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VERTRIEBENE / DANZIG An Inez denken

aus DER SPIEGEL 18/1967

Zum Hinschied des Sowjet-Marschalls Rodion Malinowski schickte er einen Beileidsbrief nach Moskau. Nach dem Sturz Kwame Nkrumahs war er einer der ersten, die den neuen Machthabern Ghanas offiziell die Anerkennung übermittelten. Als der Wirbelsturm »mez« die Inselrepublik Haiti verwüstete, drückte er Präsident Duvalier sein Mitgefühl aus -- und stets unterschrieb er als »Präsident der Exil-Regierung der Republik Freie Stadt Danzig": Herbert Adler, 50, Straßenbahnschaffner aus Essen.

Nach Dienstschluß auf der Straßenbahnlinie 5 retiriert Adler gern hinter die Schreibmaschine und verfaßt, angeblich im Auftrag von 12 000 Danziger Mitbürgern, »diplomatische Botschaften« an ausländische Gesandtschaften und Regierungen in aller Welt. Beiläufig fügt er die Bitte« um unsere Anerkennung als Exilregierung« an, »so wie wir auch Sie offiziell anerkannt haben

Antworten mit offizieller Anrede wertet der ehemalige Danziger Hotelportier schon als Anerkennung (Dankschreiben der Regierung Ghanas: »Monsieur le Président« und archiviert sie wie einen Brief Paul Lückes, der dem »Präsidenten der Exilregierung Freie Stadt Danzig« für die Glückwünsche zur abermaligen Bestallung als Bundesminister dankte.

Inzwischen häufen sich im Bonner Auswärtigen Amt Anfragen verwirrter Regierungen, »um was für einen komischen Vertreter es sich da handelt« (AA-Legationsrat Dr. Heinz Schneppen). Bonn antwortet stets, so Schneppen, Schaffner Adler sei »nicht legitimiert«, für die Danziger zu sprechen.

AA-Favorit ist vielmehr der FDP-Landtagsabgeordnete Willi Homeier, 44, aus Hannover, der als Präsident der »Vertretung der Freien Stadt Danzig« fungiert. Homeier beruft sich auf ältere Rechte und den »Bund der Danziger«, der mit rund 70 000 Mitgliedern »hinter uns steht«.

Die achtköpfige Danzig-Vertretung ist aus dem 1947 konstituierten »Rat der Danziger« hervorgegangen; 1951 und 1961 wurde sie nach Angaben Homeiers in geheimer Briefwahl von den Ex-Danzigern als »Rechtsnachfolger des Senats der Freien Stadt Danzig« bestätigt.

Schaffner Adler stieg indessen erst 1962 in die Danzig-Politik ein, weil ihm die »Wiedersehensfeier-Politik« der Homeier-Gruppe nicht behagte und er nach »Arbeit auf diplomatischer Basis« lechzte. Er versicherte sich der Unterstützung von »rund 12 000 im Ausland lebenden Landsleuten« und besorgte in Montreux (Schweiz) die Gründung eines »Aktions-Komitees Freie Stadt Danzig«, das sich im Vorjahr zur« Exilregierung« (mit 25 Mitgliedern in allen Teilen der Welt) beförderte.

Regierungschef Adler brachte Danzig bald ins Gerede: Er verbreitete ein politisches Programm, wonach seine Regierung auf jeden Gebietsanspruch in Europa verzichten wolle, wenn ihr die Uno ein neues Territorium außerhalb Europas zuweisen, Polen sämtliche Danzig-Dokumente und die Schweiz die angeblich in Basel deponierte Danziger Staatskasse herausrücken würde.

Weder das Vertriebenen- noch ein anderes Bonner Ministerium möchte etwas gegen Adlers diplomatische Tätigkeit -- ob er nun an »mez« oder an Malinowski denkt -- unternehmen.

Denn: Über das Schicksal der 1939 von Hitler annektierten ehemaligen Freien Stadt Danzig (heute polnisch verwaltet) soll erst in einem künftigen Friedensvertrag entschieden werden. Und die Bundesrepublik ist nicht Rechtsnachfolger des Völkerbundmandats Danzig.

Deutschlands populärster Danziger, Schriftsteller Günter Grass, findet das alles »sehr ulkig«. Grass: »Eine gelungene Karikatur der offiziellen Bonner Vertriebenenpolitik.«

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