreche, weil wegen der Kuba -Krise in der Redaktion möglicherweise viel zu tun sei. So waren in dem Telephongespräch, dessen Übermittlung von allerlei Geräuschen in der Leitung gestört wurde, die Namen Kuba und Augstein gefallen.

Eindeutig erklärt sogar das Verteidigungsministerium im SPIEGEL-Bericht, wie sich der Minister ungebeten und ungesetzlich in die Affäre, die allein Sache der Strafverfolgungsbehörden war, eingedrängt hat: »Der Minister wies sodann den Militärattaché an, sofort die zuständigen spanischen Behörden zu unterrichten, daß ein Haftbefehl wegen des oben genannten Verdachtes gegen Ahlers an sie unterwegs und mit Flucht- und Verdunkelungsgefahr begründet sei.« (Andere Haftgründe als diese beiden, die der ehemalige Minister auch im Bundestag als besonders bedrohlich repetierte, gibt es gar nicht.)

Oster: »Daraufhin wurde von mir der in diesen Fällen in der Botschaft übliche Weg über die spanische Interpolstelle beschritten, an die auch das Festnahme-Ersuchen auf dem Funkwege in solchen Fällen geht.«

Der in der Botschaft »übliche Weg« führte schnell zum Ziel. Oster war, als der Minister in der Botschaft anrief, auf einer Party mit dem Adjutanten des spanischen Vizepräsidenten Munoz Grandes zusammen gewesen, und da die spanische Polizei, mit Rücksicht auf die geltenden Abmachungen, nicht verhaften wollte, half Munoz Grandes nach. Oster: »Die spanische Interpolstelle hat die vorsorgliche Sicherstellung des Betroffenen wie in ähnlichen Fällen üblich gegen 2.30 Uhr veranlaßt.« Vorsorgliche Sicherstellung heißt zu deutsch: Heilwig und Conrad Ahlers wurden mitten in der Nacht aus ihren Hotelbetten geholt, nach Malaga geschafft und ohne Angabe von Gründen in eine Arrestzelle gesteckt, in der sich kein Bett befand.

Der SPIEGEL-Bericht gibt, wenngleich in negativer Formulierung («... Frau Ahlers, die zu diesem Zeitpunkt sich auf freiem Fuß befand...') zu, was die Regierung vor dem Bundestag niemals bestätigen wollte: daß auch Heilwig Ahlers, gegen die nicht einmal ein in Deutschland geltender Haftbefehl vorlag, arretiert worden war. Noch vor einigen Tagen bagatellisierte der Bundeskanzler vor amerikanischen Journalisten: »Die Frau Ahlers, die ist so eine jute Frau. Die ist freiwillig mit ins Gefängnis gegangen.«

Nachdem Oberst Oster eine dienstliche Erklärung seines Vorgehens übergeben hatte, so heißt es im SPIEGEL -Bericht, »wollte der deutsche Geschäftsträger, Botschaftsrat 1. Klasse Dr. Breuer, der in Vertretung des abwesenden Botschafters die Botschaft in Madrid leitete, ihm einige Zusatzfragen stellen, worauf Herr Oberst zunächst erklärte, daß er die Beantwortung von der Art der Fragen abhängig machen müsse.

»Herr Breuer fragte ihn: 'Hat der Herr Bundesminister Strauß in seinem Telephonat, das er am 27. Oktober 1962 etwa um 1 Uhr mit Ihnen geführt hat, gesagt, daß er im Einverständnis und im Namen des Herrn Bundeskanzlers und des Herrn Bundesaußenministers spreche?' Herr Oster erwiderte: Bitte richten Sie diese Frage an Herrn Bundesminister Strauß selbst'.

»Hierauf bemerkte Herr Breuer, daß mit derartigen Auskünften niemandem gedient sei. Herr Oster sagte ihm dann, er könne ohne Zustimmung seines Ministers auch keine weiteren Fragen beantworten, da Bundesminister Strauß ihm gestern mitgeteilt habe, er brauche sich nicht vernehmen zu lassen. Im übrigen, so fuhr Herr Oster fort, müsse er Herrn Breuer unter Umständen als in der Sache befangen betrachten.«

Worin die Befangenheit Breuers zu suchen gewesen sein könnte, wird nicht mitgeteilt. Da aber der Außenminister Schröder, von dunklen Ahnungen getrieben, eine genaue Aufklärung dessen verlangte, was geschehen war, hat Oberst Oster vor dem vernehmenden Ministeraldirektor von Haeften doch noch eine Zusatzerklärung abgegeben, der zufolge er nach dem Telephonat mit Strauß unter dem Eindruck gestanden habe, »daß das Vorgehen gegen Ahlers in Spanien von allen beteiligten Stellen der Bundesregierung gebilligt werde«.

