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GEWERKSCHAFTEN An den Abgrund

Das Friedensgespräch zwischen DGB und christlich demokratischen Arbeitnehmern und Norbert Blüm endete unversöhnlich. *
aus DER SPIEGEL 30/1986

Der Vorsitzende des CDU-Arbeitnehmerflügels (CDA), Norbert Blüm hatte sich auf das Treffen mit der Spitze des Deutschen Gewerkschaftsbundes außergewöhnlich sorgfältig vorbereitet. Im 36. Stock des Frankfurter BfG-Hochhauses, wo sich die Gewerkschafter vorigen Donnerstag zum »Gespräch in letzter Stunde« (Blüm) trafen, händigte er jedem Teilnehmer eine 64seitige Dokumentation über angebliche Entgleisungen vor allem der IG Metall im niedersächsischen Wahlkampf aus.

»Zum ersten Mal in meinem Leben« (Blüm) schrieb er vorher Wort für Wort die Standpauke auf, die er dann - ohne seine sonst üblichen Abschweifungen - dem DGB-Chef Ernst Breit und seinem Vorstand hielt. Als Beleg für den Vorwurf, der DGB entwickle sich von einer Einheitsgewerkschaft zu einer »sozialistischen Massensekte« (Blüm), fügte er ein eigenes Erlebnis aus dem niedersächsischen Wahlkampf hinzu. In Uslar habe die IG Metall für Demonstranten, die seine Veranstaltung lautstark gestört hätten, Freibier spendiert. CDU-Blüm, seit 1949 Mitglied der IG Metall: »Nichts gegen Freibier - aber soll ich das mit meinem Beitrag finanzieren?«

Der Versuch der christlich-demokratischen Gewerkschafter, den DGB zur parteipolitischen Enthaltsamkeit zu zwingen, scheiterte. Zwar vereinbarten die Beteiligten nach über vier Stunden, das Gespräch fortzusetzen, zu einigen Fragen womöglich Arbeitskreise zu bilden. Aber zu einer gemeinsamen Erklärung reichte es nicht. Grenzen ihrer »Zuständigkeit« (Blüm) wollten sich die DGB-Vorständler genausowenig vorschreiben lassen wie Spielregeln für Wahlkampfzeiten.

Die ungewöhnliche Parteinahme von Gewerkschaftern gegen Ernst Albrecht, die - folgt man dem Bonner Arbeitsminister - die Arbeiterbewegung »an den Abgrund« führt, hat eine Vorgeschichte, in der Blüm eine Hauptrolle spielt.

Dem Ankläger aus Bonn hielt DGB-Chef Breit vor, er rede zwar ständig von der Einheitsgewerkschaft, vollziehe aber die arbeitnehmer- und gewerkschaftsfeindliche Politik der Bundesregierung. Die Vorwürfe: Er habe *___seine Amtszeit mit der Forderung nach einer Lohnpause ____begonnen, *___den Kampf um die 35-Stunden-Wo che mit seinem ____Vorruhestandsgesetz gestört, *___mitten im Metallerstreik den mittel bar Betroffenen das ____Arbeitslosengeld sperren wollen *___und schließlich den Paragraphen 116 des ____Arbeitsförderungsgesetzes - der die Zahlungen des ____Arbeitsamtes an Streikbetroffene regelt - zum Scha den ____der Gewerkschaften verändert »der bisher schwerste ____Angriff auf soziale Errungenschaften seit 1945« ____(IG-Metall-Chef Hans Mayr).

Diese Erfahrungen haben das Vertrauen vieler Gewerkschafter in Blüm und seine Arbeitnehmergruppe in der Union arg beschädigt. In der nächsten Legislaturperiode - so die Furcht - »werden die mit uns Schlitten fahren« (IG-Druck-und-Papier-Boß Erwin Ferlemann).

Dem Problem, als Metaller im Sturm einer rechtskonservativen Regierungsmannschaft zu spielen, sucht Blüm mit einem Trick zu entrinnen: Aus seinen Konflikten mit den Gewerkschaften macht er Grundsatzfragen der Einheitsgewerkschaft. Beim Spitzentreffen wurde klar, wohin der CDA-Vorsitzende Blüm den DGB bringen möchte.

In schwärzesten Farben malte er das Ende parteiübergreifender Gewerkschaften aus, wenn die Funktionäre sich nicht sofort selbst beschränkten. Nicht zuständig seien Einheitsgewerkschaften für weltanschauliche Fragen wie etwa Abtreibung.

Wer denn bestimmen solle, wofür die Einheitsgewerkschaft zuständig sein dürfe, wollte Monika Wulf-Mathies von der ÖTV wissen, »etwa die hohe Inquisitionsinstanz CDA?« Blüm darauf: »Klar, die Mitglieder bestimmen das.«

Genau das mochte der CDA-Chef am liebsten verhindern. Blüm in seinem Einführungsvortrag: »Einheitsgewerkschaften können nicht über alle Fragen mit Mehrheit entscheiden.« Mit anderen Worten: Die Gewerkschaften sollen sich - unabhängig von der Mehrheitsmeinung ihrer Mitglieder - verpflichten, Themen zu meiden, bei denen die CDA-Minderheit in Gewissenskonflikte gestürzt werden könnte.

Routiniers wie Blüms Vorgänger Hans Katzer machten klar, daß über dieses Problem diskutiert wird, solange es die Einheitsgewerkschaft gibt. 7,7 Millionen Arbeitnehmer sind Mitglieder in einer DGB-Gewerkschaft. Trotz des von Blüm behaupteten Marsches in Richtung Sozialismus wählt fast die Hälfte davon die Unionsparteien - und sieht sich offenbar in ihren Interessen als Arbeitnehmer von den Gewerkschaften gut vertreten.

So werten denn auch die von Blüm attackierten Gewerkschafter seine Aktion als den Versuch, mit der Grundsatzdiskussion von dem wenig arbeitnehmerfreundlichen Wirken in Bonn abzulenken und die Gewerkschaften im Bundestagswahlkampf zum Schweigen zu bringen. Die Gewerkschaftschefs Mayr und Wulf-Mathies übereinstimmend: »Die versuchen uns angst zu machen, die wollen uns neutralisieren.«

Den Gewerkschaftsoberen schien denn auch das von Blüm initiierte Spitzentreffen deutliche Züge der CDU-Wahlkampfstrategie zu tragen. Ihnen fiel die provozierende, fast ultimative Ausdrucksweise Blüms auf. Der Eisenbahner-Vorsitzende Ernst Haar: »Wie ein Staatsanwalt.«

Mit Skepsis registrierte die Gewerkschaftsführung auch Blüms Bemühen, noch vor der Wahl im Januar nächsten Jahres ein Gespräch zwischen ihr und dem Bundeskanzler zu arrangieren.

DGB-Vorstandsmitglied Siegfried Bleicher über ein Treffen mit dem Kanzler noch vor der Wahl: »Die hätten wohl gerne einen Phototermin.« _(Letzte Woche beim Spitzengespräch in ) _(Frankfurt. )

Letzte Woche beim Spitzengespräch in Frankfurt.

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