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KOALITION An die Schußlinie

Die in Sachen Weltraumrüstung zerstrittenen Koalitionäre wollen sich auf mittlerer Linie einigen - auf eine »Akquisitionshilferegelung«. *
aus DER SPIEGEL 47/1985

Nach dem Frühstück in Luxemburg kam bei Hans-Dietrich Genscher Schadenfreude auf. Beamte hatten dem Bonner Außenminister am Dienstag letzter Woche einen Artikel des »Washington Post«-Journalisten Walter Pincus vorgelegt, der Genscher in seiner tiefen Skepsis gegenüber der Strategischen Verteidigungsinitiative (SDI) des US-Präsidenten Ronald Reagan bestätigte.

Das Sternenkriegs-Programm werde durch drastische Streichungen des amerikanischen Kongresses inzwischen so verzögert, entnahm der amüsierte Genscher der Story, daß vielleicht nur ein Raketenabwehr-System auf dem Land übrigbleiben werde. Und: Viele amerikanische Abgeordnete unterstützten Reagans Weltraum-Rüstungspläne nur noch, weil sie meinten, die seien ohnehin nur für den Rüstungspoker mit den Sowjets zu gebrauchen.

Für Zeitungsleser Genscher waren die Hinweise ("Ich kann das nicht überprüfen") Beleg genug, wieder einmal vor überstürzten politischen Festlegungen auf die Pläne der amerikanischen Vormacht zu warnen; Kopien des Artikels aus der »Washington Post« ließ er gezielt unter Bonner »SDI-Fans« (Genscher) streuen.

Der freidemokratische Außenminister hat die Hoffnung nicht aufgegeben, er könne seine christdemokratischen Koalitionspartner doch noch in letzter Minute überzeugen. Seine These: Eine schriftliche Vereinbarung zwischen den Regierungen in Bonn und Washington über eine Zusammenarbeit bei der Raketenabwehr im All ist weder nötig noch nützlich.

Aber Genscher wird die Freude noch vergehen. In Wahrheit muß der Vizekanzler beim Kampf um eine deutsche Beteiligung am SDI-Forschungsprogramm klein beigeben. Am Jahresende wird in jedem Fall jenes politische Signal gegenüber Moskau gegeben, das Genscher eigentlich verhindern wollte - auch wenn nach dem letzten Stand die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit nur noch in einem Briefwechsel zwischen den Verteidigungsministerien in Bonn und Washington festgeschrieben wird, nicht aber in einem Rahmenabkommen.

Damit sind die Gegensätze in der Koalition nur notdürftig zugekleistert. Den einen - speziell Freidemokraten - geht der Briefwechsel schon zu weit, sie können ihn aber nicht verhindern. Die anderen werben noch immer für eine politische Demonstration: treu an der Seite der Amerikaner, hart gegenüber den Russen.

So sähe es CDU/CSU-Fraktionschef Alfred Dregger am liebsten, wenn Kanzler Helmut Kohl und Präsident Reagan ein Regierungsabkommen gemeinsam und feierlich unterzeichneten: »Das hätte schon längst geschehen sollen.« Weltkrieg-II-Hauptmann Dregger weiß, warum seine Gesinnungsfreunde und die Amerikaner ein solches Interesse an offizieller deutscher SDI-Beteiligung haben: Andernfalls wachse in Europa der sowjetische Einfluß, die Amerikaner würden an den Rand gedrängt und der »eurasische Block« sei am Ende stärker als die USA.

Solche Schreckensvisionen hat Franz Josef Strauß schon lange. Der CSU-Vorsitzende mahnte letzten Mittwoch in der »Bild«-Zeitung bei Kohl ausdrücklich ein staatliches Rahmenabkommen an. Nach dem Spitzentreffen der CDU/ CSU-Führer im Kanzleramt am Donnerstag blieb davon nicht viel übrig: Laut CDU-Generalsekretär Heiner Geißler soll es nun eine formlose Regierungsvereinbarung geben, »die nicht vom Parlament ratifiziert werden muß«. Eine Bestätigung durchs Parlament war allerdings nie gefordert worden.

Nun plötzlich gaben sich die SDI-Fundamentalisten in der Union, die bisher auf einem Abkommen bestanden hatten, auch mit weniger zufrieden; ein Briefwechsel von Ressortministern sei genug. Dregger: »Was die Verbindlichkeit angeht, so ist es egal, ob Minister oder Regierungschefs unterschreiben.«

Dreggers Vize Volker Rühe vom gemäßigten Flügel meint, das »entscheidende politische Signal« sei tatsächlich längst gegeben worden - in der Regierungserklärung des Kanzlers am 18. April. Damals hatte Kohl die SDI-Forschung der Amerikaner für »gerechtfertigt und notwendig« erklärt. Rühe: »Politisch weiter kann und muß man nicht gehen.«

In Vier-Augen-Gesprächen mit dem Kanzler und dessen Berater Horst Teltschik, mit dem Außenminister und dem CSU-Landesgruppenchef Theo Waigel hat Rühe seit Wochen als Moderator im absurden Bonner SDI-Streit gewirkt. Ergebnis der Vermittlungsmission: Nach dem Genfer Gipfel soll die SDI-Vereinbarung »so unspektakulär wie möglich ausfallen« (Rühe) - um dem Koalitionspartner Genscher einen Gesichtsverlust zu ersparen. Es gehe jetzt nur noch, behauptete der Kohl-Vertraute letzte Woche, um ein »Firmenkooperationssicherungs-Abkommen« oder auch, »der Name tut nichts zur Sache«, um eine »Akquisitionshilferegelung«.

Auf diese »mittlere Linie« wird sich, glaubt Rühe, am Ende wohl auch Genscher begeben müssen. Im Reisebericht des Kanzlerberaters Teltschik war davon noch keine Rede. Kohls Ministerialdirektor hatte nach einer Erkundung in den USA für eine Rahmenvereinbarung plädiert, in der die deutschen Interessen »in angemessener Weise« berücksichtigt werden sollten, weil sich damit »eine Selbstverpflichtung der US-Regierung ergebe, die von politischem Nutzen wäre«.

Genscher hatte dagegen vor Schaden gewarnt: »Wer jetzt ein politisches Signal wünscht, will mehr«, heißt es in vertraulichen Papieren seiner Diplomaten, »nämlich die Unterstützung für die Idee einer strategischen Verteidigung und deren Durchsetzung gegenüber der Sowjet-Union.«

Die Hoffnung des Außenministers, bei einem Verzicht auf eine offizielle Abrede mit den USA einen Affront der Sowjets zu vermeiden, wird selbst nach Meinung seiner politischen Freunde sich nicht erfüllen. Eine Abmachung werde, erwartet der FDP-Abgeordnete Helmut Schäfer, Bonn nicht vom »Erklärungszwang« gegenüber den Sowjets befreien. »Die Deutschen«, findet auch Christdemokrat Rühe, »haben eine unglaubliche Begabung, sich an die Schußlinie zu bringen.«

Kanzlerberater Teltschik, am Streit um Wörter nicht unschuldig, macht sich inzwischen über Genschers Etiketten-Sorgen lustig: »Wenn die sagen, ein Briefwechsel sei keine Regierungsabmachung, dann ist es eben keine Regierungsabmachung.«

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