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RICHTERWAHL An den Knöpfen

In einer Kampfabstimmung haben die Bonner Regierungsparteien einen Genossen zum Bundesarbeitsrichter gewählt. Die Opposition verließ den Wahlausschuß unter Protest gegen die »Politisierung der Richterwahl«.
aus DER SPIEGEL 21/1971

Der bayrische Amtsrichter a. D. Linus Memmel sprang auf, knallte sein Aktenbündel dreimal auf den Tisch. sprach, es »hat ja keinen Zweck in diesem Scheißladen«, und ging ab.

Im Schlepp des CSU-MdB Memmel zogen auch die übrigen acht Christdemokraten aus dem Richterwahlausschuß aus, nachdem der Komiteevorsitzende, Arbeitsminister Walter Arendt (SPD). verkündet hatte: Der CDU-Kandidat Emil Gift. Vorsitzender Richter beim Landesarbeitsgericht Bayern. sei mit neun zu dreizehn Stimmen durchgefallen. Die Überstimmten klagten

trotz gesetzlicher Geheimhaltungspflicht

ganz offen, die Wahl sei »nicht nach der Qualifikation der Bewerber, sondern nach deren politischer Ausrichtung entschieden« worden.

Tatsächlich aber erfreute sich Gift keineswegs nur der Gunst der Union. Für Gift sprachen sich in Empfehlungs-Briefen und -Telegrammen auch der bayrische SPD-Chef Volkmar Gabert und die Chefs der Münchner DGB-, DAG- und IG-Metall-Filialen aus. Trotz solcher Referenzen wählten die Bonner Genossen jedoch -- außer dem unumstrittenen Bremer Arbeitsgerichtsdirektor Wilfried Hillebrecht -- lieber den Münchner Arbeitsgerichtsdirektor Hubert Bichler in die Schlüsselposition nach Kassel, wo in letzter Instanz etwa über die Fortentwicklung des Arbeitskampfrechts entschieden wird. SPD-Fraktionssprecher Manfred Schulte findet: »Unsere Wahl spricht jedenfalls für die Unabhängigkeit des Gremiums.«

Bichler, 44, so meinten die Wahlmänner der Koalition, habe die größere Qualifikation. Er könne nicht nur bessere Examina (beide mit gutem Prädikat), sondern auch eine längere richterliche Praxis vorweisen.

Gift, 45, der ein Examen lediglich mit »ausreichend« schaffte, amtiert zudem erst seit einem Jahr als Richter. Zuvor hatte er Erfahrungen auf Arbeitgeberseite gesammelt, so im Verein der Bayerischen Metallindustrie. SPD-Wahlmann Claus Arndt meint: »Beide hatten Vor- und Nachteile. Man konnte sich an den Knöpfen abzählen, wen man nimmt.«

Daß Bichler neben guten Examenszeugnissen auch das Zertifikat über die Mitgliedschaft in der Sozialdemokratischen Partei besitzt, wollen sich die Genossen nicht als Wahlgrund vorwerfen lassen. Martin Hirsch: »Wenn ein Richter gewählt wird, der der CDU paßt. ist das eine korrekte Wahl. Wenn er der SPD gefällt, soll das Parteipolitik sein.«

Die Sozialdemokraten sehen deshalb auch keinen Anlaß, den Vorschlägen zu folgen, die Unions-Obmann Friedrich Vogel unterbreitet hat. Nach Vogels Vorstellungen sollten die Richter selbst stärker an den Personalentscheidungen beteiligt werden. Außerdem, so forderte er, sollten alle Bewerber für die oberen Bundesgerichte mit einer Zweidrittel -- Mehrheit gewählt werden. Dann würde jeder Entscheid gegen die Stimmen der Opposition unmöglich.

Ähnliche Pläne hatte im letzten Jahr eine »Amtsrechtskommission« des deutschen Richterbundes befürwortet. Auf einen stärkeren Einfluß drängen auch die hohen Richter selber. Solchen Eifer möchte Arndt jedoch bremsen: »Wir sind nicht bereit, uns Vorschriften machen zu lassen. Personalpolitik ist keine richterliche Aufgabe.«

Zumal dem Drang Vogels nach mehr Mitbestimmung für sich und seine Parteifreunde mochten die Verwalter der derzeitigen Mehrheit im Wahlausschuß nicht nachgeben. Sie wollen vielmehr verhindern, daß die während langjähriger CDU-Herrschaft errichteten konservativen Personal-Bastionen in den oberen Gerichten weiter ausgebaut werden.

Einer der sozialdemokratischen Richter-Wähler hat ermittelt, daß die damalige SPD-Opposition bis zur Großen Koalition kaum je einen ihrer Anwärter durchbringen konnte, in den Jahren 1961 bis 1966 nicht einen einzigen. Arndt klagt: »Es hat Jahre gegeben, da konnte die SPD vorschlagen, wen sie wollte, er wurde abgelehnt. Und in der Rechtsprechung mancher Gerichte hat sich das auch deutlich bemerkbar gemacht.«

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