»An einer Linken kommt keiner vorbei«
Wenn ich wirklich das »unpopuläre, unbesiegte Schwergewichtsmonster im Exil« war, wie mich der Chicagoer Sportredakteur Archie Ward genannt hatte, dann gab es nur einen einzigen Weg aus dem Exil heraus: einen Frontalzusammenstoß mit dem »populären, unbesiegten Schwergewichtsmonster Joe Frazier«.
Fast vier Sommer waren vergangen, seit sie mir den Weltmeistertitel genommen hatten. Ich kam mit Veranstaltern zusammen, die in 38 Staaten versuchten, mein Exil zu beenden.
© Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München 1975. Copyright 1975 by Muhammad Ali, Herbert Muhammad, Richard Durham.
Aber im Sommer 1970 mußte ich dann feststellen, daß nicht ein einziger in Amerika einen rechtsgültigen Kampf für mich arrangieren konnte. Meine Anwälte wollten das Oberste Bundesgericht für mich um die Erlaubnis bitten, das Land während des Berufungsverfahrens verlassen zu dürfen. um zu arbeiten.
»Freiheit gegen Kaution«, argumentierte Michael Meltsner, Professor der Rechte an der Universität von Columbia, vor einem Bundesrichter, als er mir die Lizenz für einen Kampf in New York besorgen wollte, »schließt das Recht des Angeklagten ein, bis zum Gerichtsurteil seiner normalen Beschäftigung nachzugehen.«
Aber der einzige Hebel, der stark genug war, den -- wie es ein Sportredakteur nannte -- »weitreichendsten Boykott gegen einen Darsteller in der Geschichte Amerikas« zu durchbrechen, waren die zu erwartenden Einnahmen, die ein Kampf Ah -- Frazier einspielen wurde. Darin lag eine Chance. Aber es war nur eine Chance, und eine kleine dazu.
Ich treffe heute noch Leute aus Philadelphia, die schwören, sie hätten kostenlos zugesehen, wie Frazier und ich bei einer blutigen Straßenkeilerei versuchten, uns gegenseitig den Kopf einzuschlagen. Und sie schwören, sie könnten Tausende Zeugen benennen, die bestätigen würden, daß bewaffnete Polizisten nötig waren, um uns auseinander zu bringen und das Gemetzel zu beenden.
Die Geschichte verbreitete sich im ganzen Land, ja in der ganzen Welt. Und bis heute galt sie als die authentische Version eines Kampfes, den ich mit Frazier in seiner Trainingshalle geführt haben soll, Ich weiß, wie es dazu kam, denn schließlich habe ich die Geschichte selbst in die Welt gesetzt.
Es war in der Zeit, als ein neues Jahr des Exils auf mich zukam und die Hoffnungen, je wieder boxen zu dürfen, ihren tiefsten Punkt erreicht hatten.
Ich erinnere mich, daß ich eines Abends beim Einschlafen darüber nachdachte, wie eine andere Box-Veranstaltung für mich in Seattle schiefging, weil der Veteranenverband American Legion mit Boykott drohte. Wohl kein anderer Verband hat mehr Macht als diese Organisation. die gegen mich vorging. Ich denke an die Leute auf der Straße, die mich gewinnen sehen wollen, und an die Leute, die mich besiegt sehen wollen. Alle wollen dasselbe: mich im Ring gegen einen starken Gegner antreten sehen. Und der stärkste in diesen Tagen ist der Weltmeister im Schwergewicht.
Ich stehe am nächsten Morgen auf und renne fast fünf Meilen durch den Organdy-Park, so als ob ich einen Kampf vor mir hätte. Da kommt mir eine Idee. Ich bin davon so begeistert, daß ich mich zu Hause gerade nur so lange ausruhe, um Joe Frazier zu ermöglichen, Yank Durhams Haus zu erreichen, wo er an diesem Morgen sein wollte.
Ich rufe dort an, am Apparat ist Yank.
»Yank, sag mir die Wahrheit«, beginne ich, »du und Joe, wollt ihr etwa versuchen, einem Kampf mit mir auszuweichen? Sag mir die Wahrheit!« »Bist du verrückt?«
»Warum kündigt ihr den Kampf gegen mich dann nicht an?«
»Idiot, du weißt doch, warum. Sie werden dir doch keine Lizenz geben. Sie sind dabei, dich einzusperren, und ich hab' noch nicht gehört, daß man im Zuchthaus um den Weltmeistertitel im Schwergewicht kämpfen kann. Das ist der Grund.«
»Aber wenn die Leute mich und Joe unbedingt kämpfen sehen wollen und wenn wir ihnen zeigen, wie sehr die Leute es wollen ...«
»Cassius' was willst du nun eigentlich?«
»Wo ist Joe? Hol mir Joe an den Apparat.«
»Joe, komm doch mal her. Cassius will mit dir reden.«
»Joe, um wieviel Uhr trainierst du heute?«
»Um vier -- warum?« »Wo?«
»In meiner Trainingshalle, Ecke 22. Straße und Columbia Avenue, warum?«
»Weil wir beide, du und ich, um vier Uhr gegeneinander kämpfen. Du und ich.«
Zunächst sagt Joe nichts, aber dann spüre ich durchs Telephon hindurch, daß er kapiert hat, worauf ich hinaus will. »Du meinst, wir ziehn nur »ne Schau ab? Die Sache so anheizen? Ja, klar. Deine Leute halten dich fest, meine halten mich zurück, und wir tun so, als ob wir aufeinander losgehn wollten?«
»Paß auf, Joe. Ich rufe alle Disk-Jockeys und alle Fernsehansager, alle Zeitungen an. Ich erzähle ihnen, du hättest mich aufgefordert, in deine Halle zu kommen, kapierst du?«
»Wenn du das so machst, wird dir das keiner abnehmen, der ein bißchen Verstand hat.«
»Joe, nun hör mal zu. Meine Karriere ist aus. Kein Promoter kann mir einen Kampf vermitteln. Aber ich werde im Gefängnis weder essen noch schlafen können, wenn ich weiß, ich hab' dich hier unbesiegt zurückgelassen. Geld hin, Geld her. Ich werde das gleich allen Disk-Jockeys und allen Ansagern in den Fernsehstationen erzählen: »Kommt um vier in die Halle und seht euch an, wie ich Joe Frazier verprügele!' Verstehst du?«
Jetzt hat Joe es richtig geschnallt: »Scheiß auf die zehn Millionen Dollar Einnahmen. Scheiß auf den Kampf des Jahrhunderts. Scheiß auf den Titel. Diese Stadt ist nicht groß genug für zwei schäbige Nigger wie uns. Einer von uns muß gehen, und das ist Clay! Einer von uns muß die Stadt verlassen, und das noch heute abend!« Tausende von Box-Fans blockieren die Straßen von Philadelphia.
