BRIEFGEHEIMNIS An den Führer
Die Mär vom »großen Unbekannten«, bislang ein Requisit verstockter Angeklagter, dient neuerdings auch den Beamten der Kriminalpolizei als Zuflucht, soweit sie dem Dezernat für politische Delikte angehören: der für den Verfassungsschutz tätigen Nachrichtenpolizei.
Dem neuen Polizei-Anonymus hat es der Hildesheimer Handwerker Ewald Trzonnek zu verdanken, daß er bisher nicht erfahren konnte, wie ein Brief statt in seinem Hausbriefkasten in den Händen der Kriminalpolizei landete.
Das Schriftstück, das »An den Parteijugendführer E. Trzonnek« adressiert war und den Absender »N.A.P.D. - Gauleitung Niedersachsen« trug, erschien einem unbekannten Späher interessant genug, es dem Empfänger vorzuenthalten und zu öffnen.
Das ominöse Kuvert barg einen maschinenschriftlichen Durchschlag mit der Überschrift: »An alle Deutschen, die noch nationales Bewußtsein besitzen. Hier spricht die N.A.P.D. - Nationale Aufbau-Partei Deutschlands.« Im Text sprach die skurrile N.A.P.D. auch prompt gegen die »Verzicht-Politiker Adenauer, Brentano und andere Landverkäufer«.
Der Briefschnüffler konnte nicht ahnen, daß kein Wort, des gefährlichen nationalistischen Pamphlets ernst gemeint war, sondern daß es sich um einen Scherz handelte, den der Mühlen -Angestellte Gerhard Zielinski aus dem nahegelegenen Dorf Algermissen seinem Freund Trzonnek zugedacht hatte.
Zielinski wußte seinem N.A.P.D. -Schabernack das gänzlich unpolitische Motiv zu geben: »Juxbriefe kriege ich öfter. In einem hieß es, ich sollte mich am nächsten Morgen im Krematorium zur Verbrennung melden.«
Da Zielinski seinen Freund Trzonnek als Absender in Verdacht hatte, gab der einfallsreiche Juxbrief-Partner sein Schreiben an den »Parteijugendführer E. Trzonnek« zur Post.
Daß der Brief ihn nicht erreicht hatte, erfuhr Trzonnek erst drei Wochen später beim Auftanken seines Lieferwagens. Der Hildesheimer Tankwart Karl Meier erzählte ihm, der ihm (Meier) seit langem bekannte Kriminalmeister Helmut Bolduan habe ihn über Trzonnek befragt und dabei von einem belastenden Brief gesprochen.
Durch diesen mysteriösen Hinweis aufgeschreckt, rief Trzonnek seinen Kompagnon Zielinski an und ließ sich über den Inhalt des verschollenen Briefes aufklären. So war er gewappnet, als ihn Kriminalist Bolduan drei Tage später selbst ins Verhör nahm.
Am Biertisch der Kneipe, die Bolduan als geeigneten Vernehmungsort erachtet hatte, wurde Trzonnek zum erstenmal mit dem belastenden Papier konfrontiert, wenn auch nur in Gestalt einer Photokopie, die der Kriminalist aus der Tasche zog.
Trzonnek in einer späteren Eingabe an den niedersächsischen Innenminister: »Ich forderte die Aufnahme eines Protokolls, aus dem sich ergeben sollte, auf welchem Weg der Brief in die Hände des B. gekommen sei.« Statt dessen ließ der Beamte den Trzonnek per Funkstreifenwagen auf die Kriminalwache befördern.
Obwohl Trzonnek dort den vernehmenden Kriminal-Oberkommissar Salewski über Zielinskis Unfug aufklärte, wurde er »wegen Verdunkelungsgefahr« vorläufig festgenommen und landete in einer Arrestzelle. Um Mitternacht eskortierte man ihn nach Algermissen, wo der aus dem Bett gescheuchte Zielinski das Original seines N.A.P.D.-Rundschreibens auslieferte und eine - ergebnislose - Durchsuchung seines Schreibtischs gestattete. Das Unternehmen endete mit der Freilassung des sistierten Trzonnek, dem die Kriminalisten bescheinigten, es habe sich »alles als belanglos aufgeklärt«.
Mit diesem Bericht unzufrieden, verlangte Ewald Trzonnek, daß das Schicksal des Juxbriefes restlos geklärt werde. Er begehrte zu wissen, wer das Brief- und Postgeheimnis verletzt habe, das Artikel 10 der bundesdeutschen Verfassung auch für den Briefwechsel Zielinski-Trzonnek garantiere.
In der optimistischen Hoffnung, den Bruch seines Briefgeheimnisses am besten mit Hilfe ministerieller Unterstützung aufzuklären, richtete Trzonnek eine Dienstaufsichtsbeschwerde an den niedersächsischen Minister des Innern. Zugleich beschwerte er sich über seine vorläufige Festnahme.
Vier Monate später teilte der Minister dem Eingeber Trzonnek mit, er sehe keine Veranlassung, gegen die Beamten ... einzuschreiten«. Die Festnahme habe sich Trzonnek selbst zuzuschreiben, da er nur zögernd und erst nach Belehrung über die strafrechtlichen Folgen den Verfasser ... des Rundschreibens angegeben« habe.
Während Trzonnek argwöhnte, ein Verfassungsschützler habe das kompromittierende Schreiben abgefangen, gab ihm das Ministerium nur die vage Auskunft, die »Nachrichtenstelle Hannover« habe das Schriftstück »von einer unbekannten Person« erhalten.
Bei dieser Zuflucht zum »großen Unbekannten« ließen es die Ministerial -Bürokraten aber nicht bewenden. Sie bezweifeiten vielmehr, daß es sich bei dem geöffneten Brief überhaupt um das Exemplar gehandelt habe, »das Herr Zielinski an Sie gesandt hat«. Begründung: Der Briefumschlag sei »der Nachrichtenstelle nicht übermittelt worden«.
Ohne sich über den geheimnisvollen Brieföffner weiter zu verbreiten, kam das Ministerium zu dem Ergebnis: »Das Briefgeheimnis ist also von Polizeibeamten nicht verletzt worden.«
Wenngleich die ministeriellen Ermittlungen zumindest hinsichtlich des Briefumschlags auf schwachen Füßen standen - Kriminal-Oberkommissar Salewski hatte dem Ewald Trzonnek nämlich bei seiner Vernehmung bedenkenlos eröffnet, das Kuvert sei »am 3. Juni 1959 in Hannover abgestempelt« -, gestand auch der stellvertretende Leiter der Polizeiabteilung im niedersächsischen Innenministerium, Ministerialrat Herbert Großmann, lediglich zu, daß der anonyme, Zwischenträger einen Rechtsbruch begangen habe.
Großmann: »Wenn wir eine Nachrichtenpolizei haben, können wir sie nur dahin überwachen, daß sie sich selbst an die Gesetze hält.«
Blieben Trzonneks Anstrengungen, den Briefdieb zu identifizieren, gleichwohl vergebens, so wußte Ministerialrat Großmann das Fehlen jeder protokollarischen Aufzeichnung über den Vorgang - für die Polizei-Bürokratie durchaus ungewöhnlich - doch mit dem Hinweis zu erklären: »Wer zur Nachrichtenpolizei kommt, gibt nichts zu Protokoll, sondern sagt: 'Hier habt ihr was. Wollt ihr, dann macht was, wenn nicht, laßt es!'«
Juxbrief-Empfänger Trzonnek
Die Nachrichtenpolizei ...
Juxbrief-Absender Zielinski
... auf den Spuren eines neuen Schirach