Oster: »Ich möchte noch hinzufügen, daß Minister Strauß mit mir nicht davon gesprochen hat, daß Ahlers verhaftet werden solle, sondern er gebrauchte den Ausdruck: vorläufig festzunehmen'. Auf meine Frage, daß dies auf Schwierigkeiten stoßen würde, weil die spanischen Behörden eine solche Amtshilfe ohne Unterlagen wie Haftersuchen nicht leisten würden, unterrichtete mich der Minister, daß der Haftbefehl gegen Ahlers bereits vorliege und jetzt auf dem Interpol-Wege übermittelt werde. Das war auch der Grund für meinen späteren Entschluß, bei der Stelle um Amtshilfe zu bitten, bei der auch das auf dem Funkwege unterwegs befindliche Interpol-Haftersuchen eintreffen mußte.

»Bei dem Ferngespräch mit mir erklärte Herr Minister Strauß, daß ich über, die ganze Angelegenheit Stillschweigen bewahren solle. Ich habe mich aber für befugt gehalten, die zuständigen Beamten der Botschaft zu unterrichten, da dies für die Durchführung des Auftrags notwendig war. Ich stand unter dem Eindruck, daß es sich um eine sehr wichtige Angelegenheit handele, die im Augenblick der Kuba-Krise auch die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland weitgehend betraf.«

Sowohl in diesem Bericht des Oberst Oster wie zuvor in dem Bericht des Verteidigungsministeriums, den Inhalt des Gesprächs Strauß-Oster betreffend, heißt es, daß ein Haftbefehl gegen Ahlers an die spanischen Behörden unterwegs sei. Auch vor dem Parlament hatte Strauß diese eigentümliche Behauptung aufgestellt: »Diese (die spanischen Behörden) seien außerdem bereits auf dem polizeilichen Wege von dem vorliegenden Haftbefehl unterrichtet.«

Und: »Von der Sicherungsgruppe wurde den Dienststellen des Verteidigungsministeriums in der Nacht bekannt, daß der Haftbefehl auf dem polizeilichen Wege nach Spanien übersandt werden solle.« Und: »Im übrigen ist hinzugefügt worden, daß auf dem Polizeiwege die Übermittlung des Haftbefehls erfolgt.«

Alle diese Äußerungen konnten nur den Zweck haben, dem Parlament weiszumachen, der Attaché Oster habe den spanischen Behörden lediglich den ihm bekannten Aufenthaltsort des Ehepaars Ahlers angeben sollen, damit der ohnehin auf dem üblichen Dienstweg - dem laut Strauß »polizeilichen Wege« - übermittelte Haftbefehl vollstreckt werden könne.

Der SPIEGEL-Bericht macht aber klar, daß alle Rechtens mit der Strafverfolgung befaßten Behörden - Justizministerium, Bundesanwaltschaft, Bundeskriminalamt und Sicherungsgruppe

- eine Verhaftung von Ahlers in Spanien

oder auch nur einen entsprechenden Antrag an die spanischen Behörden als unzulässig abgelehnt haben.

Dennoch ist wirklich der - nur für Deutschland rechtsgültige - Haftbefehl gegen Ahlers auf »polizeilichem Wege« nach Spanien geleitet worden, allerdings adressiert an den Militärattache der Deutschen Botschaft in Madrid, den Oberst Oster. Das Bundeskriminalamt hatte seine Leitung gewissermaßen aus Kollegialität hergeliehen und nicht auf polizeiliche Veranlassung, wie Strauß glauben machen wollte, sondern auf seine eigene.

Der Tatbestand, laut SPIEGEL-Bericht: »Kurz nach 9 Uhr übermittelte einer der Vertreter des Bundesministeriums der Verteidigung bei der Sicherungsgruppe die Bitte seines Ministeriums, sofort den Haftbefehl gegen Ahlers über Fernschreiben der Deutschen Botschaft in Spanien zu Händen von Oberst Oster durchzugeben. Diese Bitte gab die Sicherungsgruppe fernmündlich sofort an Leitenden Regierungskriminaldirektor Dickopf weiter, da bei der Sicherungsgruppe entsprechende technische Einrichtungen fehlen. Bei dieser Gelegenheit wurde dem Leitenden Regierungskriminalrat Dickopf auch mitgeteilt, daß Ahlers in der Nacht an seinem Urlaubsort in Spanien festgenommen worden sei.

»Leitender Regierungskriminaldirektor Dickopf ersuchte um die umgehende Übermittlung des Wortlauts des Haftbefehls mit Polizei-Fernschreiben, um ihn über die TELEX-Maschine des Bundeskriminalamts in Wiesbaden an die deutsche Vertretung in Madrid weiterzuleiten.

»Das Fernschreiben der Sicherungsgruppe an das Bundeskriminalamt wurde um 10 Uhr abgesetzt.

»Um 10.39 Uhr ging der Wortlaut des Haftbefehls gegen Ahlers mit Blitz -Fernschreiben beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden ein. Wegen der Blockierung einer TELEX-Vermittlung verzögerte sich die Weitergabe an Diplogerma (Deutsche Botschaft) in Madrid bis 11.25 Uhr...