»Genau, Joe. Wir erzählen der Presse, wir haben diesen Kampf jetzt angesetzt. Wir scheren uns nicht darum, daß er nicht im Madison Square Garden stattfinden kann. Wir machen uns nichts daraus, daß sie uns nicht im Astrodome von Houston oder in den Polo Grounds kämpfen lassen. Wir tragen ihn um vier Uhr in deiner Halle aus.«
»Sag ihnen, sie sollen mich anrufen, und ich will es ihnen bestätigen.« Joe beginnt Feuer zu fangen. »Ich werd' ihnen sagen: »Clay hat hier in Philadelphia nichts zu suchen. Dieser Nigger wäre besser in Louisville geblieben, wo er geboren wurde. Auf den haben wir gerade gewartet!' Ich werde dann in der Halle sein. Wir brauchen nicht mal Handschuhe. Wir können mit der blanken Faust kämpfen, wie in alten Zeiten. Ohne Kopfschutz. Schonungslos, Aug um Aug, Zahn um Zahn. Mach's gut, Pfeife!«
Ich rufe jeden Radiosprecher und Disk-Jockey in Philadelphia und einige in New Jersey an. Ich alarmiere den »Inquirer« in Philadelphia und die Fernsehstationen. Dann fällt mir noch der populäre schwarze Disk-Jockey Sonny Hopkins ein, The Mighty Burner. Es sagt mir, er will bei allen Sprechern herumtelephonieren, die er kennt.
Ich schreie die Leute am Telephon beinah an: »Joe hat mich herausgefordert, in seiner Halle gegen ihn zu kämpfen. Ich werde um vier Uhr da sein. Und wir kämpfen, bis einer von uns zu Boden geht! Ich hab' es satt, auf Veranstalter zu warten, die mir diesen Kampf arrangieren. Ich kann nicht warten. Wenn du es nicht glaubst, ruf Joe Frazier an! Du solltest hinkommen! Sag deinen Hörern, daß sie hinkommen sollen! Sieh dir an, wie ich Frazier schlag, kostenlos!«
Minuten später klingelt mein eigener Apparat. Journalisten fragen, oh es wirklich stimmt. Erst Lokalredakteure, dann aus Los Angeles, Washington und, kurz bevor ich zur Sporthalle gehen will, aus Paris und London.
Es ist gleich halb vier. Horace Davis und ein paar andere Freunde sind vorbeigekommen, genauso aufgeregt wie ich. Ich ziehe meinen »Freiheits-Anzug« an, Blue Jeans mit einem rotweißkarierten Hemd, dazu meine großen, schweren Treter. Dann gehen wir. Die Disk-Jockeys hatten die Nachricht sofort in den Äther gejagt. Eine Menge Photographen hat sich bereits versammelt, und 50 Wagen stehen vor meinem Haus.
Meine Nachbarn springen in ihre Wagen und folgen uns. Der Apotheker aus dem Drugstore an der Ecke kommt mit ein paar Pillen, die mir »Energie wie Dynamit« gehen sollen. Er macht seinen Laden für den Rest des Tages zu. Der Tankstellen-Pächter hat zugeschlossen und kommt mit seiner ganzen Belegschaft.
Bevor wir losfahren, kommen Polizisten auf Motorrädern an. Ein schwarzer Polizist sagt, er habe die Ehre, mich zu Joes Sporthalle zu »eskortieren«, damit ich nicht verlorengehe. Vor uns Funkstreifenwagen mit eingeschalteten Sirenen, hinter uns eine Schlange von 50 Wagen, so fahren wir zu Fraziers Sporthalle.
Aber ungefähr zehn Blocks von Joes Halle entfernt müssen wir anhalten. Die Polizisten kommen von vorne an meinen Wagen und sagen: »Es geht keinen Schritt mehr weiter. Die Straße ist total blockiert.«
»Es geht nur noch zu Fuß«, sagt der schwarze Polizist. »Die Autos schieben sich nun schon seit zwei Stunden auf die Halle zu.«
Erst hatte ich noch etwas Angst, daß Frazier nicht mitspielen würde. Aber das ist jetzt vorbei. Joe hat den Repor-
* Text der Sprechblase: »Hör auf. Ali die Sache ist gelaufen. Geh jetzt in deine Ecke.«
tern offensichtlich unsere Verabredung bestätigt -- nur daß nach seiner Version natürlich er gewinnt.
Daß wir nun zu Fuß zur Halle gehen, macht den Menschenauflauf nur noch größer, und die Aufregung wächst. Die Leute schauen aus dem Fenster und schreien: »Ah tritt gegen Frazier an.« Seit ich aus der Einberufungsstelle herauskam, habe ich nicht mehr ein so heftiges Gefühl von Hoffnung und Stärke in mir gespürt. Jetzt weiß ich, wie Wyatt Earp zumute war, als er in Dodge City die Hauptstraße entlangging, um seinen Mann zu stellen.
Obwohl das hier kein eigentlicher Kampf ist, habe ich mich niemals so von den Leuten getragen gefühlt, nicht einmal bei meinen größten Kämpfen mit Liston, Terrell und Patterson.
Wir kommen zum Eingang der Sporthalle. Die Menge schiebt sich so dicht gedrängt hinter mir her, daß Polizisten mit Schäferhunden herbeigerufen werden. Die Hunde schnappen nach den Leuten, um sie zurückzudrängen.
»Wo ist Joe Frazier? Ich will Joe Frazier!« Ich fange an, mit meinen Fäusten gegen die Tür zu hämmern. »Mach auf, Joe! Ich weiß, daß du da drin bist! Mach auf und sei ein Mann! Du bist kein Weltmeister! Ich bin der wirkliche Champ! Mach auf, Joe!«
Die Menge greift meinen Ruf auf und brüllt: »Joe, tritt ihm entgegen!« »Joe, mach die Tür auf!«
Jemand öffnet die Tür -- ich glaube, es ist Yank Durham -- und geht sofort aus dem Weg, als die nachdrängende Menge hereinbricht, gleich hinter mir her.
Joe ist drüben in der Nähe des Rings. Er sitzt auf einem Hocker und probiert einen Handschuh an seiner linken Hand, als ob er ihn gegen mich verwenden will. Ich fühle mich wohl. Joe macht also mit. Ich will ihn deswegen immer gern haben. Er hätte das nicht nötig. Er ist oben, und ich bin unten. Er ist der anerkannte Champion; ich bin der Geächtete.
Vielleicht ist es sein grimmiger Stolz, der ihn dazu veranlaßt. Was immer mit ihm los ist, Joe ist ein ganzer Kerl. Er will sich nicht mehr zufriedengeben mit einem Titel, von dem er glaubt, den habe ihm das Establishment verliehen.
Ich ziehe meine Blue-jeans-Jacke aus und schreie so laut, daß sie es draußen hören können: »Ich hab' es endgültig satt, daß die Leute Joe Frazier den Champ nennen! Es kann keine zwei geben!«
»Wer ist der wirkliche Weltmeister?« frage ich die Menge, die sich an den Fenstern drängt.
Einige schreien zurück: »Du bist es! Du bist es!« Andere rufen: »Joe Frazier! Joe Frazier ist der Champion!«
Joe steht auf und kommt auf mich zu. »Ich werde dir ein für allemal das Maul stopfen. Du kommst hier nach Philadelphia und nimmst mir meine Trainingshalle! Wenn ich dich nicht bremse, wirst du noch versuchen, mir meine Frau auszuspannen! Komm, wir fangen an! Ich brauche keine Handschuhe!«
Er wirft den Handschuh hin. Yanks Blick wird finster. Er schüttelt seinen Kopf. als würde er es bedauern. daß er sich auf die Sache eingelassen hat.
»Ich bin auch bereit!« rufe ich. Ich mache eine Bewegung, als ob ich mich schon auf Joe stürzen will. Aber meine Freunde halten mich zurück. Joes Leute halten ihn fest, als ob er versucht, auf mich loszugehen.
Plötzlich durchbricht die Menge draußen die Polizeisperre, strömt in die Halle und droht, alles zu zertrümmern. Drei schwarze Polizisten bahnen sich einen Weg herüber zu mir. Der größte von ihnen legt seine Hand auf meine Schultern. Er atmet schwer, und er spricht in einem gedrückten, flüsternden Ton. »Du bist verhaftet, Mu-
* Vor dem geplanten Schaukampf, September 1969.
hammad«, sagt er und wischt sich dabei mit seinem Ärmel den Schweiß vorn Kopf.
Joe hat das mitbekommen und unterbricht ihn: »Warum, zum Teufel, verhaftest du ihn?«
»Wir müssen ihn einsperren, wenn er hier nicht rauskommt.«
»Wie lautet die Anklage?« frage ich. Frazier stößt seine Plattnase auf das Gesicht des Polizisten zu. »Ich habe ihn eingeladen. Er ist mein Gast, bis ich ihn besiegt hab'!«
»Er legt den Verkehr lahm«, sagt der Polizist so freundlich, wie es die Umstände gerade erlauben. »Zehn Häuserreihen weit ist der Verkehr blockiert. Es geht weder vor noch zurück. Der Chef sagt, das muß sofort aufhören, wir sollen dich wegbringen.«
Mittlerweile haben die Zuschauer einige Brocken aufgeschnappt und beginnen, in bedrohlicher Weise zu schimpfen: »Laß ihn los! Laß ihn los! Du kannst Ah nicht einsperren!«
Ich bemerke, wie sich in den Augen des Polizisten plötzlich Angst spiegelt. Wieder wischt er sich über die Stirne und sagt: »Wir wollen keinen Ärger machen. Aber wegen dir sind die Straßen blockiert. Es wird immer schlimmer. Wenn du kämpfen willst, warum gehst du nicht auf einen öffentlichen Platz? Ihr seid beide Preisboxer, und es ist nicht gegen das Gesetz, wenn ihr einen Übungskampf macht. Aber macht es auf einem öffentlichen Platz.«
Ich blicke zu Joe und raune weithin hörbar: »Ich finde die Idee gut, in den Park zu gehen. Was meinst du?«
»Es wäre besser hier in der Halle. Aber im Park kann ich dich genausogut schlagen.«
Die Polizisten sind erleichtert. Sie setzen ihre Mützen wieder auf, drehen sich um und beginnen, sich einen Weg nach draußen zu bahnen.
Joe stampft mit den Füßen auf und geht seine Handschuhe holen. In dem Moment stürzen in die Halle drei weiße Mitarbeiter jener Firma, die Frazier managt. Ihre Kleidung ist verknautscht, ihr Haar zerzaust, der Schweiß läuft ihnen übers Gesicht. Der erste ist ein schwerer Mann in einem braunen Straßenanzug. Sein weißes Hemd hängt ihm aus der Hose. Er schmeißt sich zwischen Joe und mich. Er ist einer der wichtigsten Geldgeber' die Yank Durham aufgetrieben hat, um Joe zu finanzieren.