»Zwischen 10.45 und 11.25 Uhr wurde der Haftbefehl auf der inzwischen freigewordenen TELEX-Leitung an die Deutsche Botschaft Madrid zu Händen von Oberst Oster, und zwar in Inhalt und Anschrift - dies bezieht sich auch auf den Zusatz in der Anschrift - unverändert weitergegeben.«

Am 8. November hatte Strauß vor dem Bundestag erklärt: »Der Attaché wurde in der bei Behörden üblichen Weise angewiesen, diese Tatsache (daß ein Haftbefehl gegen Conrad Ahlers unterwegs sei) den spanischen Behörden mitzuteilen.« Und am 9. November: »Ich weiß nur aus diesem Verfahren, daß es üblich zu sein scheint, einen solchen Haftbefehl einmal an die Botschaft zu geben, in diesem Fall zu Händen des Miitärattachés, in anderen Fällen auf dem Wege des Polizeifunks unmittelbar an die zuständigen polizeilichen Stellen dieses Landes.«

Was Strauß unter der »bei Behörden üblichen Weise« versteht, war andeutungsweise schon vor dem Bundestag und ist, noch immer unvollständig, aber wahrhaftig grell genug, im SPIEGEL -Bericht zutage getreten.

»Hände weg von der Justiz«, rief Innenminister Höcherl vor dem Bundestag - allerdings galt sein Zuruf nicht dem Minister- und Parteikollegen Strauß, der seine breiten Hände eben in die Zuständigkeitsbereiche der Justiz gesteckt hatte. Höcherls Ausruf galt den Bundestagsabgeordneten, die auf ihre Anfragen von Strauß eine Unwahrheit nach der anderen zu hören bekamen.

Metzger (SPD): »Ich stelle die Zusatzfrage, indem ich meine konkrete Frage wiederhole, ob nämlich Herr Oster veranlaßt hat, daß Herr Ahlers von der spanischen Regierung festgenommen wurde. Die Frage ist nicht beantwortet. Ich habe ferner die Frage, die ich vorhin zugleich gestellt habe: Ist die Regierung der Meinung oder ist sie nicht der Meinung, daß in allen Fällen - sie mögen heißen, wie sie wollen - das Recht beachtet werden muß?«

(Zurufe von der Mitte)

Vizepräsident Dr. Schmid: »Wer ist befragt?«

Metzger (SPD): »Der Herr Minister will die Frage offenbar nicht beantworten.«

(Abgeordneter Erler: »Er hält lieber allgemeine Reden über unstrittige Probleme!")

Höcherl, Bundesminister des Innern: »So unstrittig sind die gar nicht.

(Zurufe von der SPD)

Herr Metzger, haben Sie die Frage an mich gestellt?«

Metzger (SPD): »An die Bundesregierung.«

(Abgeordneter Wehner: »Wie soll man wissen, wer bei Ihnen verantwortlich ist?« - Huh-Rufe von der CDU/CSU)

Höcherl, Bundesminister des Innern:

»Herr Wehner, sehen Sie denn nicht, in welch schwierige Situation Sie sich selbst durch diese ganzen Fragen bringen? Sehen Sie das nicht?«

Die Frager konnten nicht sehen, was nicht zu sehen war. Wer sich wirklich in eine schwierige Situation gebracht hatte, zeigte sich ohnehin bald und ist nun im SPIEGEL-Bericht offenkundig. »Bei einem solch vernichtenden 'du lügst' von Edelmann zu Edelmann«, kommentierte die »Süddeutsche - Zeitung«, »hätte man sich früher geschlagen.«

Ewald Bucher, der neue Bundesminister der Justiz, zwar nicht verantwortlich für dessen erstaunlichen Inhalt, aber federführend für den Bericht, hat die mit der Abfassung des SPIEGEL-Berichts beauftragten Beamten der vier beteiligten Ministerien des Inneren und Äußeren, der Verteidigung der Justiz, zu einen Glas Sekt eingeladen.

Er möchte, sagte Bucher ironisch, die Anerkennung weitergeben, die ihm allgemein für den SPIEGEL-Bericht zuteil geworden sei.

* Artikel 35 des Grundgesetzes: »Alle Behörden des Bundes und der Länder leisten sich gegenseitig Rechts- und Amtshilfe.«

* »Die Affäre«. Eine Analyse von Theodor Eschenburg. Verlag Die Zeit, Hamburg; 98 Seiten; 2 Mark.

Süddeutsche Zeitung

Retouchieranstalt Höcherl & Co. - »Eine Schweinearbeit, Boß, und alles in Spiegelschrift...

Innenminister Höcherl vor dem Bundestag: »Sie werden nicht eine einzige Zeile widerlegen können«

Staatssekretär Hopf

Nacht der langen Drähte

Angerufener Attaché Oster

Anweisungen nur...

Anrufer Strauß

... von der Stimme des Ministers

Beginn der SPIEGEL-Aktion in Hamburg: Eine Art Sitzstreik

Die Zeit

Blinde Stellen

Ehemaliger Justizminister Stammberger

Zwischen Strauß und Strauß

Stuttgarter Zeitung

»Was halten Sie von dem SPIEGEL-Bericht?« - »Das gleiche wie Sie, Herr Kollege.«

»Unterlassen Sie bitte solche staatsfeindlichen Bemerkungen!«

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