»Joe, bitte«, fleht der Mann. »Er heizt dich doch nur auf. Dabei geht's ihm doch nur um Publicity für sich selber. Verstehst du das denn nicht? Er will sich doch nur ums Gefängnis drücken und benutzt dich dazu. Er nutzt dich aus, Joe. Kämpfe nicht gegen ihn im Park!«
Joe stößt ihn weg. »Ist mir egal, was du sagst. Die Leute wollen nicht glauben, daß ich der Champion bin, solange ich dieses Schwein nicht besiegt habe. Ist mir egal, was du sagst!«
»Kommst du nun, Joe?« schreie ich gellend. »Joe, was ist nun mit dir?«
Aber die Manager halten ihn an den Armen fest. »Joe, kämpf nicht ohne Geld gegen ihn. Nur gegen Kasse, Joe!« Sie flüstern ihm etwas ins Ohr, was ich nicht hören kann. Ich sehe, wie Joes Augen sich von den meinen abwenden
Ich hab' Angst, daß er seine Meinung ändert. Ich schreie: »Joe, mach's nicht wie ein Onkel-Tom-Nigger! Laß dir von diesen Weißen nicht erzählen, was du zu tun hast! Wir haben schon viel zu lange gewartet! Die glauben ja selber nicht, was sie sagen! Sie kriegen nie ein Gesetz durch, daß mir den Kampf erlaubt. Sie machen dir was vor! Sie meinen es nicht ernst. Wir brauchen nicht die Erlaubnis der Weißen' um zu kämpfen! Halb Philadelphia ist hier und wartet auf uns. Zum Teufel mit dem Geld! Sei jetzt kein Onkel Tom!«
»Ich bin kein Onkel Tom«, raunzt mich Joe an.
Seine Augen flackern, und ich weiß plötzlich, daß er jetzt ernst macht. Es dauerte bei Joe immer ein bißchen länger' bis er herausfand, ob es mir ernst war oder ob ich nur so tat, und ob er nun selber jemand aufzieht oder andere ihn.
»Ich bin kein Onkel Tom« wiederholt Joe.
Ich blinzle ihm zu, um ihm zu zeigen' daß ich ihn verstehe und mit ihm übereinstimme. Dann sage ich: »Gehn wir in den Park. Ich bin bereit! Du auch, Joe?«
Plötzlich schreit er laut: »Los, auf!« Er reißt sich von den Managern los. »Kommt mit! Ich will's euch zeigen!« Fünf Millionen Dollar für den Fight Ali-Frazier.
Wieder greifen sie nach ihm, aber er stößt sie heftig beiseite. Einer von ihnen ruft: »Joe! Du kannst Millionen machen, wenn du gegen Muhammad kämpfst! Ihr werdet euch beide verletzen! Ihr macht alles kaputt! Wenn ihr einmal anfangt, gibt es kein Zurück. Er ist doch verrückt! Clay ist verrückt!«
»Laßt ihn los!« schreie ich laut. »Joe. zum letztenmal, läßt du dir von diesem weißen Mann erzählen, was du tun sollst?«
Joe zwängt sich weg, um seine Shorts und seine Box-Tasche zu holen. Er ist auf meiner Seite. Jetzt könnte ihn nur Yank zurückhalten. Aber der ist plötzlich verschwunden.
Leute in der Menge beginnen aufeinander einzuschreien: »Ali und Frazier in den Park! In den Park!« Sie schieben sich durcheinander, sie rennen, sie laufen, sie hasten vor uns her, springen in ihre Wagen, versuchen rückwärts oder vorwärts zu fahren, aber keiner kommt weiter. Ich bin wie festgenagelt, eingekeilt, hineingepreßt in die Menge.
Auf einmal sehe ich, wie sich ein großes schwarzes Pferd einen Weg zu mir herüberbahnt. Auf seinem Rücken sitzt ein weißer Polizist. Er ruft mir zu: »Spring auf das Pferd! Spring auf!«
Er langt herunter und zieht mich hinauf aufs Pferd, das seinen Weg mühelos durch die Menge nimmt und die Straße hinuntertrabt.
Es ist wie an einem Feiertag. Es ist wie am vierten Juli. Alle lachen, schreien, kreischen, schlagen einander auf den Rücken und reden über das, was jetzt bevorsteht. Ein Kampf -- Ah gegen Frazier! Stell dir das vor, da müssen wir hin!
Als wir in den Park einbiegen, sehe ich eine ungeheure Menge von Wagen um einen kleinen Eingang herum. Ich springe vom Pferd, gehe in den Kinder-Spielraum der Blockhütte und ziehe meinen Box-Dreß an. Ich will, daß es ganz wie ein richtiger Boxkampf aussieht.
Ich gehe wieder durch die Menge nach draußen und steige auf das Dach irgendeines Wagens. Ein Polizist reicht mir ein Megaphon, und ich sage: »Dies ist meine Heimat, und ich bin zurückgekommen, um in ihr zu kämpfen. Ich bin gekommen, um mir meinen Titel zurückzuholen. Wer ist der wirkliche Champion?«
Sie schreien zurück: »Du bist es!« ... »Wo ist Joe Frazier? Wo ist Joe?« ... »Da kommt er, da kommt er!«
Aber Joe kommt nicht. Später hörte ich, daß Yank ihn flehentlich gebeten hatte, dem ganzen Spuk ein Ende zu machen. In einer einzigen Stunde waren über 40 000 Leute zusammengeströmt, um den Entscheidungskampf Joe Frazier Ah zu sehen.
Yank hatte Joe dazu überredet, in ein Polizeiauto einzusteigen und davonzufahren. Wenn ich jetzt zurückblicke, verstehe ich das. Es durfte kein Zirkus werden. Joe und ich waren für diesen Scheinkampf genauso ungeeignet wie zwei ausgehungerte Löwen, die sich gegenseitig versprechen, dem andern das Fleisch zu überlassen.
Aber der ganze Zirkus hatte die einzige Gruppe von Veranstaltern aufgerüttelt, die mir wieder den Zugang zum Ring ermöglichen konnte. Es endete damit, daß ich zuerst gegen Quarry, dann gegen Bonavena kämpfte. Aber der verrückte Einfall war es, der das Eigentliche erzwang: den Kampf zwischen Joe Frazier und Muhammad Ah.
*
Das Jahr 1970 ist fast vorbei. Ich fühle mich gut. Am Anfang des Jahres hatte ich nicht geglaubt, daß ich noch einmal boxen würde. Jetzt sind meine Zwillinge geboren; ich erhielt die Lizenz, in Georgia und New York zu boxen; meine Gegner Quarry und Bonavena habe ich fertiggemacht; und ich bin wieder in Form. Jetzt kann den »Großen Fight« nichts mehr aufhalten -- mein Kampf gegen Joe Frazier ist endgültig fällig.
Den ganzen Dezember 1970 hindurch sichtet mein Manager Herbert Muhammad Offerten von Veranstaltern, und jeden Abend berichtet er mir von den letzten Angeboten: 400 000 Dollar aus London, 600 000 Dollar von einem Veranstalter in Tokio; dann 1 Million Dollar vom Astrodome in Houston. Der Madison Square Garden in New York zog sich zurück, als das Angebot auf 1,5 Millionen Dollar gestiegen war; die Rundfunk- und Fernsehgesellschaft NBC hatte ein Angebot von 2 Millionen Dollar gemacht. Wir sprechen über jedes Angebot, und Herbert sagt mir: »Wir kriegen noch ein besseres.«
Und dann ruft er mich an und sagt: »Jemand hat fünf Millionen Dollar geboten, die ihr euch beide, du und Joe. teilen müßt. Ich weiß, daß ich noch eine höhere Börse bekommen kann. aber es kann sich über Wochen hinziehen. Wenn das Oberste Bundesgericht dich nicht ins Gefängnis schickt. ..«
»Nimm die zweieinhalb Millionen unterbreche ich ihn.
»Du weißt aber doch, daß du dann in Wirklichkeit keine zweieinhalb Millionen hast. Das ist dann zwar die Zahl, die in den Zeitungen steht. Aber der Bund streicht anderthalb Millionen davon ein, bevor du das Geld überhaupt gesehen hast. Danach nehmen sich die Stadt New York und der Staat New York ihre Steuern. Schließlich bleiben dir noch 600 000 Dollar.«
»Nimm die zweieinhalb Millionen.« Herbert hat recht. Die Zeitungen im ganzen Land, die Sportnachrichten im Fernsehen und Radio -- alle reden sie von den »Fünf-Millionen-Dollar-Boxern«.
Niemand glaubt, daß Herbert diesen phantastischen Handel geschafft hat. bis Photokopien der beiden 2,5-Millionen-Dollar-Schecks in den Zeitungen abgedruckt werden.
»Wir mußten es tun«, sagt Herbert mir. »Das ist das ungewöhnlichste Ereignis in der Geschichte des Sports. Nie zuvor haben zwei unbesiegte Weltmeister im Schwergewicht gegeneinander gekämpft, und das wird so schnell nicht mehr passieren. Du bist der bekannteste Sportstar der Welt; kein Präsident, kein König oder Filmstar kann eine Menge so faszinieren wie du.«
Herberts Verhandlungsmethode, die er bei jedem Kampf seit meiner Rückkehr anwendet, besteht darin, erst einmal den Preis festzusetzen, auf den er hinaus will: »Der erste, der dann flüssig ist und das Geld auf ein Konto von Muhammad Ali einzahlt, mit dem arbeiten wir«, sagt er. »Zusagen und Versprechungen zählen nicht. Wir bekamen höhere Angebote als fünf Millionen. Aber Jack Kent Cook und Jerry Perenchio zahlten das Geld auf deinen und auf Fraziers Namen ein.
In den kommenden Tagen mache ich es Jerry leicht, das zu managen, was (der Sportkommentator) Red Smith »die lauteste PR-Kampagne aller Zeiten« nennt. Jerry will jeden Aspekt des Kampfes vermarkten. Filme sollen gedreht, Bücher geschrieben, Andenken an Millionen in der ganzen Welt verkauft werden. In seinem Vertrag hat sich Jerry sogar die Hosen, Schuhe und Handschuhe beider Kämpfer gesichert. »Wenn ein Filmstudio Judy Garlands Schuhe, Gary Coopers Gürtel und Marilyn Monroes Kleid versteigern kann, dann erst recht Muhammads und Fraziers Hosen, Schuhe und Handschuhe«, sagt Perenchio mit breitem Lächeln.
Der Vertrag schreibt mir vor, die letzten zehn Tage vor dem Kampf nach New York zu kommen und zu werben. Ich liebe Menschenmassen, und ich bin gerne von Leuten umgeben. Aber die Halle in meinem Hotel ist so vollgestopft, und die Masse schwillt so schnell an, daß ich gezwungen bin, für die letzten sieben Tage nach Miami auszuweichen.
In einer stillen Minute mit Muhammad zu Allah gebetet.
Wir kehren erst wieder zum offiziellen Wiegen nach New York zurück. Aber als das vorbei ist, hat sich die Menge bereits an den Wächtern vorbeigestürzt und belagert die Ausgänge so dicht, daß meine Beschützer Angst haben, mich in mein Hotelzimmer gehen zu lassen.
Teddy Brenner und Harry Markson, zwei Beamte des Madison Square Garden, nehmen uns mit ins Garden-Restaurant. »Keine Polizei kann eine solche Menge in Schach halten«, sagen sie. »Du mußt im Garden bleiben. Wir haben hier ein Apartment fertiggemacht.« Markson bringt mich in ein Zimmer, in dem ein Fernsehapparat und ein Feldbett stehen.
Mein Trainer Angelo Dundee ist erschrocken darüber. »Wir haben noch neun Stunden. Ah liegt immer fünf oder sechs Stunden vor einem Kampf ruhig im Bett. Nur so kann er sich richtig entspannen.«
Als ich in den Umkleideraum komme. ist Burt Lancaster bereits da. um einen Dokumentarfilm zu drehen und jetzt meine Voraussagen zu hören. Da ruft plötzlich irgend jemand: »Rachman kämpft! Rachman kämpft!« Ich renne hinaus und stehe hinter der Menge an der Brüstung. Jetzt kann ich meinen Bruder im Ring gegen den britischen Schwergewichtler John McLendon boxen sehen. Aber sie zerren mich zurück, um den Film zu Ende zu drehen. Auf dem Rückweg in meinen Ankleideraum treffe ich Joe Louis.
»Joe! Danke für deine Voraussage. Ich danke dir dafür.«
Louis hat den Sieg, wie üblich, meinem Gegner vorausgesagt. »Das einzige, was Clay für seinen Sieg tun könnte«, hat Louis gesagt, »er müßte jene dreieinhalb Jahre zurückbekommen. Aber das geht nicht. Vor vier Jahren hätte er Joe schlagen können, aber nicht jetzt.«
»Komm zu meiner Siegesparty«, ruf ich ihm zu. »Es wird das letzte Mal sein, daß du nicht auf mich setzt. Ich war beunruhigt, bis ich hörte, daß du auf Frazier gewettet hast.«
»Nicht nur Joe hat auf Frazier gesetzt«, sagt mir einer meiner Trainer, als wir in den Raum gehen. »All die alten Profis setzen auf Frazier -- Archie Moore, Floyd Patterson, Jack Dempsey, Billie Conn' Jersey Joe Walcott. Und alle Zeitungsleute sind der Meinung, Frazier gewinnt.«
Jetzt fühle ich mich noch besser. Ich habe niemals einen Kampf verloren, wenn die Wetten gegen mich waren. Teddy Brenner schreit: »Jetzt kommst du dran!« In einer stillen Minute bin ich mit Herbert zusammen und bete zu Allah. Dann beginnt der lange Marsch durch die Menge, die aufjubelt, als ich in Sicht komme.
Ich höre diesen vertrauten Klang, der in der Menge aufkommt' wenn ein Kampf beginnt, eine Art lüsternes Gebrüll, das nach Blut schreit. Immer, wenn ich dieses Gebrüll höre, und ich höre es seit meinem zwölften Lebensjahr, geht mir ein Frösteln durch den Leib. Ich höre es jetzt wieder. Und ich weiß, Frazier hört es auch. Es wird ihm ins Blut steigen, und wird ihn dazu treiben, hier zu sterben, wenn es sein muß, genauso, wie es mich treibt. »Der Kampf läuft nicht so, wie ich es erwartet habe.«
Frazier geht sofort auf mich los. Ich bin darauf gefaßt und umkreise ihn. Aber er kommt auf mich zu, das Kinn auf der Brust, hin und her tänzelnd. Eine kurze Grade, auf die ich nicht gefaßt bin, trifft mich.
Ich schlage zurück mit einer schnellen Linken und Rechten, und wir gehen in den Clinch. Ich fühle seine Kraft. Ich weiche zurück. Ich schieße ein paar Linke und eine Rechte an seinen Kopf. Ich schlage mit der Graden, aber meine Graden verfehlen das Ziel. Er taucht unter meiner Rechten hinweg. Er bohrt sich hinein, schonungslos, entschlossen. Ich bin auf der Hut vor seinem Haken, seiner starken Waffe. Ich schieße mit der Rechten, aber die Schläge gehen über seinen Kopf.
Er schlägt hinein, er ist sehr beweglich, und die Leute schreien: »Joe! Joe! Drauf, Joe!«
Seine Arme sind wie aus Stahl, als ei losstürmt und einen Haken in meiner Seite landet. Im Clinch fang ich ihn ab. Er trommelt gegen meinen Körper, aber ich lege ihn lahm. Ich knalle Linke und Rechte in Richtung auf seinen Kopf. Aber unter den meisten taucht er weg. Der Kampf läuft nicht so, wie ich es erwartet habe. Aber gegen Ende der ersten Runde fühle ich, daß ich ihn in die Hand bekommen werde.
Ich habe Runde drei hinter mir und stehe mitten in der vierten, als ich plötzlich den ersten knallharten Haken an meinem Kiefer explodieren fühle. So hart, das spüre ich, hat er mich nur zufällig getroffen. In meinem Kopf ertönen Glocken. Ich schieße zurück, ich steche zurück. Aber er geht wieder ran, tänzelt, bewegt sich hin und her, duckt sich.
Meine Graden treffen seinen Kopf, aber er kommt immer wieder. Warum ist er so selbstsicher? Ich kann es fühlen. So selbstsicher, daß er gegen Ende der fünften Runde beide Hände herunterläßt und zu mir herüberschielt, mich herausfordert. Aber ich nehme die Herausforderung an. Ich schieße ein paar rechte Grade an seinen Kopf, scharfe Rechte, die das Grinsen aus seinem Gesicht wischen.
Als der Gong die vierte Runde beendet, geht Joe schlotternd zurück. Ich hab' ihn durchgeschüttelt. Aber auch ich fühle die Wirkung der Schläge, die er mir auf die Rippen gesetzt hat. Ich habe noch nie gegen jemand gekämpft, der soviel Kraft und Elan hatte. Ich bekomme neuen Respekt vor Joe. Seine Berechnung, sein Rhythmus sind unheimlich.
Der Gong ertönt zur fünften Runde. Ich komme raus aus der Ecke. Ich hab' mich noch nicht auf den Schemel gesetzt; zwischen den Runden blieb ich stehen. Frazier kommt raus, noch schonungsloser, härter und schneller. Wie lange kann er das durchhalten? Ich lasse einen linken Aufwärtshaken los, der ihn gebremst haben müßte. Sein Kopf schnellt zurück, aber er duckt sich wieder und tänzelt und springt hin und her und drückt mich gegen die Seile. »Joe blutet über dem Auge, aus Nase und Mund.«
Ich versuche, ihn im Clinch zu hatten, aber er bricht aus. Sein linker Haken schlägt in meine Rippen, schlägt hinein in meine Hüfte. Ich bin niemals vorher an der Hüfte schmerzlich getroffen worden. Aber wenn Frazier dich trifft, spürst du es. Er drückt mich gegen die Seile. Plötzlich springt er auf, und ein Haken sprengt mir den Kopf. Bis zum Gong wehre ich ihn ab.
Die sechste Runde beginnt. Aber ich weiß bereits, daß ich es an ihrem Ende noch nicht geschafft haben kann.
Die Fernsehkameras hatten mich aufgenommen, als ich den Reportern meine Vorhersage gab, wie der Kampf ausgehen würde. Ich prophezeite: In der sechsten Runde. Diese Vorhersage übergab ich ihnen in einem versiegelten Umschlag, den sie erst fünf Minuten vor dem Kampf öffnen durften. Ich wollte es so, damit niemand noch ganz zum Schluß eine Wette darauf abschließen konnte: »Hier hin ich, fünf Minuten vor dem Kampf, und ich sage voraus.«
Joe weiß, was ich vorausgesagt habe. Er kommt schnell, direkt und hart. Sein Kopf bewegt sich hin und her, als ob sein Hals in einem Kugelgelenk steckte. Ich lasse rechte Grade auf ihn los. Ich verpasse ihm einen Haken, aber er drückt mich in die Ecke. Ich liege wieder mit dem Rücken in den Seilen, und seine Linke knallt gegen meine Hüften, meine Rippen.
Dann führt er die Schläge gegen meinen Kopf, ich bin wie gelähmt. Ich schlage nicht zurück. Ich liege in den Seilen, und die Menge buht ... Joe hat die Runde mit einem Haken gegen meinen Kiefer eröffnet, der mich betäubt. Jetzt versucht er einen Aufwärtshaken anzubringen. Ich schlage mit scharfen Graden gegen seinen Kopf und versuche ihn zurückzudrängen. Aber er stößt vor wie ein Panzer. Er zwängt mich an die Seile.
Ich versuche loszukommen, aber er nagelt mich an die Seile und bombt auf mich ein. Die Menge springt auf und brüllt: »Joe! Joe! Drauf, Joe!« Sie denken, daß er kurz vor dem Sieg steht, denn sie haben mich nie vorher in solcher Bedrängnis gesehen.
Irgend etwas ist mit mir los. Ich fühle mich müde, und der Kampf ist noch nicht zur Hälfte vorbei, ich weiß aus Erfahrung: Wenn ich jetzt durchhalte, gewinne ich wieder an Kraft. Aber die Luft in meinen Lungen ist heiß, meine Arme sind schwer. Es läuft nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe. Ich blicke in die Menge. Ich will tun, was ich mir vorgenommen habe.
In der siebenten, achten kommt Joe, rückt vor, schlägt zu, trifft und marschiert immer wieder vorwärts. Ich schlage mit der linken Graden, direkte scharfe Grade. Er schiebt mich gegen die Seile. Ich gebe ihm schnelle scharfe Grade. Die Müdigkeit wird jetzt spürbarer. Vielleicht hat Joe Louis mit den dreieinhalb Jahren doch recht. Als ich in den Seilen liege, buht die Menge. Sie schreien, Joe soll mich wegputzen.
Der Gong ertönt. Ich gehe in meine Ecke zurück. Ich muß das Blatt nun wenden.
Die neunte kommt. Ich fühle, daß meine Kraft zurückkehrt. Als sich Joe in mich hineinbohren will, erwische ich ihn mit einer schweren Rechten. Er bringt mich zwar mit einem Haken ins Wanken, aber ich jage ein paar rechte Grade an seinen Kopf, und sie sitzen.
Plötzlich sehe ich ganz klar. Kein Schlag verpaßt mehr sein Ziel. Er blutet aus dem linken Nasenloch. Er torkelt. Ich nehme noch einmal alle Kraft zusammen. Er weicht nicht zurück! Ich lande sechs, sieben, acht solide Rechte an seinem Kopf. Über seinem Auge ist eine Beule, so groß wie eine Kaffeetasse, und sie wird mit jedem Treffer, den ich lande, größer und größer.
Aber immer wieder kommt er ran, kommt immer wieder ran. Jetzt kann ich ihn fertigmachen. Ich schlage drauf, was das Zeug hält! Als die Runde zu Ende ist, blutet er über dem Auge, aus Nase und Mund. Aber zu Boden gehn will er nicht. Jetzt weiß ich, eher will er sterben als aufgeben. Joe ist auf mir drauf. Ich spüre, wie sein linker Haken meinen Kiefer trifft. Ich halte meine Hände hoch, aber er kommt durch. Ich schieße Linke und Rechte gegen seinen Kopf. Aber er gräbt seine Faust in meine Rippen. Sein Kinn ist an meiner Brust. Ich weiß, warum er mit solcher Gewalt losgeht, warum er in dieser Runde so verbissen ist. Yank Durham sagte voraus, daß ich in der zehnten Runde zu Boden gehen würde.
Ich stehe mit dem Rücken an den Seilen, Joe drückt stark nach. Dieselbe Erschöpfung wie vorhin kommt über mich. Wieder schlage ich daneben. Die Konzentration, die ich in der letzten Runde hatte, ist weg. Ich schaffe es gerade noch, eine rechte Grade zu vermeiden, als er auf mich zukommt. Ich schmettere eine Rechte, aber es läßt ihn kalt. Und im Clinch spüre ich zum erstenmal seinen schweren Atem. Das scharfe Tempo bringt mich um, aber ihn auch.
Der Gong. Die Runde ist vorbei. Unsere Vorhersagen waren beide falsch. Ich habe noch fünf Runden, um gewinnen zu können. Ich hab' das schon früher fertiggebracht. Ich kann es auch jetzt.
»Ich möchte nach Hause und meine Kinder sehen.«
Wenn er einen Schlag bei mir anbringt, werde ich meinen Kopf schütteln und sagen: »Mann, du hast nicht getroffen!« Dann tanze ich vor ihm her und werd' ihm einen verpassen -- Bam! -- und dabei sagen: »Dummkopf, du weißt doch, daß du keine Chance hast.« Ich werde mit ihm in den Clinch gehen, ich werde einen Tanz aufführen. Und wenn der Nigger noch immer nicht genug hat, werd' ich einen neuen Schlag erfinden, den Ah-Getto-Ripper. Den werde ich ihm in der elften verpassen. Falls es überhaupt soweit kommt.
Ich gewinne die elfte, zwölfte und dreizehnte Runde, und die beiden restlichen will ich auch einstecken. Frazier tänzelt, springt und gibt sich selbstsicherer denn je. Plötzlich taucht er unter meiner Rechten weg und kommt mit dem härtesten Haken wieder herauf, den ich je in meinem Leben einstecken mußte. Er schleudert mich rückwärts durch den Ring. Ich kann mich fast nicht mehr auf den Beinen halten.
Mein Kopf ist wie erstarrt. Ich sehe ihn wieder auf mich zukommen, aber ich schlage mit der linken Graden und weiche nach hinten aus. Auf dem Boden ist es naß, ich rutsche aus. Aber ich werde nicht angezählt. Ich komme wieder hoch, aber in der nächsten Runde greift er wieder an, wirft sich unverdrossen in den Kampf, steckt Schläge am Kinn und im Gesicht ein. Sein Mund blutet.
In der zwölften und dreizehnten halte ich Distanz. Meine weitreichenden Schläge treffen ihn am Kopf, aber er drängt vorwärts, an mich ran. Er kassiert drei, vier, fünf, sechs Hiebe, bevor er einen soliden Schuß an meinem Körper, an den Hüften, am Kopf anbringen kann.
Irgend etwas an seiner Art, wie er auf mich losgeht, irritiert mich: dieses Tänzeln, Hin- und Herspringen. Mal ist er leicht zu treffen, mal ist er schwer zu treffen. Ich habe noch nie gegen jemanden gekämpft, der einen so starken Willen hat. Er ist ein Mensch, denk' ich, also ist er verwundbar. Ich schmettere meine linke Grade gegen ihn und sammle Punkte. Aber er kommt immer wieder.
Das ganze Stadion ist aufgesprungen. Nur wenige rufen »Ah! Ah! Ah! Ah!« Aber Fraziers Anhänger rufen zuversichtlich und laut: »Joe! Hau drauf, Joe! Schlag ihn nieder!«
Er kommt in Reichweite. Ich will ihn umkreisen, eine linke Grade landen und mit einer Rechten durchschlagen. Ich sehe eine Lücke. Ich bewege mich auf ihn zu, dann sehe ich ihn wegtauchen. Er duckt sich und schießt hervor mit seiner Linken, fast vom Boden aus. Ich sehe ihn kommen. Ich denke, ich kann zurückweichen. aber er hat den Schlag vollkommen richtig berechnet.
Er explodiert an meinem Kopf; ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wie ich zu Boden ging. Ich merke nur, wie ich unten bin. Schaue auf und höre, wie gezählt wird. Ich weiß nur, daß ich da unten nichts zu suchen habe. Ich stehe auf und lasse mich anzählen. Das Gebrüll der Menge hallt in meinem Ohr: »Joe! Joe! Joe! Joe! Joe Frazier!«
»Das war der entscheidende Schlag; der hat es entschieden«, wird mir Bundini später erzählen.
Als der Gong ertönt und ich in meine Ecke gehe, sehe ich sein Gesicht: eine Masse von Blut und Beulen, geschwollen wie meines auch. Mein Kiefer ist zur Größe einer Melone angeschwollen. Angela dachte in der Mitte des Kampfes, der Kiefer wäre gebrochen. Als ich in meiner Ecke stehe und auf das Ergebnis warte, tun mir alle Knochen weh. Meine Hüften fühlen sich an, als hätte jemand mit einem Baseball-Schläger drauf herumgeschlagen.
»Der einstimmige Sieger ist der unbestrittene Weltmeister im Schwergewicht Joe Frazier!«
Die Leute strömen hinter der Polizei in den Ring. Ich bewege mich hinter Bundini und Angelo auf die Stufen zu. Ich fühle, wie mich jemand am Arm packt. Ich drehe mich um. Joe ist in meine Ecke rübergekommen. »Du hast dich großartig geschlagen«, sagt er. Sein Gesicht ist so geschwollen. daß ich kaum seine Augen sehen kann. Aber ich weiß, daß er mich ansieht. »Du bist der Champ«, sage ich. Offenbar hört er es gern. Zum erstenmal in meiner Laufbahn als Profi muß ich anerkennen, daß mir jemand über ist. Ich hatte versprochen, durch den Ring zu kriechen und zu sagen: »Du bist ein blöder Nigger.«
Joe scheint meine Gedanken zu erraten. Blut rinnt aus den Wunden auf seinen Lippen. »Wir brauchen die Kriecherei nicht«, sagt er. »Du hast einen höllischen Kampf gemacht. Du verdammter Nigger. Wir beiden verdammten Nigger. Wir brauchen keine Kriecherei.«
Leute drängen sich hinter mir, um dem Weltmeister die Hand zu schütteln.
»Wie fühlst du dich?« Ein Reporter hält mir ein Mikrophon hin, aber ich trete hinter ihn. Ich sage ihm nicht, daß mein erstes Gefühl Erleichterung ist. Ich bin froh, daß es vorbei ist.
Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie ich in den Umkleideraum gekommen bin. Aber ich erinnere mich noch, wie ich ausgestreckt auf der Massagebank lag. Bundini zieht mir meine Hosen und Suspensorien aus, schneidet meine Schuhbänder auf, und schon liege ich nackt auf dem Tisch. Das einzige, was ich fühle, ist Erschöpfung. Ich möchte nach Hause und meine Kinder sehen.
Ich muß an Levinskys Worte denken: »Cash, wie ist das, wenn man verliert?«
»Nackt. .. kalt«, sagte ich ihm damals.
»Es sind nicht die Schläge, nicht wahr, Cash?«
»Nicht nur die Schläge.«
»Es sind all die Zeugen. Jeder hat es beobachtet. Dein Stern sinkt, und ihn schreien sie auf den Thron.«
Ich stehe auf. Die Dinosaurier werden wieder aufeinandertreffen. Im nächsten Heft
Ali fordert den neuen Weltmeister George Foreman zum Kampf heraus -- Sein Sparringspartner setzt auf Foremans Sieg -- Entscheidung in Kinshasa: »Wer zuviel siegt, macht sich schwach«